Futter für die Bestie
Futter für die Bestie
Gruselig geht's in unserer Horror-Geschichten-
Anthologie zu. Auf Gewalt- und Blutorgien haben wir allerdings verzichtet. Manche Geschichten sind sogar witzig.
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März 2005
Zum Geburtstag
von Silvia Both

Ein Mittwoch im März 1978
Die Kaffeepackung passte nicht mehr hinein, so sehr Vera auch drückte. Sollte sie einen größeren Karton nehmen? Dann nahm sie aber doch alles wieder heraus und packte neu. Die Nylonstrümpfe blieben unten, darauf der Kaffee, die vier Packungen Zigaretten, sieben Tafeln Schokolade, der Whisky, eingewickelt in ein Handtuch – hoffentlich ging das gut – dazwischen hatte sie zehn Mark versteckt, obendrauf zwei Dosen Ölsardinen. So. Na bitte, alles drin. Deckel drauf, Packpapier drumherum gewickelt. Vera verschnürte das Paket besonders sorgfältig mit der kratzigen Schnur. Dazwischen schrieb sie deutlich die Adresse ihrer Schwester: Marlene Nauber, Karl-Marx-Allee 37, Wittenberg, DDR.
Ein Blick auf die Uhr, sie musste los, die Post schloss um halb sechs. Wenn alles gut ging, war Lenis Geburtstagspaket übermorgen drüben.

Donnerstag im März 1978
Zollkontrolle. Der NVA-Offizier Martin Gabow zog an seiner grauen Schirmmütze. Schaute ungeduldig auf die Uhr. Halb fünf schon. Wo blieb Theo mit den Paketen? Er wollte pünktlich Schluss machen, weil er vorhatte, zu Hause am Badezimmer weiterzubasteln. Darauf hatte er sich den ganzen Tag gefreut. Er trommelte mit den Fingerspitzen auf die helle Kunststofftischplatte. Echt Plaste und Elaste. Sein Badezimmer duftete entschieden besser.
Genosse Gerd Sputnik, der gerade Briefe aufdampfte, blickte hoch. „Wenn du nichts zu tun hast, kannst du mir bei den Westbriefen helfen.“
„Mit dem Kinderkram geb´ ich mich nicht ab.“
Gerd winkte mit einem 10 DM-Schein. „Schau mal, was ich gefunden habe! Wieder ein Sieg über den Klassenfeind.“
„Kennst du den? Ein NVA-Offizier und ein sowjetischer Offizier finden bei einer Übung im Wald einen Goldklumpen. Der Russe: „Towarisch, teilen wir briederlich.“ „Nee-nee“, sagt der NVA-Offizier, „wir machen lieber halbe-halbe!“
Gerd gackerte vor Lachen.
„Ahoi!“ Etwa zehn Pakete stolperten auf Martins Arbeitstisch. Endlich! „Hör mal, Theo, ich sitze hier auf heißen Kohlen, um fünf ist Schicht.“
„Kannst ja alles gleich durchreichen zur Weiterbeförderung ins Verteilamt.“
Gute Idee. Nachlässig griff Martin nach den Paketen, las die Adressen, schüttelte kurz. Ab ins Körbchen. Im letzten Paket gluckerte es. Verdächtig!
Die Paketschnur saß so fest, da half nur schneiden. Er wickelte das Paket aus seiner dicken Packpapierschicht und lüftete den Deckel. Ein langer Pfiff. Treffer.
Gerd schaute neugierig auf. „Was gefunden?“
„Und ob. Chivas Regal, das ist Whisky.“ Tschiwas Regahl. Martin sprach fast fließend russisch aber kein englisch. „Den gibt´s nicht im HO, nicht mal im Intershop.“
„Wie schmeckt der? Sollen wir mal anstoßen?
„Klar, auf die deutsch-schottische Freundschaft! Nee, den nehme ich mit. Kriegst du zur Badezimmereinweihung, Gerd.“
„Wenn dann noch was übrig ist.“
Martin packte weiter aus. Besser als Jugendweihe. Er wusste, warum er sich freiwillig zur Zollkontrolle gemeldet hatte. Kaffee, Zigaretten, Schokolade. Und ...Jetzt konnte er auch mit zehn Mark winken.
Aber Ölsardinen?
„Gerd, magst du Ölsardinen?“
„Nee, zu fett. Ich setz´ zu sehr an. Nachher geh ich zur ´SV Vorwärts`, bisschen laufen. ´Jeder Mann an jedem Ort – in der Woche einmal Sport!` Hat Ulbricht gesagt. Täte dir auch ganz gut.“
„Ich stemme heute Abend Badezimmerkacheln. Die hab´ ich gestern von Werner bekommen. Aus Prag. Grün-blau – sieht toll aus.“
Martin hielt den fast leeren Karton in der Hand. „Irgendwie tut mir Marlene leid.“
„Wer? Ich dachte, deine Freundin heißt Ines.“
„Na, die Empfängerin von dem Paket hier. Jetzt isses leer.“
„Kannst ja alles wieder einpacken.“
„Nee, ich hab` keine Westverwandschaft, die mich mit Whisky versorgt. Aber weißt du was, ich pack` ihr was anderes ein.“
„Was anderes?“
„Ja, Sachen von hier. DDR-Produkte.“
„Wir teilen briederlich?“
„Genau.“
„Wenn du meinst.“
„Dann bekommt sie wenigstens etwas. Und die Strümpfe und die Sardinen kann sie auch behalten.“
„Großzügig.“ Gerd grinste.

Freitag im März 1978
Liebe Vera!
Gerade bin ich von der Arbeit gekommen. Heute war es wieder besonders voll in unserem „Salon mit der modernen Linie“. Aber wir haben wie immer viel getratscht und die Zeit flog nur so. Du kennst mich ja. Zu Hause lag Dein Paket vor der Wohnungstür. Hat unser Haus-Blockwart bestimmt erst hingelegt, nachdem er sich die Adresse notiert hat. Na, soll er doch. Ich danke Dir! Am meisten habe ich mich über die Strümpfe gefreut. Obwohl ich höllisch aufpasse, haben meine alten schon wieder Laufmaschen. Und die Ölsardinen. Köstlich! Ich muss immer an unsere Sommerferien an der Ostsee denken, wenn ich die esse. Räucherfisch in Rerik! Weißt Du auch noch, wie wir da Schwimmen gelernt haben? Mit den anderen Sachen musst Du irgendeinen Menschen sehr glücklich gemacht haben. Stell` dir vor, was in Deinem Paket drin war: Kaffee der DDR-Traditionsmarke Mokka Fix Gold, eine Flasche Altenburger Kirsch-Wodka, fünf Schlagersüßtafeln aus schokoähnlichen Ersatzstoffen und mehrere Zigarettenschachteln Cabinett würzig. Danke edler Spender! Morgen wird gefeiert, bis die Bude qualmt. Es gibt Broiler-Hähnchen und Grützwurst („Tote Oma“!) mit Salzkartoffeln als Sättigungsbeilage. Und „Deinen“ Wodka hauen wir auch auf den Kopf. Könntest Du doch dabei sein!
In Liebe,
Deine Leni

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