Zwei kamen von der Traufe und drei flogen fort von Sylvie Storz
'Wieso tuscheln die zwei Libellen da oben?' Arne tauchte aus seinem Tagtraum auf und schaute zur Regenrinne. 'Insekten reden nicht', dachte er. 'Horch mal hin, sicher säuselt der Wind!' Er lauschte und glaubte seinen Ohren nicht zu trauen:
„… achte darauf, was ich tue, Mienchen, und halte dich im Hintergrund“, zirpte die eine.
„Ich glaub’s nicht!“, entfuhr es ihm und er vergaß, den Mund wieder zu schließen.
„Hast du was gesagt?“, fragte seine Frau am anderen Ende der Terrasse, während sie weiter Vogelmiere zwischen den Rosen zupfte.
„Siehst du, was ich sehe, Brigitte?“ Arne starrte unablässig zur Dachrinne hinauf.
Sie wandte ihr Gesicht Arne zu und folgte seinem Blick.
„Libellen an der Dachrinne.“ Mit diesen Worten bückte sich wieder nach den Störenfrieden im Rosenbeet.
„Ich hör sie flüstern.“
„Jetzt lass es mal gut sein, Arne! Siehst ja, es kommt nichts Gescheites dabei raus, wenn du vor dich hin brütest.“ Brigitte schüttelte ihre Löwenmähne „Mach endlich was Vernünftiges!“
Arne musterte sie.
„Früher warst du anders! Wo ist deine Natürlichkeit geblieben? Du färbst deine Haare, malst dich an! Ich mochte aber die silbernen Strähnen und die Lachfältchen um deine Augen. Brigitte, was ist los mit dir?“
Sie antwortete nicht. Stattdessen kroch sie tiefer zwischen die Sträucher.
Plötzlich klang glöckchenfein ein Kichern an Arnes Ohr.
„Hee“, rief er prompt, „hee, ihr da oben …“
„Sag mal, spinnst du jetzt völlig?“, brauste Brigitte auf, fingerte fuchtig einige Locken aus den Dornen und tippte sich mit einem Büschel Unkraut in der anderen Hand an die Stirn.
Arne protestierte: „Sie lachen … vielleicht verstehen sie uns!“
Brigitte sah mit zusammengekniffenen Augen zu ihm und wetterte: „So´n Quatsch, was du nicht alles hörst! Geh endlich mal zum Arzt, du hast ja Hal…“ Sie hielt inne.
Die Libellen waren von der Dachrinne verschwunden und vor ihren Augen mit einem * Pling * auf dem Fenstersims wieder erschienen. Nein, das waren keine Libellen, denn beide trugen blaue Häubchen mit purpurroten und ockergelben Tupfen, die sie mit der Hand berührten – wie zum Gruße.
Brigitte stotterte: „D… das kann … so was g...gibt’s nicht!“
„Ich schätze, die Herrschaften haben bis heute noch keine Elfen gesehen?“ piepste das eine, es trug einen silbernen Gürtel um die Taille.
„Höre ich nicht richtig?“ Brigitte starrte Arne mit großen Augen an.
Aus dem Nichts hielten die Wesen eine Art Sprachrohr vor ihre winzigen Gesichter und begannen:
„Wir si…“
Arne und Brigitte pressten sich die Hände an ihre Ohren.
„Hermine! Nicht singen! Du weißt, das vertragen Menschen nicht!“ Das Geschöpf mit dem silbernen Gurt schüttelte seinen Kopf.
„Hab ich vergessen, Florens … ´tschuldigung“, stammelte seine Gefährtin.
„Habt bitte ein Nachsehen, das ist ihr erster Auftrag“, wandte sich Florens mittels seiner Flüstertüte an die zwei Staunenden. „Also, wir fangen von vorn an:
„Wir sind die Elfen Flo und Mienchen.
Habt ihr nicht Lust zu einer Tour
mit uns durch Wald und Flur?
So ihr strebt nach euren Wünschen.“ Ein jedes Elflein war bei seinem Namen kurz in die Luft geflirrt.
Arnes Augen begannen zu leuchten wie die eines Kindes, das am Weihnachtsabend sein langersehntes Pony im Garten entdeckt.
„Toll!“, stieß er hervor.
„Schwachsinn! Mann, Arne, du glaubst denen doch nicht etwa“, fauchte Brigitte und starrte ihn an, wobei die senkrechte Furche zwischen ihren Augenbrauen zuckte.
Flo rief entrüstet: „Ich möchte aber sehr bitten, die Dame! Gleichwohl bin ich gern bereit zu einer Demonstration. Nehmen wir“, er blickte umher „die Katze.“
„Fienchen?“ Brigitte schnappte die dreifarbige Katze, die um ihre Beine strich, während Mienchen entgeistert dazwischenkrakeelte:
„Was, mit mir?“
„Nicht doch, Mienchen“ Sie meint Fienchen, ihre Katze“, beruhigte Flo seine Gefährtin.
„Ach so, dann ist ja gut.“
Florens bemerkte: „Ah ja, wir könnten eines der Pferde …“, und wies zum Hang gegenüber, an dem eine Herde Haflinger weidete.
Gesagt, getan. Gleich das erste Ross, welches abseits der anderen gerade arglos ein Büschel Gras rupfte, verschwand. Im selben Augenblick erschien es auf dem gefährlich ächzenden Terrassentisch,
„Ups“, Flo ließ flink zwei Finger Richtung Pferd schnellen und es stand neben dem Tisch. Mit rollenden Augen warf der Hengst den Kopf empor, wobei ihm die grünen Halme aus dem Maul schauten. Arne griff nach ihm. Flo ließ ein leise schnaubendes Geräusch ertönen, woraufhin das Ross neugierig den Elfen beäugte und ruhiger wurde.
„Nicht anfassen“, schrie Brigitte und fuhr sich mit beiden Händen in die Haare. Auf ihre hastige Bewegung hin schrak der Haflinger zurück und scheute erneut.
Mit einem Satz war Brigitte bei ihren Rosen und kreischte: „Nicht in meine Blumen trampeln!“
Flo, die Ruhe selbst, führte indessen eine weitere Handbewegung aus und das Pferd erstarrte mit den Vorderbeinen in der Luft.
Arne strahlte.
„Wie ihr seht, ich habe alles im Griff“, sagte Flo.
Brigitte kreischte: „Schafft den Gaul von meiner Terrasse! SOFORT!“
„Wie Sie wünschen“, antwortete Flo. Sogleich stand der Haflinger wieder bei seinesgleichen auf der Weide.
„Was für eine merkwürdige Vorführung war das? Ich dulde so was nicht!“, sagte Brigitte spitz.
„Ich finde das klasse“, stellte Arne fest, während sein Blick zwischen den Elfen und dem grasenden Pferd hin und her glitt.
„Du wieder! Klar, dir gefallen solche Mätzchen“, wetterte Brigitte „Träumer!“
Arne ignorierte ihre Worte und sprach zu den Elfen:
„Könnte ich das auch?“
„Dumm in die Gegend glotzen und Gras fressen“, zischte seine Frau.
Arne sprang auf, stöhnte, presste gequält die Lippen aufeinander, bevor er auf seine Frau zuhinkte und schrie:
„So, das reicht, Brigitte! Warum musst du permanent an mir rumkritteln?“
Die Elfen tauschten Blicke, nickten einander zu: Dieses Gezänk konnte dauern. So nahmen sie geruhsam auf dem Topfrand eines lachsfarben blühenden Hibiskus Platz.
„Bist doch selber schuld! Den ganzen Tag hockst du auf der Bank und stierst in die Gegend“, sagte sie bissig.
Arne schluckte. Seine Kehle war wie ausgedörrt ‚Hat sie vergessen, weswegen?’
„Ach so, jetzt bin ich schuld, dass ich mir das Becken gebrochen habe, weil du genau den Ast absägen musstest, auf dem ich saß“, krächzte er.
„Du hattest selbst gesagt, ich kann ihn abmachen“, keifte Brigitte.
„Aber nicht, wenn … Hattest du keine Augen im Kopp? Ach, vergiss es!“ Arnes Stimme wurde eisig. Brigitte starrte ihn mit großen Augen an, während ihre Brauen beinahe im Haaransatz verschwanden.
„Wie sprichst du überhaupt mit mir!“, fragte sie bissig.
„Das ist deine Sprache, jedenfalls neuerdings!“, entgegnete er, humpelte zur Bank zurück und setzte sich vorsichtig. Dabei fiel sein Blick auf die Elfen zwischen den Hibiskusblüten. Sie ließen ihre Beinchen baumeln, als sei dies ihr angestammter Platz.
Arne bemerkte: „Ihr seid nicht das erste Mal hier.“
Hermine nickte. Florens erhob sich und sprach zu den beiden:
„Fabelwesen, wie ihr uns nennt, sind Teil eurer Realität. Wir Elfen nutzen magische Fähigkeiten um beispielsweise euch Menschen zu Toleranz und Friedfertigkeit zu verhelfen. Öffnet die Augen, ergründet die Weisheit unserer Ahnen und lasst Güte in eure Herzen.“
Arne runzelte die Stirn, warf einen Seitenblick zu seiner Frau und fragte leise:
„Brigitte? Begleitest du mich?“
Brigitte begann, nervös auf der Stelle zu treten.
„Niemals! Darauf lasse ich mich nicht ein!“
‚Wieso habe ich sie eigentlich gefragt? War doch nicht anders zu erwarten!’ Arne seufzte und wandte sich wieder den Elfen im Hibiskus zu:
„Florens, Hermine, ich will von euch lernen.“
Flo schwirrte auf seinen Arm. „Sicher?“ fragte er und sah ihm in die Augen.
Nun, aus der Nähe, konnte Arne das engelgleiche Lächeln des Elfen erkennen und ihm wurde warm ums Herz.
„Ja, Florens. Ich kann hier nicht länger leben, es ist unerträglich geworden.“
„Wie kannst du so was sagen!“
Arne sprach unbeirrt weiter: „Zahllose Mär… ähem“, er stockte und musterte die Elfen, „Geschichten warten darauf, von mir erzählt zu werden. Hier jedoch“, er seufzte, während sein Blick düster die Gestalt seiner Frau streifte, „ist kein Platz mehr dafür!“ Er nickte Florens zu und seine Stimme wurde klar: „Ja, ich bin sicher.“
Brigitte rang die Hände. „Sei doch vernünftig!“
Arne entgegnete: „Spar dir die Worte, sie werden mich nicht hindern!“
„Aber wieso …“ schrie sie.
Arne beachtete sie nicht. „Gehen wir, Florens.“
„Nein“, sprach jener.
Arne sah ihn an, als hätte erneut jemand einen Ast unter ihm abgeschnitten. Bevor er seine Stimme wieder fand, fuhr Flo schmunzelnd fort:
„Wir fliegen. Zuvor werde ich dich auf geeignete Größe bringen müssen. Bist du bereit?“
Arnes traurige Augen leuchteten auf. Er nickte.
Flo flirrte wieder zu Mienchen auf den Fenstersims „Alles klar, Hermine?“
„Ja, Florens “, bestätigte sie.
„Na denn“, mit diesen Worten schwenkte Flo eine Hand zu Arne hin, während sein kleiner Finger den Daumen berührte.
Schrill schallte Brigittes „Nein“ in ihren Ohren.
Für den Bruchteil einer Sekunde spürte Arne einen Ruck durch seinen Körper fahren, so, als stürze er ab. Dann fand er sich zwischen hohen blauen Säulen – den Füßen der Bank - wieder. Flo und Mienchen waren sogleich bei ihm auf dem Erdboden.
„Hab keine Angst“, sagte Hermine.
Arne schaute an seinem Körper herab. Alles war da, wo es hingehörte. Und sein Becken schmerzte nicht mehr! ‚Faszinierend’, schoss es ihm durch den Kopf. ‚Aber, was ist da an meinem Rücken? Es wackelt seltsam.’ Er tastete sich über die Schulter und berührte etwas Zartes, das hinter ihm fächelte.
„Nicht zu sehr daran zupfen. Frische Flügel sind empfindlich“, sagte Florens.
„Heißt das … ich kann FLIEGEN?“
Beide Elfen nickten ihm zu.
„Einfach so?“, setzte Arne nach.
„Das liegt bei dir und daran, wie geschickt du dich anstellst“, antwortete Florens.