Der himmelblaue Schmengeling
Der himmelblaue Schmengeling
Glück ist für jeden etwas anderes. Unter der Herausgeberschaft von Katharina Joanowitsch versuchen unsere Autoren 33 Annäherungen an diesen schwierigen Begriff.
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November 2004
Freundschaftsdienste
von Andreas Petar

"Erneut Taxifahrer ermordet. Die Polizei hat noch keine heiße Spur".

Das war die Schlagzeile des Artikels, den Gesa gerade las, als plötzlich die Autotür aufgerissen wurde.
"Na, Süße? Bist Du auch fleißig am Arbeiten?"
"Carolin! Mensch hast Du mich erschreckt. Komm steig ein. Ich lade Dich auf eine Freifahrt ein“, sagte Gesa, während sie versuchte die Adrenalinflut in ihrem Körper wieder einigermaßen einzudämmen. Carolin ging derweil um den cremefarbenen 190er Mercedes und setzte sich auf den Beifahrersitz.
"Du kannst den Taxameter ruhig anmachen. Die Fahrt kann ich noch aufs Spesenkonto buchen", sagte sie und öffnete die Knöpfe ihres Mantels. "War ja schließlich ein Geschäftsessen, obwohl ich mir bei diesem Kunden auch etwas mehr vorstellen könnte." Sie grinste süffisant.
"Ich dachte, Du hast Mr. Perfekt mittlerweile an der Angel?", antwortete Gesa. "Wird ohnehin Zeit, dass ich mal mehr über den Knaben erfahre. So zugeknöpft kenne ich Dich gar nicht"
"Ja ja, das machen wir schon noch."
Carolin beugte sich nach vorne und drückte einige Knöpfe an der Musikanlage. "Ich weiß, Du liebst Dire Straits und mir ist auch völlig bewusst, dass Du Achim damals bei einem Dire Straits Konzert kennen gelernt hast und ja, mir ist klar, dass Dire Straits der absolute Wahnsinn sind."
Sie warf die CD aus und schaltete das Radio ein.
"Aber das mit Achim ist vorbei und die letzte CD der Dire Straits war Anno Dazumal. Also willkommen im hier und heute.“ Carolin zog den Gurt fest. „Und jetzt fahr schon los. Ich will unbedingt ‚Monk’ sehen. Du hast es doch hoffentlich aufgenommen?"
"Natürlich habe ich das und Dein Wunsch ist mir Befehl", antwortete Gesa, startete den Wagen und aktivierte den Taxameter. "Nächster Halt: Chez Gesa."
Nachdem sie die Wohnung aufgeschlossen hatte, tastete Gesa die Wand entlang. Sie war erst vor kurzem hier eingezogen und musste die Lichtschalter allabendlich von Neuem suchen. Zumal sie in der alten Wohnung, bei Achim, alle etwas höher angebracht waren.
Sie vermisste ihn, obwohl die Trennung die einzig richtige Entscheidung war. Er hatte ihr vor zwei Wochen eröffnet, dass es eine andere Frau in seinem Leben gab und als zweite Wahl war sich Gesa zu schade. Sie war sofort ausgezogen. Zuerst zu Carolin, schließlich in die neue Wohnung.
Kaum brannte das Licht, kam ihnen auch schon ein murrendes Fellbündel entgegen.
"Hallo Mäxchen. Wie geht es Dir?", fragte Gesa. "Hast Du Hunger, mein Kleiner?"
Mäxchen, der weiße Perserkater beantwortete die Frage mit einem lauten Schnurren und strich um Gesas Beine.
"Setz Dich schon mal, Carolin", sagte Gesa. "Ich muss hier erstmal jemanden mit Futter versorgen, bevor er mir von den Pfoten kippt." Und ging in die Küche.
Carolin hing ihren Mantel an die Garderobe, ging ins Wohnzimmer und lümmelte sich aufs Sofa. Kurz danach kam auch Gesa. Sie schaltete den Fernseher und den Videorekorder ein, holte zwei Gläser und eine Flasche Rotwein und setzte sich neben Carolin.
"Jetzt mal ernsthaft. Wie heißt dein neuer Macker, wie ist er so, wo habt ihr euch kennen gelernt?" Gesa konnte ihre Neugier nicht zurückhalten.
"Das erfährst du schon noch. Keine Angst. Auf jeden Fall kommt er weder aus meiner Branche noch aus Deiner."
"Na klasse. Damit weiß ich, dass er weder Werbung macht, noch Taxi fährt. Das grenzt es ja ganz schön ein.", antwortete Gesa und rollte mit den Augen.
"Ups, da fällt mir ein: Ich brauche noch eine Quittung für die Fahrt eben", sagte Carolin. "Überhaupt, wie läufts denn so mit der Fahrerei."
"Du lenkst ab", sagte Gesa mit einem Grinsen, dass sie aber gleich wieder verlor. "Ehrlich gesagt nicht so gut. Es gibt mittlerweile einfach viel zu viele Taxifahrer und durch diese bescheuerten ICH AGs werden es täglich mehr."
"Stimmt, das hast Du erwähnt. Viele Fahrer, wenig Kunden. Man braucht kein Genie zu sein um zu erkennen, dass so etwas nicht funktionieren kann.", antwortete Carolin und nickte wissend.
"Tja, aber so läuft es aber", sagte Gesa und schnappte sich die Fernbedienung. " So, genug gejammert .Da Du mir ja ohnehin nichts über deinen neuen Lover erzählen wirst, können wir genauso gut 'Monk' schauen."
Der Videorekorder begann zu surren und Monk übernahm einen weiteren skurillen Auftrag, den nur er lösen konnte.
Nachdem der Fall gelöst und die Flasche Wein geleert war, schickte Carolin sich an zu gehen.
"Wie sieht es morgen abend aus? Gehen wir ins Kino?", fragte Gesa.
"Gerne. Lass uns noch mal telefonieren", antwortete Carolin, schon halb aus der Tür.
Die Arbeit am nächsten Morgen machte Gesa überhaupt keinen Spaß, zumal sie den Großteil wartend im Auto verbrachte. Die Zeiten waren schlecht. Der Benzinpreis war zu hoch, die Leute mussten sparen und der Konkurrenzdruck war mörderisch. Die staatlich geförderten Ich AGs konnten die alt eingesessenen Taxiunternehmen locker unterbieten. Das wirkte sich zwar nicht bei der Laufkundschaft aus, die vom Bahnhof ins Hotel oder zu einem Geschäftstermin mussten, aber die fest eingeplanten Termine wie Krankenfahrten, Schulabholungen und ähnliches hatten deutlich abgenommen. Den ICH AGs sei Dank.
Das Läuten des Handys holte Gesa aus ihren Gedanken.
"Hallo Süße, ich bin es, Carolin. Du, ich muss für heute abend absagen. Mir geht es nicht gut. Akuter Fall von PMS."
"Oje, du Arme. Dann wünsche ich Dir gute Besserung. Und Danke, dass Du mich vor Deiner üblen Laune bewahrst. Ich kenne Deine PMS Anfälle.", lästerte Gesa.
"Hey, wenn Du frech wirst, komme ich doch“, gab Carolin bissig zurück. „War nur ein Scherz. Ich kann wirklich nicht. Ich rufe Dich morgen an, ja?"
"Mach das. Tschüss", antwortete Gesa und legte auf.
Na wunderbar. Nichts mit Kino. Gesa beschloss ihre Schicht zu verlängern. Das Geld konnte sie mehr als gut gebrauchen und alleine ins Kino wollte sie sowieso nicht.
Der Tag zog sich wie Kaugummi. Kurz nach Mitternacht entschied Gesa, dass es jetzt reichte und erklärte ihre Schicht für beendet. Sie legte die Dire Straits CD ein und fuhr los. Es war ruhig auf den Straßen der Stadt, ganz anders als in der Rush Hour mittags um Fünf. Gesa genoss die Leere der Straßen und machte einen kleinen Umweg um noch ein bisschen Mark Knopfler und seinen Jungs lauschen zu können. Gerade verklungen die letzten Töne von „Your latest trick“, als sie eine Person um die Ecke schleichen sah. Carolin! Was machte sie um diese Uhrzeit auf der Straße? Warum war sie überhaupt draußen, obwohl sie den Abend daheim bleiben wollte? Wohin wollte sie?
"Da hat die Lust wohl über die PMS gesiegt", dachte Gesa und lächelte verschmitzt. Carolin war bestimmt auf dem Weg zu ihrem Lover, um sich noch eine nette Nacht zu gönnen. Gesa gab Gas und fuhr nach Hause um noch ein bisschen mit Mäxchen auf der Couch zu kuscheln.

***

Am nächsten Morgen klingelte in aller Herrgottsfrüh, so kam es Gesa vor, das Handy.
"Hallo und guten Morgen, meine Süße". Es war Carolin, gutgelaunt wie immer, wenn sie nicht gerade unter PMS litt. "Wie wäre es mit Frühstück im Cafe Journal?"
"Guten Morgen und ja. Gib mir ein Stunde, dann bin ich dort.", antwortete Gesa verschlafen und schaltete das Handy aus, um sich den Restschlaf wegzuduschen.
Eine Stunde später stellte sie ihr Taxi am Taxistand in der Nähe des Cafe Journal ab. Sie ging an den parkenden Autos vorbei, grüßte mit einem kurzen Winken ihre Kollegen. Manfred, ein Fahrer der Konkurrenz stand lässig an seinem Wagen gelehnt, eine Zigarette im Mundwinkel und las Zeitung.
"Na Manfred, alles im grünen Bereich?"
"Klar Gesa und bei Dir?", antwortete Manfred und sprach weiter ohne auf eine Antwort zu warten. "Haste schon gelesen? Gestern gabs wieder einen Taxi-Mord. Ich hoffe es hat nicht Norbert erwischt. Den habe ich heute noch gar nicht gesehen."
"Was? Schon wieder?" rief Gesa entsetzt. "Wann schnappen sie diesen Psychopaten endlich?"
„Noch immer keine heiße Spur, steht in der Zeitung. Hast Du auch immer schön deine Tränenkanone dabei, Kleines?"
"Aber sicher", sagte Gesa und klopfte auf ihre Jackentasche, in der sich das Pfefferspray befand. "Nie ohne. Aber pass Du auch auf Dich auf, großer Junge."
„Aber sicher doch.“, antwortete Manfred.
Gesa ging weiter zum Cafe.

***

Carolin saß schon vor einer großen Tasse Latte Machiatto und winkte, als sie Gesa bemerkte.
"Hallo, meine Süße. Hast Du gut geschlafen?", fragte Carolin.
"Bis Du angerufen hast schon.", antwortete Gesa, "und wie gehts Dir?"
"Super. Klasse. Wunderbar. Der Abend auf der Couch hat mir richtig gut getan."
"Du bist gar nicht mehr vor die Tür gestern?" Gesa versuchte nicht allzu überrascht zu wirken.
"Um Gottes Willen, nein. Du kennst doch meine PMS. Keine Chance unter Leute zu gehen."
Gesa war verwirrt. Das war mit Sicherheit Carolin, die sie gestern gesehen hatte. Warum log sie?
"War Mr. Perfekt gestern abend bei Dir?"
"Bist Du verrückt? Den will ich noch ein Weilchen behalten. Er muss ja nicht gleich zu Anfang wissen, wie bescheuert ich sein kann. Nö nö."
Sie log. Soviel stand fest. Ihre beste Freundin log sie an.

***

Einige Wochen später. Gesa hatte Spätschicht und schlummerte sanft in ihrem Wagen, als sie in der Dunkelheit eine Gestalt sah, die auf das Taxi ganz vorne in der Schlange zuging. Carolin. Eindeutig. Das Taxi fuhr los. Gesa drehte eilig den Zündschlüssel und verfolgte den anderen Wagen. Normalerweise rief Carolin sie direkt auf dem Handy an, wenn sie irgendwo hin musste.
Die Fahrt ging quer durch die Stadt und Gesa hatte mehr als einmal Probleme dahinter zu bleiben. Zwei knallorange Ampeln hatte sie schon überfahren, aber immerhin hatte sie Carolin noch nicht verloren. Plötzlich gingen in Gesa die Alarmglocken an. Diese Gegend kannte sie nur zu gut. Hier hatte sie gewohnt. Zusammen mit Achim. Ihr wurde ganz heiß. War der ominöse neue Lover Carolins etwa Achim? Nein, so etwas würde sie nicht machen. Oder doch.
Gesa fühlte, wie die Wut in ihr hoch kochte. Kein Wunder sagt sie mir nichts über ihren Neuen. Schließlich kenne ich den gut genug, dachte sie bei sich.
Aber ihre Wut war unbegründet. Der Wagen vor ihr fuhr an ihrer alten Wohnung vorbei ohne Anstalten zu machen, anzuhalten. Stattdessen setzte er seinen Weg in das nahe gelegene Industriegebiet fort.
Was will Carolin denn dort? Und um diese Zeit? Da ist doch kein Schwein mehr.
Das Taxi vor ihr bog ab in die von Fabrikhallen und Geschäftsgebäuden gesäumten Straße. In die vierte Straße bog es ab.
Mist, dachte Gesa. Eine Einbahnstraße. Da kann ich unmöglich hinterherfahren. Das wäre zu auffällig.
Sie fuhr weiter, hielt eine Kreuzung entfernt und schlich sich zu der Straße, in die Carolin mit dem Taxi eingebogen war. Sie drückte sich an die Wand und schielte um die Ecke. Plötzlich stand sie Gesicht an Gesicht mit einer Person.
"Gesa, was machst Du denn hier", fragte Carolin erstaunt.
"Ach, Du, nichts Besonderes", stammelte Gesa und wurde krebsrot. "Und selbst?"
"Ich, äh, ich hatte hier zu tun. Mein besonderer Kunde hat hier sein Büro. Du weißt schon. DER Kunde"
"Warum hast Du nicht Bescheid gesagt? Ich hätte Dich doch fahren können", antwortete Gesa und schielte um die Ecke. Unter einer Straßenlaterne stand das Taxi. Die Fahrertür stand offen. Im Schimmer der Laterne konnte man die Silhouette des Fahrers sehen, der vornüber aus der Tür hing, sein Blut tropfte auf den Asphalt.
"Mein Gott, was ist passiert?", schrie Gesa und schaute entgeistert zu Carolin.
"Ach Süße, ich weiß, dass Du es nicht magst, wenn ich Dir unter die Arme greife, aber manchmal muss ich es eben doch tun.", sagte Carolin mit einem mitleidigen Blick.
"Von was redest Du, um Gottes Willen. Der Mann ist tot!" Erst jetzt sah sie die blutverschmierten Hände Carolins.
"Ich weiß. Aber Du hast selbst gesagt, dass es zu viele Taxifahrer in der Stadt gibt. Aber es werden weniger, wie Du siehst. Bald hast Du wieder mehr Kundschaft, meine Süße."
Gesas Herz schlug wie wild. „Du hast ihn umgebracht? Bist Du wahnsinnig?"
"Der und die anderen waren doch reine ICH AGs. Die haben doch sowieso nur vom Staat gelebt. Nicht so wie Du, Süße. Und bald ist es wieder wie früher. Nur noch echte Taxifahrer und keine Möchtegerns."

***

Im Hintergrund hörte Gesa den Klang der Sirenen immer lauter anschwellen. Vor ihr lag Carolin, die Augen rot und voller Tränen. Gesa hatte ihr eine Ladung Pfefferspray verpasst, bevor sie die Polizei angerufen hatte.

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