„Moin, Elsie, schon so früh bei der Arbeit?“
Ich schaltete die große Heckenschere aus und legte sie vorsichtig auf den Boden. „Moin, Frau Meier“, grüßte ich freundlich über den Zaun. „Das Gestrüpp muss dringend geschnitten werden. Man kommt kaum noch durch die Einfahrt. Dann muss ich noch den Rasen vertikulieren und Blumensamen ausbringen. Im Frühjahr gibt es im Garten viel zu tun.“
„Ja, ja, wem sagst du das, Elsie. Aber hat dein Mann keine Zeit, dir die groben Arbeiten abzunehmen? Geht es ihm gut? Übrigens, ich habe ihn schon lange nicht mehr gesehen.“
„Ich sehe ihn auch nur sehr selten. Aber Sie wissen doch, um diese Jahreszeit ist er entweder im Bastelkeller oder am See.“
„Baut er immer noch das Spielzeug für euren Sohn selbst?“
„Spielzeug?“ Ich war verwirrt.
„Diese kleinen Schiffchen. Er hat doch immer die Schiffchen für den Jungen gebaut.“
„Ach so, das Spielzeug meinen Sie.“ Ich lachte. „Nein, nein. Der Junge ist inzwischen schon achtzehn, der spielt jetzt mit ganz anderen Sachen.“ Ich bückte mich und hievte die elektrische Heckenschere wieder hoch.
„Dann will ich mal nicht länger stören, Elsie. Ich fahr mit Otto gleich nach Allermöhe zum See. Ein bisschen Spazierengehen tut gut. Das solltest du auch machen.“ Frau Meier winkte mir freundlich zu und verschwand eilig ins Nachbarhaus. Ich schaltete entschlossen den Motor an und mühte mich durch den Urwald.
Am späten Nachmittag hatte ich die Hecke geschafft und den Abfall in unzählige Müllsäcke verpackt. Mein Rücken schmerzte, Hände und Arme waren zerkratzt. Ich atmete tief durch und sah auf die Uhr. Oh, mein mich hoffentlich liebender Ehemann musste gleich auftauchen. Gut, dass ich gestern die Linsensuppe vorgekocht hatte, so brauchte ich sie nur warm zu machen. Dann noch schnell den Abwasch, die Wäsche bügeln und schon hatte ich Feierabend.
„Moin, moin Elsie!“ Frau Meier hastete über den Rasen zum Gartenzaun. „Ich weiß jetzt, wo dein Mann ist.“
„Entweder im Bastelkeller oder am See“, wiederholte ich lahm. Ich hatte jetzt keine Lust, über den Verbleib meines mich hoffentlich liebenden Ehemannes zu diskutieren.
„Weder - noch“, lachte sie triumphierend.
„Wieso? Er ist immer im Bastelkeller oder am See.“
„Er war im See.“
„Sagte ich doch, er ist am See.“
„Nein, er war im See. Otto hat ihn gerade rausgeholt.“
„Weshalb? Es ist doch noch viel zu kalt.“
„Das war so. Otto und ich gingen gerade am Ufer entlang. Da stand jemand mit einer Fernsteuerung und auf dem Wasser schwamm ein Schiffchen, wie dein Mann sie immer baut. Wir schauten zu. Plötzlich neigte sich das Bötchen zur Seite, der Mensch lief aufgeregt hin und her und schimpfte. Er legte das Gerät auf die Uferböschung und watete langsam ins Wasser. Ich sagte noch: Otto guck mal, das ist doch gefährlich, als er auch schon ausrutschte. Otto ergriff sofort meine Hand und zog mich mit zum Boothaus. ‚Wir müssen ihm helfen’, sagte er aufgeregt. Zum Glück hatte er den Schlüssel vom alten Schuppen mit, also ruderte er raus. Zurück brachte er deinen Mann und das kleines Bootswrack.“
Ich blickte sie mit offenem Mund an. „Und wo ist er jetzt?“
„Nu sitzt er im Bootshaus. Ich bin nur rasch nach Hause gefahren, um Ottos alten Lieferwagen zu holen. So nass und schmutzig konnten wir ihn nicht in unser neues Auto lassen.“ Frau Meier rannte zurück und ich hörte, wie sie mit dem knatternden Lieferwagen davonfuhr.
Erst jetzt wurde mir die gesamte Tragweite des Geschehens bewusst. Mein mich hoffentlich liebender Ehemann war in Lebensgefahr geraten und ich schnitt in aller Seelenruhe Hecken. Mein schlechtes Gewissen rüttelte an mir.
Eilig stellte ich die Säcke mit den Gartenabfällen in eine Ecke, hastete in die Wohnung und wärmte die Linsensuppe auf. Die würde ihm sicherlich gut tun. Hoffentlich hatte er sich nicht eine Lungenentzündung geholt. Ich war gerade dabei, vorsorglich einen Nieren- und Blasentee zu kochen, als ich auch schon die Haustür hörte.
„Ich bin abgesoffen“, sagte er nur. Mit quatschenden Gummistiefeln latschte er durch die geputzte Wohnung ins Badezimmer, bei jedem Schritt eine Pfütze hinterlassend.
„Ich lass dir heißes Badewasser ein.“ Eilig drehte ich den Wasserhahn auf. Ich rümpfte die Nase. Er stank wie ein vermodertes Schlammloch.
„Wo warst du denn?“
„Blöde Frage. Natürlich am See.“
„Und dein Boot?“
„Ist an einer Alge hängen geblieben und abgesoffen. Die ganze Winterarbeit war umsonst.“
Ich machte, dass die nassen Sachen in die Waschmaschine kamen. Mein sorgfältig geplanter Feierabend war dahin. Nachdem ich die Wohnung erneut geputzt hatte, füllte ich die Wärmflasche und brühte einen anständigen Grog auf. Nun wusste ich, dass es drei Möglichkeiten gab, wo sich mein mich hoffentlich liebender Ehemann aufhalten konnte: Er war entweder im Bastelkeller oder am See, wenn’s schlecht lief, aber auch im See. Auf jeden Fall würde es zukünftig besser sein, bei solchen Tätigkeiten am See zum eigenen Schutz immer eine Schwimmweste mit Leuchtraketen zu tragen. Nicht auszudenken, wenn Frau Meier mit ihrem Otto nicht gerade an diesem Tage spazieren gegangen wäre? Nicht auszudenken.
Inzwischen war es zehn Uhr abends. Ich streckte meine müden Füße aus, straffte den zerschundenen Rücken und cremte die unzähligen durch die Dornen der Hecke verursachten Kratzwunden ein. Aus dem Schlafzimmer vernahm ich ein Schnarchen. Endlich Feierabend.
Nicht ganz. Jedenfalls wurde ich mitten in der Nacht von einem Hustenanfall meines mich hoffentlich liebenden Ehemannes geweckt.
„Kannst du nicht leiser husten?“, fragte ich mürrisch. „Du schreckst die gesamte Straße auf.“
„Da sieht man mal wieder, wie viel Verständnis du hast. Ich sterbe gerade und du kümmerst dich um den Schlaf der Nachbarn.“ Ein erneuter Hustenanfall folgte, der den anderen noch übertraf. Ich zog mir die Bettdecke über den Kopf.
„Haben wir Hustensaft im Haus?“ Mein mich hoffentlich liebender Ehemann stöhnte erbarmungswürdig.
„Ich weiß nicht, da muss ich mal nachschauen. Hattest du den letzten verbraucht?“
„Ich? Wann hatte ich das letzte Mal einen Husten. Das muss mindestens zehn Jahre her sein.“ Er seufzte abgrundtief. Ich begann, mir ernsthafte Sorgen zu machen.
„Ich möchte dich daran erinnern, dass du im Herbst eine Erkältung hattest. Sonst war hier niemand krank. Ich schau aber mal nach.“ Ich machte die Nachttischleuchte an und tapste aus dem Bett.
„Musst du das Licht einschalten? Oh, mein Kopf!“
„Soll ich mir im Dunklen etwa die Knochen brechen? Erst letztens bin ich über deine Werkzeugkiste gestolpert, die du mitten in den Flur gestellt hattest. Vorgestern hast du Segel gebügelt und das heiße Bügeleisen auf dem Boden stehen lassen. Prompt bin ich mit meiner Strumpfhose daran gekommen, hin war sie und eine Brandnarbe habe ich auch. Und vorige Woche bin ich auf irgendeiner Folie ausgerutscht, die du zum Glätten ausgelegt hattest. Also mache ich lieber Licht und schaue vorher nach, was du diesmal für Fallen ausgelegt hast.“ Ich knipste die Deckenbeleuchtung an.
„Da sieht man es mal wieder: Du denkst nur an dich.“ Ein erneuter Hustenanfall folgte.
„Ich suche jetzt den Hustensaft.“ Eilig verließ ich das Schlafzimmer. Das war ja nicht auszuhalten. Ich kramte im Arzneischrank und kam mit einer Packung zurück.
„Hast du ihn gefunden?“, stöhnte mein mich hoffentlich liebender Ehemann.
„Hustensaft ist nicht mehr da. Ich habe Zäpfchen gegen Fieber und Erkältungskrankheiten gefunden.“
„Zäpfchen? Ich will aber Hustensaft. Außerdem habe ich keine Erkältung.“
„Es ist mitten in der Nacht. Und die Zäpfchen sind viel besser. Wenn du mich fragst, bist du schlicht und einfach erkältet. Kein Wunder, wenn du im März Boote ausprobierst und baden gehst.“
„Ich bin nicht erkältet. Es ist viel schlimmer. Ich habe bestimmt eine tödliche Lungenentzündung.“ Das Stöhnen erinnerte tatsächlich an ein letztes Röcheln.
„Willst du jetzt ein Zäpfchen oder nicht?“
„Ich habe Halsschmerzen. Soll ich die Dinger etwa schlucken?“ Er zog sich die Bettdecke bis zum Kinn.
„Soll ich dir das Zäpfchen verabreichen oder kannst du das selbst?“ Ich blieb abwartend vor seinem Bett stehen.
„Ich will kein Zäpfchen.“
„Ich lege dir die Packung auf den Nachttisch. Dann kannst du dir das überlegen. Ich jedenfalls will jetzt schlafen.“
Selbstverständlich konnte mein mich hoffentlich liebender und gerade im Sterben liegender Ehemann am nächsten Tag nicht arbeiten. Als ich aus dem Büro zurückkam, lag er jammernd im Bett.
„Na, was hat der Arzt gesagt?“
„Ich habe einen Bazillus.“ Theatralisch fasste er sich an die Stirn.
„Habe ich doch gesagt, du hast eine Erkältung.“
„Nein, es ist viel schlimmer. Es ist ein ganz seltener Bazillus.“
„Aha! Und was macht der?“
„Angina.“
„Die hat fast jedes Kind regelmäßig mindestens einmal pro Jahr. Zum Tropeninstitut haben sie dich aber nicht geschickt, oder?“
„Nein, das ging nicht. Ich war zu schwach. Und stell dir mal vor, ich hätte noch andere Menschen mit diesem seltenen Bazillus angesteckt.“
„Hast du Antibiotika bekommen?“
„Das Rezept liegt im Wohnzimmer. Kannst du zur Apotheke fahren?“
„Das hättest du doch sofort machen können, als du vom Arzt kamst. Die Apotheke liegt genau daneben.“
Ich schnappte mir das Rezept und fuhr zur Apotheke. Grinsend legte ich ihm anschließend das Päckchen auf dem Nachttisch.
„Was ist das?“
„Zäpfchen. Die gleichen, die ich dir heute Nacht schon hingelegt hatte. Gegen infektiöse Erkrankungen.“
„Ich habe keine infektiöse Erkrankung, ich habe einen Bazillus.“
„Ja sicher. Den seltenen Bazillus, den nur Modellsegler bekommen, die im März Boote ausprobieren und dabei baden gehen. Aber ich glaube, der überträgt sich nicht so leicht und trifft nur ganz wenige Menschen. Und tödlich ist er auch nicht.“
„Meinst du?“
„Ganz sicher. Und vielleicht solltest du jetzt die Woche Zwangsurlaub dazu benutzen, das abgesoffene Boot wieder flott zu bekommen, damit du zur Saison startklar bist und an den Wettbewerben teilnehmen kannst, ohne unterzugehen.“