Burgturm im Nebel
Burgturm im Nebel
"Was mögen sich im Laufe der Jahrhunderte hier schon für Geschichten abgespielt haben?" Nun, wir beantworten Ihnen diese Frage. In diesem Buch.
mehr ... ] [ Verlagsprogramm ]
 SIE SIND HIER:   HOME » MITMACH-PROJEKT » SCHREIBAUFGABE » Angelika Walk IMPRESSUM
NEWSLETTER
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

Jetzt anmelden! ]

UNSERE TOP-SEITEN
1.) Literatur-News-Ticker
2.) Leselust
3.) Forum
4.) Mitmach-Projekt
5.) Schreib-Lust-News 6.) Ausschreibungen 7.) Wettbewerbs-Tipps
Juli 2004
Antidepressiva
von Angelika Walk

Antidepressiva ist eine Spezialität von Mailu, der Hexe aus Nastätten, einem Nest irgendwo in Hessen. Sie ist natürlich keine Hexe, aber sie liebt jedliche Form von Hexen. Sie hat in ihrem Cafe an den verschiedensten Plätzen Hexen hängen oder sitzen. Ja, sogar ihr Bleistift hat zur Zierde einen Hexenkopf. Katzen liebt Mailu natürlich über alles. Vermutlich sagen alle Hexe zu ihr, weil auch ihr Outfit dementsprechend ist. Weite, lange und schlabbrige Röcke mit vielen Franzen, die meistens noch mit Goldfäden durchzogen sind. Selbstgestrickte Stola's mit wilden Ornamenten. Sie sieht jeden Tag anders aus, aber immer irgendwie auch einer Hexe gleich.
Das Cafe das sie betreibt, gleicht einem gemütlichen, großen Wohnzimmer, mit all den ramponierten Tischen, Stühlen und dem zerschlissenem Sofa.
Dieses Cafe ist ein Geheimtipp unter Kennern und inzwischen kommen die Leute aus aller Herren Länder zu ihr. Ein rotes Gästebuch ist Zeugnis von Besuchern aus Holland, England und sogar jemand aus Australien hat sich dort verewigt. Übrigens ist es kein Gästebuch im üblichen Sinn. Sie nennt es das Beschwerdebuch. Und die Gäste beschweren sich dort über die riesigen Portionen und dass sie gezwungen wurden, sie aufzuessen. Allerdings schreiben alle, dass sie gerne gezwungen werden, sie noch einmal zu besuchen.
Holger, also mein Mann und ich, gehen auch gerne in Mailu's Cafe. Wir sind allerdings froh, nichts von unseren Depressionen erzählt zu haben. Mailu mag keine Leute mit Depressionen. Sonst hätte sie uns diesen Antidepressiva aufgezwungen. Obwohl: Ich hab ihn mal probiert. Es hat mich viel Überredungskunst gekostet, ein Probestück dieser Marzipanbome löffeln zu dürfen. Der war echt Klasse nur so furchtbar sättigend. Und Mailu mag es nicht, wenn Reste auf dem Teller bleiben. "Du vergraulst mir die Gäste, wenn du Reste auf dem Teller liegen lässt! Nur wer gut ißt kriegt auch was ordentliches auf die Rippen. Du solltest mal ein ordentliches Stück davon zu dir nehmen, ich garantiere dir, der Kuchen ist das beste Mittel gegen Depressionen! Und schlepp gefälligst deinen Teller selbst in die Küche, wenn du schon nicht aufessen magst!" Original Ton Mailu!
Aber so ist sie nun mal. Nimmt kein Blatt vor den Mund und macht die Leute an. Komischerweise kommt das bei den Gästen unheimlich gut. Auch ich habe sie ja sehr schnell ins Herz geschlossen und wurde ihre Stammkundin. Nein, eine Freundin. Deshalb gehöre ich auch an ihren Stammtisch, der gleich vor der altertümlichen Theke steht. Hinter der Theke findet man richtig schönen alten Krempel. Alte Blechdosen von Persil, Keksdosen und Kaffeemühlen.
Mailu mag auch keine Leute, die pikfein sind. Oder geizig.
Ihr müsstet sie mal erleben. Dann geht sie echt hoch. Mich wundert dann immer, dass das Cafe trotzdem immer proppe voll ist.
Am schlimmsten springt sie mit denen um, die meinen, sie müssten ihren Liebeskummer bei ihr loswerden. Dann fährt sie zur Höchstform auf. Mailu hatte selbst genug Kummer und will sich das Gesülze dann nicht anhören. Seltsam ist, dass dann oft gerade diese Leute zu Stammkunden werden. Die, die damit nicht klar kommen, sieht man dann natürlich auch nie wieder.
Selbst ich hab mir so manches mal eine psychologische Standpauke abgeholt. Ersatztherapie für mich! Mailu lächelte dann meist und nahm mich anschließend in den Arm. Mailu ist schon ein Unikat, aber herzlich und liebevoll auf ihre Art.

Aber das Beste sind einfach ihre Kuchen. Sie gibt ihnen Namen. Nicht so langweilig wie Sahnetorte oder Apfelstrudel.
Bei ihr heißen sie "Antidepressiva" "Ma waaas et nich" oder "Fransiska`s Leckerli".
Was drin ist, in den Kuchen, das verrät sie natürlich nicht. Betriebsgeheimnis. Seit über 10 Jahren schon.
Haben schon viele versucht herauszufinden, aber da ist Mailu eisern und kann recht wütend werden, wenn ihr jemand keine Ruhe lassen will. Bei ihrer Aufregung bekommt sie einen roten Kopf und ihre Augen scheinen aus den Höhlen quellen zu wollen. Wenn sie dann so in ihrem Cafe steht, mit ihren hexenhaften Klamotten, den stirrenden Augen und den großen golden Kerzenständern auf dem alten Klavier in der Ecke und auf allen Tischen, dann fehlt nur noch die schwarze Katze auf ihrer Schulter. Dann wäre ihr Image als Hexe perfekt. Man erwartet dann eigentlich eine Verwünschung, aber sie beruhigt sich ganz schnell wieder und wird lieb und nett.
Dann glaube ich ihr, dass sie eine gespaltene Persönlichkeit besitzt, von der sie uns so gerne erzählt.

Früher war es nur ein Cafe, aber seit ein paar Monaten kocht Mailu jetzt auch Mittagsgerichte. Holger und ich gehen drei mal die Woche bei ihr zum Essen. Das drückt zwar schwer auf den Geldbeutel, aber bei dem Schmaus lohnt es sich.
Ihre Speisen haben natürlich nicht die üblichen Namen.
Aber seit sie kocht, ist Helmut's Waschbrettbauch und Sabinchen's Knöchelchen Suppe in aller Nastättener Munde.
Klausi`s Leberknödel sind innerhalb von zwei Tagen ausverkauft gewesen. Ich fragte sie, wie sie auf diese Namen käm. Sie veriet, das Klaus ein ganz tolles Rezept für Knödel von sich gab, das gab den Ausschlag. Helmut sei ein Amerikaner der ein unbeschreibliches Rezept für Grillbauch verraten hat. Wollte ihr dann auch ein Rezept für Kohlkopfsuppe geben. "Lass mal sein, das ist doch nichts neues. Und wie soll ich es nennen? Vielleicht Gerdas Hohlkopfsuppe!" grinst sie mich an. Erst war ich ja etwas pickiert, aber dann war es mir egal.
Solange sie nur so köstliche Dinge auf den Tisch bringt.

Holger ist Computerspezialist und bereitete für Mailu eine Homepage vor und hatte eine tolle Speisekarte nach Mailu`s Vorstellungen ausgearbeitet. Sicher wißt ihr schon, das diese Speisekarte nicht dem alltäglichen entsprach. Richtig frech und provozierend musste es sein.
Aber als wir am Dienstag morgen vor vier Wochen zu ihrem Cafe gingen, da fanden wir doch tatsächlich ein riesiges Schild vor der Türe : GESCHLOSSEN.
Polizeiwagen und Beamte schwirrten um und im Cafe herum. Aber niemand gab uns eine brauchbare Auskunft. Scheinbar nahmen sie das ganze Cafe auseinander. Sie buddelten sogar den ganzen Garten um. Eine Nachrichtensperre war wohl verhängt worden, nichts konnte man in den Zeitungen lesen.
Mailu war verschwunden und blieb es auch.
"Jetzt ist ein Gast durchgedeht und hat sie abgemurkst.
Sie ist schwer krank geworden!" hörte man die Leute sagen.
Noch nie hatte Mailu ihr Cafe unvorbereitet geschlossen gehabt. Niemals in über 10 Jahren.
Sorgenvoll gingen Holger und ich heim.
Alle Stammkunden machten sich Sorgen und deshalb bildeten wir eine Suchtruppe. Sogar eine Zeitungsanzeige haben wir bezahlt.
Dann der absolute Schock.
Sie war gefunden worden.


Heute hört man verdächtig oft die Krankenwagensirene in Nastätten aufheulen. Auch Holger und ich sind versucht, den Notarzt zu rufen. Aber wir wollen uns zusammenreißen. Irgendwie werden wir das schon hinkriegen. Aber wenn man sich den ganzen Tag übergeben muss, fühlt man sich schon sehr elend. Als ob man alles was man je gegessen hat, wieder herausholen könnte. Lächerlich, oder?
Auf unserem Wohnzimmertisch liegt die FAZ mit dem Konterfei von Mailu. Sie sitzt in einer Zelle und ihr Gesicht ist zu einer häßlichen Fratze entstellt. Sie gab den Reportern ein langes Interview. Man konnte lesen:

Wissen Sie Herr Reporter, Menschen mit Depressionen, die öden mich so an. Ich hab sie doch nur befreit von ihrer Qual. Und alle die meinen Antidepressiva gegessen hatten, die haben auch selten unter dieser Kankheit leiden müssen. Naja, es gab da ein paar Ausnahmen, aber die waren halt nicht so schlimm und die Gäste mochte ich ja auch ganz gerne an meinem Stammtisch sitzen haben!"
Dass mir ganz weiß um meine Nase wird, bei den Worten, ist ihnen sicherlich klar.

"Was in meinem "Ma waaas et nich" drin war. Naja, heute kann ich es ja verraten. Ich weiß es selbst nicht so genau. Eben die Reste von allen.

Helmut und Sabine hätten nicht versuchen sollen, nach Amerika auzuwandern. Sie waren doch meine Ersatzfamilie. Naja und der fette Klaus, der jenige, der den beiden den Floh ins Ohr geflüstert hat, von wegen Auswandern und so. Naja, den hab ich gleich zu Hackfleisch verarbeitet! Die Knödel waren ein echter Renner. Und Sabine, die war ja nun mal so dürr, die war zu nichts anderem zu gebrauchen außer zur ‘ner Suppe!"

Entschuldigung, ich kann grad nicht weiter berichten. Ich muss mal eben kotzen gehen.


Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
Dieser Text enthält 8407 Zeichen.

Druckversion

 LINKTIPPS: Naturwaren Diese Website wird unterstützt von:

www.mswaltrop.de
Copyright © 2006 - 2024 by Schreiblust-Verlag - Alle Rechte vorbehalten.