Der himmelblaue Schmengeling
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Juni 2004
Mutterliebe
von Pia Schweizer

Ich bin die beste Mutter von allen! Ich putze, koche, und alles für meine Kinder. – Die etwas verloren wirkende Mutter sagte es leise vor sich hin und begann staubzusaugen in der Wohnung, mindestens ein paar Stunden lang. Dann noch ein paar Fenster geputzt, blitzeblank. Therapie für sie, wenn sie sich nicht gut fühlte.

Die Wohnungstür öffnete sich, das Klirrend rasselnde Geräusch des Schlüsselbundes verriet, wer eintreten würde. ‚Hallo’ eine erste kurze Begrüssung, wie gedankenlos hingeworfen.
Den Schlüsselbund auf den Schuschrank geknallt, das Rasseln schwieg.

Aggression und Gegenaggression stiessen aufeinander, spätestens beim Mittagessen, gemeinsam am Tisch eingenommen. Hick-hack-hick. Gegen das Hick-hack-hick half scheinbar nur noch das hicks von einer Flasche Bier. Die Mutter wirkte zu überdreht, zu agressiv. Die Stimmung kochte sich hoch, der Kampf am Mittagstisch gekämpft und jetzt schnell auf und davon. Der Vater verschwand schnell auf seine verdiente Mittagskouch und schlief ein.

Kinder als Zeugen eines Hick-hack-Rituals. Von der Mutter so sehr geliebt, musste alles unternommen werden, um diese Liebe unter den Umständen zu bewahren. Ob es die Kinder der beiden Dauerkämpfer versuchten? Die Grenzlinien des Freund- und Feindeslandes waren für diesen Tag wieder mal neu gesteckt worden. Wer war jetzt schuld? Aha.

Gezeigte Mutterliebe schien erkennen zu lassen, dass der Vater schuld sein musste.

Die Mittagsnachrichten liefen ab, wie jeden Mittag. ‚Was sind das für Tassen auf dem Tisch? Sofort beiseite räumen. Und überall sind Brosamen auf dem Teppich’. Ja, natürlich, Ordnung muss sein, klar. Auch wenn alles sonst in Unordnung war, die Ordnung war immer in Ordnung. Auch wenn mit der Ordnung ganze Schlachten geschlagen werden konnten. Hopp, in die Wunden, müde erschöpfte Leute mit der Ordnung terrorisiert. Ja, das muss Spass machen! Das war jetzt nur ein Witz. Jedoch schienen die Agressionen der Mutter manchmal aus sämtlichen ihrer Poren und Zellen zu strömen und dennoch war es noch nicht genug. Zuviel Agressionen, nur, wohin damit? Gefechte, mit Kanonen auf Spatzen geschossen und mit dem Balken das wachsende Gras erschlagen.

Mutterliebe machte es möglich. Schliesslich würde sie fast alles für ihre Kinder tun.

Die Mutter beschloss schliesslich, allein mit ihren Kindern in die Ferien zu fahren.
Die verloren wirkende Mutter machte ein Gesicht wie Mutter Colargol auf Weltreise, einsam und verlorengelassen, tapfer stand sie am Flughafen, mit dem Koffer in der Hand, und versuchte, Ordnung in ihr Leben auf dem Flughafen zu bringen. Wo war der Ausgang, wo der Koffer zum tragen? Schon wieder neue Bürden.
Es war heiss, etwa 30 Grad Celsius. Die Fahrt mit dem Bus dauerte scheinbar ewig, Mutter konnte es kaum erwarten, sich in ihr Badekleid zu stürzen und dann gesamthaft ins nasse kühle Meer.

Ersteinmal beim Hotel eingecheckt, verriet das toben und lachen der Kinder von weitem, wo der begehrte Sandstrand war. Ja, wie schön das Meer war. Sie konnte schwimmen und tat ein paar Züge.

Schön eincremen auf der Haut.
Bitte, können Sie mich eincremen, fragte die mutige Mutter den fremden Mann von nebendran. Sichtlich genoss die Mutter es. Ob sie eine verwunschene Prinzessin wäre und viel begehrlicher als alle Frauen auf dieser Welt? Sie war ja schliesslich die beste Mutter von allen und so verhielt sie sich auch.

Hatte sie ihre Kinder gut erzogen? Diese anderen Kinder, sie machten dies und jenes, und ihre Kinder? Ob sie wohl dem Masstab entsprachen dem man in dieser Welt verlangte? Ob die Welt sie lieben würde für ihren Verdienst? Sicherlich würde ihr einen Tapferkeitsorden zugesprochen, einen Orden ‚Held der Arbeit’ und einen Orden ‚beste Mutter von allen’. Aber sie trug diesen Orden bereits stolz in sich, sie wusste, dass sie ihn bereits trug.

Ganz sicher hatte sie ihn sich verdient. Sie hatte zuviel gelitten, schon bereits als Kind bis an ihre Grenzen der Belastbarkeit. Versprochenes wurde nicht eingehalten. Leichen sollte man zuschaufeln helfen, Leichen des zweiten Weltkrieges, und dicke Speckstreifen essen, die zur Uebelkeit ….. Die Oma selig hatte ihr jedoch verholfen, dass sie das nicht tun musste und sie versteckt. Sie war ja noch ein kleines Kind gewesen.

Der Opa selig hatte später erzählt, wie es so war, im Krieg, in allen Details, von gefallenen Soldaten, von Grabenkämpfen, und ich bewunderte seinen Mut grenzenlos. Ein Fels in der Brandung schien er zu sein. Was niemand zu tun wagte, er hatte es, wie es schien, gewagt. Nur, meine Mutter hatte unter meinem Opa gelitten. Das hatte der Opa nicht im Griff gehabt. Das Zwischenmenschliche. Wie soll es auch herauskommen, jemand der für den Krieg gelebt hat, und jetzt auf einmal Familienvater sein sollte, nach dem Krieg? Die Heldentaten des Krieges lebten weiter im Kopf des Opas und liessen ihn vergessen, dass er wegen der Grausamkeiten der Jahre verlernt hatte, vernünftig auf menschliche Wesen einzugehen. Grob hatte er meine Mutter behandelt. Oft sehr grob. Nur rein zwischenmenschlich gesehen, sonst war weiter nix.

Die Mutter, als Kind meines Opas, Enttäuschungen und Blick hinter düstere Fassaden des Daseins menschlicher Wesen geworfen. Sie meinte nur ab und zu: ‚Ihr wisst ja gar nicht, wie schlecht die Welt ist’.





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