Mainhattan Moments
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Susanne Ruitenberg und Julia Breitenöder haben Geschichten geschrieben, die alle etwas mit Frankfurt zu tun haben.
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Mrz 2005
Diesen Monat ...
von Klaus Eylmann

“Na, Heinrich, was macht deine Schreibgruppe?”
“Paket”, brabbelte der. Der Blick des Mannes hinter der Theke wanderte unruhig über ihn hinweg.
“Was ist, willst du mich verarschen?”
“Ich mein nicht dich.” Heinrich nahm einen kräftigen Schluck und wischte sich den Schaum vom Mund. “Diesen Monat muss ich‘ne Geschichte über ein Paket schreiben. Hab sie auch schon in Gedanken fertig. Nur die Pointe funktioniert nicht.”
“Was für ‘ne Pointe?”
“Wenn ich die sag, dann ist das keine. Noch ‘n Bier und ‘n Korn.” Heinrich richtete sich auf, um Platz zu schaffen, doch schon bald fiel er wieder in sich zusammen.
“Man muss schon ein bischen mehr erzählen, damit eine Pointe wirksam wird.”
“Nun gut”, meinte der Wirt. Oder war es nicht der Wirt? “Nun gut”, meinte der Mann hinter dem Tresen. “Leg los.”
“Die Bar”, erzählte Heinrich, “liegt in einem italienischen Dorf.

Eines abends kommt die Frau des Postbeamten ins Lokal und ruft: “Hat jemand meinen Mann gesehen?”
Carlo sieht von seinen Karten hoch und fragt: “Was ist mit ihm?”
“Er ist nicht nach Hause gekommen.”
“Vielleicht ist er noch in der Post? Ich hab vorhin die Putzfrau reingehen sehen.” Jemand lacht.
Marta beugt sich hinter der Theke vor: “Aldo war vorhin hier und hat nach einem englischen Wörterbuch gefragt.”
“Und?”, fragt Carlo.
“Ich hab ihm gesagt, der Lehrer Feltroni hat sicher eins.”
Carlo wirft die Karten hin und springt hoch. “Sehen wir doch mal nach, was Aldo zu so später Stunde da noch macht.”
Vier Männer und Aldos Frau. Vor der Post sehen sie, wie Licht durch den Spalt unter der Tür hervor kommt. Carlo klopft. “Aldo, deine Frau ist hier. Mach auf.” Sie warten.
“Was macht Aldo da noch so spät”, murrt seine Frau, dann ruft sie: “Aldo, du machst jetzt sofort die Tür auf!” Und an Carlo und seine Kumpane gewandt: “Wenn ich ihn mit der Putzfrau erwische...,” doch die kommt zwischen den Häusern hervor, geht auf die Gruppe zu und fragt: “Macht er nicht auf? Ich hab ‘nen Schlüssel.”
Sie laufen um den Schalter herum und reißen die Tür zum Hinterzimmer auf. Aldo steht über ein Paket gebeugt, das die Form eines Würfels hat und sagt: “This side up”, dreht es, so dass die Seite nach oben zeigt, doch dann fährt er fort, das Paket zu wenden.
“Er hört nicht mehr auf”, raunt Carlo. “Das steht auf jeder Seite.”
“Was?”, ruft Aldos Frau. “This side up.” Carlo sieht Aldos Frau und die Männer an. “Das heißt: Diese Seite nach oben.”
“Das ist die Pointe.” Heinrich griff nach seinem Glas.
“Unglaubwürdig”, kam es hinter der Theke hervor. “Wer stempelt so was schon auf alle Seiten.”
“Das wäre eine Bombenstory geworden.” Heinrich versuchte sich wieder aufzurichten. War noch Platz für ein weiteres Bier?
“Schreib doch ein Gedicht, wenn dir keine Geschichte einfällt”, rief der Mann ein paar Hocker weiter.
“Wenn das Gas die Därme bläht, ist’s fürs Paket noch nicht zu spät.”
Heinrich drehte sich herum. “Därme und Paket. Was haben die miteinander zu tun?”
Der Mann schüttelte sich vor Lachen. Goldene Mickymäuse tanzten auf seinem Schlips.
“So lange Menschen leben, wird es auch Pakete geben.”
“Wenn er sich nicht mehr bewegt, schickt Beate ein Paket”, fiel ein Männchen ein, das Heinrich von einem Tisch zwischen den Toiletteneingängen zu winkte.
“So lange sich die Erde dreht, kommt die Post mit ‘nem Paket”, “Wer stapft da durchs Gemüsebeet? Das ist der Postmann mit Paket”, tönte es aus dem Hintergrund.
“Daraus kann man doch keine Stories machen”, schimpfte der Mann hinter der Theke.
“Wenn Gulda mit dem Erwin geht, dann liegt es nur am Fresspaket.” Der Barman beugte sich vor. “Als mein Onkel aus der russischen Kriegsgefangenschaft kam, hielt sein Zug in Bienenbüttel an. Liegt in der Heide. Auf dem Bahnsteig stand eine junge Frau und reichte meinem Onkel ein Fresspaket durchs Fenster, auf dem ihre Adresse stand. Es wurde eine Love-Story.” Der Mann putzte ein paar Gläser. “So was wollen die Leute lesen.”
Heinrich nickte. “Hat was. Das hat was.” Er stürzte seinen Korn hinunter. Der Mann hinter der Theke stellte die Gläser weg, der mit dem Mickymaus-Schlips fiel in seinen Stupor zurück, der zwischen den Toilettentüren bearbeitete seine Pizza, im Hintergrund war nur noch leises Tuscheln zu hören.
Gulda und Erwin. Das gab was her. Eine Story, ein Drama. Was wäre, wenn Erwin in einem kargen Zimmer in Hamburgs Sternschanzenviertel wohnte, an dem alle zehn Minuten eine S-Bahn vorbei rumpelte. Heinrich setzte Erwin in den Zug nach Bienenbüttel, um sein Glück bei Gulda zu finden.
Gutshof, Pferde, Kühe, Schafe und Guldas Vater Hans, ein cholerischer Nazi. Eine Abendgesellschaft im Gutshaus. Apotheker Birnbein, der Arzt Scheußlich, Bürgermeister Dreifuss und die Gemahlinnen. Gulda in einem Hochgeschlossenen, aus dem ihr süsses Gesicht wie eine Blüte ragte. Oh, Gulda, dachte Heinrich und ließ Erwin erschauern. Heinrich mochte keine Nazis und Erwin daher auch nicht. Als dieser sich beklagte, dass er für einen Verbrecher Jahre in Russland abgesessen hatte, sprangen die anderen Gäste hoch und stoben auseinander. Guldas Vater erhob sich, das Glasauge funkelte dämonisch unter dem Kronleuchter, bevor es wie ein Geschoss an Erwin vorbei zischte. Hans drehte sich wortlos um und verließ den Raum. Seine Gattin blickte vorwurfsvoll. “Junger Mann, das hätten Sie nicht sagen dürfen.” Dann folgte sie ihrem Mann.
“Das ist noch mal gut gegangen”, meinte der Apotheker. “Herr Erwin.” Er ging zur Wand. “Sehen Sie die Einschläge?”
“Wenn sein Blutdruck auf zweihundert steigt”, erklärte der Bürgermeister, “fliegt ihm das Glasauge weg.”
Gulda stand mit aschfahlem Gesicht im Raum und sah durch Hans hindurch. Wie konnte dieser auch ahnen, wie schwer sie an ihrer Vergangenheit litt, in der ihr Vater sie dem Doktor Scheußlich zuführte, der sie wiederholt unter einer Hitler-Büste auf einem aus einer Hakenkreuzfahne bestehenden Bettlaken zu schwängern versuchte. Und das war sicher noch nicht alles.

“Ich muss das ausarbeiten, da ist Drama drin”, brabbelte Heinrich. “Wo drin?”, fragte der Mann hinter der Theke.
“Im Fresspaket. Mann, das wird ‘ne Story.” Dann wachte Heinrich auf.

“Scheißmonat”, dachte er. “Paket. Wie soll ich denn was übers Paket schreiben!” EinTraumzipfel blieb in der Erinnerung.
“Wenn das Gas die Därme bläht, ist’s fürs Paket noch nicht zu spät.”
“Was für ein Schwachsinn”, und Heinrich wusste: “Diesen Monat wird das nix.”

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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