Drei Mütter von Uschi Lange
Alt
Zwei Brüder diskutieren über den Verbleib ihrer alten, kranken Mutter, die mit den Jahren noch zänkischer und unzufriedener geworden ist. Eddi, der ältere, ist konsequent, während der Jüngere versucht sein Gewissen zu beruhigen.
„Wir sollten dankbar sein, was unsere Mutter für uns getan hat. So könnten wir ihr es wiedergeben, wenn einer von uns sie bei sich aufnimmt.“
„ Sicher, der Rest unseres Lebens besteht nur noch aus Dankbarkeit! Und wann fängt dann unser Leben an? Wenn wir von unseren Kindern gepflegt werden müssen?“
„Nun sei doch nicht so sarkastisch, Eddi. Wir haben doch beide Platz und verdanken tun wir es auch ihrer finanziellen Unterstützung, sonst hätten wir unsere Häuser jetzt noch nicht so gut wie schuldenfrei.“
„Ach, wir selbst haben wohl nichts dazu beigetragen? Oder ist sie vielleicht auch für uns arbeiten gegangen und hat unsere Familie versorgt? Ich habe es satt, immer ein schlechtes Gewissen eingeredet zu bekommen. Wenn Du sie nicht nehmen willst, dann besorge ich eben einen anständigen Pflegeplatz für sie. Den zahle ich auch gerne und sie mischt sich nicht in meine Familie ein, Du weißt doch genau, wie sie ist!“
„Ja, natürlich weiß ich das. Aber sieht das denn nicht nach Abschiebung aus, sie ist doch schließlich unsere Mutter! Wenn sie nun verspricht sich ruhig zu verhalten, ginge es doch vielleicht und so wie es aussieht, macht sie es auch nicht mehr lange.“
„Ja. Ja, und dann lässt sie sich noch Jahrelang Zeit! Du willst sie doch auch nicht im Haus haben, gib es endlich zu! Wir sind den ganzen Tag arbeiten, da hätten dann unsere Frauen meistens mit ihr zu tun. Willst du etwa deine Ehe riskieren? Ich nicht, verdammt noch mal, Mutter hin, Mutter her! Sie macht es Betty und Anne doch jetzt schon schwer genug, wenn sie mal nachmittags bei uns ist!“
„Du hast ja Recht, aber ich meine, wir sollten das mit unseren Frauen besprechen. Sie hätten, wie du richtig sagst, die meiste Arbeit und sollten auch was dazu sagen.“
„Na, dann wirst du ja hören, wie begeistert sie von deiner Idee sind, sich um ihre nette Schwiegermutter zu kümmern, die immer noch der Auffassung ist , dass unsere Frauen nicht gut genug für uns sind. Und dann sollen sie sich das auch noch Tag und Nacht anhören müssen! Toller Nebenjob und noch ehrenhalber! Ha, ha!“
Falsch
Im Café führte mich der Kellner an ihren Tisch. Sie wartete schon auf mich. Einen Moment stand ich vor dieser fremden Frau und starrte sie an, als wäre ich vom Blitz getroffen. Das also war meine leibliche Mutter, die ich nach dreißig Jahren kennen lernen wollte. Mein Verlobter Mark hatte Auskünfte über sie eingeholt und mich gewarnt, aber ich wollte mich selbst überzeugen. Sie sah recht gut aus und irgendwie sehr normal. Nun, ich war gespannt auf ihre Gründe, mich als Baby zur Adoption gegeben zu haben. Ich setzte mich ihr gegenüber an den Tisch und mit einem kurzen Blick auf ihren Kaffee, bestellte ich mir ein Kännchen Tee. Noch wollte ich nichts mit ihr gemein haben. Nach der üblichen Begrüßung schwiegen wir und ich sah, wie sie mich musterte. „ Also, sie sind meine leibliche Mutter. Bin ich nun eine Bestätigung ihrer damaligen Handlung oder entspreche ich ihren Erwartungen?“ Angriff ist die beste Verteidigung, dachte ich und sprach zu ihr, wie zu meinen Studenten im Hörsaal. Was erwartete ich bloß von diesem Treffen? Mir ging es doch gut und ich war sehr zufrieden mit meiner Familie. Als sie zu sprechen anfing, wusste ich es. „Du hast dich bestens entwickelt. Ich hätte Dir das nie ermöglichen können. Als Sekretärin ohne Ausbildung bekam ich kein großes Gehalt. Außerdem habe ich nie geheiratet und als Single geht es mir jetzt verdammt gut!“
„Das hört sich für mich eher egoistisch an. Sie wollten wohl auch nie eine Familie haben!“ Ihre diamantenen Ohrringe blitzten unter ihrem langen, blonden Haar hervor, als sie belustigt den Kopf schüttelte: „Tja, du scheinst ja so richtig spießig zu sein. Dabei, glaube mir, bewegen wir uns jetzt in der gleichen Gesellschaftsschicht. Nur bin ich keine der langweiligen Ehefrauen, sondern die aufregende Zweitfrau.“
Mir wurde heiß und kalt, Einbildung kann wohl auch Bildung sein, meine Angst um meine Herkunft schien sich zu bestätigen. Heute Abend würde ich meine richtige Mutter, die mich liebevoll aufgezogen hat, bitten, bei der nächsten Dinnerparty meine Verlobung mit Mark bekannt zu geben. Er würde aufatmen, dass ich keinen Kontakt mehr zu meiner leiblichen Mutter haben will. „Es macht ihnen Spaß auf Kosten anderer ihr Leben zu genießen, wie? Da ist natürlich kein Platz für ein Kind. Aber ich werde demnächst heiraten und eine Familie gründen. Ich hoffe, sie werden sich nie wieder persönlich bei mir melden. Meinen Kindern wären sie ein zu schlechtes Beispiel.“ Ich zitterte leicht vor Wut und Empörung, bezahlte meinen Tee und ging schnell aus dem Café, um nie mehr in ihrer Nähe sein zu müssen. Was hatte ich auch von so einer Frau erwartet, hoffentlich hatte ich nicht viel von ihr geerbt. Doch eine kleine Träne der Enttäuschung schlich sich in mein Auge, ärgerlich wischte ich sie weg.
Eine Woche später stand ihre Todesanzeige in der Zeitung, sie war an Krebs gestorben. Nun war ich für immer von ihr erlöst!
Verschwunden.
Der Polizeihauptmeister Milonek aus der Kreisstadt geht einer Vermisstenmeldung in einem Vorort nach und befragt die Nachbarn zum Verbleib der alten Dame.
„Frau Karzer, wie sie schon gehört haben werden, ist Frau Hannah Seger seit zwei Tagen verschwunden. Können sie mir etwas über ihre Gewohnheiten und ihr Aussehen sagen, was uns weiterhilft?“
„Aber sicher, Herr Milonek, ich helfe gerne. Außerdem, Hannah ist doch eine Nachbarin und gehört zur Dorfgemeinschaft. Sie hat sich zwar für ihr Alter immer angezogen wie ein Teenager, aber wer hat keinen Tick. Damit ist sie doch noch harmlos. Sie hat immer jeden freundlich gegrüßt und geholfen, wenn irgendetwas nötig war. Wie es halt in einer gepflegten Nachbarschaft üblich ist. Hannah ist eine lebenslustige Person, für ihr Alter vielleicht etwas flippig, aber sie ist eine von uns!“
„Und da haben sie nicht bemerkt, dass Frau Seger nicht mehr da ist?“
„Also, wissen sie, sie hätte ja auch krank sein können und zwei Tage Ruhe brauch jeder mal. Bei einer Erkältung liegt man doch meistens ein paar Tage im Bett, um sich gesund zu schlafen. Ich spioniere doch nicht anderen Leuten hinterher.“
„Wann haben sie die alte Dame denn zuletzt gesehen? Und in welcher Verfassung war sie?“
„Na ja, wenn sie mich so fragen. Ich will ja nicht tratschen, aber sie sollten wissen, dass ihre Kinder sie entmündigen lassen wollten. So was undankbares! Erst haben sie jahrelang nichts von sich hören und sehen lassen, dann wollten sie ihr das kleine Fachwerkhäuschen abluchsen. Wir Nachbarn haben diesen Erbschleichern natürlich nichts Schlechtes über Hannah erzählt.“
„Also hatte sie familiäre Probleme. Wie viel Kontakt hatten sie denn zu ihr?“
„Na, wenn sie mich so fragen. Ich habe Hannah mindestens einmal in der Woche beim Spaziergang oder Einkauf getroffen. Sie hat ihren Garten sehr geliebt und hat auch gerne in der Sonne gesessen und gelesen. Mittags war sie oft mit dem Fahrrad unterwegs. Ganz genau kann ich es ihnen nicht sagen. Aber ich habe mich heute Mittag schon gewundert, dass sie nicht in ihrem Garten war. Ich wollte schon nachsehen, ob sie schwer krank ist und ich helfen kann.“
„Wirkte sie denn niedergeschlagen, nervös oder ähnliches?“
„Wenn ich so darüber nachdenke, eigentlich ist mir nichts dergleichen aufgefallen. Natürlich kann es sein, dass die Sache mit ihren Kindern sie sehr belastet hat. Gezeigt hat sie es nicht. Es wird sie viel Kraft gekostet haben, schließlich ist sie mit fast siebzig nicht mehr die Jüngste. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie einfach so verschwindet! Das ist nicht ihre Art.“
„ Nun, worum ging es denn genau bei dem Ärger mit ihren Kindern?“
„ Ach, wissen Sie, die Leute reden viel und es war bestimmt übertrieben!“
„ Erzählen Sie ruhig, ich werde es nur für die Nachforschungen benutzen, bestimmt!“
„ Na ja, es hieß, sie wollten sie entmündigen lassen, in eine Klinik stecken und das alte Fachwerkhaus an einen Amerikaner verkaufen, der es Stück für Stück abbauen und drüben wieder aufbauen wollte.“
„ Langsam, bitte, wie lange ist das denn jetzt her?“
„ Also, lassen Sie mich kurz überlegen! Es müsste jetzt etwa eine Woche her sein, dass die alte Frau Hanna ihre Kinder mit Hilfe ihres Anwaltes und der Polizei über eine gerichtliche Verfügung aus dem Dorf weisen ließ. Herrschaftszeiten, war das ein Aufruhr hier und alle Nachbarn haben applaudiert!“
„Haben Sie Frau Seger danach noch gesehen?“
„Aber nur einmal, und jetzt erinnere ich mich, ihr sonst so fröhliches Lächeln wirkte irgendwie traurig!“
Plötzlich kommt ein kleiner Junge angelaufen und rudert wie wild mit den Armen. „Tante Karzer, Tante Karzer, der Ortsvorsteher will Dich sprechen. Es geht um die alte Frau Seger! Die hat uns ihr Haus geschenkt!“
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