Der Tod aus der Teekiste
Der Tod aus der Teekiste
"Viele Autoren können schreiben, aber nur wenige können originell schreiben. Wir präsentieren Ihnen die Stecknadeln aus dem Heuhaufen."
mehr ... ] [ Verlagsprogramm ]
 SIE SIND HIER:   HOME » MITMACH-PROJEKT » SCHREIBAUFGABE » Günter Krause IMPRESSUM
NEWSLETTER
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

Jetzt anmelden! ]

UNSERE TOP-SEITEN
1.) Literatur-News-Ticker
2.) Leselust
3.) Forum
4.) Mitmach-Projekt
5.) Schreib-Lust-News 6.) Ausschreibungen 7.) Wettbewerbs-Tipps
November 2004
Sinnlos durch die Nacht (?)
von Günter Krause

„Sind Sie frei?“
„Ja. Steigen Sie ein!“
Der Mann setzte sich auf den Beifahrersitz.
„Sie können losfahren!“, forderte er Gesa auf.
„Und wohin?“
„Egal!“, antwortete er kurz.
„Sie müssen mir schon sagen, wohin Sie wollen.“
„Fahren Sie einfach los!“, wiederholte der Mann.
„Na Sie sind gut, das hier ist ein Taxi und ich mache meinen Job bestimmt nicht aus Langeweile. Wenn Sie mich veräppeln wollen, steigen Sie bitte wieder aus!“ Gesa wurde aufbrausend.
„Schon gut, schon gut“, beschwichtigte der Mann neben ihr. Langsam schob er seine Hand in die Innentasche seines Mantels. Gesa zuckte zusammen. Sie bemerkte die Wölbung, die sich unter dem Kleidungsstück abzeichnete. Ihre Augen verfolgten gebannt die Bewegungen des Fremden. Panische Angst überkam sie, als sie sich ihrer Hilflosigkeit bewusst wurde.
Erleichtert atmete Gesa auf, als der Fremde eine Geldbörse herauszog und ihr einen 100.- Euroschein vor die Nase hielt.

„Genügt das fürs erste?“, fragte er mit süffisantem Lächeln.
Gesa nickte. Ihre Fantasie hatte ihr einen Streich gespielt. Sie las wohl doch zu viele Krimis. Sie steckte den Schein schnell in ihre Tasche, die beiden nächsten Stunden waren jedenfalls bezahlt.
. „Also kein bestimmtes Ziel?“, vergewisserte sie sich vorsichtshalber.
„Vielleicht ein wenig hinaus ins Grüne?“, witzelte der ungewöhnliche Fahrgast.
Gesa lachte. „Besser gesagt, hinein in die Dunkelheit, denn von dem Grün, werden Sie jetzt in der Nacht nicht viel sehen.“
„Dann mal los!“, sagte der Fremde und lehnte sich bequem in den Sitz zurück.
Gesa betätigte das Funkgerät und meldete sich für eine längere Fahrt bei der Zentrale ab, dann fuhr sie los. Ohne selbst zu wissen wohin.


„Sie denken jetzt bestimmt ich hab ´ne Macke, oder?“, sagte der Mann und schreckte Gesa aus ihren Gedanken auf.
„Zugegeben es ist nicht alltäglich, doch Sie sind bestimmt nicht der erste, der sich ziellos mit einem Taxi spazierenfahren läßt“, erwiderte Gesa diplomatisch.
„Glauben Sie mir, ich habe das auch noch nie zuvor gemacht. Doch mir fiel heute zuhause die Decke auf den Kopf. Ich musste einfach raus. Vor allem wollte ich nicht alleine sein.“
„Und da fällt Ihnen nichts Besseres ein, als sich im Taxi durch die Gegend chauffieren zu lassen?“ Gesa schüttelte ungläubig den Kopf. „Es gibt, doch so viele andere Möglichkeit um Menschen zu treffen, in die Kneipe gehen, in die Disco oder ins...“
Gesa verstummte. Es war wohl doch zu anzüglich ihrem Fahrgast zu sagen, er hätte auch ins Bordell gehen können.
„Oder?“, fragte der Mann nach.
„Was weiß ich, ins...“, stotterte Gesa. Warum fiel ihr jetzt bloß nichts ein.
„Sie wollen sagen, ich hätte ebenso in den Puff gehen können. Stimmts?“
„Es liegt mir fern, Ihnen so etwas vorzuschlagen, obwohl es diese Einrichtungen auch in unserer Stadt gibt. Ich dachte eher, ins Kino gehen oder ins Theater.“ Gesa atmete auf. Zum Glück hatte sie doch noch den rettenden Gedanken gehabt.
„Um ehrlich zu sein“, begann der Mann beschämt, „war ich schon versucht, dorthin zu gehen. Aber ich traue mich nicht.“
Gesa schwieg. Was sollte sie sagen? Sollte sie ihm Mut zusprechen zu einer Prostituierten zu gehen? Das konnte ja alles nicht wahr sein.
„Wissen Sie, seit mich meine Frau vor einem dreiviertel Jahr verlassen hat, hatte ich keinen sexuellen Kontakt mehr“, versuchte sich der Fremde zu rechtfertigen. Gesa blickte wortlos zu ihm hinüber. Verlegen hielt er die Augenlider gesenkt. Seine spontane Offenheit kam wohl selbst für ihn überraschend.
Natürlich hätte sie ihm sagen können, dass es ihr ähnlich erging, dass sie ihr Lebensgefährte vor Monaten verlassen hatte und sie sich ebenfalls nach Zärtlichkeit und Geborgenheit sehnte und das einzigste männliche Wesen in ihrem Leben zurzeit nur ihr Kater Mäxchen war. Doch sicherheitshalber sprach sie ihre Gedanken nicht aus.

Gesa musste sich anstrengen, um sich auf den Verkehr zu konzentrieren. Doch jetzt, kurz vor 23 Uhr, war zum Glück wenig los auf der Straße. Ausser ihr und ihrem eigenwilligen Fahrgast fuhr gewiss niemand freiwillig durch tristen Novembernieselregen und stockdunkle Nacht.

„Wenn ich in die Kneipe gegangen wäre, hätte ich vielleicht stundenlang alleine am Tresen gesessen ohne mit jemanden zu reden. Oder ich hätte mir das Gefasel eines Betrunkenen anhören müssen und wäre nachher noch frustrierter gewesen als zuvor. Nein, das war nicht was ich wollte. Es sollte schon eine niveauvolle Unterhaltung sein, die mir das Gefühl geben sollte, wenigsten ein paar Stunden nicht alleine zu sein. Irgendwie kam ich dann auf den Gedanken mit dem Taxi. Dass ich gerade ihren Wagen erwischte, war reine Glückssache.“

Gesa hatte seinen Ausführungen still zugehört. Es war alles nachvollziehbar für sie und das schreckliche Gefühl alleine zu sein kannte sie nur zu gut. Nachts, wenn sie der Frust überkam, setzte sie sich oft ans Fenster und beobachtete von dort aus das Treiben am gegenüber liegenden Bahnhof. So hatte sie schon viele Stunden zugebracht, bis sie die Müdigkeit einholte.
„Ich hoffe, ich kann ihnen ein wenig Ablenkung verschaffen“, sagte sie verständnisvoll.
„Verraten Sie mir ihren Namen?“, fragte der Fremde.
„Gesa, und Sie?“
„Ich heiße Rolf.“
„Haben Sie denn keine Freunde?“, wollte Gesa wissen.
„Ich bin erst nach der Trennung von meiner Frau umgezogen. Die alten Freunde sind alle zu weit weg um spontan mit ihnen was ausmachen zu können. Und in meiner neuen Umgebung muss ich erst noch richtig fuß fassen. Doch das ist alles nicht so einfach“, klagte Rolf.
„Das kann ich mir vorstellen,“ merkte Gesa an.

„Was machen Sie sonst, wenn Sie nicht Taxi fahren?“, interessierte sich Rolf nun. Gesa zögerte. Sollte sie ihm von ihrer Einsamkeit erzählen, von den quälenden Stunden alleine zu Hause? Noch immer befürchtete sie, Rolf könnte ihre Worte als Einladung auffassen, ihr näher zu kommen.
„Mein Beruf nimmt mich voll und ganz in Anspruch, da bleibt wenig Zeit für andere Dinge. Und Haushalt, Familie und Freunde wollen ja auch gepflegt werden“, erklärte sie ihm.
„Leidet ihr Mann nicht darunter, wenn Sie nächtelang mit dem Taxi unterwegs sind?“
„Ich habe ja nicht ständig Nachtschicht“, wich sie geschickt dieser Frage aus.

Je länger Gesa mit diesem fremden Mann durch die Einsamkeit der Nacht fuhr, umso mehr fand sie Gefallen daran, wenngleich sie immer noch einen Sinn darin suchte.

Irgendwann nach Mitternacht verspürten beide Hunger und Rolf lud Gesa zu einem Mitternachtsimbiss in eine Raststätte ein.

Im hellen Neonlicht konnte sie ihren ungewöhnlichen Fahrgast zum ersten Mal richtig betrachten. Sein Aussehen unterstrich den sympathischen Eindruck, den sie während der letzten Stunden von ihm gewonnen hatte. Seine Haare waren leicht meliert, sein Gesicht männlich markant. Sie schätzte ihn auf Mitte vierzig.
Gesa fühlte sich spürbar wohl in seiner Nähe und sie wünschte sich mit einem Male, er würde sie ganz fest in die Arme nehmen.

Auch Rolf begutachtete Gesa´s Gesicht. Immer wieder trafen sich ihre Blicke und verloren sich in einem verschüchterten Lächeln.

War dies der Sinn dieser nächtlichen Fahrt?, fragte sich Gesa, sollte sie sich hier und heute endlich wieder verlieben?

Doch es blieb bei diesem durchdringenden Lächeln und bei diesem wunderbaren Schmetterlingsgefühl im Bauch.
So sehr sie sich auch am Anfang der Fahrt, bemüht hatte, nicht zu viel von sich zu verraten, damit ihr Fahrgast nicht auf den Gedanken kommen sollte, ihr zu Nahe zu treten, so sehr wünschte sie sich jetzt, er würde den nächsten Schritt wagen.

Bis zuletzt hatte sie gehofft, Rolf würde sie nach ihrer Telefonnummer fragen und sie um ein Wiedersehen bitten. Aber nichts dergleichen geschah.
Zurück in der Stadt hieß er sie an einer bestimmten Stelle anhalten und bezahlte die immens hohe Taxirechnung. Er bedankte sich für die schöne Nacht, die er mit ihr verbringen durfte, dann schlug er leise die Türe zu und verschwand ohne sich umzublicken im Dunkeln.

Gesa sah ihrem ungewöhnlichen Fahrgast lange nach. Sie seufzte tief durch und fuhr zurück zur Taxizentrale. Immer wieder kreisten ihre Gedanken um die Ereignisse dieser nächtlichen Stunden. Wieso bezahlte dieser Mann ein kleines Vermögen für eine ziellose nächtliche Taxifahrt? Fragen über Fragen, die sie nicht beantworten konnte.

„Da bist du ja endlich, wir haben uns schon solche Sorgen um dich gemacht!“ Erleichtert schloss die Kollegin Gesa in ihre Arme. „Gott sei Dank ist dir nichts passiert!“
„Keine Sorge, er war ziemlich nett“, wollte Gesa ihre Kollegin beruhigen.
„Weißt du das denn noch gar nicht?“, die Kollegin sah Gesa erstaunt an.
„Was denn?“ Gesa spürte plötzlich, dass etwas Ungewöhnliches vorgefallen sein musste.
„Auf dem Platz, auf dem du gestanden hast, wurde ein Taxi entführt. Gleich nachdem du dich abgemeldet hattest, kam der Notruf der Polizei herein. Wir hatten alle Angst um dich und dachten du bist in Gefahr. Erst vor kurzem kam die erlösende Nachricht, dass das Taxi gefunden wurde. Der Fahrer musste ins Krankenhaus eingeliefert werden. Aber die Täter sind noch auf freiem Fuss!“

Nur langsam drang der Inhalt dieser schrecklichen Nachricht in Gesa´s Bewusstsein ein. Ein eiskalter Schauer durchzog ihren Körper. Ebenso gut hätte es ihr Taxi sein können, das entführt wurde, wenn nicht…

„Es hat wohl doch alles einen tieferen Sinn“, sagte Gesa leise und schickte ihrem „Schutzengel“ ein großes Dankeschön nach.

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
Dieser Text enthält 9567 Zeichen.

Druckversion

 LINKTIPPS: Naturwaren Diese Website wird unterstützt von:

www.mswaltrop.de
Copyright © 2006 - 2024 by Schreiblust-Verlag - Alle Rechte vorbehalten.