Wellensang
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Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
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März 2005
Diesen Monat ...
von Klaus Eylmann

“Na, Heinrich, was macht deine Schreibgruppe?”
“Paket”, brabbelte der. Der Blick des Mannes hinter der Theke wanderte unruhig ĂŒber ihn hinweg.
“Was ist, willst du mich verarschen?”
“Ich mein nicht dich.” Heinrich nahm einen krĂ€ftigen Schluck und wischte sich den Schaum vom Mund. “Diesen Monat muss ich‘ne Geschichte ĂŒber ein Paket schreiben. Hab sie auch schon in Gedanken fertig. Nur die Pointe funktioniert nicht.”
“Was fĂŒr ‘ne Pointe?”
“Wenn ich die sag, dann ist das keine. Noch ‘n Bier und ‘n Korn.” Heinrich richtete sich auf, um Platz zu schaffen, doch schon bald fiel er wieder in sich zusammen.
“Man muss schon ein bischen mehr erzĂ€hlen, damit eine Pointe wirksam wird.”
“Nun gut”, meinte der Wirt. Oder war es nicht der Wirt? “Nun gut”, meinte der Mann hinter dem Tresen. “Leg los.”
“Die Bar”, erzĂ€hlte Heinrich, “liegt in einem italienischen Dorf.

Eines abends kommt die Frau des Postbeamten ins Lokal und ruft: “Hat jemand meinen Mann gesehen?”
Carlo sieht von seinen Karten hoch und fragt: “Was ist mit ihm?”
“Er ist nicht nach Hause gekommen.”
“Vielleicht ist er noch in der Post? Ich hab vorhin die Putzfrau reingehen sehen.” Jemand lacht.
Marta beugt sich hinter der Theke vor: “Aldo war vorhin hier und hat nach einem englischen Wörterbuch gefragt.”
“Und?”, fragt Carlo.
“Ich hab ihm gesagt, der Lehrer Feltroni hat sicher eins.”
Carlo wirft die Karten hin und springt hoch. “Sehen wir doch mal nach, was Aldo zu so spĂ€ter Stunde da noch macht.”
Vier MĂ€nner und Aldos Frau. Vor der Post sehen sie, wie Licht durch den Spalt unter der TĂŒr hervor kommt. Carlo klopft. “Aldo, deine Frau ist hier. Mach auf.” Sie warten.
“Was macht Aldo da noch so spĂ€t”, murrt seine Frau, dann ruft sie: “Aldo, du machst jetzt sofort die TĂŒr auf!” Und an Carlo und seine Kumpane gewandt: “Wenn ich ihn mit der Putzfrau erwische...,” doch die kommt zwischen den HĂ€usern hervor, geht auf die Gruppe zu und fragt: “Macht er nicht auf? Ich hab ‘nen SchlĂŒssel.”
Sie laufen um den Schalter herum und reißen die TĂŒr zum Hinterzimmer auf. Aldo steht ĂŒber ein Paket gebeugt, das die Form eines WĂŒrfels hat und sagt: “This side up”, dreht es, so dass die Seite nach oben zeigt, doch dann fĂ€hrt er fort, das Paket zu wenden.
“Er hört nicht mehr auf”, raunt Carlo. “Das steht auf jeder Seite.”
“Was?”, ruft Aldos Frau. “This side up.” Carlo sieht Aldos Frau und die MĂ€nner an. “Das heißt: Diese Seite nach oben.”
“Das ist die Pointe.” Heinrich griff nach seinem Glas.
“UnglaubwĂŒrdig”, kam es hinter der Theke hervor. “Wer stempelt so was schon auf alle Seiten.”
“Das wĂ€re eine Bombenstory geworden.” Heinrich versuchte sich wieder aufzurichten. War noch Platz fĂŒr ein weiteres Bier?
“Schreib doch ein Gedicht, wenn dir keine Geschichte einfĂ€llt”, rief der Mann ein paar Hocker weiter.
“Wenn das Gas die DĂ€rme blĂ€ht, ist’s fĂŒrs Paket noch nicht zu spĂ€t.”
Heinrich drehte sich herum. “DĂ€rme und Paket. Was haben die miteinander zu tun?”
Der Mann schĂŒttelte sich vor Lachen. Goldene MickymĂ€use tanzten auf seinem Schlips.
“So lange Menschen leben, wird es auch Pakete geben.”
“Wenn er sich nicht mehr bewegt, schickt Beate ein Paket”, fiel ein MĂ€nnchen ein, das Heinrich von einem Tisch zwischen den ToiletteneingĂ€ngen zu winkte.
“So lange sich die Erde dreht, kommt die Post mit ‘nem Paket”, “Wer stapft da durchs GemĂŒsebeet? Das ist der Postmann mit Paket”, tönte es aus dem Hintergrund.
“Daraus kann man doch keine Stories machen”, schimpfte der Mann hinter der Theke.
“Wenn Gulda mit dem Erwin geht, dann liegt es nur am Fresspaket.” Der Barman beugte sich vor. “Als mein Onkel aus der russischen Kriegsgefangenschaft kam, hielt sein Zug in BienenbĂŒttel an. Liegt in der Heide. Auf dem Bahnsteig stand eine junge Frau und reichte meinem Onkel ein Fresspaket durchs Fenster, auf dem ihre Adresse stand. Es wurde eine Love-Story.” Der Mann putzte ein paar GlĂ€ser. “So was wollen die Leute lesen.”
Heinrich nickte. “Hat was. Das hat was.” Er stĂŒrzte seinen Korn hinunter. Der Mann hinter der Theke stellte die GlĂ€ser weg, der mit dem Mickymaus-Schlips fiel in seinen Stupor zurĂŒck, der zwischen den ToilettentĂŒren bearbeitete seine Pizza, im Hintergrund war nur noch leises Tuscheln zu hören.
Gulda und Erwin. Das gab was her. Eine Story, ein Drama. Was wĂ€re, wenn Erwin in einem kargen Zimmer in Hamburgs Sternschanzenviertel wohnte, an dem alle zehn Minuten eine S-Bahn vorbei rumpelte. Heinrich setzte Erwin in den Zug nach BienenbĂŒttel, um sein GlĂŒck bei Gulda zu finden.
Gutshof, Pferde, KĂŒhe, Schafe und Guldas Vater Hans, ein cholerischer Nazi. Eine Abendgesellschaft im Gutshaus. Apotheker Birnbein, der Arzt Scheußlich, BĂŒrgermeister Dreifuss und die Gemahlinnen. Gulda in einem Hochgeschlossenen, aus dem ihr sĂŒsses Gesicht wie eine BlĂŒte ragte. Oh, Gulda, dachte Heinrich und ließ Erwin erschauern. Heinrich mochte keine Nazis und Erwin daher auch nicht. Als dieser sich beklagte, dass er fĂŒr einen Verbrecher Jahre in Russland abgesessen hatte, sprangen die anderen GĂ€ste hoch und stoben auseinander. Guldas Vater erhob sich, das Glasauge funkelte dĂ€monisch unter dem Kronleuchter, bevor es wie ein Geschoss an Erwin vorbei zischte. Hans drehte sich wortlos um und verließ den Raum. Seine Gattin blickte vorwurfsvoll. “Junger Mann, das hĂ€tten Sie nicht sagen dĂŒrfen.” Dann folgte sie ihrem Mann.
“Das ist noch mal gut gegangen”, meinte der Apotheker. “Herr Erwin.” Er ging zur Wand. “Sehen Sie die EinschlĂ€ge?”
“Wenn sein Blutdruck auf zweihundert steigt”, erklĂ€rte der BĂŒrgermeister, “fliegt ihm das Glasauge weg.”
Gulda stand mit aschfahlem Gesicht im Raum und sah durch Hans hindurch. Wie konnte dieser auch ahnen, wie schwer sie an ihrer Vergangenheit litt, in der ihr Vater sie dem Doktor Scheußlich zufĂŒhrte, der sie wiederholt unter einer Hitler-BĂŒste auf einem aus einer Hakenkreuzfahne bestehenden Bettlaken zu schwĂ€ngern versuchte. Und das war sicher noch nicht alles.

“Ich muss das ausarbeiten, da ist Drama drin”, brabbelte Heinrich. “Wo drin?”, fragte der Mann hinter der Theke.
“Im Fresspaket. Mann, das wird ‘ne Story.” Dann wachte Heinrich auf.

“Scheißmonat”, dachte er. “Paket. Wie soll ich denn was ĂŒbers Paket schreiben!” EinTraumzipfel blieb in der Erinnerung.
“Wenn das Gas die DĂ€rme blĂ€ht, ist’s fĂŒrs Paket noch nicht zu spĂ€t.”
“Was fĂŒr ein Schwachsinn”, und Heinrich wusste: “Diesen Monat wird das nix.”

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