Ich joggte mal wieder durch den Buchenwald, legte einen Sprint ein wie immer, wenn die Buche, meine Buche in Sicht kam. Sie war mein Ziel. Ich lehnte mich an den Stamm und atmete kräftig aus. Ich fühlte ich mich hier im Wald wohl, genoss den laubigen Duft und spürte die feuchte Luft auf meiner Haut.
„Sie werden bedroht!“
Beim Einatmen verschluckte ich mich. Ich spürte, wie sich meine Härchen aufrichteten vom Lendenwirbel den Rücken hoch zum Kopf.
Hatte ich richtig gehört oder war das alles nur Einbildung? Die Worte machten mir keine Angst. Es war die Stimme. Sie klang so grausam, so gruselig, dass ich das Weite gesucht hätte, so schnell ich nur gekonnt hätte, nur ging es nicht. Wie gefesselt, wie gelähmt klebte ich an diesem Baum und konnte mich nicht rühren. Es musste eine Stimme aus dem Jenseits sein. Sie klang technisch, metallisch wie von einem Außerirdischen, eigenartig verzerrt, heulend, auf- und abschwellend.
„Sie werden bedroht!“
Ein weiterer Schauer raste über meinen Körper. Ich sah mich nach allen Seiten um: Nichts. Nur Wald, sonst nichts. Karawanen von Schäfchenwolken zogen trügerisch vor diesem einzigartigen Blau hinweg - einzigartig?
Weiß blau – diese Farbkombination erinnerte mich an den Grund meines Hier seins:
Es war spät geworden gestern Abend. Ich saß am Computer und surfte durch die Weltgeschichte. Immer wieder klickte ich ein Popup-Fenster weg, welches mich zu irgendwelchem Computerschutz animieren wollte. Zum Schluss landete ich bei einem Spiel auf einer Lyrikseite, bei dem man möglichst viele Kästchen gleicher Farbe in kurzer Zeitspanne abschießen musste. Mein Zeigefinger leistete ganze Arbeit. Er knackte einen High Score nach dem anderen. Dann suchte ich nach Mehr und klickte gleich das erste Google-Angebot an. Hier wurde mein ok gewünscht, was ich ohne Zögern gab und dann: Himmelblauer Bildschirm mit Zeilen in Schäfchenweiß:
„Windows – Schutzfehler. System angehalten. Starten Sie Ihren Computer neu!“
Ich startete und startete, doch immer wieder dieses Himmelblau mit Schäfchenweiß. Weit nach Mitternacht würgte ich den Rechner ab, ging mit flimmernden Augen ins Bett und nahm mir vor:
Morgen früh gleich gehst du in den Wald und joggst ein paar Runden.
Und nun steh ich hier an meiner Buche.
Ich atmete ein paar Mal tief durch und konnte meinen Pulsschlag ein wenig beruhigen.
„Pah! Bedroht! Dass ich nicht lache. Nichts und niemand bedroht mich hier. Was heißt das überhaupt? Zeige dich, du Ungeheuer. Hast du reißende Zähne, eine Keule oder ein Schlachtermesser?“ rief ich.
Als ich mich ein wenig wieder gefangen hatte, lachte ich kurz auf. Ich werde bedroht, gut, ich hörte zwar gerade diese außerirdische Stimme, doch wo ist er, der cybertyp? Soll er mich doch bedrohen. Ich sehe ihn nicht.
„Sie werden bedroht!“
Gleichzeitig mit diesem Ausruf spürte ich, wie sich etwas um meine Beine schlängelte. Getier ekelte mich bisher nicht. Schon als Kind habe ich meine Schulfreunde mit dicken Käfern geärgert. Ich hab sie über meine Hand krabbeln lassen. Ich hab sie sogar über mein Gesicht laufen lassen „Davon geh´n die Pickel weg“ hab ich allen erzählt.
Ich sah zu meinen Füßen. Ein siebenäugiger Lindwurm wand sich um meinen Körper. Er war behaart mit Schweineborsten aus denen eine schleimige, stinkende Masse herabtropfte. Mir wurde kotzübel und ich erbrach eine ebensolche Masse auf dieses graugrüne Wesen. Die Masse begann zu dampfen, zu brodeln und ich spürte, wie der Lindwurm die Umklammerung lockerte. Der Teil des Wesens, der mit meiner Kotze in Berührung kam, löste sich auf. Dann hörte ich ein Schrappen und sah, dass das Schwanzende mit zuckenden Bewegungen einen bleigrauen Gegenstand in meine Richtung schob. Dieses Grau war durchbrochen von der Farbe Pink. Irgendwie kamen mir diese Farben bekannt vor, doch mir fiel nicht ein, woher. Der Gegenstand kam näher. Ich erkannte ein Paket mit pinkfarbener Schleife. Plötzlich befreite sich eine stabile, eiserne Feuerschutztür aus dem akkurat verpackten Behältnis und flog an mir vorbei. Ich hörte ein Fauchen, ein fackelndes Geräusch. Die Tür stand plötzlich in Flammen und ich sah ihr nach, bis sie gänzlich vom Feuer aufgefressen wurde.
Das Paket war inzwischen bis auf etwa zehn Meter zu mir herangerückt. Das Schwanzende des Lindwurmes löste sich auf und die Schleife entwickelte sich. Bevor noch das graue Packpapier sich auseinanderfaltete, ritt ein hölzernes Pferd an mir vorbei. Es blieb in einiger Entfernung hinter mir stehen. Eine Tür öffnete sich am Bauch dieses Tieres und ihm entsprangen eigenartige Wesen; sie hatten Ähnlichkeit mit Teddybären, nur waren sie nackt, hatten runde Teddyohren und hüpften zu Zweit Huckepack durch den Wald. Jedes Pärchen kletterte auf eine Buche. Als sie oben angekommen waren, flogen Späne herunter, begleitet von einem raspelnden Gewisper. Ich sah hoch. Die einst so mächtigen Buchen wurden kürzer und kürzer bis letztendlich nur ein Haufen Späne am Boden lag.
Das hölzerne Pferd war inzwischen bevölkert von Waldgnomen. Sie trugen rote Zipfelmützchen und inspizierten neugierig das Holztier. Ich entspannte mich ein wenig, als ich diese kleinen Waldgeister lachen und geckern hörte. Sie tratschten und klatschten, doch meine Freude war von kurzer Dauer. Plötzlich kamen sie auf mich zugelaufen. Ehe ich mich´s versah, hatte der erste mir eine Spritze verpasst. Er wisperte:
„Virenschutz“
Dann folgten der zweite und der dritte.
„Virenschutz“ und sie stachen in meine Vene. Mir wurde übel. Meine Arme schmerzten und ich schrie laut auf.
Ein Wesen packte fest meinen Arm. Aus weiter Ferne hörte ich wiederum eine Stimme, eine bekannte Stimme:
„Else, Else, was ist los?“
Erschrocken schnellte ich hoch. Ich riss meine Augen auf. – Es war Herbert, meine bessere Hälfte.
„Was ist los mit dir? Du wälzt dich die ganze Nacht hin und her und dann schreist du auch noch.“
Benommen saß ich in meinem Bett. Nach einer Weile klärten sich meine Gedanken.
„Morgen machst du den Computer wieder klar und dann bestellst du sofort das T-online-Sicherheitspaket mit Virenschutz-Software, Firewall-Software, Dialerschutz-Software und allem was dazugehört.“
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