Honigfalter
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Dezember 2004
Piep! Piep! Piep!
von Anne Zeisig

Mein Eheweib Marlies, dieses stets agile alte Mädchen, war von ihrem Einkauf heimgekehrt und warf mir schwungvoll ein Päckchen und eine Tüte vor die Füße mit den Worten: „Für Dich!“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, gab mir ein Küsschen auf meine verdutzte Nasenspitze und holte tief Luft: „Zwei Jahre bist du nun schon Rentner. Du hast in dieser Zeit entrümpelt, tapeziert, renoviert und alte Bäume im Garten gefällt. Nun wird es Zeit, dass du endlich an dich denkst!“
Sie bückte sich und begann flink mit dem Auspacken. Dann hielt Marlies mir kurz ein Paar Turnschuhe vor die Augen und ließ sie auf den Boden fallen: „Anprobieren Heinz-Jürgen! Die sind mit aufgeschäumter Dämmsohle im vorderen Ballenbereich zur Abwehr abrupter Stöße und seitlich in Nähe des Knöchels befindet sich ein Sensor, der misst Deinen Puls. Dreiundvierzig müsste passen!“
Erstaunt musterte ich dieses schneeweiße Schuhwerk, an dessen Außenseiten eine sechzig und ein Pluszeichen in Neonorange prangte.
„Und das ist der passende Anzug dazu!“ Marlies hatte ihre Augen zusammengekniffen, hielt mir einen weißen Overall vor die Brust und flüsterte eher zu sich selbst: „Ix, Ix, Ix, El. Oh jeh. Die Größe braucht er sogar. Dein Bierbauch!“, rief sie, schaute mich vorwurfsvoll an, drehte diesen Anzug auf die Rückseite und hielt mir das Enblem entgegen: „Siehst du? Passend zu den Schuhen. Sechzig Plus! Ausgerüstet mit einer speziellen Klimamembrane. Die lässt den Schweiß raus, aber der Geruch bleibt drin.“ Erwartungsvoll stand Marlies mit roten Wangen vor mir.
„Und nun? Was sagst du dazu?“
Ich sagte erst einmal nichts und ging in die Küche, um mir ein Bier aus dem Kühlschrank zu nehmen. Was erwartete meine Gattin von mir? Dass ich diese Schuhe beim Unkraut jäten anziehen würde? Womöglich ertönte da ein Piepton und eine Computerstimme würde rufen: „Piep! Piep! Ihre Schuhe haben sie lieb! Da sich ihr Puls im Normbereich befindet, dürfen Sie noch weiter im Garten ackern!“ Weiße Schuhe im Garten! Und ein weißer Overall im Handwerkerkeller! Vor diesem Emblem in Neonorange „Sechzig plus“, da würden sich ja die Kellerasseln erschrecken. Marlies riss mir die Bierflasche aus der Hand: „Damit ist jetzt Schluss! In der Turnhalle des Jahn-Gymnasiums bietet der Sportverein `Agil Sechzig Plus´ einen seniorengerechten Kursus an. Und dort beginnt für dich heute Abend die erste Stunde von drei kostenlosen. Zum Schnuppern. Probetraining Hans-Jürgen! Denn wie ich ja bereits sagte. Es wird endlich Zeit, dass du an dich und deine Gesundheit denkst!“

. . .

Nun stand ich also mit meinen Pulsfrequenzschuhen und dem Anti-Transpiranz-Membranen-Anzug in der Turnhalle. Schlechte Erinnerungen an meine Schulsportzeiten schossen in mir hoch: Ich war nämlich immer der Letzte gewesen. Beim Laufen, beim Gehen, beim Knien, beim Stehen. Und ich war demzufolge auch stets der Letzte, den man in seiner Mannschaft haben wollte. Deshalb hatte mir damals auch der übersportliche Dieter die Kettenraucherin Marianne weggeschnappt. Dieter war inzwischen längst verwitwet.
„Irgendwann muss man ja wieder anfangen, was für die morschen Knochen zu tun, nicht wahr?“ Eine offenbar flotte `Plus-Sechzig-Dame´ im Tigerdessin-Outfit unterbrach meine düsteren Gedanken und plapperte fröhlich weiter: „Früher war ich Jugendmeisterin bei den Bundesjugendwettkämpfen!“
Nach dieser Offenbarung wandte ich den Blick einem weniger sportlichen Gegenüber zu. Einem korpulenten Grauesel in Retro-Shorts mit der Aufschrift: „Ich hasse bedruckte Shorts.“ Seinen Bierbauch verhüllte ein überdimensionales Shirt in Babyrosa.
Weiter hinten in der Ecke des Geräteraumes stand eine Gruppe mehr oder weniger Ergrauter. Offenbar langjährige Vereinsmitglieder. Ein paar Gesprächsfetzen drangen an mein Ohr: „Wenn der Heinrich bei der nächsten Jahreshauptsitzung wieder so einen Stuss von sich gibt, dann halte ich meinen Kopf nicht mehr für ihn hin. Mein Bier ist das dann wirklich nicht mehr!“
Bier! Mir lief das Wasser im Munde zusammen.
„Der und seine Alzheimer Seilschaften!“ Entrüstete sich ein Ein-Meter-Neunzig-Fettklos. „Der kriegt sein Fett auch noch ab!“

„Guten Abend Oldies! Ein junges Ding joggte in die Halle hinein, steckte den Stecker einer Musikanlage in die Steckdose, tippelte dabei auf der Stelle herum und übertönte die hämmernden Bässe der Musik: „Aerobic zum Aufwärmen! Ihr macht `s mir wie immer nach! Und! Los! Schrittgeh-Vorn-Rechts! Schrittgeh-Vorn-Links! Und die Arme schwingen mit! Schrittgeh-Seit-Rechts! Schrittgeh-Seit-Rechts! Und in die Hände klatschen! Schrittgeh-Seit-Links! Schrittgeh... ,“
Ihr enges T-Shirt mit Ausschnitt bis zum Bauchnabel gewährte mir tiefe Einblicke in die bewegte Weiblichkeit der jungen Frau, deren Brust der Schwerkraft folgend auf- und abwippte. Mir wurde heiß. Aber mein Overall transportierte ja den Schweiß nach außen. Kein Grund also zur Sorge.
Der Retroträger war noch beim Schrittgeh-Rechts, während ich wenigstens fast synchron mit der jungen Frau beim Linksdreher war. Die ehemalige Bundesjugendmeisterin hatte es sich inzwischen stöhnend auf dem Boden gemütlich gemacht: „Meniskusoperation an beiden Knien und später dann die Bandscheiben! Habe ich alles dem Sport zu verdanken!“, schrie sie gegen die Musik und Stimme der Trainerin an.
„Und-Seitgeh-Vorn! Und! Seitgeh-Vorn! Und! Ich! Be-Vorn! Grüße! Alle! Neuen! Vorn-Seit-Geh! Und! Aus!“
Mein Ehrgeiz war geweckt. Nun zeigte ich es der schlaffen Tigerjugendmeisterin, was in so einem Grauhengst wie mir steckte. Meine Schritte federten beim Seitgeh und Vorgeh über den Hallenboden. Mein Nackenhaar sträubte sich und wirbelte im Gegenwind meiner Aktivität. Und ich war überzeugt davon, gäbe es auf meinem Haupt auch noch Oberkopfhaar, es würde umherwirbeln angesichts der Geschwindigkeit meiner Turneinlagen. Dieser Sport ließ die Glückshormone in mir anschwellen! Ich ignorierte mein Hühnerauge und das Pfeifen im linken Innenohr passte sich hervorragend der Musik an. Und! Seitgeh! Drum! Drum! Drum! Die Bässe gingen mir ins Blut und von da direkt in die Beine. Dieser Beat! Drum! Drum! Dieses Feeling! La jeunesse ! Happyness ! For ever joung ! Und! Seitgeh…
“Heinz-Jür-gen!”
„Hei... !“
War ich gemeint? Ich hielt in meiner Bewegung inne.
Stille.
Um mich herum saßen alle auf dem Boden und lächelten amüsiert.
„Aus! Hatte ich gesagt, Heinz-Jürgen. Und das bedeutet, dass wir die Aufwärmphase beenden.“
Erschöpft setzte ich mich in meine Schweißlache.
„Der ist neu“, flüsterte die Dame, dessen Bier es nicht war, den Kopf hinzuhalten.
Tigerjugendmeisterin zupfte mich am Ärmel und wisperte: „Wenn mein Mann glaubt, dass ich hier noch mal teilnehme, dann irrt er aber gewaltig“, und zwinkerte mir mit dem linken Auge zu, „oder sind Sie etwa freiwillig hier?“
Ich strahlte sie wortlos an. Schuld daran waren offenbar die Glückshormone.
„Na wenn das so ist“, zwinkerte sie nun mit dem rechten Auge, „dann können wir nachher ja noch auf ein Glas Bier in die Kneipe nebenan gehen.“
„Ich komme mit!“ Zischte uns der Retroträger zu und wischte sich mit dem Saum seines rosa Shirts den Schweiß von der Stirn.
Und dann machte er uns ein verheißungsvolles Angebot: „Ich wohne hier gleich um die Ecke. Und in meinem Partykeller wartet noch ein Fass... gestatten, Erwin Linde, und seit ich Rentner bin, da tüftele ich im Keller an technischen Sachen und gönne mir zwischendurch ein Bier... „

. . .

„Du hast eine Bierfahne! Und außerdem kommst du viel zu spät heim!“
Marlies stellt eine Schüssel mit Salat auf den Küchentisch und kratzt sich an der Steilfalte über ihrer Nasenwurzel.
„Vereinstradition“, nuschele ich und stochere im Salat herum, „zur Begrüßung für die Neuen.“
Mein Graueselchen fährt sich mit der Hand durch `s Haar: „Hätte ich mir doch denken können. Auch da also diese Vereinsmeierei!“
Ich tunke eine Scheibe Brot in das Dressing und schweige.
Marlies gießt Tee ein: „Ist wohl doch nicht das Richtige für dich, so eine Turngruppe. Oder?“
Ich zucke mit den Schultern.
„Wir haben ja noch die seniorengerechten Fahrräder im Keller, Heinz-Jürgen, die mit dem tiefen Einstieg. Erinnerst du dich? Seniorenmesse in Castrop-Rauxel!” Meine Gattin verdreht die Augen: „Die Räder haben wir noch nicht einmal benutzt. Aber mindestens fünfzig Kilometer pro Tag müssten wir schaffen, Heinzi, sonst bringt das nichts. Außerdem hatte die Verkäuferin gesagt, dass diese Mikromembranen deiner Sportkleidung sich auch hervorragend für Out-Door eignen würde, aber da müsste ich mal im Lexikon nachsehen, was das für eine Sportart ist.“
Ich stehe auf und tippele in der Küche auf der Stelle herum. Zunächst langsam, um mich dann im Tempo zu steigern.
„Heinz-Jürgen! Was soll das! Setz dich hin und esse bitte in Ruhe den Salat!“
„Out-Door bedeutet“, hechele ich Marlies zu und trippele weiter auf der Stelle herum, „dass man die Kleidung auch draußen tragen kann.“
Und dann!
Endlich!
Meine Schuhe brechen ihr Schweigen!
Drei laute Pieper ertönen und bringen das Geschirr in unserer Küche zum Klirren.
Ich trampele nun wie wild auf dem Boden herum. Marlies hält sich die Ohren zu als eine Computerstimme ruft: „Piep! Piep! Piep! Wir Schuhe haben den Heinzi lieb! Seine Pulsfrequenz ist in gefährliche Höhen geschnellt! Ab sofort gilt es, jegliche Art von sportlicher Tätigkeit einzustellen. Hinlegen auf das Sofa! Beine hoch und den Fußballsender einschalten! Aber sofort! Das ist ein Befehl im Dienste der Gesundheit!“
Marlies schaut mit weit aufgerissenen Augen auf meine Schuhe und kein Ton kommt über ihre geöffneten Lippen.
Ich ziehe die Schuhe aus und lächele mein altes Mädchen an: „Der Pulsmesser, Marlies. Du erinnerst dich? Knöchelinnenseite.“ Ich gehe ins Wohnzimmer, schalte den Fußballsender ein und lege mich auf das Sofa.
Die zweite Halbzeit hat gerade begonnen.
Und bedanke mich in Gedanken bei Erwin Linde. Ehemals Hard- und Softwareexperte. Tüfftelt gerne mal hier und da oder dort herum, seit er Rentner ist. Der hatte im Nu meine Sportschuhe gedopt.
„Marlies!“, rufe ich in die Küche, „wenn du sowieso auf dem Weg ins Wohnzimmer bist, dann könntest du mir ein Bier mitbringen!“
Ich höre, wie es in der Küche gewaltig klirrt und scheppert.
„Tor! Tor!“ Was für ein Glück, dass ich kaum was von dem Spiel versäumt hatte.

„Heinz-Jürgen!“, höre ich Marlies schreien, „nun habe ich diese verdammten Schuhe vor Wut aus dem Küchenfenster geworfen, aber vergessen, es vorher zu öffnen.“
„Macht nichts. Ich habe noch Kitt und Glas im Keller– und einen schneeweißen Arbeitsoverall. Aber die Reparatur erledige ich erst, wenn das Fußballspiel vorbei ist.“

Anne Zeisig, Dezember 04.








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