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Juni 2004
Das Sparbuch meiner Mutter
von Maria Schamberger

Nach nahezu schlaflos verbrachter Nacht, von heftigem Nachbarinnengeschnatter vor dem Fenster gegen 09,30 h geweckt und sofort ein schlechtes Gewissen habend, nicht frĂŒher erwacht und aufgestanden zu sein, begebe ich mich nach Morgentoilette und FrĂŒhstĂŒck direkt mit dem Auto zur Raiffeisenkasse im nĂ€chsten Ort.

In der Schalterhalle sondierend, ob die eine bestimmte Sachbearbeiterin anwesend sei, die stets die Sympathie meiner verstorbenen Mutter genossen hatte, bleibt mir, nachdem ich sie nirgends erblicke, nach kurzem Zögern nur der Weg zu dem Angestellten, der – schwarzhaarig und stets eine finstere Miene zur Schau tragend – mir immer mĂŒrrisch und eher abweisend erschienen ist.

Bei ihm die Kopie der notariellen Urkunde vorlegend, die mich als Erbin des Nachlasses meiner Mutter ausweist, krame ich in meiner Tasche und ziehe ein altes, grĂŒnes Raiffeisen-Sparbuch hervor,
daraus zu entnehmen, der letzte Einlagenstand aus dem Juli 1987: Schilling Elftausenddreihunderteinundsechzig und fĂŒnfzig Groschen.

„Ich habe dieses Sparbuch beim Aussortieren der Unterlagen meiner vor einigen Monaten verstorbenen Mutter gefunden“ sage ich zum Bankbeamten, der das Sparbuch und die Urkunde ĂŒber die Verlassenschaft in Augenschein nimmt.

Eilfertig ersucht er mich, etwas zu warten und begibt sich in das BĂŒro des Kassenleiters. Nach kurzer Beratung kommt er heraus, mustert mich kurz von oben bis unten und meint: „An und fĂŒr sich kein Problem, das Sparbuch aufzulösen – aber es ist ein Losungswort drauf...“

Das Losungswort nur erahnen könnend, tippe ich auf meinen Vornamen und rate: „Ich weiß es nicht, vielleicht ‚Maria‘“, und dann einen neuerlichen Anlauf nehmend: „...oder ‚Marili‘ könnte es eventuell auch heißen...“

Der Bankangestellte, mit einem Blick aus den Augenwinkeln die Schlange der an seinem Schalter bereits wartenden Kunden einschĂ€tzend, wird nervös – und – sich selbst eine langwierige Prozedur ersparen wollend, wendet er sich an die gerade durch eine BĂŒrotĂŒr hereinkommende Kollegin: „Geh, Christl, mach‘ du das...“

Ich bin erleichtert, denn hier handelt es sich um diejenige Angestellte, an die ich mich von Haus aus mit meinem Anliegen wenden wollte und begrĂŒĂŸe sie. Nach kurzer ErklĂ€rung fragt auch sie nach dem Losungswort, und als ich ihr dieselbe Antwort gebe, nickt sie nach „Maria“ deutlich und gibt mir damit zu verstehen, dass ich damit am richtigen Weg bin.


Auf die Auszahlung wartend, blicke ich sinnierend auf den marmornen Boden, den dicken, braunen Teppichboden im Schalterbereich, auf das großzĂŒgige Design der vor ca. 20 Jahren neu erbauten Raiffeisenkasse.

Habe ich es nun geschafft, dass das mĂŒhselig Ersparte meiner Mutter doch noch mir, ihrer geliebten Tochter, zugute kommt.

Beinahe wĂ€re ihr Sparbuch der reichen Raiffeisengenossenschaft anheimgefallen. Die Bank hatte, wie die Angestellte vorhin sagte, das Geld schon ausgebucht, wahrscheinlich unter „Außerordentliche ErtrĂ€ge“.

Mutter hatte dieses Sparbuch so gut aufgehoben, dass sie wahrscheinlich selber nicht mehr in der Lage war, es zu finden. Oder war es ihre volle Absicht, es fast unauffindbar zu verwahren? Am Dachboden lag es, in einer kleinen Schachtel, darĂŒber war eine Schicht Gewand gelegt, daneben ihr Arbeitsbuch aus den Dreißiger- bis FĂŒnfzigerjahren. Die erste Eintragung in ihrem Arbeitsbuch als Landarbeiterin beginnt am 01.01.1933, mit zwölfeinhalb Jahren musste sie fort von daheim, in den Dienst als Magd zu einem großen Bauern.

Als die Raiffeisenkasse vor mehr als 20 Jahren die Filiale am Standort G. neu baute, das alte kleinere GebÀude war den Anforderungen, die der Zuzug vieler neuer Einwohner in G. mit sich brachte, nicht mehr gewachsen, musste mein Bruder sein in siebenjÀhriger Bauzeit neu errichtetes Einfamilienhaus, in welches er gerade eben eingezogen war, verkaufen.

Daran musste ich wĂ€hrend der Wartezeit denken, und auch daran, dass die Raiffeisenkasse, die damals 17 % Zinsen p.a. fĂŒr den Wohnbaukredit verlangte, und nicht schlecht an der Zwangslage meines Bruders verdiente, nicht davor zurĂŒckschreckte, meiner Mutter einen Blankowechsel unterschreiben zu lassen. Mit diesem Blankowechsel hĂ€tte die Raiffeisenkasse ohne weiteres auch meine Eltern und mich, die ganze Familie, heimatlos machen können.

Weinend erzĂ€hlte mir die Mutter damals von ihrer tags zuvor geleisteten Unterschrift auf dem Wechsel, sie hatte sich außerstande gefĂŒhlt, dem psychischen Druck des fĂŒr die Kredite meines Bruders verantwortlichen Raiffeisen-Angestellten standzuhalten. Wutentbrannt fuhr ich nach diesem GesprĂ€ch sofort zur Raika, um den Bankangestellten bzw. den Bankstellenleiter zur Rede zu stellen.

In diesem Moment war ich zu allem bereit – und dieses GefĂŒhl spiegelte sich anscheinend auch in meinem Gesicht und meiner Gestik wider. Niemals zuvor oder danach bin ich je wieder so in Rage gewesen.


Die impertinente Frechheit der Raiffeisenkasse, ĂŒber den Weg dieses Blankowechsels nach dem Hab und Gut meiner Eltern zu greifen, die zeit ihres Lebens so gerackert hatten, um zu ĂŒberleben, dieser Versuch der Übervorteilung durch die ortsansĂ€ssige Bank, der die ganze Familie jahrzehntelang das Vertrauen geschenkt hatte...

GemĂ€stet hatten sie sich mit Zinsgewinnen, an Krediten, die sie bei gebotenem Anstand in dieser Höhe gar nicht gewĂ€hren hĂ€tten dĂŒrfen!
Und dann auch noch mit solchen Schlichen zu arbeiten, das war der Gipfel!

Mein Gesichtsausdruck sprach BĂ€nde – und tatsĂ€chlich bedurfte es nicht vieler Worte, um den damaligen Filialleiter davon zu ĂŒberzeugen, dass die Raiffeisenkasse G. gut daran tĂ€te, den Blankowechsel umgehend wieder herauszurĂŒcken. Diesen Wechsel zerriss ich sofort und schwor mir, selbst niemals Kundin dieser Bank zu werden.

An diese Szene beim Warten vor dem Schalter denkend, ĂŒberlegte ich, wie mein Leben und das meiner Eltern wohl verlaufen wĂ€re, wenn mir meine Mutter damals nicht von dem tags zuvor unterschriebenen Wechsel erzĂ€hlt hĂ€tte.

Die Bank hÀtte wohl die gesamte offene Schuld meines Bruders als Wechselbetrag eingesetzt, den Wechsel sofort fÀllig gestellt und gerichtlich eingeklagt.
Eine Wechselklage hĂ€tte bedeutet, dass wir innerhalb kĂŒrzester Zeit das Geld aufbringen hĂ€tten mĂŒssen. Es wĂ€re wohl zum Verkauf des Elternhauses und der dazugehörigen 6 Joch landwirtschaftlichen GrĂŒnde gekommen. Mein Vater war damals 81 Jahre alt, meine Mutter war 62. Welche Tragödie ist uns als Familie bei allem dann tatsĂ€chlich erlittenen Kummer doch noch erspart geblieben!

Der tatsÀchliche Verlauf war ohnehin schlimm genug.

Mein Bruder hatte sich Anfang der 80er-Jahre selbstĂ€ndig gemacht und importierte Lackierkabinen aus Italien, diese wurden ihm aber aufgrund SicherheitsmĂ€ngeln kommissionell nicht abgenommen und daher von seinen Kundschaften auch nicht bezahlt. Als die finanzielle Lage immer prekĂ€rer wurde, wurde mein Bruder vom dynamischen EnergiebĂŒndel, der er immer gewesen war, binnen kĂŒrzester Zeit zum menschlicken Wrack und war auf Grund schwerster Depressionen kaum mehr in der Lage, den an ihn gestellten Forderungen und Anforderungen Herr zu werden.

Meine Eltern, verzweifelt nach einem Ausweg suchend, vergeblich sich an Verwandte und an den BĂŒrgermeister wendend, mussten das Unvermeidliche geschehen lassen und mein Bruder verkaufte den Neubau schließlich resigniert an ein ihm bekanntes Ehepaar. Dieses Ehepaar, welches seine durch die psychische Erkrankung getrĂŒbte UrteilsfĂ€higkeit ausnutzte, schloss sogleich einen Vorvertrag mit ihm ab und luchste ihm und ihm den großen Bungalow mit Gartenanlage zu einem Bruchteil des Wertes ab.

Mein Bruder erlitt einen Nervenzusammenbruch und war daraufhin mehr als acht Monate lang in stationĂ€rer Behandlung in der Landesnervenklinik, er sollte nie mehr wieder ganz gesund werden und muss auch heute noch, ĂŒber 20 Jahre danach, Psychopharmaka einnehmen.

Seine damalige LebensgefĂ€hrtin, die von der Entwicklung ĂŒberrollt wurde, und niemals Einblick in die Finanzangelegenheiten meines Bruders hatte, verĂŒbte einen Selbstmordversuch. SpĂ€ter erhielt sie das von ihr in das Haus investierte Geld, damals mehrere hunderttausend Schilling, von meinen Eltern zurĂŒckbezahlt.

Um die Schulden abbauen zu können, verkauften meine Eltern zwei große Parzellen Grund, und opferten ihr gesamtes Erspartes.

Die Raiffeisenkasse hingegen hatte keinerlei Verluste zu beklagen, sondern hatte wieder einmal ein Ă€ußerst lukratives GeschĂ€ft gemacht.

HinzuzufĂŒgen wĂ€re noch, dass man davon ausgehen kann, dass jede andere Bank bestimmt auch nicht anders gehandelt hĂ€tte.

Heutzutage ĂŒberlegt man aber auch in großen Konzernen sehr wohl, ob man seine Konzepte an ethischen Richtlinien ausrichten sollte. So gesehen, ist doch ein gewisser Gesinnungswandel in der Gesellschaft bemerkbar.

Ein RĂ€tsel bleibt, ob meine liebe Mutter, dieses Sparbuch absichtlich am Dachboden in dieser Schachtel versteckt hat, damit ich es beim AufrĂ€umen finde? Ist es ein Gruß von ihr, noch nach ihrem Tod, eine Ermahnung, soll ich es so verstehen, in der Art, wie sie mir oftmals vom letzten Brief ihrer lang schon verstorbenen Mutter erzĂ€hlt hatte, die ich nie kennenlernen durfte? Großmutter schrieb, als letztes moralisches VermĂ€chtnis: „Schaut gut auf den alten Vater, er hat alles fĂŒr euch getan, seid nicht verschwenderisch mit eurem hart verdienten Geld, und ehrt die Priester!"

Durch viele Staubschichten und Erinnerungsfragmente arbeite ich mich durch, versuche den Kern der Wahrheit zu finden – die GefĂŒhle ĂŒberwĂ€ltigen mich, bleibt doch der bittere Beigeschmack des Unwiederbringlichen. „Eine Mutter hat man nur einmal...“

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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