'paar Schoten - Geschichten aus'm Pott
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Februar 2005
Sie sind was sie sind ...
von Marcel Nebeling

Manchmal mag ich gar nicht hier sitzen und dies alles nieder schreiben. Viel lieber wäre ich in einer dunklen Höhle, allein und könnte dem Regen in meinem Herzen lauschen. Ich hab gesehen, was Männer sein können, ich weiß was ich bin und ich weiß wo es enden wird. Wir bringen nur Verdammnis in dieser Welt und wenn es nicht der Tod ist, der unsere Opfer ereilt, so doch die seelische Gewalt.

Jeden Tag sitze ich in dem kleinen Cafe an der Hauptstrasse, vor mir das erste Glas Bier an diesem Morgen und ich bin mir gewiss, heute Nacht werde ich wieder nicht schlafen können. Aber als ich an der Zimmerwand lauschte, als ich die Schreie der Frau hörte, kam alles wieder. Ich kann es nicht verleugnen, ich bin nicht besser als dieses Scheusal, mein Nachbar, der seine Frau terrorisiert. Ich kann nicht mich davon freisprechen, ich habe Blut an meinen Händen auch wenn es nicht das einer Frau war. Aber ich habe es nicht getan, ich habe es gewollt und da ist ein Unterschied. Wenn man einfach was tut, denkt man nicht drüber nach, wenn man es will, hat man die Entscheidung mit allen Sinnen getroffen. Wille ist ein verfluchter Wesenszug.

Der Wille, den wollte er mir damals brechen, mein lieber Herr Vater. Ein Mann, wie man nur sich einen vorstellen kann. Täglich in der alten Garage werkelte er an den Lastwagen, Traktoren und anderem Gefährt und kam er dann nach Hause, war die Hölle los. Aber bin ich besser, bin ich so geworden, wie ich wollte. Ich wollte kein Mann sein, ich wollte kein Vater sein. Väter schlagen ihre Frauen, ihre Kinder und schmeißen mit Stühlen nach dir. Väter nehmen den Schraubenzier und ritzen vor Wut in deine Haut, sie nehmen Boxhandschuhe, aus Spaß, bis es nur noch schmerzen tut, schlagen sie, und lachen. Das Lachen war das Schlimmste. Schon damals schrieb ich wild Worte runter, während die Tränen über die Wangen rannen. Auch jetzt ist es wieder so, denn ich weiß, heute Morgen, musste sie gehen. Ich habe die Polizei gerufen, aber sie werden es, wie immer, nicht verstehen.

Maggy kommt zu mir an den Tisch. In ihren Augen das gleiche Seelenspiel, wie damals bei meiner Mutter. Aber wieso kann ich es immer sehen, wieso erkenne ich all diese geschundenen Seelen? Wenn ich in den Fernseher sehe, weiß ich, welche Frau geschlagen wurde, welcher Mann sich an einem Jung Kind vergeht und trotz diesem Ekel, trotz der Wut in meinem Bauch, schaffe ich es nicht, ich kann nicht für sie kämpfen, sie nicht retten.

So auch letzte Nacht. Zuerst wieder diese endlosen Worte, diese verbalen Peitschenhiebe. Es spielte keine Rolle worum es ging, das war nicht der Lauf der Dinge, es ging darum, dass er sich an ihr auslassen konnte, ihr zeigen konnte, dass er der Mann war. Ich lag in meinem Zimmer, starrte an die Decke und konnte ihre Augen sehen, wie sie zu großen Monden wurden, in Erwartung des ersten, harten Schlages, mitten ins Gesicht. Ich konnte sie hören, ihre Sorgen, wie sie am nächsten tag in der Arbeit die blauen Flecken erklären sollte. Man belächelte ihre Ausreden nur und sie wusste das. Ich sah ihr schwarzes Haar, wie es in einer wilden Fontaine gegen die Wand spritzte, als er sie gegen diese schuppste und dann hörte ich ihr Wimmern, als der Schmerz durch ihren Körper brannte.

„Edgar, warum sitzt du immer hier und schreibst und niemand liest ein Buch von dir?“, fragt Maggy wieder. Das macht sie so etwa einmal im Monat. Sie will wissen was ich schreibe. Ich sage es wird ein Roman, aber sie glaubt mir schon lange nicht mehr. Sie lächelt mich an und greift nach meiner Hand mit dem Füller. Sie streichelt mich. Ihre Augen, sie sehen, in den meinen all die Trauer und sie erschreckt. Ich kann es nicht mehr verbergen, ich bin am Ende. Ich habe genug, ich bin verloren. Ich bin ein Mann und ich will keiner mehr sein, wenn es heißt, zu Schlagen, zu Treten, zu Grabschen, mit Schmerzen Lächeln und Schönheit zu zerreißen.

„Was schreibst du denn nun wirklich?“, fragt sie auf einmal. Ich weiche ihrem Blick aus.

„Krimi“, sage ich und lass den Füllfederhalter auf dem Tisch rollen, bis er gegen das Glas schlägt. Ich fingere eine Zigarette aus der Winston-Schachtel und sie gibt mir Feuer. Schließlich, zieht sie das Buch weg. Ihre Augen werden immer größer, so wie die der Frau, als er ihr das Nasnebein brach und sie fast ohnmächtig ist. Er habe ihr doch gesagt, sie solle nicht solche Schundromane lesen. Sie sei ein dummes Flitchen. Als er sie gegen den Schrank mit den Gläsern schupst, das Glas zerspritzt, ihre Haut zerrizt, sagt sie zum ersten Mal was. Es ist nur ein Wort, doch ich kenne es so gut: „Warum?“ Ich weiß, darauf findet man keine Antwort.

Maggy lässt das Buch liegen, um wenig später zwei Gläser Whiskey an den Tisch zu bringen. Ihres leert sie in einem Schluck. Sie schaut mich an, schüttelt den Kopf. Nach einer Weile meint sie: „Über mich und Joe weißt du auch?“

Ich will ihr es nicht sagen, doch sie kann es ja lesen… Ich nicke langsam.

„Warum?“, fragt sie.

„Was?“

„Wieso hast du nie was gesagt, nie was getan?“ Ich zucke mit den Achseln. Was sollte ich tun? Polizisten waren auch Männer und auch sie schlugen ihre Frauen, Politiker genauso, es war egal, was für eine Rolle sie gerade spielten, es gab sie überall.

„Mein Vater… er hat… meine Mutter…“

„Aber ich dachte es war ein Autounfall?“

„Das sollten auch alle denken!“, schrie ich. Es nahm einer Notiz davon, denn um diese Zeit war ich der einzige Gast hier.

Als sie wieder vorblättert, erkläre ich: „Ich hab die Polizei gerufen. Aber es wird nichts mehr helfen. Es ist vorbei.“

Sie nickte.

„Edgar, wieso nimmst du nicht den Bus und verschwindest. Mit mir, jetzt… Wenn du es nicht tust, wirst du hier sterben. Du bist nicht wie solche Bestien, solche Männer… Du bist gut.“ Was wusste sie?

„Nein, ich habe genauso geschlagen, habe es genossen. Haben meinen Alten die Knochen zertrümmert, damals. Es muss doch jeder wissen, gib es zu…?“

Sie nickte. „Ja, das mag sein. Aber es war gerecht.“

„Gewalt ist niemals gerecht… Sie erzeugt nur neue. Aber diese Welt ist eh ein wilder Kreislauf, der immer schneller wird, immer mehr von Gewalt bestimmt wird“

„Jetzt klingst du wie ein Poet.“, lächelte sie.

Ich zog an meiner Zigarette. „Na ich sagte doch, ich schreibe…“

Wir lachten. Aber es waren nur diese Momente die zählten, die mir fehlten.

Maggy ging später nach Hause, zu ihrem Mann. Ich am Abend in mein Zimmer. Die Polizei hatte die Wohnung abgesperrt. Mord, hieß es. Und ich wusste, es würde heißen Mord im Affekt. Denn Männer, solche, sie haben keinen Willen, sie tun nur, was sie tun, denn sie sind, was sie sind.

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