Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten
Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten
In diesem Buch präsentiert sich die erfahrene Dortmunder Autorinnengruppe Undpunkt mit kleinen gemeinen und bitterbösen Geschichten.
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Juli 2004
Die Hightech-Tankstelle
von Patrick Rauch

Wir waren auf dem Rückweg von Rieneck nach Erlangen. Mein Vater und ich hatten dort die lieben Verwandten besucht, was ja auch mal sein muss. Natürlich regelmäßig – einmal im Jahr. Eigentlich tanken wir dann immer in Würzburg bei der Tanke links, nicht weit entfernt von dem einzigen McWürg in der Gegend. Diesmal nicht. Wir dachten, es reicht noch ein Stück, und fuhren später auf die A73 auf. Es war schon dunkler geworden, als der Lexus zu stottern anfing und wir feststellen mussten, dass uns die Benzinanzeige irgendwie gefoppt hatte. Wir nahmen die nächste Ausfahrt und sahen schon von weitem das kleine Kaff inmitten von Wald und Wiesen, das nur über eine einzige Straße mit der Außenwelt verbunden war, wie es hier in Franken nicht selten ist. Die Tankstelle war ein altes Bauernhaus mit zwei Zapfsäulen und einem kleinen Tante-Emma-Laden, wo es ein schon beinahe unüberschaubares Angebot an überteuerten Waren gab. Während mein Vater murrend Benzin in den Tank füllte, ging ich in die mit zwei Kunden überfüllte Verkaufsstelle und nahm je eine Packung Kaugummi und Zigaretten. Es dauerte eine Weile, bis sich der Verkäufer vom Gespräch mit einem seiner Kunden trennen konnte; es ging um irgendeinen Nachbarn, der im Hausflur immer das Licht brennen ließ und damit die streunenden Katzen anlockte, die wiederum mit ihrem Geheule die Nachbarn wach hielten. Auf dem Land sind die Probleme eben andere.
»Via achzich«, sagte der Verkäufer, als er die Preise umständlich in die Kasse eingehämmert hatte.
»Und ich hätt dann gern noch a Kasten Wasser«, bat ich und suchte den Laden danach ab – es schien, als gäbe es hier gar nichts zu trinken.
»Ham ma net«, antwortete mein Gegenüber und musterte mich irgendwie komisch durch seine dicke Brille.
»Ham se net?«
»Da müssen´s scho nach oben gehn«, erklärte er mir und führte mich aus dem Laden. Er deutete auf das Schild neben dem Eingang. »Kantine«.
Ich nickte ihm dankbar zu, ein wenig verwirrt, und folgte dem Schild. Der Hinterhof war mit Stroh und Hasenkot übersät. Macht sich gut in der Dunkelheit, weil man so schlecht danebentreten kann. Die Mauer des mehrstöckigen Bauernhauses führte mich weiter. Rechts ragte eine halb verfallene Scheune hoch, aus der ich einige Kühe muhen hören konnte. Weiter hinten sah ich einen Traktor, der sicher schon lange nicht mehr gefahren worden war. Schließlich gelangte ich zu einer Tür, die von einer einsamen 40-Watt-Lampe erhellt wurde und kaum auffiel. Es war fast ein Wunder, dass ich sie überhaupt entdeckt hatte. Immerhin hing daneben das Schild mit der Aufschrift »Kantine«, um das sich einige Schmeißfliegen stritten. Wahrscheinlich ging es darum, welche mit welcher an welchem Platz …
Die Tür schien auf das erste Rütteln verschlossen, doch sie war nur verzogen. Ein leichter Tritt und eine schnelle Drehung am Knauf machte sie gefügig. Dahinter offenbarte sich eine Scheune, in der kniehoch das Stroh lag. Zu meiner Rechten waren Kühe aufgereiht, die mich verwirrt ansahen, als ich eintrat. Links war ein Schweinestall; der ganze Bauernhof war ein Schweinestall, aber das hier war ein richtiger – mit Schweinen und allem Drumunddran. Aber da ging es nicht weiter, vor mir führte keine Treppe hinauf, und rechts sah ich auch nichts, was mich weiterbrachte. Trotzdem ging ich an den Kühen vorbei und entdeckte in der hinteren Ecke einen Holzsteg, der nach oben führte. Auch dort deutete nichts auf eine Kantine hin, und ich fragte mich langsam, ob der Bauernsohn mich verarscht hatte. Eine fast waagerechte Leiter führte von hier zu einem Boden zwei Meter drüber. Ich stand eine ganze Weile da und starrte die Tür dort oben an, auf der »Kantine« stand. Konnte ja irgendwie nicht sein, dass man über eine wackelige Leiter da rauf musste. Aber auf dem Land geschehen ja so manch komische Sachen.
Ich war gerade im Begriff, mich auf den Weg zu machen, als eine ältere Dame an mir vorbeihuschte, ihren Dackel unter den Arm nahm und begann, über die Leiter zu kraxeln. Ich folgte ihr, ein wenig genervt, da ich als Erster da gewesen und sie recht langsam war – was nicht nur am Dackel lag, der mich hämisch angrinste.
»I geh ja scho, so schnell i ko«, sagte sie krächzend, und der Dackel lachte.
»Scho recht«, beruhigte ich sie und warf dem blöden Hund einen bösen Blick zu.
Eine Weile später hatten die ältere Dame, die kleine Laufratte und ich es dann doch geschafft, das wackelige Ding hinter uns zu lassen. Nicht ohne Stolz warf ich einen Blick auf die Tür, die mich nun endlich meinem Ziel näher bringen sollte. Vielleicht war es hier auf dem Land ja normal, dass man solche Tortouren auf sich nehmen musste, doch als Städter kennt man Bauernhöfe und die lieblichen Eigenheiten der Dörfler eben nur vom Hörensagen.
»Du musst mal auf einen Bauernhof, mein Junge«, hatte mein Vater mal zu mir gesagt. »Du musst doch sehen, wo dein ganzes Gemüse und so herkommt. Ist wichtig, so was.«
»Okay«, stimmte ich lächelnd zu. »Du bezahlst die Reise nach Ungarn? Da kommt das ja alles her.«
Ich hatte nie auf einen Bauernhof gemusst. Daher wunderte ich mich zwar über die Zustände hier, aber wer 65 % CSU-Wähler erträgt, der meistert auch das hier.
Als ich an die Eingangstüre zur Kantine trat, dachte ich wieder an einen schönen Fußtritt, damit sie aufging, doch es kam ganz anders. Mit einem »Schwupp« glitt sie zu beiden Seiten auf, und das Licht dahinter blendete mich. Ob ich von der Leiter gefallen war und nun den Himmel betrat? Nein, ich ging in einen weißen, riesigen Raum aus Glas und Fliesen. An den Wänden strahlten Dioden. Tische standen überall, rechts war eine riesige Theke. Hinten gab es Spielautomaten.
»Herzlich willkommen im Einkaufscenter ihres Wunsches«, drang eine Stimme leise an mein Ohr.
Ich war eine Weile starr vor Ehrfurcht. So was hatte ich noch nie gesehen. Roboter schwirrten durch den Raum, gossen den Gästen Getränke nach, fegten hier, wischten dort, brachten Sandwichs an die Tische und fragten nach weiteren Wünschen. Leise Dudelmusik erklang aus unsichtbaren Boxen, von hinten drangen das Piepsen und Tuten der Spielautomaten leise hervor.
»Wohin möchten Sie gerne?«, hörte ich wieder die leise Stimme.
Ich drehte mich herum, um sicherzugehen, dass ich niemanden übersah; aber wie es schien, sprach irgendeine Einrichtung, ein Computer, mit mir. »Äh«, antwortete ich, »zum Ladentisch?«
»Flupp flupp flupp« machte es, und die Fliesen unter meinen Füßen begannen, sich zu bewegen. Ich wäre schon fast zurückgeschreckt, aber dann dachte ich, was soll´s. Wie auf einem Laufband wurde ich erst nach vorne, dann nach rechts gefahren. Es war ein komisches Gefühl. Schließlich stoppte ich direkt vor der Theke, hinter der mich ein Roboter neugierig ansah. Einige Scharniere und Schrauben verformten sich zu einem Lächeln, und ich fragte mich, aus welchem Grund man so einer Maschine eine Brille aufsetzt. Wegen der Seriosität? Das war ein Roboter. Wie seriös konnte der schon sein?
»Was wünschen Sie, mein Herr?«, fragte mich das Ding. Ich muss zugeben, es war freundlich. Aber mit der Stimme hätte er Käse reiben können.
»Ich hätt´ gern ein Kasten Wasser«, sagte ich und sah mich ein wenig unwohl um.
»Sehr gerne, mein Herr. Wasser kommt sofort.«
Der Roboter fuhr zur Seite und nach hinten, verschwand in einer Öffnung der Wand und kam nach einigen Augenblicken zurück, zwischen seinen … Händen? … den bestellten Kasten Wasser.
Ich zückte meine Kreditkarte.
»Das macht 17 000 €, mein Herr«, sagte der Roboter und scannte den Wasserkasten mit dem kleinen Finger ein.
Ich fragte: »Wie, bitte?«
»Das macht 17 000 €, mein Herr«, wiederholte mein Gegenüber geduldig.
Ich zögerte einen Moment und wurde nun doch ein wenig nervös. »Dafür kann ich mir ja ein Auto kaufen.«
Für einen Moment glaubte ich, der Roboter würde mit den Schultern zucken.
Mir war klar, dass der Aufwand eines solchen Etablissements irrsinnig aufwendig sein musste, und ich war ja durchaus überteuerte Preise von Tankstellen gewohnt, und ich meine nicht nur die Benzinpreise. Ich überlegte einen Moment tatsächlich, diesen Kasten zu kaufen. Schließlich erlebt man so was hier nicht alle Tage. Nirgendwo. Nicht mal in Amerika.
Mir wurde klar, dass der Preis den Rahmen meiner Kreditkarte aber doch zu sehr ausreizen würde. Ich kaufte schließlich nur zwei Liter-Flaschen – für 250 €.
Das Wasser war gut. Man gönnt sich ja sonst nichts.

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