„Liebling“, sagte meine Frau in diesem widerwärtig vernünftigen Tonfall, der mir mitteilen sollte, dass sie mich für vollkommen neurotisch hielt, „ich habe dir vor unserer Hochzeit wortwörtlich gesagt, dass wir zu den Familien gehören, die eine Leiche im Keller haben. Und du hast gesagt: ‚Das hat doch jeder.’“
„Ja, aber …“ Mehr brachte ich beim besten Willen nicht über die Lippen. Der Schock saß mir noch in den Knochen.
„Onkel Felix ist vollkommen harmlos. Er tut dir nichts. Hast du die Marmelade mitgebracht?“
Ich habe mir bei meiner Hochzeit geschworen, keiner dieser Ehemänner zu werden, die ihre Frauen anschreien. Das war vor zwei Wochen gewesen. Jetzt brüllte ich:
„Hast du mir eigentlich zugehört? Da unten sitzt ein Toter in unserem Keller und trinkt Burgunder.“
Das schien endlich bei ihr anzukommen. Ihre Augen wurden groß.
„Er trinkt?“, schrie sie auf und stellte die Tasse mit einem scharfen Knall auf den Tisch. „Er trinkt?!“
Dann stürzte sie aus der Küche.
Eine Viertelstunde verging, eine halbe. Meine Frau tauchte nicht wieder auf. Ich begann, mir Sorgen zu machen. Als ich mich nach einer weiteren Viertelstunde entschloss, den Gang in den Keller anzutreten, war mir gar nicht wohl bei der Sache. Egal wie harmlos der Geist ausgesehen hatte, er war tot und Magda war lebendig. Und so sollte es auch bleiben.
Ich fand meine Frau auf den Knien, während sie versuchte, einen roten See, den sogar meine überreizten Nerven sofort als Wein identifizierten, mit einem Putzlumpen aufzuwischen. Sie schimpfte lautstark. Onkel Felix’ Geist sah ich erst auf den zweiten Blick. Er schwebte auf halber Höhe zur Decke und versuchte so gut wie möglich, sich unsichtbar zu machen.
„Aber Magda …“, sagte er eben.
„Nichts da, aber Magda!“, erwiderte meine Frau erbost, während sie den Putzlappen in Richtung des Toten schwang. „Wir hatten ein Abkommen. Du hörst mit der Trinkerei auf, dann darfst du hier bleiben. Aber es reicht mir ein für alle mal. Morgen gehst du zu den Anonymen Alkoholikern.“
Ich glaube, uns klappte der Unterkiefer gleichzeitig herunter, Onkel Felix und mir. Natürlich sah er für einen Toten recht gut aus, nichtsdestotrotz konnte man ihn wirklich nicht mit einem lebenden Menschen verwechseln. Und das lag nicht nur an der grünlichen Hautfarbe.
„Aber Magda …“, wiederholte Onkel Felix schüchtern, aber meine Frau war nicht bereit, sich auf Diskussionen einzulassen. Sie hatte DIESEN BLICK.
„Keine Widerrede“, sagte sie, und ich spürte, dass sie nicht nur Onkel Felix meinte.
Im gemeinsamen Doppelbett, später an diesem Abend, brach Magda endlich ihr Schweigen.
„Drei Tage nach der Beerdigung ist er aufgetaucht. Einfach so“, sagte sie und klappte ohne Vorwarnung ihr Buch zu. „Was sollte ich machen? Ihn auf die Straße setzen? Immerhin gehört er zur Familie. Und es ist ja nicht seine Schuld, dass er tot ist. Das ist Problem ist nur, dass er schon zu Lebzeiten ein alter Säufer war. Aber wenn er jetzt trinkt, läuft der Wein einfach durch ihn hindurch und hinterlässt Flecken. Und ich habe es so satt, ständig hinter ihm herzuputzen!“
„Und warum ist er nicht tot? Nicht … na ja, du weißt, was ich meine.“
„Woher soll ich denn das wissen!“, rief sie schrill und drehte mir den Rücken zu.
Dass es mit den Anonymen Alkoholikern nicht gut gehen konnte, hätte ich Magda gleich sagen können. Ein Blick auf ihr Gesicht hielt mich jedoch davon ab.
Dabei lag es nicht an Onkel Felix’ Make-up, das wirklich gut war, auch nicht daran, dass er auf dem Weg ein- oder zweimal vergaß, dass er nicht schweben durfte.
„Und woran lag es dann?“, fragte Magda gefährlich sanftmütig.
Onkel Felix druckste.
„Woran?!“
„Ich kann doch nichts dafür, dass ihr Lebendigen … die Lebendigen keinen Humor haben.“
Trotz DES BLICKS dauerte es noch weitere fünf Minuten, ehe Onkel Felix mit der Sprache herausrückte. Als wir die ganze Geschichte kannten, hätte ich beinahe gelacht. Ehrlich gesagt, die Vorstellung, wie er aufstand und der versammelten Gemeinde erklärte: „Mein Name ist Felix, ich bin ein Vampir und bin süchtig nach Blut“ entbehrte in meinen Augen nicht einer gewissen Komik.
Die Suchtkranken sahen das wohl anders, Magda auch. Onkel Felix wurde von ersteren mehr oder minder höflich gebeten, den Treffen fortan fern zu bleiben, und Magda griff mit unheilschwangerem Gesicht zu den Gelben Seiten. Onkel Felix und ich saßen uns schweigend gegenüber, während sie hinter geschlossener Türe ein kurzes Telefonat führte. Als sie wiederkam, knallte sie wortlos einen Zettel mit einer Adresse auf den Tisch.
„Morgen um 11 gehst du da hin.“ In der Türe drehte sie sich noch einmal um. „Und dass du es gleich weißt, Madame Ama weiß Bescheid über dich!“
Von da an wurde die Situation bei uns zu Hause entspannter, auch wenn ich es nach wie vor vermied, in den Keller zu gehen. Zwar waren nur noch vereinzelt verräterische Flecken auf dem Boden zu erkennen, dafür wurde die Musik, die aus dem Keller drang, immer penetranter. Ich hasse Trommelmusik.
Und Afrikanische Trommelmusik hasse ich ganz besonders.
Aber als ich Magda darauf ansprach, sagte sie nur, wenn ich bereit sei, in Zukunft Onkel Felix’ Dreck wegzuputzen, könnte ich die Therapie gerne beenden. Also trommelte Onkel Felix weiter, Magda schwärmte, was für ein Glück wir mit Mme Ama hätten, und ich legte mir einen größeren Vorrat an Ohropax an.
So ging es weiter bis zu dem Tag, an dem ich Mme Ama persönlich kennen lernte.
Oder sagen wir es so: Ich kam nach Hause und sah eine riesenhafte Schwarze auf unserer Couch sitzen und Nadeln in eine Wachspuppe stecken. Magda hockte ihr gegenüber im Schneidersitz auf dem Boden und stöhnte.
Ich habe vielleicht ein paar Haare weniger als der durchschnittliche Held, aber wenn meine Magda von einer Voodoohexe bedroht wird, dann kann ich es mit jedem Achill aufnehmen.
Meine arme Frau ächzte noch einmal herzerweichend, während das Weib genüsslich eine besonders lange Nadel in den Rücken der kleinen Figur bohrte.
„Lassen Sie meine Frau in Ruhe!“, brüllte ich und stürzte vorwärts. Dabei stolperte ich über eine von Magdas Fitnesshanteln.
„Liebling, wie schön“, lächelte meine Frau, als ich mich aufgerappelt hatte. Sie zeigte nach oben. „Darf ich dir Ama vorstellen? Ama, das ist mein Mann.“
Die … Hexe … lächelte und reichte mir eine tadellos manikürte Hand. Dann sah sie mir in die Augen.
„Ich habe noch einen Termin am Mittwoch frei, Sie könnten ihn brauchen.“
Sie zeigte auf die Wachspuppe. Ihre Zähne waren riesig und sehr weiß. Ich wich so schnell zurück, dass ich beinahe wieder über die Hantel gefallen wäre.
„Ich werde doch nicht … und überhaupt, was haben Sie mit meiner Frau gemacht, Sie…“
„Voodooakupunktur“, unterbrach Magda mich in dem Tonfall, den sie sonst nur benutzte, wenn ich auf Parties den Witz mit dem Löwen erzählen wollte. „Meine Rückenschmerzen sind vollkommen verschwunden Und du wirst es auch ausprobieren.“
„Ja, Schatz“, sagte ich. Drei Wochen Ehe hatten mich einiges gelehrt.
„Ihr Onkel hat das Problem, das alle Geister haben, die keinen Frieden finden können.“
Wir saßen um den Küchentisch und tranken Rotwein. Ich fand das etwas grausam. Mit der Zeit hatte ich Onkel Felix irgendwie lieb gewonnen, und seine großen gierigen Augen schnitten mir ins Herz, während er an der Küchendecke auf- und abtigerte. Aber er hatte sich im Griff. Was immer Ama mit ihm angestellt hatte, ihre Therapie zeigte Erfolg.
„Und welches?“, fragte ich bescheiden. Diesmal brachte mich kein finsterer Blick zum Schweigen.
„Eine unerledigte Aufgabe. Eine schwere Schuld“, verkündete Ama mit Grabesstimme. „Felix!“
Ich sah überrascht auf. Ihre tiefe Stimme war zu einem weichen Gurren herabgesunken. Onkel Felix ließ sich sofort von der Decke herunter auf den freien Stuhl zwischen mir und Ama sinken.
„Ja?“
„Hast du meine Worte gehört?“
„Jedes!“
Sein Gesicht leuchtete, als er sie ansah. Grünlich, aber immerhin.
„Schau in die Kerze und erinnere dich – was ist deine unerledigte Aufgabe?“
Amas schöne schlanke Finger griffen nach der Kerze und hoben sie hoch. Langsam wanderte die Flamme vor Felix Augen auf und ab. Sein durchscheinender Kopf sackte auf die Brust. Nach einigen Minuten kam aus seinem geöffneten Mund ein gequältes Stöhnen.
„Mathilda!“
Ama hob die Augenbrauen und warf Magda einen fragenden Blick zu.
„Seine Frau.“
„Ah!“, sagte Ama. Die Temperatur im Raum schien zu sinken.
„Was ist mit Mathilda?“
„Der letzte Tag“, heulte Onkel Felix. „Ich bin nicht … ich habe es ihr versprochen.“
Die Voodoohexe erinnerte mich an eine große, sehr schöne Katze. Ich rückte ab, so weit ich konnte.
„Sprich mit mir. Was hast du deiner Frau versprochen, Feli?“
Feli?!?
Onkel Felix’ Geist wimmerte und stöhnte jetzt ganz erbärmlich. Ich fragte mich schaudernd, welche Schuld ein Mann wie er mit sich herumschleppen konnte. Untreue?
Mord?
„Ich habe den Pudding vergessen“, winselte Onkel Felix in diesem Augenblick. „Sie hat es mir drei Mal gesagt, aber ich habe trotzdem vergessen, den Pudding mitzubringen.“
Während Onkel Felix erlöst vor sich hinschluchzte, starrten wir einander fragend an.
„Pudding“, sagte ich endlich. „Pudding?“
„Er ist damals auf dem Weg nach Hause überfahren worden. Tante Mathilda hatte ihn einkaufen geschickt. Sie hatte nicht viel übrig für Schlamperei. Sie war immer ein eher … dominanter Charakter.“
Magda spielte mit ihren Ringen. In der Familie sagte man oft, sie käme nach ihrer Tante.
„All das wegen eines Puddings?“, wiederholte ich.
DER BLICK brachte mich zum Schweigen.
„Und jetzt?“ Magdas Frage war an Ama gerichtet, die aufgestanden und zu Onkel Felix hinübergegangen war. Er hatte aufgehört zu heulen. Eigentlich schien er uns gar nicht mehr zu bemerken. Er sah Ama in die Augen.
„Reicht es einfach, einen Pudding zu kaufen, und er ist erlöst?“ Meine Frau blieb hartnäckig.
„Schokolade“, murmelte Onkel Felix und lächelte Ama an.
„Einen Schokoladenpudding“, wiederholte Magda. „Und das reicht?“
„Ja, das reicht.“ Die Stimme der Voodoohexe war ein gurrender Bass. „Ich werde mich darum kümmern, ich bin schließlich seine Therapeutin.“
Onkel Felix schreckte auf.
„Aber dann…“
„Komm, Feli!“
Ich sah den beiden mit gemischten Gefühlen nach. Trotz der Trommeln war ich sicher, dass Onkel Felix mir fehlen würde. Irgendwie hatte ich mich an die Leiche im Keller gewöhnt, aber so ist das eben. Der Tod reißt Lücken. Manchmal früher, manchmal später.
Als Magda mich zwei Tage später zur Voodooakupunktur schickte, erfuhr ich, dass die Praxis auf bis weiteres geschlossen war. Und so gerieten Onkel Felix und seine Therapeutin allmählich in Vergessenheit.
Bis gestern ein bleicher Postbote bei uns klingelte und wieder wegrannte, so schnell seine Beine ihn trugen. Als wir die Türe öffneten, war er schon wieder auf der Straße und lugte hin- und hergerissen zwischen Angst und Neugier durch das Gitter der Gartenpforte. Das Päckchen war irgendwo in Afrika aufgegeben worden. Es enthielt ein paar Photos von Ama und einem weißen Lichtfleck zusammen mit den besten Wünschen des jungen Paares.
Einerseits freut es mich wirklich, dass Onkel Felix und Ama zueinander gefunden hatten. Er war wirklich noch nicht bereit zu gehen. Andererseits frage ich mich, ob die beiden uns nicht etwas anderes hätten schicken können.
Der Schrumpfkopf sitzt jetzt auf unserer Mahaghonianrichte. Magda sagt, ich solle mich nicht so anstellen, aber es geht mir einfach auf die Nerven, dass er jedes Mal beim Tatort den Mörder verrät.
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