Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
âNa, Heinrich, was macht deine Schreibgruppe?â
âPaketâ, brabbelte der. Der Blick des Mannes hinter der Theke wanderte unruhig ĂŒber ihn hinweg.
âWas ist, willst du mich verarschen?â
âIch mein nicht dich.â Heinrich nahm einen krĂ€ftigen Schluck und wischte sich den Schaum vom Mund. âDiesen Monat muss ichâne Geschichte ĂŒber ein Paket schreiben. Hab sie auch schon in Gedanken fertig. Nur die Pointe funktioniert nicht.â
âWas fĂŒr âne Pointe?â
âWenn ich die sag, dann ist das keine. Noch ân Bier und ân Korn.â Heinrich richtete sich auf, um Platz zu schaffen, doch schon bald fiel er wieder in sich zusammen.
âMan muss schon ein bischen mehr erzĂ€hlen, damit eine Pointe wirksam wird.â
âNun gutâ, meinte der Wirt. Oder war es nicht der Wirt? âNun gutâ, meinte der Mann hinter dem Tresen. âLeg los.â
âDie Barâ, erzĂ€hlte Heinrich, âliegt in einem italienischen Dorf.
Eines abends kommt die Frau des Postbeamten ins Lokal und ruft: âHat jemand meinen Mann gesehen?â
Carlo sieht von seinen Karten hoch und fragt: âWas ist mit ihm?â
âEr ist nicht nach Hause gekommen.â
âVielleicht ist er noch in der Post? Ich hab vorhin die Putzfrau reingehen sehen.â Jemand lacht.
Marta beugt sich hinter der Theke vor: âAldo war vorhin hier und hat nach einem englischen Wörterbuch gefragt.â
âUnd?â, fragt Carlo.
âIch hab ihm gesagt, der Lehrer Feltroni hat sicher eins.â
Carlo wirft die Karten hin und springt hoch. âSehen wir doch mal nach, was Aldo zu so spĂ€ter Stunde da noch macht.â
Vier MĂ€nner und Aldos Frau. Vor der Post sehen sie, wie Licht durch den Spalt unter der TĂŒr hervor kommt. Carlo klopft. âAldo, deine Frau ist hier. Mach auf.â Sie warten.
âWas macht Aldo da noch so spĂ€tâ, murrt seine Frau, dann ruft sie: âAldo, du machst jetzt sofort die TĂŒr auf!â Und an Carlo und seine Kumpane gewandt: âWenn ich ihn mit der Putzfrau erwische...,â doch die kommt zwischen den HĂ€usern hervor, geht auf die Gruppe zu und fragt: âMacht er nicht auf? Ich hab ânen SchlĂŒssel.â
Sie laufen um den Schalter herum und reiĂen die TĂŒr zum Hinterzimmer auf. Aldo steht ĂŒber ein Paket gebeugt, das die Form eines WĂŒrfels hat und sagt: âThis side upâ, dreht es, so dass die Seite nach oben zeigt, doch dann fĂ€hrt er fort, das Paket zu wenden.
âEr hört nicht mehr aufâ, raunt Carlo. âDas steht auf jeder Seite.â
âWas?â, ruft Aldos Frau. âThis side up.â Carlo sieht Aldos Frau und die MĂ€nner an. âDas heiĂt: Diese Seite nach oben.â
âDas ist die Pointe.â Heinrich griff nach seinem Glas.
âUnglaubwĂŒrdigâ, kam es hinter der Theke hervor. âWer stempelt so was schon auf alle Seiten.â
âDas wĂ€re eine Bombenstory geworden.â Heinrich versuchte sich wieder aufzurichten. War noch Platz fĂŒr ein weiteres Bier?
âSchreib doch ein Gedicht, wenn dir keine Geschichte einfĂ€lltâ, rief der Mann ein paar Hocker weiter.
âWenn das Gas die DĂ€rme blĂ€ht, istâs fĂŒrs Paket noch nicht zu spĂ€t.â
Heinrich drehte sich herum. âDĂ€rme und Paket. Was haben die miteinander zu tun?â
Der Mann schĂŒttelte sich vor Lachen. Goldene MickymĂ€use tanzten auf seinem Schlips.
âSo lange Menschen leben, wird es auch Pakete geben.â
âWenn er sich nicht mehr bewegt, schickt Beate ein Paketâ, fiel ein MĂ€nnchen ein, das Heinrich von einem Tisch zwischen den ToiletteneingĂ€ngen zu winkte.
âSo lange sich die Erde dreht, kommt die Post mit ânem Paketâ, âWer stapft da durchs GemĂŒsebeet? Das ist der Postmann mit Paketâ, tönte es aus dem Hintergrund.
âDaraus kann man doch keine Stories machenâ, schimpfte der Mann hinter der Theke.
âWenn Gulda mit dem Erwin geht, dann liegt es nur am Fresspaket.â Der Barman beugte sich vor. âAls mein Onkel aus der russischen Kriegsgefangenschaft kam, hielt sein Zug in BienenbĂŒttel an. Liegt in der Heide. Auf dem Bahnsteig stand eine junge Frau und reichte meinem Onkel ein Fresspaket durchs Fenster, auf dem ihre Adresse stand. Es wurde eine Love-Story.â Der Mann putzte ein paar GlĂ€ser. âSo was wollen die Leute lesen.â
Heinrich nickte. âHat was. Das hat was.â Er stĂŒrzte seinen Korn hinunter. Der Mann hinter der Theke stellte die GlĂ€ser weg, der mit dem Mickymaus-Schlips fiel in seinen Stupor zurĂŒck, der zwischen den ToilettentĂŒren bearbeitete seine Pizza, im Hintergrund war nur noch leises Tuscheln zu hören.
Gulda und Erwin. Das gab was her. Eine Story, ein Drama. Was wĂ€re, wenn Erwin in einem kargen Zimmer in Hamburgs Sternschanzenviertel wohnte, an dem alle zehn Minuten eine S-Bahn vorbei rumpelte. Heinrich setzte Erwin in den Zug nach BienenbĂŒttel, um sein GlĂŒck bei Gulda zu finden.
Gutshof, Pferde, KĂŒhe, Schafe und Guldas Vater Hans, ein cholerischer Nazi. Eine Abendgesellschaft im Gutshaus. Apotheker Birnbein, der Arzt ScheuĂlich, BĂŒrgermeister Dreifuss und die Gemahlinnen. Gulda in einem Hochgeschlossenen, aus dem ihr sĂŒsses Gesicht wie eine BlĂŒte ragte. Oh, Gulda, dachte Heinrich und lieĂ Erwin erschauern. Heinrich mochte keine Nazis und Erwin daher auch nicht. Als dieser sich beklagte, dass er fĂŒr einen Verbrecher Jahre in Russland abgesessen hatte, sprangen die anderen GĂ€ste hoch und stoben auseinander. Guldas Vater erhob sich, das Glasauge funkelte dĂ€monisch unter dem Kronleuchter, bevor es wie ein Geschoss an Erwin vorbei zischte. Hans drehte sich wortlos um und verlieĂ den Raum. Seine Gattin blickte vorwurfsvoll. âJunger Mann, das hĂ€tten Sie nicht sagen dĂŒrfen.â Dann folgte sie ihrem Mann.
âDas ist noch mal gut gegangenâ, meinte der Apotheker. âHerr Erwin.â Er ging zur Wand. âSehen Sie die EinschlĂ€ge?â
âWenn sein Blutdruck auf zweihundert steigtâ, erklĂ€rte der BĂŒrgermeister, âfliegt ihm das Glasauge weg.â
Gulda stand mit aschfahlem Gesicht im Raum und sah durch Hans hindurch. Wie konnte dieser auch ahnen, wie schwer sie an ihrer Vergangenheit litt, in der ihr Vater sie dem Doktor ScheuĂlich zufĂŒhrte, der sie wiederholt unter einer Hitler-BĂŒste auf einem aus einer Hakenkreuzfahne bestehenden Bettlaken zu schwĂ€ngern versuchte. Und das war sicher noch nicht alles.
âIch muss das ausarbeiten, da ist Drama drinâ, brabbelte Heinrich. âWo drin?â, fragte der Mann hinter der Theke.
âIm Fresspaket. Mann, das wird âne Story.â Dann wachte Heinrich auf.
âScheiĂmonatâ, dachte er. âPaket. Wie soll ich denn was ĂŒbers Paket schreiben!â EinTraumzipfel blieb in der Erinnerung.
âWenn das Gas die DĂ€rme blĂ€ht, istâs fĂŒrs Paket noch nicht zu spĂ€t.â
âWas fĂŒr ein Schwachsinnâ, und Heinrich wusste: âDiesen Monat wird das nix.â
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