Madrigal für einen Mörder
Madrigal für einen Mörder
Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
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Mrz 2005
Der letzte Scheck
von Albertine Sprandel

Heute kommt das Paket an. Sie weiß, wie es sein wird, wenn er es aufmacht. Sie weiß, was er denkt. In seinem rosigen Körper, unter dieser weichen Haut.
Zuerst klingelt es an der Tür.
Er trägt seinen blauen Morgenmantel über einer weißen, engen Sporthose. Sie lässt ihn dandyhaft aussehen. Das ist er nicht. Nein, wer ihn gut beobachtet, weiß, dass er das nicht ist. Er schlendert barfuß zur Tür. Die Zehen sind so schlank wie seine Finger. Sie sind wohl gepflegt und weich. Bei der Zeit, die er in der Sauna verbringt, auch kein Wunder.
Die Füße hinterlassen leichte Abdrücke auf dem dunkelroten Veloursteppich. Die feinen Härchen des Teppichs stellen sich sofort nach der zarten Berührung des Fußes wieder auf. Andere Männer treten, er streichelt den Boden.
Seine Hand mit dunklem Flaum auf dem Handrücken umfasst die Türklinke, drückt sie und zieht sie an sich.
Der Paketpostbote könnte einen Blick auf die halbe Gestalt werfen, er könnte das charmante Lächeln in dem einen Auge sehen, das hinter der Tür hervor sieht, er könnte auch den leichten Duft nach Zitronenminze wahrnehmen. Er könnte es, wenn er nicht von seinem elektronischen Päckchenregistriergerät abgelenkt wäre. Er hält es mechanisch grinsend dem Mann zur Unterschrift hin. Vielleicht denkt er darüber nach, wie er die Tour so effektiv gestalten könnte, dass eine Tasse Kaffee bei Frau Riesenbeck heraus käme. Für sie hat er nämlich auch etwas dabei, das hat er schon gesehen. Frau Riesenbeck wohnt im selben Häuserblock. Ein Wohnblock mit exklusiven Singlewohnungen am Stadtrand. Frau Riesenbeck heißt eigentlich Vanessa und spielte früher in ihrem Leben eine Rolle. Sie weiß, dass sie gerne Postboten vernascht. Leider nicht nur Postboten.
Dieser sieht nicht, wie sein Gegenüber völlig unleserlich unterschreibt. Er bemerkt nicht, wie leicht das große Paket ist, und er bemerkt auch nicht das eigenartige Rascheln, das man durch die Verpackungen hindurch hört.
Der Paketbote hakt die Auslieferung einfach ab, streicht den Kunden aus seinem Hirn. Da diese Informationen im Gerät gespeichert sind, muss er keine eigenen Neuronenbahnen für diese zwei Minuten seines heutigen Tages freihalten.
Ihr schöner Geliebter im Morgenmantel stellt das Paket erst einmal ab, um die Türe zu schließen. Diese Mühen lösen bereits leichten Unwillen aus. Vielleicht hat er schon einen Blick auf den Absender geworfen. Der kommt ihm bekannt vor. Von “Michael Müllerschmidt” wurde er in den letzten Monaten bezahlt. Aber die Schecks kamen in Briefen. Hoffentlich fragte er sich, wer dieser Müllerschmidt ist.
Die Schrift kann ihm keine Hinweise geben. Sie hat sich die Mühe gemacht alles mit dem Computer zu tippen. Einen halben Tag hat sie dazu gebraucht, das Paketformular auszufüllen. Sie kann zwar am Computer schreiben, aber einzelne Eingabefelder exakt treffen und sauber ausdrucken, dazu fehlt ihr die Übung.

Um das Paket zu öffnen, muss er erst eine Schere suchen. Sie hat das Paket gut verschnürt, damit man es an den Schnüren fest halten kann und es auf seinem Weg nicht so viel umher geworfen wird. Dafür hat sie es auch extra groß gemacht.
Er findet die Schere nicht, das löst das nächste Unbehagen aus.
Dieses Paket, denkt er wahrscheinlich, warum schickt mir mein Auftraggeber plötzlich ein riesiges Paket?
Einen Rest Neugierde hat er sich bewahrt. Das weiß sie. Er sucht also weiter. Wo hat er denn eine Schere? In seinem Apartment gibt es keinen Raum für Kramkisten. Ihr ist keine Wühlschublade aufgefallen. In der Schublade im Schlafzimmer liegen Kondome. Die Fernbedienung für die Anlage hat einen festen Platz. Die abgestreiften Kleider wandern wohl gefaltet auf den Sessel.
In der Küche? Im Wohnzimmer? Sie kann sich nicht an einen Schreibtisch erinnern.
Dann nimmt er ein Küchenmesser. Von unten unter die Schnüre ansetzen und sie mit einem Ruck nach oben auseinander fetzen.
Kraft hat er. Kraft in den Armen, sie umzudrehen, sie an sich zu ziehen, sie von sich weg auf das Bett zu stoßen. Um dann sacht seine Hand in ihren Busen zu legen. Der Daumen etwas unter der linken Brust, so als ob er jeden Moment zugreifen könnte. Ohne es zu tun.
Sie durfte nie bleiben. Einmal wollte sie ein Omelett brutzeln. Eier hat doch jeder zu Hause. Er nahm sie am Handgelenk und sagte: “Nein, lass uns frühstücken gehen.”

Die Schnur rollt er auf und die erste Schicht Papier faltet er zusammen, ehe er weitermacht. Er zerschneidet die nächste Schnur, reißt das nächste Papier auf, wieder eine Schnur, wieder Papier. Bis er wütend wird. Solange bis hoffentlich doch ein Fetzen durch das Apartment fliegt.
Oh wie gerne wäre sie dabei! Einmal in sein Innerstes blicken.
Aber er hat kein Innerstes.
Das Omelett war der Anfang vom Ende gewesen.
Am nächsten Tag sagte er eine Verabredung ab.
Dann kam er nicht in die Sauna.
Hier hatten sie sich kennen gelernt. “Ich liebe diese porentiefe Sauberkeit”, hatte er zu ihr gesagt. Sie saßen in der Bar um einen alkoholfreien Drink zu nehmen. Er berührte mit seinen Fingerspitzen ihre Hand. Und sie sah den leichten Flaum auf dem Handrücken seiner Hand. Ein feiner Luftzug versetzte ihn in Bewegung. Sie hätte alles dafür gegeben, mehr von diesen Händen berührt zu werden.
Von da an genoss sie sie. Jeden zweiten Tag. Einmal bei ihr, ab dann immer bei ihm. Sie verbrachten die Nacht zusammen, dann ging sie. Sie sahen sich nie am Tag.
“Am Tag macht man sich schmutzig.”
Schon bei diesem Satz hätte sie stutzig werden sollen.
Entweder ist er verrückt oder – sie springt von ihrem Balkonstuhl, schnappt ihre Autoschlüssel und stürmt los.
Sie stoppt ihren Polo gerade rechtzeitig auf dem Parkplatz, um ihn Arm in Arm mit Vanessa das Haus verlassen zu sehen.
Den Tag verbringt man mit Vanessa. Sie hört seine Stimme:
“Ich musste mit ihr Schluss machen. Sie wollte zu viel.” Sie sieht Vanessa lachen.
“Du hast genug für sie getan. Wer hat dich eigentlich bezahlt?”
Er bleibt stehen. Sie sieht die Unsicherheit in seinem Blick. “Das fragst du?”
“Du hast gedacht, ich sei es gewesen. Ach herrje, weil ich einmal sagte, sie braucht einen Liebhaber gegen ihre Depression!”
Diesmal lacht Vanessa schallend.
“Das Geld kam immer mit der Post.”
Sie jubelt. Endlich sieht sie ein Gefühl in seinem Gesicht: Scham. Im gleichen Moment wird ihr klar, es ist Vanessa, die Gefühle auslöst. Nur Vanessa.
Unter das Lenkrad gerutscht murmelt sie: “Heute kommt der letzte Scheck. Ein Paket voller Küchenschaben.”

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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