Der himmelblaue Schmengeling
Der himmelblaue Schmengeling
Glück ist für jeden etwas anderes. Unter der Herausgeberschaft von Katharina Joanowitsch versuchen unsere Autoren 33 Annäherungen an diesen schwierigen Begriff.
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Februar 2005
Aufs Äußerste
von Michael Haas

Sie preßte ihre Schenkel zusammen, als seine Hand den Weg unter ihren Slip suchte. Sie konnte und wollte seine Berührungen nicht mehr ertragen. Es war zu Ende. Das, was einmal ihre Beziehung gewesen war, hatte sich in einen Alptraum verwandelt. Erst gestern noch hatte er sie geschlagen, und das nur, weil sie ihm widersprochen hatte. Hatte sie kein Recht auf eine eigene Meinung?
Seine Hand zwängte sich vorwärts, suchte den Weg zwischen ihre Schenkel. Ihr wurde schlecht, er ekelte sie an. Interessierte es ihn überhaupt nicht, was sie empfand? Ging es nur darum, daß er befriedigt war? Sie wußte schließlich wie es ablief. Er würde kurz zwischen ihren Beinen spielen, aber schnell die Lust daran verlieren, dann würde er sich auf ihr abmühen, bis er in einem letzten Stöhnen von ihr herunter glitt, sich von ihr abwandte und sofort einschlief. Was sie dabei empfand, schien ihn nicht zu interessieren. Im Grunde konnte sie während dessen ihre Nägel feilen, es würde ihm vermutlich nicht auffallen.
“Bitte Benjamin, ich möchte nicht, nicht so! Oder bin ich für dich nur noch ein Befriedigungsautomat?”, sagte sie in die Stille ihres Schlafzimmers, das ihr mit einem Mal so fremd vorkam.
“Stell dich nicht so an, Bianca, sonst willst du es doch auch.”, sagte er scharf und preßt ihre Schenkel mit Gewalt auseinander. Sie verspürte einen tiefen Schmerz, als er seinen Finger tief in sie schob und aus einem Reflex heraus ergriff sie die Hand und stemmte sie von sich.
Sie mußte weg, jede Sekunde länger in diesem Bett würde den Ekel, der in ihr aufstieg, noch verstärken. Ruckartig stemmte sie sich hoch, um aufzustehen, doch seine Hand legte sich auf ihre Schulter und preßte sie wieder zurück.
„Laß mich, ich will nicht, verstehst du das?“, schrie sie.
Einen kurzen Augenblick sah er sie verwirrt an. Es war nicht oft vorgekommen, daß sie sich ihm widersetzte.
Zorn stieg in ihm auf, sie konnte es in seinen Augen sehen und er war wieder kurz davor, sie zu schlagen, seine Hand zuckte nervös. Doch irgend etwas schien ihn davon abzuhalten.
Er zerrte nun an ihrem Slip, riß ihn mit Gewalt hinunter und sie hörte den Stoff reißen. Dann war er über ihr. Sie wußte nicht, warum sie sich nicht weiter wehrte, vielleicht war es die Angst, doch noch geschlagen zu werden.
Unbarmherzig drang er in sie ein. Ein heftiger Schmerz durchzuckte ihren Unterleib. Am liebsten hätte sie aufgeschrien, doch sie unterdrückte das Bedürfnis, schloß die feuchten Augen und wandte den Kopf zur Seite.
Die Schmerzen in ihrem Unterleib wurden unerträglich, als er wild in sie stieß. Mit irrem Blick, die Augen verdreht, nahm er sie überhaupt nicht mehr wahr. Wieso sie ihn plötzlich anstarrte, konnte sie sich nicht erklären, aber es löste blankes Entsetzen in ihr aus. Plötzlich konnte sie nicht mehr widerspruchslos hinnehmen. Haß wallte mit solcher Wucht in ihr auf, daß sie ihre Hand unter ihn schob, seine Hoden zu fassen bekam und blitzschnell und mit aller Kraft zudrückte.
Sein Körper sackte zusammen und er presste einen kurzen Schrei hervor. Dann glitt er von ihr und wand sich unter Schmerzen neben ihr. Sofort ergriff sie ihre Chance, sprang auf und rannte aus dem Zimmer.
Auf dem Flur war es ihr, als erwache sie aus einem bösen Traum. Sie begann am ganzen Körper zu zittern und ihr Atem ging rasend schnell. Der Gedanke daran, welchen Zorn sie mit ihrer Aktion auf sich gezogen hatte, stürzte über sie herein, daß sie sich ängstlich umsah. Jeden Moment konnte er sich erholt haben und sie mochte sich nicht ausmalen, was er dann mit ihr anstellen würde. Ihr mußte irgend etwas einfallen, wie sie sich dem entziehen konnte. Nur mit ihrem kurzen T-Shirt bekleidet konnte sie das Haus unmöglich verlassen. Etwas zum Anziehen war aber im Schlafzimmer und dorthin konnte sie nicht zurück.
Aus dem Schlafzimmer drangen Geräusche. Erst ein tiefes Seufzen, dann hörte sie seine Stimme, wie er gepresst fluchte. Satzfragmente drangen an ihr Ohr und das, was sie sich daraus zusammen reimte, ließ Panik in ihr aufsteigen. Er kochte vor Zorn und unter keinen Umständen wollte sie sich diesem Zorn aussetzen. Das bedeutete aber, daß sie so schnell es eben ging, das Haus verlassen mußte. Wie ein gehetztes Tier suchte sie nach einer Lösung. Plötzlich kam ihr der Gedanke an den Wäschekorb im Badezimmer. Dort hinein hatte sie vorhin ihre schmutzige Wäsche gestopft. Vorsichtig schlich sie ins Bad.
Sie streifte die Hose gerade über, als sie das Poltern hörte. Das konnte nur das kleine Tischchen neben ihrem Bett gewesen sein, das er umgeschmissen hatte. Es bedeutete aber auch, daß er nicht mehr wehrlos auf dem Bett lag und ...
„Du verdammte Schlampe, wenn ich dich in die Finger bekomme, bring ich dich um.“, dröhnte seine Stimme plötzlich durchs Haus und hallte in dem gekachelten Badezimmer unnatürlich wider. Eiskalt lief es ihr den Rücken herunter.
Gehetzt sah sie sich um. Es gab keine Möglichkeit sich zu verstecken und noch weniger irgendeine Möglichkeit sich gegen ihn zu wehren. Unbewußt hielt sie die Luft an und lauschte ins Haus.
Fieberhaft versuchte sie zu erahnen, was er gerade tat und wo er sich befand. Als sie ihn die Treppe hinunter laufen hörte, löste sich ihre Starre.
Was sollte sie jetzt tun? Nach unten, um das Haus zu verlassen, konnte sie nicht, weil er dort war. Das Risiko, ihm in die Arme zu laufen, war einfach zu groß. Wenn sie im Badezimmer blieb, würde er sie, sobald er wieder nach oben kam, sofort finden. Wenn, dann brauchte sie ein gutes Versteck, in dem er sie nicht sofort vermutete.
„Wo bist du Dreckstück? Wenn ich dich kriege, mach ich dich platt.“, hallte es durchs Haus.
Die einzige, wenn auch geringe Chance, die sie sah, war die Abstellkammer. Auch dort würde er sie über kurz oder lang finden, aber wenigstens hatte sie dort die Möglichkeit, es noch etwas hinauszuzögern. Zudem bestand die Aussicht, dort etwas zu finden, mit dem sie sich gegen ihn wehren konnte.
Als sie vorsichtig das Badezimmer verließ, war ihre Angst so groß, daß sie befürchtete, das Schlagen ihres Herzen könne er durchs Haus hören.
Auf Zehenspitzen schlich sie eine Tür weiter, hinter der sich die Abstellkammer befand. Die ganze Zeit lauschte sie zur Treppe hin, ob er wieder nach oben kam. Dann schrak sie zusammen, als von unten ein fürchterlicher Radau nach oben drang, und dann hörte sie wieder seine Stimme.
„Ich finde dich schon. Komm raus du blöde Kuh, oder glaubst du wirklich, du könntest dich vor mir verstecken?“
Von unten drang weiter unbeschreiblicher Krach nach oben. Holz barst, Glas splitterte und jetzt wußte sie, daß er vollends die Kontrolle verloren hatte.
Geräuschlos schlüpfte sie in die Abstellkammer und sah sich um. Seit Monaten hatte sie sich vorgenommen, das heillose Durcheinander aufzuräumen. Panisch suchte sie nach einer Möglichkeit, wie sie in diesem Chaos abtauchen konnte, ohne soviel Lärm zu machen, daß er gleich wußte, wo sie war.
Als sie hörte, wie er die Treppe herauf gepoltert kam, schnürte ihr die Angst die Kehle zu. Vorsichtig zog sie die Türe zu und stand unvermittelt im Dunkeln. Wie in Zeitlupe schaltete sie das Licht ein, aus Furcht, er könnte das Klicken des Schalters hören. Hinter den Koffern unter dem Regal waren Decken gestapelt. Diese zog sie nun vorsichtig hervor und es entstand ein Hohlraum, in den sie sich quetschen konnte. Drei der vier Decken legte sie auf die Koffer, dann schaltete sie das Licht aus und tastete sich vorsichtig im Dunkel vorwärts, bis sie schließlich in den Hohlraum gekrabbelt war. Die eine Decke hatte sie mitgenommen und gerade, als sie sie sich über den Kopf zog, hörte sie, wie die Tür zur Abstellkammer aufgerissen wurde. Ein schwacher Lichtschein drang durch den Wollstoff der Decke. Sie hielt erschrocken den Atem an und ihre Angst wuchs, daß sie fürchtete, daß er das Zittern ihres Körpers sehen würde.
Wütend fegte er einige Sachen aus den Regalen, die wie Geschosse neben ihr einschlugen. Sie war kurz davor, aufzuschreien, ihre Nerven lagen blank. Hatte er sie wohlmöglich schon entdeckt? Mußte sie jeden Moment damit rechnen, daß er sie aus ihrem Versteck zog?
Plötzlich wurde es dunkel. Sie befürchtete schon, daß er unmittelbar über ihr war, um sie aus ihrem Versteck zu ziehen, doch es geschah nichts. Es war so still im Haus, als wäre außer ihr niemand da. Krampfhaft lauschte sie, ob sie ihn nicht irgendwo hörte, doch alles blieb still. Sie verlor jegliches Gefühl für Zeit. Sie konnte nicht sagen, wie lange sie schon unter der Decke gehockt und in die Dunkelheit gehorcht hatte. Vielleicht waren es Stunden, wohl aber eher nur Minuten oder gar Sekunden. Ihr Herz tobte in ihrer Brust. Was sollte sie jetzt machen? Was konnte sie machen? Hatte er wohlmöglich aufgegeben und war gegangen? Sie wußte nicht mehr, was sie denken sollte, sie hatte nur das Bedürfnis so weit wie möglich von ihm wegzukommen. Sie wagte sich nicht auszumalen, was er mit ihr anstellen würde. Jegliches Gefühl für Zeit war weg. Sie hockte unter der Decke, die Luft die sie atmete, war warm und stickig. Die Körperhaltung, die sie einnehmen mußte, um unter dem Regal Platz zu finden, ließ ihre Beine einschlafen. Wie lange würde sie noch so verharren können?
Doch da hörte sie diesen Schlag, der das ganze Haus zum Vibrieren brachte. Sie war sich sicher, daß die Haustüre ins Schloß gefallen war. Er ließ die Tür immer hart hinter sich zuknallen, sie hatte sich schon tausend Mal darüber geärgert, jetzt allerdings erleichterte es sie. Einen Moment lang horchte sie noch in die Dunkelheit, schob dann die Decke beiseite und krabbelte langsam wieder unter dem Regal hervor.
Was hatte er vor? Vielleicht glaubte er ja, sie sei sofort, zu Anfang schon, aus dem Haus gelaufen. Vielleicht hatte er aufgegeben und suchte jetzt in irgendeiner Kneipe Trost für die Demütigung, die ihm seine Frau angetan hatte. Konnte sie das wirklich glauben, oder war nur der Wunsch Vater dieses Gedankens. Sie stand noch im Dunkeln, wagte nicht, die Türe zu öffnen. Angestrengt lauschte sie weiter in die Stille. Was, wenn er wieder vor der Türe stand und nur darauf wartete, daß sie heraus kam?
Ihre Hand tastete im Regal neben ihr, auf der Suche nach irgend etwas, mit dem sie sich wehren konnte. Ihre Finger berührten alte Wanderschuhe, ausrangierte Töpfe und dann fühlten sie etwas längliches, das ihr sofort griffig in der Hand lag. Es war der neue Eispickel, den er für seine letzte Klettertour gekauft hatte. Sie wog ihn in der Hand, fühlte an seiner Spitze. Ob sie sich wirklich gegen ihn behaupten konnte wußte sie nicht, aber der Eispickel in ihrer Hand vermittelte ihr etwas Sicherheit. Vorsichtig trat sie an die Tür und legte ihr Ohr gegen das Holz. Das einzige, was sie hörte, war das Blut, das in ihren Schläfen pochte.
Langsam drückte sie die Klinke und schob die Türe zentimeterweise auf. Noch immer hatte sie das Gefühl, er würde sie jeden Moment ergreifen, doch es geschah nicht. Als sie schließlich auf dem Flur stand, hielt sie den Eispickel noch immer zum Schlag bereit. Um kein Geräusch zu verursachen, schlich sie vorwärts. Auf dem obersten Treppenabsatz blieb sie stehen, doch noch immer blieb alles ruhig. Er war also wirklich gegangen. Langsam ließ sie den Eispickel sinken und ging die Treppe hinab. Unter keinen Umständen wollte sie jetzt im Haus bleiben. Sie würde zur Nachbarin gehen und von dort versuchen, ihre Freundin zu erreichen, vielleicht konnte sie bei ihr erst einmal untertauchen.
Sicher würde er sie nicht so einfach ziehen lassen und da war es gut, wenn sie nicht alleine war.
Als sie das Erdgeschoß erreichte, traute sie ihren Augen nicht. Die halbe Wohnungseinrichtung lag zerschlagen auf dem Boden. Sie hatte nur noch das eine Bedürfnis, raus, und das, so schnell es eben ging.
Gerade wollte sie sich der Tür zuwenden, als sie hinter sich ein Geräusch vernahm. Ein schleifendes Geräusch, das rasend schnell auf sie zukam. Ihr Kopf wirbelte herum und aus den Augenwinkeln sah sie etwas auf sich zurasen. Schon traf sie sein Faustschlag und sie taumelte zurück. Einen Moment wurde es schwarz um sie herum, dann breitete sich ein tiefes Dröhnen in ihrem Kopf aus.
Er stand wie ein Riese vor ihr, sein Blick kam aus einer anderen Welt.
„Hast du geglaubt, du könntest mich an der Nase herumführen, was?“, sagte er mit einer Stimme, so kalt wie Eis. Dann lachte er schrill.
Auf der Kommode neben ihm sah sie plötzlich das große, scharfe Fischmesser liegen. Er mußte es aus der Küche geholt und dort hin gelegt haben. Was hatte er vor? Wollte er sie...
Schon schnellte seine Hand zu dem Messer und ging er langsam auf sie zu.
„Keine Frau macht das mit mir. Verstehst du, keine Frau. Dafür wirst du bluten, du Dreckstück.“
Die Angst schnürte ihr die Kehle zu. Es gab keine Möglichkeit ihm zu entkommen. Sie hatte sich selbst in eine ausweglose Situation manövriert. Die Haustür lag nun so ungünstig, daß sie dicht an ihm vorbei müßte, um sie zu erreichen. Den Weg ins Haus versperrte er, diese Auswegslosigkeit ließ sie erschaudern. Das Messer blitzte im Licht und langsam hob er es in die Höhe seiner Schulter.
Plötzlich war sie sich bewußt, daß er ernst machen würde. Wie hypnotisiert starrte sie in seine Augen, von denen fast nur noch das Weiße zu sehen war. Die Knöchel der Hand, die das Messer hielt, traten weiß hervor. Selbst er, schien in seinem weißen Unterhemd und seiner weißen Haut zu strahlen. Sie hörte seinen rasenden Atem. Wieder das Blitzen der Klinge. Dann sah sie, wie er eine ruckhafte Bewegung machte und die Klinge auf sie zu raste.
Sie bewegte sich, ohne das sie diese Bewegungen wirklich bewußt steuerte. Ihr Körper glitt ein Stück zu Seite. Die Klinge rauschte um Haaresbreite an ihrer Schulter vorbei. Dann spürte sie, wie ihr Arm eine kurze Bewegung nach hinten machte und dann im großen Bogen von oben herab auf seinen Kopf zu raste. Das Geräusch, als der Eispickel in seine Stirn eindrang, erinnerte sie an eine platzende Kokosnuß, die zerschlagen wird. Erschrocken ließ sie los und sprang zurück. Wenige Augenblicke blieb er stehen, der Eispickel ragte wie ein Kunstwerk aus seiner Stirn. Fragend starrte er sie an, aber auch durch sie hindurch, dann fiel er rücklings wie ein Baum und das Geräusch einer platzenden Kokosnuß wiederholte sich, als sein Kopf auf die Fliesen schlug. Die Stille, die darauf folgte, war wie eine Befreiung. Ihr Körper straffte sich, sie fühlte nichts. Langsam ging sie an ihm vorbei, trat vor die Tür, atmete die frische Luft und erst, als sie bei der Nachbarin klingelte, wurde ihr bewußt, was geschehen war.

ENDE

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