Wellensang
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Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
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August 2004
Schweinehund und Seelchen
von Martina Bartels

Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass es mal wieder viel zu spät war. Diese Stunden mit Thomas waren so selten, da zählte jede Minute. Die gemeinsame Dusche zum Abschluss war sehr schön gewesen und hatte mich wunderbar erfrischt.
Endlich hatte ich einen Parkplatz vor dem Haus gefunden und hastete gerade durch das Treppenhaus, als ich bereits das Schellen des Telefons hörte. Innerlich fluchend suchte ich den passenden Schlüssel und stocherte im Schloss rum, ehe die Tür endlich aufsprang.
Ich griff zum Telefon und versuchte meine Atemlosigkeit unter Kontrolle zu bekommen.
Wie erwartet war es mein Gatte, der als erstes wissen wollte, warum es so lange dauerte, bis ich an den Apparat kam. Während ich ihm etwas von Duschen und Essen vorbereiten erzählte, sprang der Schweinehund bereits jaulend an mir hoch, doch energisch schob ich ihn beiseite.
”Bis gleich, ich freu mich auch”, beendete ich das Telefonat.
Mir blieben knappe dreiĂźig Minuten, um alles vorzubereiten. Eilig lief ich ins Bad und drehte das heiĂźe Wasser auf, damit die Scheiben beschlugen. In den Abfluss schĂĽttete ich etwas Badeschaum, der fĂĽr den passenden Duschgeruch sorgen sollte. Ich hasste diese Albernheiten, aber wenn ich sagte, ich war duschen, dann wusste ich, dass mein Mann diese Aussage ĂĽberprĂĽfen wĂĽrde.
Der Schweinehund klebte an meinen Fersen und feixte.
”Mensch, das war verdammt knapp. Wärst du auf der Treppe gestolpert, hättest du dir ein besseres Argument als Duschen suchen müssen …” Hämisch grinste mir seine Fratze aus dem Spiegel entgegen.
”Hau endlich ab!”, fluchte ich, während ich den Salat vorbereitete.
Doch er dachte gar nicht daran, in seiner Ecke zu verschwinden, sondern fĂĽhrte einen wahren Freudentanz auf und wedelte um mich herum.
”Irgendwann wird er dich erwischen. Dann hast du nichts mehr zu lachen. Du musst dich endlich entscheiden …”
”Hau ab!”, fuhr ich ihn erneut an. Ich wusste, dass er Recht hatte und genau deshalb wollte ich es nicht hören.
”Er liebt dich, er liebt dich”, trällerte der Schweinehund für mich.
”Halt die Klappe! Das weiß ich, und ich liebe ihn.” Meine Hände zitterten, als ich das Brot in dünne Scheiben schnitt. Der Schweinehund stellte sich auf die Hinterbeine und sah mich herausfordernd an. ”Warum tust du ihm das dann an? Du betrügst ihn, dass macht man nicht …”
Die Tränen traten mir in die Augen. Der Schweinehund leckte sich selbstgefällig das Maul. Er hatte sein Ziel erreicht.
Leise schlich das Seelchen herein und schleifte den Schweinehund aus dem Zimmer.
”Lass sie endlich in Ruhe”, hörte ich es leise schimpfen. ”Sie weiß genau, dass ihr Verhalten nicht richtig ist und es keine Entschuldigung gibt.”
Der Schweinehund wollte aufbegehren und sich in seinem Triumph suhlen, doch das Seelchen nahm ihm den Wind aus den Segeln.
”Hör auf, es gibt nicht nur schwarz und weiß, auch du hast nicht nur den Teufel in dir, sonst hättest du mich schon lange geschluckt!”
Beleidigt verzog sich der Schweinehund in seine Ecke.
Das Seelchen huschte zurĂĽck in die KĂĽche und versuchte zu retten, was zu retten war.
”Lass ihn, er kann nicht anders”, sagte es tröstend. ”Ich weiß genau, wie sehr du unter der Situation leidest und dass du trotzdem nicht anders kannst.”
”Aber ich liebe ihn wirklich”, erwiderte ich leise.
”Ich weiß”, wiederholte das Seelchen, ”aber den anderen liebst du auch!” Ich nickte schweigend und konzentrierte mich auf das Braten der Steaks. Den Schweinehund verstand ich, denn, ich hatte selber so gedacht, bis – ja – bis er mir begegnet war. Plötzlich war alles anders. Es war nicht der Reiz des Neuen und die rosaroten Wolken, es ging viel tiefer.
Gefühl, Zärtlichkeit, Verständnis, plötzlich war jemand da für mich, der mich verstand.
”Du brauchst dich vor mir nicht zu verteidigen”, sagte das Seelchen ruhig. ”Es gibt unvorhersehbare Situationen, denen man nicht immer gewachsen ist, und plötzlich steckt man ganz tief drin”.
Während das Fleisch in der Pfanne brutzelte, eilte ich ins Bad und drehte das Wasser ab. Schnell zog ich mir die Lippen nach und musterte mich im Spiegel. Ich sah strahlende Augen und einen lächelnden Mund. Nichts erinnerte mehr an den stumpfen Blick und die herabhängenden Mundwinkel, die mich bis vor einem halben Jahr täglich begrüßt hatten.
”Siehst du”, flüsterte das Seelchen leise, ”das hast du ihm zu verdanken. Er tut dir gut, du lebst und genießt. Das kommt auch deiner besseren Hälfte zugute. Erinnerst du dich an eure ewigen Streitereien, weil du so unausgeglichen warst?”
Wieder nickte ich. Das Seelchen hatte Recht: Er nahm nichts weg, er gab nur, was nicht mehr vorhanden war. Ich bereute nichts.
Der Schweinehund erhielt sein Stichwort und setze zum Sprung an, als ich seinen Schlüssel im Schloss hörte. Ich klemmte dem Schweinehund den Schwanz in der Tür ein, die ich mit voller Wucht zuwarf. Das Seelchen und ich lächelten uns an, als ich in den Flur trat, um ihn zu begrüßen. Das herzzerreißende Wimmern des Schweinehunds zauberte mir ein umwerfendes Lächeln auf die Lippen.

© Martina Bartels


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