Mainhattan Moments
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Susanne Ruitenberg und Julia Breitenöder haben Geschichten geschrieben, die alle etwas mit Frankfurt zu tun haben.
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Februar 2005
In freudiger Erwartung
von Anne Zeisig

Die Männer hatten ihre Gymnastikmatten im Halbkreis ausgelegt und blickten den Kursleiter erwartungsvoll an.
„`n Abend zusammen. Ich bin der Bruno und freue mich auf die Arbeit mit euch. Macht es euch auf den Matten bequem. Es ist für mich immer wieder aufregend, wenn ich Männer ein stückweit begleite, die in freudiger Erwartung sind. Wir werden Körper und Seele mit Atemübungen in Balance bringen, und kleine Sorgen und Nöte durch Gespräche beseitigen.“
Bruno lockerte den Gürtel seiner Lederhose und setzte sich im Schneidersitz der Männergruppe gegenüber: „Wenn ihr keine Fragen habt, dann würde ich vorschlagen, dass ihr euch der Reihe nach vorstellt. Wir beginnen links?“ Er zeigte auf einen beleibten Enddreißiger und nickte ihm aufmunternd zu.
„Tja, also, ich bin der Jürgen und wollte fragen, ob man jetzt hier bereits in der entsprechenden Kleidung erscheinen soll.“ Er zeigte auf Brunos Hose aus Büffelleder.
Der Kursleiter strich sich sein schulterlanges Haar aus dem Gesicht, fischte aus der Hosentasche ein Haargummi und band damit seine Mähne im Nacken zu einem Zopf: „Jürgen, und das gilt auch für alle anderen. Es ist natürlich vorteilhafter, wenn ihr euch früh genug an das Outfit gewöhnt. Ich will das mal an einem Beispiel verdeutlichen.“
Bruno stand auf, holte sich einen Hocker heran und setzte sich breitbeinig darauf: „Fällt euch was auf?“
„Die Buchse muss knackig eng ansitzen, damit dat echt sexy aussieht. Woll?“, meinte ein junger Mann, dessen Grinsen einige Zahnlücken zeigte.
„Dein Name?“
„Eddi. Eddi Schlawutke. Noch drei Monate und dann isset soweit bei mir.“ Sein Gesicht lief rot an. „Und ike bin sowat von aufgeregt. Morgens immer dat Gekotze. Wird Zeit, dattet endlich soweit is. Woll? Bin guter Hoffnung.“
„Das sind wir hier doch alle. Bei mir dauert `s noch zwei Monate“, flüsterte der korpulente Jürgen und seufzte, „aber ich habe mich noch nicht getraut, die entsprechende Kleidung zu kaufen, weil meine Frau ...“
Bruno erhob sich federnd aus dem Schneidersitz: „Männer! Regel Nummer Eins! Wir schaukeln das Kind auch ohne unsere Partnerin. Wir brauchen keine Frau, um durchstarten zu können.“ Er blickte kurz zu Jürgen. „Allerdings muss ich dir sagen, dass du noch einiges für deinen Körper tun solltest.“
Jürgen blickte schuldbewusst auf seinen Bierbauch und nickte: „Das hat meine Frau auch gesagt.“
Der Kursleiter griff hinter seinen Kopf und kontrollierte, ob das Haargummi noch fest saß. „Und Regel Nummer Zwei! Unser Bauch gehört uns! Ein ordentliches Fitnessprogramm kann ihn wieder zu dem machen, was er mal war.“
„Waschbrettbauch!“, riefen mehrere Kursteilnehmer. Bruno erhob den Zeigefinger. „Aber Fitness in Maßen, Männer!“ Er reckte den Kopf hoch, schob sein Kinn vor und kniff die Augen zusammen: „Und dass ihr aus gesundheitlichen und finanziellen Gründen die Glimmstängel aus der Lunge und den Alk aus der Leber raus lasst, das setze ich als Selbstverständlichkeit voraus!“
Ein Nicken und Raunen ging durch die Runde: „Der Sprit wird eh immer teurer.“
„Blasen auch.“
„Zum Paffen brauchste sowieso zwei freie Hände.“
Bruno mahnte zur Ruhe. „Denn das kann ich immer wieder von Kurs zu Kurs wiederholen, wie wichtig eine gesunde Lebensführung ist. Gerade jetzt, wo ihr so eine sensible Lebensphase erlebt, bietet sich die Chance zum Umdenken an. Schließlich wollt ihr euer zukünftiges Leben doch mit Freude und Spaß genießen!“
Es folgten einige Zwischenrufe:
„Ich leide seit einigen Wochen unter Schlaflosigkeit.“
„Mir wurde Bluthochdruck diagnostiziert. Soll nicht mehr fünf Liter Kaffee im Büro trinken. Nur noch fünf Tassen.“
„Ich bin, je länger es dauert, kribbelig und wibbelig, jetzt, so im letzten Drittel.“
„Frühjahr! Da spielen die Hormone sowieso auch von der Natur her verrückt!“
„Und ich bin von Natur aus eher der harte Typ, aber seit einiger Zeit, also, da bin ich so was von nah am Wasser gebaut!“
Bruno hob beschwichtigend die Arme: „Männer, ich weiß. Aber ihr müsst euch keine Sorgen machen, denn das ist alles total normal! Einige von euch werden zur Zeit Konzentrationsstörungen haben, was sich negativ auf den Beruf auswirken kann. Wohl dem, der eine verständnisvolle Chefin hat!“
„Meene isset“, meldete sich Eddi, „die steht da voll hinter mich.“
Ein Schluchzen ließ die Köpfe der Männer nach rechts schnellen. Dort saß zusammengekauert ein zierlicher Jüngling auf einer grünen Matte und trocknete seine Tränen mit einem Stofftaschentuch: „Ich bin der Sven“, hauchte er. „Seit meine Lebensteilzeitgefährtin davon erfahren hat, ist sie ausgezogen. Sie meinte, in der heutigen Zeit wäre es verantwortungslos, weil, man sehe sich die Klimaveränderungen an und die Russpartikel, welche ungehindert in die Lungen gelangen. Besonders bei Kindern, weil deren Lungenkapazität ... “ Sven schnäuzte laut ins Taschentuch. Eddi hielt ihm ein Papiertaschentuch entgegen, welches er kopfschüttelnd ablehnte: „Bestimmt nicht chlorfrei gebl... “
Bruno wandte den Blick nach oben, breitete die Arme aus und riss sie empor: „Dazu kann ich nur sagen, dass die Menschheit, und wir Männer sind Menschen, immer das Bestreben nach Entwicklung, Fortkommen und Selbstverwirklichung hatten.“ Er senkte den Kopf und überkreuzte die Arme vor der Brust: „Fast, als würden wir dadurch so was wie Unsterblichkeit erlangen.“
„Aber meine Lebensteilzeit... sagte neulich, dass ... “
Der Kursleiter vergrub die Hände in den Hosentaschen: „Sven! Ich verweise auf Regel Nummer Eins! Zieh dein Ding durch! Notfalls alleine. Du schaffst das.“
„Und watte is nu mit die Lederhose bei dat Sitzen aufm Schemel?“
„Hm. Wo war ich stehen geblieben?“ Bruno kontrollierte abermals den Sitz seines Haarzopfes. „Ach ja.“ Er setzte sich wieder breitbeinig auf den Hocker. „Ich wollte euch zeigen, dass die Lederhose wegen der Aerodynamik eng anliegen soll, aber dennoch in der typischen Sitzhaltung eine gewisse Beinfreiheit gewährleistet sein muss. Es darf nämlich zu keinen Durchblutungsstörungen kommen bei längeren ... “ Bruno schnappte nach Luft.
„Vor allem soll mein bestet Stück genuch Blut kriegen! Woll?“, unterbrach Eddi den Kursleiter und griff sich in den Schritt. Wieder legte sein Grinsen die Zahnlücken frei.
Bruno zog seine Mundwinkel nach unten: „Dein bestes Stück macht dir Sorgen?“ Er stand auf und ging um die Männer herum, welche immer noch auf den Matten saßen: „Es wird Zeit, dass ich aus dem Werkzeugkasten plaudere, Männer. Und ich weiß, wovon ich rede. Ich habe drei! Jawohl, ich habe drei, um die ich mich kümmere. Und da bist du so was von beschäftigt, da ist keine Zeit für Sexspielchen oder ähnliches. Jede von den Dreien muss raus und sich den Wind um die ... Ja, ich habe sogar schon Männer erlebt, da ist die Beziehung in die Brüche gegangen, weil die Partnerin kein Verständnis dafür aufgebracht hat!“ Er atmete tief durch, setzte sich auf seine Matte, sah Eddi an und zischte: „Dein Leben wird nie mehr wieder so sein, wie es vorher war. Deine Partnerschaft könnte darunter leiden. Deine Frau könnte sogar eifersüchtig sein, weil du dich zeitlich nicht in zwei Stücke reißen kannst! Und dann womöglich noch die doppelte Dreifachbelastung, wenn du Beruf und Privates unter einen Helm kriegen musst!“
Betretenes Schweigen. Nur Svens Schluckauf war zu hören. Der nahm jetzt doch dankbar das Papiertaschentuch von Eddi an.

Jürgen kniete sich zu Bruno auf die Matte: „Du hast drei? Und deine Partnerin hat sich aus dem Staub gemacht?“
Bruno nickte und ein leichtes Lächeln zauberte lustige Lachfalten um seine Augen: „Gegangen ist sie aber erst nach der Dritten.“
„Aber warum mussten es denn sofort Drei sein?“, fragte Jürgen und schüttelte verständnislos den Kopf.
„Dummi! Er wird nicht alle Drei gleichzeitig bekommen haben!“, erklärte Sven.
„Ike kenne aber eenen, der hatte flinke dreie sofort ... “
„Naja. Is doch den Bruno seine Sache, wenn er ohne Frau klarkommt“, meinte ein anderer Teilnehmer, „ein Mann muss schließlich Prioritäten setzen!“
„Und wer putzt und poliert dann die ... “
„Ruhe!“, rief Bruno.
„Genau! Fangen wir endlich mit den Atemübungen an.“

Kursleiter Bruno stand auf und entfernte das Haargummi. Weich fiel sein blondes Haar über breiten Schultern: „Männer! Hoch von den Matten! Wir machen nun die ersten Entspannungsübungen: Langsam einatmen. Und langsam wieder aus... Wir schaffen uns ein Bild vor dem inneren Auge. Sven, du beginnst.“
„Ich sehe Kurven! Unendliche Kurven, welche sich vor einer Gebirgskulisse durch die Landschaft winden. Hinter mir wird nichts mehr sein und das, was mir vorne begegnen wird, da werde ich nicht mehr rechtzeitig reagieren können.“ Flüsterte Sven und schloss mit einem Ratsch den Reißverschluss seiner Lederkombination.
„... und Ausatmen. Wir spüren in uns hinein und ... oh. Nun ist der Jürgen dran.“
„Ich spüre sie heiß zwischen meinen Schenkeln und die Sonne brennt erbarmungslos auf uns nieder. Riesige Staubfahnen und dieser normale Wahnsinn raubt mir die Luft zum Atmen.“
„Einatmen! Sofort tief einatmen! Ja! Ja, so ist es gut. Ja, ja, ja. Und nun stoßweise hecheln. Ha, ha, ha, ha, ja, jaaaaa! Wir schmecken und wir riechen uns. Eddi? Magst du nun … ?“
„Hat vielleicht eener für unsereiner saure Gurken aus `m Spreewald dabei für die Gelüste? Woll? Und lässt ma davon kosten und schnuppern?“
Bruno räusperte sich kurz: „Wir atmen tief ein und saugen das Aroma des Leders in uns. Die Luft ist schwanger von Moschus und Opium. Diese androgyne Düfte sind es, die uns erfüllen. Oh Herr, wir sind es nicht würdig, aber sage nur ein Wort und ... “
„Dat Gaspedal durchgedrückt mitten Fuß aus Blei in ... “
„Eddi!“, schrie Bruno, „so geht das nicht!“
„Zweihundert aufm Tacho, da atmet keener mehr, ... “
„Eddi! Schluss!“
Der hob beschwichtigend die Arme: „Lass ma jut sein, Bruno, da sind de Gäule mit mich durchge... “
Bruno schloss die Augen: „Und nun hecheln wir, Männer! Ja! Ja. Ja, ja, ja. Guuut. Oh! Das ist guuuut!“
„Brumm, brumm, brumm, brumm, brumm, ...“
„Eddi!“
Eddi setzte sich auf seine Matte, zog einen Schmollmund und sagte noch einmal leise: „Brumm.“
Auch die anderen Teilnehmer nahmen platz. Einige schüttelten verständnislos den Kopf.
„Ich denke“, der Kursleiter band sich wieder im Nacken einen Zopf, „für heute sollte es genug sein.“ Er schaute auf seine Armbanduhr.
Jürgen zog sich seine Strickjacke über das Hemd: „Aber du solltest uns noch kurz von deinen dreien erzählen, Bruno. Bitte! Damit wir wissen, wie es sein wird, wenn ...“
Der Kursleiter griff in die Innentasche seiner Lederjacke und zog ein Foto hervor: „Das sind meine Babys, meine Schätzchen, meine, ach“, er atmete tief durch, „sie sind mein Lebensinhalt! Wir vier kommen ohne Frau zurecht!“ Er schob stolz seine Brust nach vorne: „Zuerst bekam ich die Ducati, ein Jahr später die Agusta und seit kurzem die Aprilia. Männer! Dazu kann ich nur eines sagen: Kupplung ziehen, Gang rein, Gas auf. Und dabei gilt, dass unter fünftausend Umdrehungen in der Minute fast nichts geht. Am besten, man dreht die Brause gleich richtig auf. Dann dreht sie gierig, vibriert nur mäßig und haucht dir eine eher melancholische Zweitakt-Ballade aus dem Edelstahl-Endschalldämpfer.“
„`ne Agusta hat er auch. So ein exklusives Sportmotorrad“, flüsterte Sven, “kostet immerhin knappe zwanzigtausend Euro.“
„Meine Kawasaki kommt in zwei Monaten“, jubelte Jürgen und umarmte Bruno, „eine ZX-6-RR. `ne limitierte Serie. Eine klasse Maschine für super Sportrennen.“ Er stand auf, kniete sich vor Eddi nieder und umarmte auch ihn. “Ich werde die Zeit bis zur Auslieferung nutzen und mich sportlich betätigen, um in der Lederkluft `ne gute Figur zu machen. Und dann! Rallye Dakar! Heißer Wüstensand!“
„Bald schon werde ich meine BMW unter dem Gesäß spüren und die kurvigen Gebirgsstraßen erklimmen, bis ihre chromblitzende Karosserie heiß unter dem Sound ...“
„Vergeht dat mit die Übelkeit nache Auslieferung meener Yamaha?“
„Eddi! Weniger Spreewaldgurken essen, und ruhig einatmen und aus...“
„Brumm, brumm. Brumm.“
„Oh! Ja! Das tut soo gut!“

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