Bitte lächeln!
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Juni 2004
Urmütter
von Ines Drosta

Im Lager ist es still. Wir haben unser Zelt der Mittagshitze wegen an drei Stellen mit Stangen angehoben, damit der Wind durch die Ziegenfelle hindurch wehen kann. Vor diesem Zelt liegen wir im Schatten und ruhen.
Plötzlich spüre ich eine Berührung an der Schulter. Ich schrecke hoch. Vor mir steht meine Herrin Sara. Noch nie ist sie direkt zu mir gekommen, meist verteilt sie Gunst und Arbeit an all ihre Mägde.
Ich werfe einen Blick zur Seite, doch Dina und Ruth, mit denen ich das Zelt teile, liegen mit geschlossenen Augen auf ihren Strohmatten.
„Komm Ägypterin, erfreue deinen Herrn“, befiehlt Sara, ich stehe auf und folge ihr. Wie klein meine Herrin ist, eine gebeugte Greisin mit braunen Altersflecken an Armen und Beinen und dünnem Haar, durch das man die Kopfhaut sehen kann.
Im Schatten mächtiger Eichen stehen die Zelte von Abraham und Sara auf Ehrenplätzen in der Mitte des Lagers.
Sara hebt die Ziegenhaut über dem Eingang zum Zelt ihres Mannes an und ich schlüpfe hindurch. Hinter mir fällt die Haut wieder zurück und ich stehe im Halbdunkel vor meinem Herrn Abraham. Wir beide sind allein, er führt mich zu seiner Matte, wir legen uns hin, er streift mein Hemd hoch und nimmt mich.
Später verlasse ich sein Zelt und sehe Sara vor ihrem sitzen. Sie sieht mich an. Ich zwinge mich zu einem Lächeln.
‚Dein Mann ist uralt, noch älter als du, Sara’, will ich ihr sagen, doch ich denke es nur. ‚Ich hätte mir gewünscht, er wäre jünger gewesen, doch ich habe die Augen dabei geschlossen.’
Lächelnd gehe ich zu unserem Mägdezelt zurück. Dina und Ruth schlafen immer noch.
Vielleicht wird es mir bald besser gehen als ihnen. Ich trage den Samen unseres Herrn in mir.
Unser Herr Abraham ist reich. Er besitzt Gold und Silber und auf den Weiden rings um das Lager stehen gut genährte Schafe, Esel, Rinder und Kamele.
Mich hat Abraham auf einem Sklavenmarkt in meiner Heimat Ägypten gekauft. Deshalb heißt man mich bei seinen Leuten seltener bei meinem Namen, Hagar, ich bin für sie einfach die Ägypterin.
Mein Herr und die Seinen werden von einem Gott geleitet, dessen Stimme Abraham eines Nachts bei Sternenschein vernommen hat und dessen Botschaft er uns oft predigt. Dieser Gott hat Abraham und seinen Nachkommen alles Land von den Gewässern Ägyptens bis an das große Wasser Euphrat versprochen.
Abraham und Sara jedoch sind alt und runzlig und haben keine Kinder.
Nach einiger Zeit beginnt sich mein Bauch zu runden und ich bin voller Freude. Ich kämme mein schwarzes glänzendes Haar und summe Lieder aus meiner Heimat. Eines Morgens lasse ich mich vor Abrahams Zelt sehen und er erlaubt mir, mich auszuruhen und bringt mir eigenhändig Feigen.
Sara entdeckt mich.
„Ich gab meinen Mägden den Befehl, Gerstenbrot zu backen“, sagt sie. „Wer hat dir erlaubt, zu ruhen, ägyptische Magd?“
„Abraham erlaubte es mir, Herrin,“ antworte ich. „Ich gehorche meinem Herrn Abraham.“
Sara wirft mir einen Blick zu, der mich frieren lässt und kommt bald in Begleitung von zwei kräftigen jungen Sklaven wieder. Sie packen mich und schleifen mich in Saras Zelt. Dort warten Sara und eine Frau. Die Frau kenne ich, sie wird immer gerufen, wenn im Lager ein Kind zur Welt kommt.
Meine Herrin setzt sich, den Rücken an ein Strohbündel gelehnt, auf eine Matte und streckt die Beine aus.
„Jetzt komm her, Hagar, setze dich auf meine Oberschenkel und lehne deinen Rücken an mich. Ich werde dir alles erklären, was du tun musst, wenn das Kind kommt.“
Ich tue es und spüre ihre welken Brüste an meinem Rücken.
„Hebamme, beuge Hagars Beine und hock dich zwischen ihre Füße!“
Ich sehe das Gesicht der Frau vor mir, sie hat die Hände an die Innenflächen meiner Knie gelegt und hält meine Beine auseinander. Dann spüre ich Saras Hände an meinem Bauch. Sie drückt fest zu. Erschrocken reiße ich Saras Hände von mir und stehe auf. Sara lässt sich von der Hebamme auf helfen und starrt mich an.
„Du hast mir weh getan“, sagt sie und reibt sich die Handgelenke.
„Ich tat es vor Schmerz, Herrin“, sage ich. „verzeih mir.“
„Das Kind in deinem Bauch gehört mir“, sagt Sara. „Ein alter Brauch besagt, wenn eine Magd auf den Knien ihrer Herrin das Kind ihres Herrn gebärt, wird die Herrin zur Mutter des Kindes.“
„Nein“, sage ich.
Saras Augen werden zu schmalen Schlitzen, versinken noch tiefer in ihrem Faltengeflecht. Sie stößt einen Schrei aus, hoch, spitz, die Ziegenhaut vorm Eingang hebt sich, die beiden jungen Sklaven von vorhin drängen die Hebamme zur Seite.
Ich fühle meine Arme mit eisernem Griff umklammert, meine Beine können nicht anders, sie müssen laufen, aus dem Lager heraus über grasbedeckte Hügel hinunter ins Tal. Sara führt uns, stumm eilt sie voran.
Bei einer Lämmerherde sehe ich meinen Herrn Abraham. Er spricht mit einem Hirten. Sara lässt mich von den Sklaven ins Gras werfen, da liege ich nun auf den Knien.
„Abraham!“, ruft Sara und ihre Stimme ist laut wie Donner. „Ich gab dir meine Magd Hagar, damit sie für mich ein Kind austrage. Nun erhebt sie sich über mich und schätzt mich gering. Das dulde ich nicht.“
Abraham stützt sich auf seinen Stab. Sein Atem geht schwer, als wäre er weit gelaufen. Er schaut zu mir herunter und für einen Moment scheint es mir, als blicke er mit Wohlwollen auf mich. Dann aber strafft er sich.
„Sie ist deine Magd, Sara“, keucht er. „Tue mit ihr, was du willst.“
Dann kehrt er zu dem Hirten zurück.
Noch am gleichen Tag schneidet mir Sara das Haar so kurz, dass die Kopfhaut durch schimmert. Sie nimmt sich Zeit, lässt Strähne um Strähne zu Boden fallen. Die anderen Mägde, Knechte, Hirten und Kinder huschen vorbei, um meine Demütigung zu sehen. Dina weicht vor mir zurück wie vor einem bösen Geist.
Eine größere Schmach hätte Sara mir nicht antun können. Als es dunkel wird, verlasse ich unbemerkt das Lager.
Doch wohin soll ich gehen? Ich laufe, hügelauf, hügelab, meiner Heimat Ägypten entgegen. Die Nächte unter klarem Himmel sind kalt, aber sie liegen wie eine schützende Haut über mir. Am Tag verbrennt die Sonne meine Kopfhaut und ich lechze nach einem Tropfen Wasser.
Ich spüre die Grenze Ägyptens nahen, doch mein Körper ist schwach und dürr wie ein Bündel trockener Zweige. Aufgeben, schlafen, träumen, einfach fallen lassen...
Plötzlich sehe ich in der Ferne einen Brunnen, ganz deutlich sehe ich einen richtigen Brunnen vor dem in der Hitze flimmernden Horizont, und mit einem Mal kommt auch der Durst wieder, ich spüre einen Speicheltropfen auf den Lippen und laufe los.
Am Brunnen steht ein Mann und wartet, bis ich mich satt getrunken habe.
„Du wirst einen Sohn haben, Hagar“, sagt er. „Du wirst ihm den Namen Ismael geben. Er wird schön und stark wie ein Wildesel sein und viele Nachfahren haben.“
Beschämt schaue ich an mir hinunter und sehe die deutliche Wölbung meines Bauches. Der fremde Herr hat mir eben bewusst gemacht, dass ich nicht allein bin. Als ich aus dem Lager weg lief, habe ich nur an mich gedacht, doch das ist vorbei, ich werde Mutter sein, eine Mutter mit einem Sohn.
Als ich dem Mann danken will, ist er verschwunden. Doch ich weiß jetzt, was ich zu tun habe, ich eile und eile zu den Zelten Abrahams zurück und finde sie unweit des alten Lagerplatzes.
Ich werfe mich vor Abraham auf die Knie, umfasse seine Füße und erzähle die Geschichte meiner Flucht. Mein Gebieter hebt mich auf und lacht, er sagt, niemand anderer als der Engel Gottes sei mir am Brunnen erschienen und habe die Geburt Ismaels verkündet.
Als mein freudiger Tag da ist, wird Ismael in Abrahams eigenem Zelt geboren. Ich spüre, dass ich es bin, die ihn aus mir heraus presst; und ich bin es auch, die ihn kurze Zeit später der Hebamme aus den Armen nimmt und an die Brust bettet. Abraham tritt ein, er strahlt über das ganze Gesicht und streicht dem Jungen sanft über das Köpfchen.
Währenddessen klingt Saras Klagelied durch das Lager, sie besingt ihren Schoß, der trocken ist wie ein Stück Leder, und sie bittet um einen Sohn. Ich drücke Ismael stärker an meine Brust. Auf Abrahams Geheiß hat Sara nach meiner Rückkehr nie mehr von der Geburt auf ihren Knien sprechen dürfen.
Für Ismael und mich beginnt eine gute Zeit. Abraham gibt mir ein eigenes Zelt, damit ich darin den Jungen aufziehen kann. Wir bekommen genug zu essen und schwere Arbeiten wie Wasser holen oder Brotfladen backen übernehmen die anderen Mägde für mich.
Die Jahre vergehen, Ismael reicht schon über meine Hüften hinauf, da geht ein Gerede im Lager um, ein geheimnisvoller Gast habe Sara für nächstes Frühjahr einen Sohn verheißen. Ruth sagt es mir, als sie Wasser bringt, und sie wird vor unterdrücktem Lachen ganz rot im Gesicht. Ist Sara nicht fast hundert Jahre alt? Wer hat je davon gehört, dass eine Frau in diesem Alter ein Kind zur Welt bringt?
Im Sommer bricht Abraham unsere Zelte ab und sucht nach neuen Weiden für sein Vieh. Wir ziehen nach Süden und lassen uns schließlich in der Nähe der Stadt Gerar nieder. Die Männer nutzen Herbst und Winter, um unsere Tierfelle gegen Waren der Töpfer und Schmiede in der Stadt zu tauschen.
Im Frühjahr bringt Sara einen Sohn zur Welt. Wir alle, Abrahams ganzer Haushalt, feiern ausgelassen dieses Wunder. Es gibt Fladenbrot, Fleisch, Quark und Milch und am Abend wird kräftig dem Weine zugesprochen, gesungen und getanzt. Als es dunkel wird, tritt Abraham ans Feuer, hebt seinen Sohn hoch und verkündet laut seinen Namen: Isaak. Sara sitzt, an Strohmatten gelehnt, neben ihrem Mann, lacht, klatscht in die Hände und besingt die Ankunft des Erben Abrahams. Während sie die Geburt Isaaks in den höchsten Tönen lobpreist, lege ich Ismael den Arm um die Schultern und wir gehen hinüber zu unserem Zelt. Bevor ich hinein schlüpfe, werfe ich noch einen letzten Blick zurück zum Feuer und sehe, mit welch überschäumender Zärtlichkeit Abraham seine Frau und das Neugeborene herzt und küsst. Ich spüre einen Schmerz im Herzen, umarme meinen Sohn und weine lautlos.
Nach drei Jahren versiegt Saras Milch und Isaak, der Brust entwöhnt, entfernt sich nun oft vom Zelt seiner Mutter und geht im Lager umher. Mit Sorge sehe ich, dass Ismael und Isaak sich gern mögen. Mein Sohn trägt den kleinen Jungen auf seinen starken Schultern, musiziert für ihn auf der Flöte und spielt mit ihm Verstecken.
Auch Sara scheint besorgt. Die getreue Ruth vertraut mir an, dass meine Herrin Ismael als wild und unbändig empfindet und es nicht gern duldet, dass ihr Kind mit dem Sohn der ägyptischen Magd spielt. Aber, so sagt Ruth, Sara müsse sich zurück halten, da Abraham auch seinen älteren Sohn ungezwungen aufwachsen sehen wolle.
Eines Mittags geschieht das Unglück, das ich lange gefürchtet habe. Sie kommen zu mir, Sara mit Isaak an der Hand, dahinter mein Sohn, der von kräftigen Männern vorwärts gestoßen wird. Mit lauter Stimme, die trotz ihres hohen Alters nichts an Kraft eingebüßt hat, verkündet Sara die Bosheit, die Ismael ihrem Sohn angetan habe. Ismael habe sich, sagt sie, das Gesicht mit Ruß aus dem erkalteten Kohlebecken geschwärzt und den kleinen Isaak fast zu Tode erschreckt, als er plötzlich vor ihm auftauchte.
Wir werden zu Abraham geführt, damit er über uns urteile.
„Verstoße diese Magd und ihren Sohn!“, fordert Sara. „Ismael soll nicht mit Isaak, meinem Sohn, das Erbe teilen!“
Am nächsten Morgen betritt Abraham mein Zelt und bringt Wasser und Brot. Schlohweiß schimmern Haar und Bart im Halbdunkel und ich glaube, ich sehe Tränen in seinen Augen glitzern.
Ismael ist jetzt größer als ich und ich fühle mich glücklich und geborgen, als er meine Hand nimmt. Wir gehen. Die Sonne geht auf und das Lager erwacht zum Leben. Aus einiger Entfernung hebt Ruth zum letzten Gruß die Hand. Sara steht vor ihrem Zelt und rührt sich nicht.
Wir gehen in die Wüste hinaus. Sie empfängt uns mit ihrer ziellosen Weite. Vielleicht werden wir weit wandern, vielleicht werde ich unterwegs umkommen, doch mein Sohn wird leben, er wird schön und stark wie ein Wildesel sein und viele Nachfahren haben.



Quellen: Die Bibel – Das alte Testament, 1. Buch Mose
Das Buch von Gott – Die Bibel als Roman, Walter Wangerin, R. Brockhaus Verlag
Wuppertal 1997

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