Der Cousin im Souterrain
Der Cousin im Souterrain
Der nach "Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten" zweite Streich der Dortmunder Autorinnengruppe "Undpunkt".
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März 2005
Das Paket
von Andreas Petar

Ich schaute kurz auf die Uhr, während ich zu meinem Wagen ging. 16.45 Uhr. Noch 45 Minuten. Zeit genug. Aber trotzdem, warum musste Herr Wagner diese Besprechung ausgerechnet auf heute ansetzen, wo ich doch dringend zur Post musste? "Herr Müller, heute Mittag um 15 Uhr besprechen wir die Details bezüglich ihres Wechsels in die Abteilung C3.5", hatte er gesagt. Dann war er weg. keine Chance zu widersprechen. Natürlich hatte sich die Besprechung gezogen, so dass ich anstatt wie geplant um 16 Uhr erst um 16.45 Uhr aus dem Büro kam.
Ich stieg in meinen Opel und fuhr los. Noch hatte der Feierabendverkehr nicht eingesetzt und ich kam um 17 Uhr bei der Postfiliale an, wo mich ein mehr als dringendes Paket erwartete. Nach kurzer Wartezeit übergab ich dem Schalterbeamten meine Paketabholkarte. Er musterte sie lustlos, gab sie mir zurück und sagte: " Das Paket liegt im Zentrallager. Einen schönen Tag und Danke, dass Sie sich für die deutsche Post entschieden haben."
"Wie, Zentrallager?"
"Das Paket liegt im Zentrallager in der Weststadt."
"Warum das denn? Auf der Karte steht doch, dass ich mich hier melden soll?"
"Das galt, wie Sie dem Kleingedruckten hier unten entnehmen können", er deutete auf einen schwarzen Fleck unten auf der Karte, " bis 15 Uhr. Danach werden alle Pakete zum Zentrallager gebracht, wo sie innerhalb einer Frist von sieben Werktagen bis 17.30 Uhr abgeholt werden können. Einen schönen Tag und Danke, dass Sie sich für die deutsche Post entschieden haben."
Ich holte meine Brille aus der Jackentasche und inspizierte den vermeintlichen Fleck. Der Schalterbeamte hatte recht. Da stand genau das, was er sagte. Mein wohl strukturierter Plan geriet ins Wanken, dabei hatte bisher alles so gut funktioniert: die Eilbestellung vor zwei Tagen mit Lieferung an Herrn Müller von nebenan. Dass er zum Zeitpunkt der Lieferung nicht zu Hause war erschien mir weniger schlimm, hatte er mir doch die Paketabholkarte nebst Vollmacht zur Abholung des ohnehin für mich bestimmten Pakets gegeben. Aber nun erschienen Risse in der Planung. Es war kurz nach fünf, ich wurde zuhause erwartet und das Paket war nicht da.
Ich stieg in den Wagen, ließ den Motor des Opels aufheulen und gab Gas. Das Zentrallager lag am anderen Ende der Stadt, aber wenn ich die eine oder andere Verkehrsregel etwas dehnte, würde ich es schaffen. Ich fuhr wie der Teufel und manchmal kam es mir so vor, als wäre mein Geist außerhalb meines Körpers, unfähig einzugreifen. Ich überholte links und rechts, wo eben gerade eine Lücke war. Zebrastreifen ignorierte ich völlig, genau wie umspringende Ampeln. Sollte man mich doch blitzen. Es ging um weit wichtigeres.
Um 17.29 erreichte ich den Parkplatz des Zentrallagers und hechtete in Richtung Eingang. Dort schloss gerade ein Beamten von innen ab.
"Wir haben zu."
"Sie schließen erst um 17.30 Uhr."
"Also genau jetzt." Er tippte auf seine Armbanduhr.
"Ich muss dringend ein Paket abholen."
"Können Sie gerne. Am Montag."
"Ich brauche es aber heute. Es ist wichtig!"
Mein Flehen und 20 Euro überzeugten den Beamten schließlich von der Dringlichkeit. Er führte mich in eine abgedunkelte Halle. Ich gab ihm meinen Paketabholschein und das versprochene Geld, das er mit einem zufriedenen Grunzen in seiner Jackentasche verschwinden ließ. Er ging los und kam kurz darauf mit meinem Paket zurück.
"Bitte schön, Herr Müller, Ihr Paket. Und beehren Sie uns bald wieder", sagte er mit einem süffisanten Grinsen.
„Danke“, grummelte ich und lief mit dem Paket zum Wagen.

***

"Schatz, Du siehst hinreißend aus", sagte ich und lächelte sie über den romantisch dekorierten Tisch an. Ihr rotes Haar glitzerte im Kerzenschein wie Kupfer während sie elegant die Träger ihres Cocktailkleides richtete.
"Fünf Jahre verheiratet ist heutzutage nicht mehr selbstverständlich", sagte sie und holte mit einem zauberhaften Lächeln ein kleines Päckchen unter dem Tisch hervor.
"Das ist für Dich, mein Schatz."
"Nicht so schnell. Ich muss noch Dein Geschenk holen."
Freudestrahlend ging ich in den Flur, wo das Paket notdürftig verpackt auf seine Übergabe wartete. Voller Stolz übergab ich meiner Frau ihr Hochzeitsgeschenk. Sie würde den Inhalt lieben, das wusste ich.
Neugierig machte sie sich daran, das Geschenkpapier zu entfernen. Sie öffnete das Paket und linste hinein. Ihre Augen weiteten sich, der Kiefer klappte ihr runter. Sie stand auf, ging um den Tisch und baute sich vor mir auf. Ich schloss die Augen und erwartete einen heißen Kuss. Stattdessen schoss mir plötzlich ein Schmerz durch den Kopf, ausgehend von der schallenden Ohrfeige, die ich gerade von meiner Frau bekommen hatte. Wutschnaubend verließ sie das Esszimmer und schloss sich im Schlafzimmer ein. Ich blieb zurück, verdattert und nicht wissend, was das geschehen war. Warum freute sie sich nicht über mein Geschenk? Ich nahm das Paket, schaute hinein und schlagartig war mir alles klar.

***

Zum Glück hatte ich den Lieferschein aufgehoben und konnte somit den richtigen Empfänger des Paketes ausfindig machen. Er hieß wie mein Nachbar Müller, wohnte aber vier Straßen weiter. Mit hochrotem Kopf öffnete er mir, nachdem ich am Montag telefonisch um einen Austausch unserer verwechselten Pakete gebeten hatte, die Tür. Wortlos drückte er mir das für mich bestimmte Päckchen in die Hand, schnappte sich seines und schloss die Tür.
Lächelnd ging ich zum Wagen. Ich stellte mir vor wie Herr Müller sehnlichst auf seine Bestellung vom Online-Sexshop gewartet hatte, auf die Filme mit unzweideutigen Titeln, auf die diversen Gerätschaften, die ich in dem Paket sah und die Enttäuschung, als er die „Sissi“-DVDs vorfand, die eigentlich für meine Frau bestimmt waren.
Fröhlich pfeifend startete ich den Wagen und freute mich auf den Abend zuhause. Mit Kerzenschein, einem romantischen Essen, netten Geschenken und mehr - kurz, einer Wiederholung unseres Hochzeitstages. Diesmal aber mit Happy End.

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