Burgturm im Nebel
Burgturm im Nebel
"Was mögen sich im Laufe der Jahrhunderte hier schon für Geschichten abgespielt haben?" Nun, wir beantworten Ihnen diese Frage. In diesem Buch.
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November 2004
STERNEN-HIMMEL
von Sabine Ludwigs

Taxi fahren ist anstrengend, deswegen wollte ich nach Feierabend meine Ruhe haben. Doch als ich von der Mittagsschicht nach Hause kam, wartete er schon auf mich. „Gesa Wohlrath“, erklärte er „ich gehe seit einiger Zeit zu einer Therapeutin.“
Ich war müde, aber diese Mitteilung machte mich munter.
„Weshalb?“, fragte ich. „Was hast du für ein Problem, über das du mit mir nicht reden willst, Achim?“
„Gar keins. Du hast eines.“
„Ich?“
„Sicher.“
„Aha.“
Ich nahm mir ein Bier aus dem Kühlschrank, dann setzte ich mich auf die Eckbank. Ich war sieben cm größer, und wollte vermeiden, dass Achim sich unterlegen fühlte.
„Erzähl mir, was los ist.“ Ich nahm einen tiefen Zug aus der Flasche.
„Du bist schuld, dass unsere Beziehung nicht funktioniert.“
Ich verschluckte mich.
„Nicht funktioniert?“, röchelte ich. „Was heißt das?“
„Unsere Probleme.“
„Aber wir haben keine Probleme!“
„Ich sehe das anders. Dr. Thome, meine Therapeutin, übrigens auch. Sie ist zu dem Schluss gekommen, dass unsere Schwierigkeiten daher rühren, dass du in unserer Beziehung der Mann sein willst.“
„Was soll das bedeuten, zur Hölle?“
„Ich kann bei dir kein Mann sein, weil du in unserer Partnerschaft die Hosen anhast. Deshalb werde ich dich verlassen, um bei einer anderen Frau ein Mann zu sein. Bei einer, die das zulassen kann.“
Darüber musste ich nachdenken. Nachdem ich begriffen hatte, wurden meine Augen zu Schlitzen.
„Du bist 47. Bei Männern deines Alters passiert es hin und wieder, dass sie keinen ho...“
Er ging ins Schlafzimmer, bevor ich den Satz beenden konnte, kam mit einer prall gefüllten Reisetasche zurück.
„Wer ist sie? Etwa Doktor Thome?“
Er schüttelte den Kopf und verdrehte seine Augen.
„Den Rest hole ich in ein paar Tagen.“
Mein rundlicher Karteuserkater kam in die Küche.
„Dich werde ich auch abholen, Mäxchen.“ Er streichelte das Tier. „Du weißt ja, ich hab dich zum fressen gern.“
„Nie im Leben, Achim! Er gehört mir.“
„Das“, sagte er kämpferisch „werden wir sehen.“
Er ging zur Tür, drehte sich noch einmal um und sah mich an.
„Männlein,“ sagte ich.
Dann war er fort.

Warum muss das Leben eigentlich so unheimlich kompliziert sein?, fragte ich mich. Ich hockte im Wohnzimmer und starrte durch mein Teleskop in eine Wohnung im Haus gegenüber. Ich wohnte erst seit zwei Monaten hier, und bemerkte schnell, dass es Vorzüge hatte, so hoch über der Stadt zu logieren. In meiner Nachbarschaft gab es kaum ein Fenster, in das ich noch nicht geschaut hätte. Für mich eingefleischte Krimifanatikerin ein prickelndes Erlebnis, da ich mich ständig an das `Das Fenster zum Hof´ erinnert fühlte. Mit Grace Kelly, James Stewart, Raymond Burr.
Mein Blick wurde durch ein ähnliches Fernrohr erwidert. Carolin Himmel. Die allerbeste Freundin der Welt. Das Schlafzimmer war der einzige Raum ihrer Wohnung, den ich sehen konnte. Wir winkten uns zu, kurz darauf wählte ich ihre Nummer.
„Hey, Gesa.“
„Er ist weg.”
„Wer? Max?“
„Nein. Achim. Für immer. Er sagt, ich wäre ein Mann.“
„Das ist hart für dich“, erwiderte Carolin.
„Du warst ja von Anfang an gegen ihn“, fuhr ich fort.
„Deine Mutter auch“, verteidigte sie sich lahm.
„Und alle anderen Menschen, die ich kenne“, stimmte ich zu.
„Weinst du?“
„Nein“, schniefte ich.
Es klingelte an ihrer Tür.
„Egal, wer das ist. Ich wimmele ihn ab, dann komm ich rüber.“ Sie legte auf und zog die Vorhänge zu.

Ich drehte die Musik laut. Carolin besaß einen Zweitschlüssel, so wie ich für ihre Wohnung. Money For Nothing sangen die Dire Straits. Carolin kam herein. Wir tanzten, tranken zuviel Rotwein, wurden melancholisch und sangen schließlich unter Tränen Tunnel of Love: „Getting crazy on the walzers but it`s life that it choose …“
Carolins Mascara war nicht wasserfest. Bei mir schaute verlaufene Wimperntusche einfach nur wie schmieriger Dreck aus. Außerdem bekam ich eine dicke rote Nase, wenn ich weinte. Sie sah auch mit dunkelgrauen Streifen im Gesicht fantastisch aus.
„Weißt du“, vertraute ich ihr mit schwerer Zunge an, „von Mäxchen könnte sich Achim eine Scheibe abschneiden. Er ist lieb, treu, schnurrt und macht kalte Füße warm. Alle Männer könnten sich ein Stück von ihm abschneiden.“
Ich zog die Nase hoch: „Ich brauche nicht irgendeinen blöden Kerl. Max ist das einzige männliche Wesen, das ich wirklich liebe.“
„Vielleicht“, feixte Carolin, „vielleicht liegt es daran, dass er kastriert ist.“

Ich traute meinen Augen nicht, als ich den Brief sah. Er kam von einer Anwaltspraxis gleich um die Ecke. Fünfter Stock. Wenn ich mein Fernglas in die Küche stellte, konnte ich einem der Rechtsanwälte ins Büro sehen.
Sternen ./. Wohlrath stand im Betreff.
Sehr geehrte Frau Wohlrath,
gemäß uns vorliegender Vollmacht zeigen wir an, dass uns Herr Achim Sternen mit der Wahrung seiner rechtlichen Interessen beauftragt hat. Unser Mandant ist an einer gerichtlichen Auseinandersetzung nicht interessiert, daher schlagen wir Ihnen folgende gütliche Einigung vor.
Der Karteuserkater Max von den Weiden ist an unseren Mandanten auszuhändigen. Dieser erwarb das Tier mit Kaufvertrag vom ... .Da in einem Scheidungs-/Trennungsverfahren Haustiere dem Hausrat angerechnet werden, bitten wir diesen mit dem übrigen Inventar gemäß anliegender Liste an Herrn Sternen zu übergeben. Wir setzen Ihnen hiermit eine Frist bis zum ...
Hochachtungsvoll
Rechtsanwalt
K. Fisch


Mir blieb die Spucke weg. Achim hatte mir Mäxchen zum Geburtstag geschenkt! Ich liebte den Kater abgöttisch. Zugegeben: er auch. Trotzdem degradierte er Max zu Hausrat. Inventar! Auszuhändigen mit Fristsetzung. Wie einen Fernseher.
Dabei war Mäxchen ein so sensibles Tier! Ein höheres Lebewesen wie eine Katze zu einem Gegenstand zu erklären, war schlicht gesprochen eine respektlose Diffamierung. Das würden wir uns nicht gefallen lassen!

Damit ich nicht allein zu Hause herumhing, nahm Carolin mich mit zu ihrer Bauchtanzgruppe. Sie hatte ständig solche Einfälle: Dessous-Partys, Laientheater und jetzt Bauchtanz.
Die Lehrerin, Fatima el Farrath, im wirklichen Leben hieß sie Utta Hüsch, tänzelte zu orientalischen Klängen in einem Kostüm wie aus Tausend und einer Nacht herum. Ihre Schleier wirbelten durch die Luft, während ihr Bauch Dinge tat, bei denen der meine schon vom Zuschauen schmerzte.
Die zierliche Carolin, nun Yasmine, sah aus wie die bezaubernde Jeannie. Sie bewegte sich voller Grazie.
Meine Größe sowie mein Bauch hinderten mich an dieser Anmut.
Man hatte mir ein hellgraues Kostüm geliehen, in dem ich mir vorkam wie Benjamin Blümchen.
„Bist du sicher, Carolin ....“
„Yasmine.“
„Yasmine, dass dies hier Pump- und keine Plumphosen sind?“ Ich sah sie zweifelnd an.
Sie gluckste: „Sei nicht albern! Du siehst toll aus. Groß, gutgebaut. Wie eine Amazone. Aischa.“
Aischa. Mein neuer Name. Er gefiel mir. Gleichzeitig beruhigte er mich, da ich heimlich befürchtet hatte, sie würden mir einen Namen wie Hagia Sofia verpassen.
Obwohl Fatima-Utta mich mit tadelnden Blicken bedachte, erzählte ich Yasmine-Carolin flüsternd von dem Anwaltsbrief. Während einer Verschnaufpause schlug sie vor: „Vereinbart doch ein Besuchsrecht. Ohne Streit. Achim sagt bestimmt nicht Nein.“
„Es ist ein Kater, kein Kind, Carolin.“
„Yasmine“, korrigierte sie. „Was soll`s? Ein großer Unterschied ist es jedenfalls nicht, so wie ihr Max verhätschelt.“
„Nur, weil er mit am Tisch sitzt oder im Bett schläft?“ Ich richtete mein Paillettenbesticktes Oberteil, in dem selbst mein Busen erotisch wirkte.
„Aischa“, fuhr Carolin … Yasmine fort, „schreibe dem Rechtsanwalt, dass Achim Max Dienstag, Donnerstag und jedes zweite Wochenende zu sich holen kann.“
„Dritte! Höchstens jedes dritte Wochenende.“
Die Trommeln setzten ein, Fatimas durchdringende Stimme rief uns zum Tanz. Mir taten die Füße, der Bauch und der Rücken weh. Trotzdem fühlte ich mich wie eine arabische Prinzessin.
Yasmine hatte Recht. Achim würde meinem Vorschlag zustimmen, da er lange Auseinandersetzungen hasste. Doch das Wichtigste war, dass ich ihn dann regelmäßig sah. Wer weiß, was sich daraus ergeben konnte?
Übermütig ließ ich meine Bauchrolle zu dem Stakkato der Trommeln und Flöten wippen.
Als wir uns auf den Heimweg machten, war ich nicht enttäuscht, dass Yasmine ... Carolin keine Lust mehr auf ein Schwätzchen verspürte. Im Fernsehen lief der beste Krimi aller Zeiten: `Wenn der Postmann zweimal klingelt.´ Jack Nicholson mimte einen Wanderarbeiter, der sich in die Frau seines Bosses verguckt. Jessica Lange. Mörderisch gut!
Später, im Bett, fühlte ich mich viel weniger allein, als Mäxchen sich schnurrend auf Achims Kissen ausstreckte. Er schlief schnell ein. Außerdem meckerte er nicht, weil ich das Licht anlassen wollte, um noch zu lesen. Sorgfältig deckte ich ihn zu.

Am Donnerstag erlebte ich den schlimmsten Tag meines Lebens! Eigentlich war Kaffeeklatsch bei Carolin angesagt, doch sie ließ unseren Plausch ausfallen. Stattdessen überredete sie mich, zu ihrer Malgruppe mit zu kommen.
„Warum? Ich kann nicht zeichnen. Außerdem interessiere ich mich nicht für Kunst.“
Sie lächelte. „Das musst du auch nicht. Aber dich wird unser Modell interessieren. Wir malen heute einen Akt und wir hatten großes“, hier kicherte sie „wirklich großes Glück mit unserem Aktmodell.“
„Wer ist es? Mark Knopfler?“, witzelte ich.
Sie schnaubte. „Nein! Es ist Mr. Big.“
Das sagte mir nichts.
Carolins Malgruppe war erstaunlich groß. Sie schien, bis auf drei feminin wirkende Männer, nur aus Frauen zu bestehen.
Gespannt saß ich hinter einer Staffelei, als Mr. Big in einem blutroten Bademantel eintrat. Er war attraktiv, dunkelhaarig, etwa 1,90 m groß und schritt majestätisch zur Mitte des Raumes. Dort war ein kleines Podest ausgeleuchtet.
Er kletterte hinauf, dann ließ er den Bademantel zu Boden gleiten. Darunter war nur Mr. Big.
Erst ging ein Seufzen durch die Reihen, danach herrschte andächtige Stille. Noch nie hatte ich so etwas gesehen.
„Einfach großartig, oder?“, flüsterte Carolin mit glühenden Wangen. „Da haben wir noch ein riesiges Stück Arbeit vor uns. Hast du schon einmal etwas so Außergewöhnliches zu Gesicht bekommen?“
„Nein“, musste ich gestehen. „Ich frage mich, wie ich so ein Grün jemals abmischen soll.“
„Grün? Wieso grün?“
„Seine Augen. Sie sind wunderschön“, raunte ich zu laut.
Einige Frauen in unserer Nähe kicherten.
Mr. Big sah mich an. Er lächelte.
Ich spürte, dass ich bis zu den Haarwurzeln errötete.
Meine Freundin schüttelte auf dem ganzen Heimweg den Kopf über mich, aber ich achtete nicht auf ihr Geplapper. Meine Gedanken waren vollständig von grünen Augen erfüllt.
Vor meiner Haustür verabschiedete Carolin sich hastig und eilte über die Straße.
Ich tischte Max gerade delikaten Krabbencocktail in Schellfischgelee auf, da fiel mir ein, dass ich Carolin noch meinen Antwortbrief an den Anwalt zeigen wollte.
Durch das Teleskop konnte ich sehen, dass die Schlafzimmervorhänge zugezogen waren. Das Licht brannte, ihre Rufnummer war besetzt. Ich nahm den Zweitschlüssel und ging hinüber.
Ich drückte zweimal den Klingelknopf, damit sie wusste, dass ich raufkam. Oben schloss ich die Wohnungstür auf. Alles was ich dann sah, war der Sternen auf der Himmel.

Achim Sternen. Mein Achim. Nackt! Auf Carolin. Ein grässlicher Anblick. Er wälzte sich mit meiner besten Freundin auf dem Parkettfußboden herum. Ihr Rock war bis zur Hüfte hochgeschoben. Sie stöhnte fast ebenso laut wie er. Mein erster Gedanke war, dass Achim Carolin vergewaltigte. Ich wollte ihm gerade eins mit dem massiven Schirmständer überziehen, da dämmerte es mir, dass die beiden einfach nur heißen, wilden Sex hatten.
Sie waren so leidenschaftlich miteinander beschäftigt, dass sie weder mein Klingeln gehört, noch mich auf Anhieb bemerkt hatten. Als sie mich endlich sahen, stand Achim auf, wollte mir wohl alles erklären. Carolin blickte mich aus schreckgeweiteten Augen an, schlug dann die Hände vor ihr Gesicht.
Ich drehte mich um, lief davon. Achim. Und meine „beste“ Freundin. Kein Verrat schmerzt mehr.

Katzen sind die heilsamsten Tröster der Welt. Sie sind weich, warm, anschmiegsam und stellen keine Fragen.
Ich lag die ganze Nacht weinend auf dem Bett, zusammengerollt wie ein Fötus, und heulte mir die Augen aus dem Kopf. Sogar das Wissen, dass ich eine Folge von `Wolf`s Revier´ verpassen würde, brachte mich nicht dazu aufzustehen.
Weder beachtete ich die Türklingel, noch ging ich ans Telefon. Mein Kater lag schnurrend neben mir. Ein paar Mal schmiegte er sein rundliches Köpfchen an mein Gesicht. Selbst als sein Fell von Tränen durchnässt war, putzte er nicht sich, sondern leckte an meinem Nasenrücken.
Ich ernährte mich ausschließlich von Rotwein und ließ meinen Tränen weiterhin freien Lauf. Am Abend reichte ich Max Ragout vom Kalb. Ich bekam noch mehr Wein. Weißen, der rote war alle.
Sobald er seinen Napf schmatzend geleert hatte, kam Max wieder zu mir ins Bett. Er schnurrte, was das Zeug hielt.
Ich hatte Schluckauf vom Weinen, aber auch das vertrieb Mäxchen nicht.
Ehe ich Achim dieses gefühlvolle Tier überließ, würde ich dem Kater lieber den Hals umdrehen. Achim sollte nicht noch jemanden verschlingen, der mir wichtig war.

Ich meldete mich krank. Mir blieb gar nichts anderes übrig, weil ich sternhagelvoll war. Und das alles zwei Wochen vor meinem vierzigsten Geburtstag! Ich las mein Horoskop in der Tageszeitung: Lassen Sie Ihren verletzten Gefühlen freien Lauf. Tun Sie das Unerwartete. Sie werden sich besser fühlen, wenn Sie aus sich heraus gehen.
Gute Idee! Das würde ich machen. Ich sah sinnend auf den wohlgenährten Max. Er lag auf Achims Sessel. Sein Schnurren war bis zu mir zu hören. Roch er Achim? Vermisste er ihn? In mir keimte eine Idee auf. Ein widerwärtiger Gedanke. Ich wollte ihn verdrängen, aber es gelang mir nicht, denn so könnte ich Achim verletzen. Und das war es, was ich von ganzem Herzen wollte.

Die Einladungskarte zu meinem Geburtstag steckte ich noch in der gleichen Nacht in ihren Briefkasten. Auf dem stand jetzt, wie auf der Klingel auch, Sternen-Himmel.
Die beiden hatten keine Zeit mit falscher Rücksichtnahme vergeudet. Ich fragte mich, wie lange sie mich wohl schon an der Nase herumgeführt hatten?
Sternen-Himmel. Es gab mir einen gehörigen Stich ins Herz.

Wenn ich schlank war, mein Teint wunderbar schimmerte, ich vor Schönheit und Esprit nur so strahlte, traf ich keine Menschenseele. Wahrscheinlich, weil diese Augenblicke so rar gesät waren. Ich wünschte mir dann immer inständig all meinen Ex-Freunden zu begegnen (mit ihren Frauen), damit sie sahen, wen sie verschmäht hatten, und es bitter bereuten.
War ich jedoch grottenhässlich, übergewichtig und wollte keinem bekannten Gesicht gegenübertreten – erst Recht nicht meinen Exfreunden (mit ihren Frauen) – zog ich diese Menschen magnetisch an.
Meine Augen waren noch immer vom Weinen gerötet, das bleiche Gesicht verquollen, die Haare nicht gewaschen, als ich in meinem Taxi vor dem Bahnhof stand, um auf Fahrgäste zu warten.
Da kam er.
Hätte mich jemand gefragt, wem ich in diesem Augenblick auf der ganzen Welt am allerwenigsten gern begegnen wollte, so wäre er es gewesen.
Himmel, ich wünschte, ein Loch würde sich auftun und mich verschlingen.
Mr. Big öffnete die Wagentür und setzte sich in den Fond.
„Wohin?“, frage ich kurz angebunden.
Er nannte eine Adresse
„Zur Malschule?“, wollte ich wissen.
Sicher hatte er Probleme mich in meinem desolaten Zustand zu identifizieren. Aber er war höflich genug es sich nicht anmerken zu lassen und guckte nur mit großen Augen, als ich mich zu ihm umdrehte.
Er wirkte ziemlich erstaunt.
„Und die Welt ist doch ein Dorf. So ein Zufall! Sie waren neulich mit ihrer Freundin im Malkurs, stimmt`s? Als Gast.“
„Bekannte“, unterbrach ich seinen Wortschwall.
Er nicke: „Ja gut, Bekannte. Ich habe Sie von hinten gar nicht erkannt. Super! So ein Zufall!“ Er übersah meine marode Erscheinung großzügig und lud mich zum Essen ein. Heute Abend!
Erst wollte ich Nein sagen. Aber dann nannte er den besten Italiener der Stadt. Zu teuer für mein Budget, zu lecker, um abzulehnen.
Ich beugte mich den Argumenten und sagte zu.
Vorher putzte ich mich ordentlich heraus.
Ein Erfreuliches hatte die Trennung von Achim und Carolin: Ich hatte abgenommen. Hurra! Mein schwarzer, kurzer Rock passte wieder perfekt. Wenn ich erst die Katzenhaare entfernt hatte, würde ich traumhaft aussehen.

Es ging viel zu schnell und traf mich völlig unvorbereitet. Doch es gab keinen Zweifel: Ich hatte mich Hals über Kopf verliebt! Wahnsinnig verknallt in einen Riesen, der mich zärtlich Wuchtbrumme nannte. Tim Jansen. Zahntechniker. 42 Jahre alt und ledig.
Er stand auf Krimis, sein Radiowecker spielte die Dire Straits und er mochte große, nicht dünne Frauen, die gern Rotwein tranken, Katzennärrinnen waren und nicht auf hohen Pumps balancieren konnten. Er sah sich gern den Sternenhimmel an.
Sternen-Himmel ...
Da war doch noch eine Kleinigkeit, die ich erledigen wollte?

Die Verräter kamen zu einem frühen Abendessen, so, wie ich sie eingeladen hatte. Beide waren nervös, schienen aber nicht gewillt, über die vergangenen Tage zu sprechen. Ihre zahlreichen Briefe – sicher voll von Erklärungen und verständnisheischenden Floskeln - hatte ich ungelesen in den Müll geworfen. Ob sie auf eine Versöhnung hofften? Oder erkannten sie, dass es sich um ein rachsüchtiges Abschiedsdiner handelte? Kleinlich. Billig. Zu sehr Rosenkrieg – aber dadurch nicht weniger befriedigend für mich.
Achim sah sich verstohlen nach Mäxchen um. Der Katzenkorb sowie der Sessel lagen verlassen da. Die Tür zum Schlafzimmer war geöffnet, kein Max lag auf Achims ehemaligen Kopfkissen.
Der Tisch war mit meinem besten Service, Silbersbesteck und Leinenservietten gedeckt. Blumen standen neben den Kerzen. Ich hatte das Musical CATS eingelegt, im Hintergrund spielte leise Memories.
Als Vorspeise gab es einen Herbstsalat mit gebratener Leber. Sie war üppig und weich, fast cremig im Innern, doch knusprig angebraten, dann mit Aceto Balsamico abgelöscht. Keine Zwiebeln. Hauchdünne junge Schalotten. Rot.
„Meine Güte, das ist lecker,“ lobte Carolin zaghaft
Ich lächelte, bedankte mich, dann servierte ich ein klares Süppchen. Eine golden schimmernde Fleischbrühe, mit feinsten Fettaugen, überpudert mit Petersilienstaub.
So ein ungewöhnliches Fleischaroma hätte er bisher noch nie genossen, versicherte Achim genüsslich. Ihre Befangenheit ließ allmählich nach.
Es folgte der Hauptgang.
Ich stellte je eine Schüssel frische Kartoffelklöße sowie Rotkohl auf den Tisch. Dazu die Sauciere mit der sämigen Soße, die ich mit Rotwein und Kräutern sorgfältig abgeschmeckt hatte. Endlich hob ich den Deckel von der Fleischplatte.
Carolin saß plötzlich stocksteif da. Sie wurde bleich. Achim schnappte keuchend nach Luft. Sie stierten auf den Braten, der knusprig im eigenen Saft auf der Platte lag. Auf Eichblattsalat gebettet, mit Apfelspalten umlegt. Boskop selbstverständlich. Der lang hingestreckte Leib herrlich gebräunt, die vier Pfoten waren an den Enden mit Alufolie umwickelt, damit sie im Backofen nicht schwarz wurden. Das krosse Fleisch warf noch einige Bläschen von der Hitze im Ofen. Ein schmackhafter Anblick.
„Was … was ist das?“, würgte Achim hervor.
Mein Blick war wie Stahl, bohrte sich direkt in seine Augen. „Na, was denkst du wohl, was es ist?“ Ich lächelte.
Achim schluckte schwer.
Ich nahm das blitzende Tranchiermesser, dann schnitt ich den Braten an. Heiße Brühe spritze hervor und verbreitete einen köstlichen Duft. Das Fleisch war zart, es ließ sich mühelos zerteilen. Ich verbrannte mich an ein paar Fettspritzern.
Es tat mehr weh, als ich gedacht hatte. Erstaunt blinzelte ich einige Tränen zurück, bevor ich Achim einen Hinterschenkel vorlegte. Der Fleischsaft lief rosa auf seinen Teller.
„Mach keinen Quatsch, Gesa. Was ist das?“ Carolins Stimme zitterte.
„Na, was schon? Clovis de Poitou.“
Sie starrten mich an, wie zwei Irre.
„Was?“, stammelte er
„Clovis de Poitou“, wiederholte ich, und schluckte den Tränenkloß in meinem Hals endgültig herunter. „Kaninchen. Was sonst, hm?“
Er sah mich misstrauisch an. Als ich leise lachte, stand er wortlos auf. Sie gingen, ohne einen Bissen zu essen. Unser letztes Mahl war beendet. Es war vorbei.

Keine Stunde später, ich hatte gerade alles in Ordnung gebracht, einschließlich meiner Gedanken, klingelte das Telefon.
„Wohlrath.“ Meine Stimme war ruhig, fast heiter.
„Hallo, Wuchtbrumme! Wann kommst du endlich zu deinem Geburtstags-Krimi? Ich vermisse dich, der Sekt ist kalt gestellt und ich habe den Film besorgt. Das Original von Billy Wilder. `Frau ohne Gewissen´.“
„Ich bin in zwanzig Minuten bei dir.“ Ich wollte einhängen, da hielt er mich zurück.
„Ach, Gesa?“
„Ja?“
„Bring bitte Katzenfutter mit. Mäxchen ist am verhungern.“


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