Ganz schön bissig ...
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Juni 2004
Ihre Mutter
von Günter Krause

Verblüfft starrte Carina die Frau an, die ihr gegenüber am anderen Ende des Buffets stand. Ihre Hände zitterten. Sie konnten den gefüllten Teller kaum noch halten. Die Frau sah ihr zum Verwechseln ähnlich und schien genauso fassungslos zu sein wie sie selbst. Verwundert blinzelte Carina mit den Augenlidern. Selbst ein Spiegel hätte ihr Bild nicht besser wiedergeben können.

“Liebling, kommst du?” Der attraktive Mann sah ihr direkt in die Augen. Carina´s verwirrter Blick irrte hin und her.
“Carola?”, fragte er verunsichert. Die Ähnlichkeit der beiden Frauen überraschte ihn maßlos.
“Das gibt’s doch gar nicht!” Erstaunt sah er Carina und dann wieder Carola an.
“Liebling, warum hast du mir nie erzählt, dass du eine Zwillingsschwester hast?”
Kraftlos zog Carola die Schultern nach oben.

“Kommt!”, forderte Carolas Mann die beiden entgeistert dastehenden Frauen auf und nahm ihnen sicherheitshalber die Teller ab. Innerlich aufgewühlt und mit unsicherem Schritt folgte Carina ihrem Ebenbild und dem unbekannten Mann an einen freien Tisch des Speisesaales. Diskret zog sich Rolf, Carolas Mann, zurück, um an der Bar etwas zu Trinken zu holen. Die nächsten Minuten würden Schicksalsminuten sein. Das spürten alle. Ihre Gleichartigkeit musste mehr als nur eine Laune der Natur sein.
Dann saßen sie sich gegenüber. Immer noch waren sie überwältigt von dem Eindruck, das Abbild ihrer selbst vor sich zu haben und fanden keine Worte. Ihre Blicke tasteten ungläubig das Gesicht des Gegenübers ab. Carina lächelte zaghaft. Und noch zaghafter spiegelte sich das Lächeln in Carolas Gesicht wider.

“Wie heißt du?”
“Carina. Und du?”
“Carola.”
“Auch mit C geschrieben?”
Carola nickte. Eine Übereinstimmung, die dieses eigenartige Gefühl in ihr bestärkte.
Carina holte tief Luft, bevor sie die Frage stellte, deren Antwort sie nicht großartig überraschen sollte: “Wann hast du Geburtstag?”
“Am 25. Mai!”
Der Tag an dem sie selbst geboren war! Carina schloß für einen Moment die Augen und nickte.
“Und das Geburtsjahr und der Ort an dem du geboren bist?”, fragte Carola mit banger Stimme.
“1978 in Rostock!”

“Es gibt wohl keinen Zweifel mehr daran, dass wir beide Schwestern sind!”, stellte Carola tonlos fest. “Es stimmt alles haargenau überein!”
Ungläubig starrten sich die beiden Frauen an.
“Meine Schwester!?” Kaum hörbar kam dieses ungewohnte Wort über Carinas Lippen.

Rolf kam zurück.
“Du wirst es nicht glauben Rolf, Carina ist meine Schwester!”
“Also doch!” Ungläubig schüttelte er den Kopf.

“Mutter ist auch hier!”
Carina blickte Carola mit großen Augen an: “Mutter?” Unzählige Fragen zeichneten sich auf ihrer Stirne ab.
Carina hatte ihr Leben lang Mama und Papa zu den beiden Menschen gesagt, die sie großgezogen hatten und die sie über alles liebte. Dass es nicht ihre leiblichen Eltern waren, wusste sie seit vielen Jahren.

“Ja unsere Mutter! Dort kommt sie gerade! Gehst du sie holen?” Langsam fand Carola ihre Fassung wieder.
“Ist sie denn meine Mutter?”
“Da sie mich geboren hat, ist sie zweifelsohne auch deine Mutter!”, versicherte Carola.

Carina bebte. All die Jahre gab es nie ein Lebenszeichen von ihr. Keinen Brief. Keinen Telefonanruf. Nichts! Sie selbst hatte nie das Bedürfnis verspürt diese Frau kennenzulernen. Warum denn auch? Diese Frau hatte sie nicht gewollt, hatte sie damals dem Schicksal überlassen. Und jetzt sollte sie ihr in wenigen Sekunden begegnen?
Alles ging so schnell. Es blieb ihr keine Zeit diesen Moment zu verarbeiten.

“Komm Schwesterherz, geh´ sie holen!”, drängte Carola sanft und legte ihre Hand auf Carinas.
“Soll ich wirklich?”
Carola sah ihrer Zwillingsschwester fest in die Augen und nickte zustimmend.

Wie in Trance stand Carina auf und ging mit klopfendem Herzen der fremden Frau entgegen.

“Hallo Mama!” Nur mühsam kamen die Worte aus ihrem Munde.
“Hallo Car...” Die Stimme der Frau verstummte abrupt.
“Du bist nicht Carola!” Die Frau erblasste. “Mein Gott! Ist das wahr? Dann bist du...” Sie atmete tief durch bevor sie den Namen aussprach: “Carina!”

Ihre Tochter, die sie als kleines Kind im Stich gelassen hatte. Sie war damals alleinerziehende Mutter und sie stellte ihren großen Traum von Freiheit über das Wohl ihres Kindes. Sie hatte ihren Fehler schon so oft bereut und sich sehnlichst gewünscht, Carina noch einmal in die Arme schließen zu dürfen. Und jetzt stand sie vor ihr. Unverhofft. Tausende Kilometer weit weg von Zuhause in ihrem Urlaubshotel an der türkischen Riviera. Sie brauchte nur die Hand auszustrecken, um sie zu berühren. Nur ein Schritt, um ihre Tochter endlich an sich drücken zu dürfen.

Doch die Vergangenheit verdrängte die Freude über das Wiedersehen. Würde Carina jemals verstehen können, warum sie bei ihrer Flucht nach West-Deutschland nur ein Kind mitnehmen konnte und sie zurückließ, da sie die Kräftigere der beiden war? Konnte es eine Erklärung dafür geben, dass sie in Kauf genommen hatte ihre Tochter niemals wieder zu sehen? Wohl kaum! Beschämt senkte die Frau die Augen. “Verzeih mir!”, bat sie leise unter Tränen.

Carina machte den Schritt nach vorne.
Nein, es war nicht die Zeit für Weshalb und Warum. Nicht jetzt! Später!

Sie streckte die Hände aus und schloß ihre Mutter liebevoll in die Arme.



Günter Krause

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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