Die Jungen mit den roten Trikots flitzten über das Eis, als wären sie mit Schlittschuhen an den Füßen auf die Welt gekommen. Einer bewegte sich rückwärts schneller, als die anderen vorwärts. Gekonnt drehte er zwischen den vielen Läufern seine Runden. Er mochte ungefähr so alt sein wie Annika, fünf oder sechs. Ich konnte gar nicht aufhören ihn zu beobachten.
„Papa, ich weiß, warum der das so gut kann“, sagte Annika, die sich an meiner Hand mühsam auf den Beinen hielt. „Schau mal auf das Trikot, er ist ein Eisbär.“
Nach der Pause kannte ich mein kleines Mädchen gar nicht wieder. Ungeduldig wartete Annika am Bandentor, bis endlich die Eismaschine an ihren Platz gefahren wurde und der Gong zur Freigabe der Eisfläche ertönte. So schnell sie konnte, bewegte sie sich auf die Gruppe der kleinen Kufenflitzer zu und redete eine Weile mit dem Jungen.
„Ich will auch ein Eisbär werden, wie Sven“, verkündete sie mir.
„Ja, ja“, sagte ich, „gucken wir mal.“
„Morgen gucken wir“, rief Annika, „sie trainieren immer donnerstags.“
„Gut, sagte ich, „gehen wir morgen Nachmittag wieder in die Eishalle.“
Vor dem Training stand Annika auf der Bank in der Kabine, ich vor ihr und half beim Ankleiden wie ein Knappe seinem Ritter. Langsam verschwand sie in Schwitzanzug, Strapsen, Knie- und Ellenbogenschoner, Stutzen, gepolsterter Hose, Brustpanzer und Trikot mit Eisbärenlogo. Dann kniete ich auf dem Boden, die Schlittschuhe mussten fest zugeschnürt werden, dafür hatte ich mir einen Schnürhaken angeschafft. Ich schob den blauen Helm mit Metallgitter auf ihren Kopf und streifte die riesigen Handschuhe über die kleinen Hände. Wie eine Comicfigur kam sie mir dann immer vor. Mit dem Schläger flitzte auf das Eis und schnappte sich einen Puck. Jedes Mal, wenn sie an mir vorbeisauste, warf sie mir einen strahlenden Blick zu.
Manchmal in dieser Knappenzeit wünschte ich mir zwar, sie hätte sich für Ballet entschieden, aber ich war auch stolz auf meinen kleinen Eisbären.
Während des Trainings saß ich oft mit den Müttern der anderen Kinder in der Pistenbar. Sie redeten von Tupperdosen, Tischdekoration und tauschten Backrezepten aus. Da musste ich meistens passen. Aber eines hatten wir gemeinsam, wir waren irgendwie eishockeyverrückt.
Eines Nachmittags sah ich durch die Scheibe der Pistenbar meine Tochter vom Eis rennen. Da war etwas nicht in Ordnung. Ich lief zu ihr in die Umkleidekabine. Sie saĂź auf der Bank und weinte hemmungslos.
„Was ist passiert? Hast du dir weg getan?“
„Nein, Sven hat sich wehgetan. Ich sollte Körper spielen und hab ihn gecheckt. Da ist er hingefallen und liegen geblieben“, schluchzte sie.
„Und was ist jetzt mit Sven?“, fragte ich und nahm sie in den Arm.
„Ist wieder aufgestanden und hat gesagt, das gibt Rache.“
Als die Jungen vom Eis kamen, hatte ich ihr schon beim Ablegen der AusrĂĽstung geholfen und wir waren zum Weggehen bereit.
„Beim Eishockey muss man immer einen platt machen“, schimpfte Sven, „das ist eben nichts für Weiber. Ist doch egal, wenn einer sich weh tut, der steht schon wieder auf.“
Annika drĂĽckte sich ganz fest an mich.
„Ich will kein Eisbär mehr sein.“
In den nächsten Wochen wollte Annika nicht zum Training, ich meldete sie aber nicht ab. In der ‚Eishockey News’ fand ich einen Artikel über ein Mädchen, das in ihrem Land Auswahlspielerin geworden war. Janas sportlicher Werdegang im Eishockey wurde beschrieben. Das las ich Annika vor. Sie war sehr interessiert.
„Jana war auch so klein wie ich, als sie anfing“, stellte sie fest.
Immer wieder wollte sie den Text hören und schaute die Fotos an, Jana als Bambini, in der Jugendmannschaft und in der Landesauswahl.
Zu Beginn der nächsten Saison holte sie den Schläger aus der Ecke und wollte wieder trainieren. Inzwischen war noch ein zweites Mädchen in der Mannschaft, sie spielten zusammen in der Verteidigung.
Im vergangenen Sommer habe ich meine Tochter in Toronto besucht. In der Hockey Hall of Fame haben wir die ersten kleinen Schlittschuhe von Wayne Gretzky bestaunt, the Greatest und Annikas Vorbild. Sie ist nämlich immer noch ein Eisbär. Bei den Ice Bears Mississauga spielt sie in der Verteidigung. Der kanadische Trainer ist sehr zufrieden mit ihr und sagt, sie sei ein ... Star.
(Ein paar EindrĂĽcke von der Hockey Hall of Fame in Toronto und ein Foto von Wayne Gretzkys ersten Schlittschuhen gibt es unter http://www.renatehupfeld.de/canada2000/20-7-2000-toronto-hockey-hall.html)
Renate@Hupfeld-Hamm.de
www.renatehupfeld.de
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