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März 2005
Puppenspieler
von Eva Markert

„Schöner Geburtstag”, dachte Ina, als sie die Gardine aufzog. Regen, kalter Wind, ein bleigrauer Himmel. Das Wetter, das ihr immer am meisten zu schaffen machte.
Lustlos biss sie in ein Marmeladenbrötchen. Aber es war wichtig etwas zu essen, wegen der Medikamente.
Hätte sie sich doch damals entscheiden können! Dann wäre jetzt alles anders. Die zwei Männer hatten nichts voneinander gewusst. Sie liebten sie und vertrauten ihr, aber Ina wollte beide gleichzeitig: den blonden, temperamentvollen Siggi genauso wie den ruhigen, dunkelhaarigen Ulf. Lange Zeit ging alles gut. Doch dann kamen sie durch einen dummen Zufall hinter ihr Geheimnis. Und nun war sie allein.
Ina gähnte und goss sich noch eine Tasse Tee ein. Sie fühlte sich nicht wohl. Letzte Nacht hatte sie sehr unruhig geschlafen und seit dem Aufstehen war sie kurzatmig.
Als es an der Haustür klingelte, beschlich sie ein ungutes Gefühl. Aber es war nur der Postbote, der ihr ein Päckchen brachte.
Wer schickte ihr ein Päckchen? Aus irgendeinem Grund beunruhigte sie das. Dabei sah das kleine Paket ganz harmlos aus: flach, in braunes Packpapier gewickelt und mit einer Kordel verschnürt, die Anschrift in dicken schwarzen Druckbuchstaben. Doch ein Absender stand nicht darauf.
Ina wog das leichte Päckchen in der Hand. Dann presste sie es an ihr Ohr. Sie schüttelte den Kopf über sich selbst. Eine tickende Bombe würde wohl kaum darin sein! Dennoch trug sie das Paket wie ein rohes Ei in die Küche.
Sie zerschnitt die Schnur und löste behutsam das Papier. Zum Vorschein kam eine graue Pappschachtel, auf die jemand aus breiten schwarzen Balken ein Kreuz gemalt hatte.
Inas Hände bebten, als sie den Deckel hochhob. Entsetzt starrte sie auf eine Stoffpuppe mit grinsendem Gesicht und Haaren aus roten Wollfäden. Rot, wie Inas Haar. Um die Mitte des Puppenkörpers war ein Silberkettchen geschlungen. Den kleinen Kreuzanhänger erkannte sie sofort. Ulf hatte ihr diese Kette geschenkt und sie vermisste sie schon eine Weile. Das alles erfüllte sie jedoch nicht so sehr mit Grauen wie die große Nadel, mit der die Brust der Puppe durchbohrt war.
Inas Atem beschleunigte sich. „Reg dich nicht auf!”, befahl sie sich selbst. „Atme ruhig und gleichmäßig. Jemand hat eine Nadel durch ein Stück Stoff gestoßen. Na und?” Dennoch fühlte sie eine schmerzhafte Enge in ihrer Brust, die sich rasch verschlimmerte.
Sie wagte nicht, die Puppe zu berĂĽhren, und stellte die Schachtel auĂźer Sichtweite auf die Fensterbank.
Zitternd sank sie auf einen Stuhl. Sie hatte panische Angst vor Hexerei und schwarzer Magie. Die beiden Männer wussten das. Welcher von ihnen konnte ihr so etwas antun? Siggi? Wahrscheinlich hatte sie die Silberkette bei ihm liegen lassen, als sie das letzte Mal bei ihm war. Andererseits wurde das Päckchen in der Nachbarstadt aufgegeben, wo Ulf jetzt wohnte.
Starkes Herzklopfen verstärkte das Gefühl der Beklemmung. Hastig schluckte sie ihre Medikamente.
„Ich habe keine Angst!”, sagte sie mehrmals laut vor sich hin. Entschlossen griff sie nach der Zeitung und begann darin zu blättern. Dabei nippte sie an ihrem Tee.
Als sie die Anzeige entdeckte, fiel ihr die Tasse aus der Hand. Die heiĂźe FlĂĽssigkeit verbrĂĽhte ihre Brust.
Dort, unter einem dicken schwarzen Kreuz, stand:

Am 7. März
hat mich meine geliebte Ina
* 6.4.1984
fĂĽr immer verlassen.
In stillem Gedenken
Sch-K.


Ihre Atemnot wurde beängstigend. Hastig ergriff sie die Spraydose, die neben ihrem Teller stand, sprühte sich in den Mund und atmete den Nebel tief ein.
Langsam klärten sich ihre Gedanken. Der 6. April 1984 war ihr Geburtstag. Sch-K, das könnte für ‚Schmusekater’ stehen. So hatte sie beide genannt – der Einfachheit halber. Warum aber der 7. März?
Es dauerte noch eine Weile, bis sie aufstehen und ins Schlafzimmer hinübergehen konnte. In der Nachttischschublade fand sie unter allerlei Krimskrams einen Taschenkalender. Der 7. März war ein Sonntag. Plötzlich ging ihr ein Licht auf. An diesem Tag hatte sich Siggi von ihr getrennt.
Der Streit war fürchterlich gewesen. „Wie konntest du mir das antun!“, hatte er geschrieen und war so heftig aufgesprungen, dass sein Stuhl umfiel. „Das vergesse ich dir nie!“ Dann goss er sein Glas Rotwein über ihrer weißen Bluse aus und stürmte hinaus.
Erst jetzt begann sie zu begreifen, wie verzehrend Siggis Gefühle für sie sein mussten: seine Liebe genauso wie sein Hass. Sie ließ sich aufs Bett fallen. Für Siggi war sie gestorben. Und nun wollte er sie anscheinend töten und schickte ihr eine Voodoopuppe mit durchbohrter Brust.
Ina wusste nicht, was sie tun sollte. Zur Polizei gehen? Dort würde man sie sicher nicht ernst nehmen. Zum Arzt, um sich krankschreiben zu lassen? Oder zu ihrer Spätschicht, so als ob nichts geschehen wäre? Aber sie hatte Angst, das Haus zu verlassen, Angst, dass er ihr irgendwo auflauern könnte.
Nur ihr leise röchelnder Atem durchbrach die Stille. Plötzlich schrillte das Telefon. Sie flog am ganzen Körper, als sie ins Wohnzimmer lief und auf die Rufannahmetaste drückte. „Hallo?”
Erst dachte sie, die Leitung wäre tot. Dann hörte sie ein hässliches, wisperndes Lachen.
„Siggi, warum tust du mir das an?” Sie begann zu weinen.
„Ich bin ’s”, hörte sie Ulfs dunkle Stimme. „Ich möchte dir gratulieren ...”
„Hilf mir!”, wollte sie gerade schreien, als er seinen Satz beendete: „ ... zum wahrscheinlich letzten Geburtstag deines Lebens.” Damit legte er auf.
Ina wurde schwarz vor Augen. Also nicht Siggi, sondern Ulf.
Irgendwie passte es auch zu ihm. Sie dachte an ihr letztes Gespräch. Zuerst hatte er reglos auf dem Sofa gesessen und vor sich hin gebrütet. Dann sah er sie an und sagte mit ruhiger Stimme: „Du bist ein Drecksstück. Ich will dich nie wieder sehen!“
Ina schleuderte das Telefon von sich. Panik erfasste sie. Sie musste weg hier, raus, sofort! So schnell sie konnte, lief sie zur TĂĽr und riss sie auf.
Beide standen sie davor. Ulf hielt das Handy noch in der Hand.
Gemeinsam drängten sie Ina zurück. Siggi schob sie ins Wohnzimmer, Ulf folgte einen Augenblick später mit dem Spray, das er vom Frühstückstisch geholt hatte. Er lächelte, während er es vor ihren Augen in seiner Hosentasche verschwinden ließ.
Ina rang nach Luft. „Was wollt ihr?”, stieß sie mühsam hervor.
Siggi drĂĽckte sie in einen Sessel. Die beiden setzten sich nebeneinander aufs Sofa und beobachteten sie.
Angestrengt presste Ina Luft in die Lungen. Mit einem ziehenden Geräusch fing sich der Atem in ihrem Brustkorb und blähte ihn.
„Das hättest du nicht gedacht, was?” Siggi legte seinen Arm um Ulfs Schultern „Wir sind gute Kumpel geworden. Uns verbindet das gleiche Schicksal.”
Sie lachten.
Inas ließ ihren Kopf nach hinten fallen. Ihr Atem pfiff. Die Enge wurde unerträglich. Sie griff sich an die Brust.
Ulf grinste. „Du weißt ja, was es bedeutet, wenn eine Voodoopuppe von einer Nadel durchbohrt wird.”
MĂĽhsam versuchte Ina aufzustehen, doch die Beine knickten unter ihr weg und heftiger Schwindel warf sie in den Sessel zurĂĽck.
„Du hast mit uns gespielt”, fuhr Ulf fort. „Nun spielen wir mit dir.“
Mit letzter Kraft zog sie sich wieder hoch, machte ein paar unsichere Schritte auf die Männer zu und streckte ihre Hand aus. „Gebt mir ...” Ina hatte nicht genug Atemluft um weiterzusprechen. Sie taumelte, verlor das Gleichgewicht, suchte instinktiv Halt und klammerte sich an Siggis Schulter fest.
„Ich schaffe es nicht, das durchziehen”, sagte Siggi, „gib ihr schnell das Zeug.”
Sofort griff Ulf in seine Hosentasche und drĂĽckte Ina die Spraydose in die Hand.

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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