Wellensang
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Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
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März 2005
Das Paket
von Mandy Reich

„Lissi, es ist ein Paket gekommen.“
Elisabeth spurtete schnell vom Wohnzimmer in den Vorsaal. Dort stand ihre Schwester Mathilde mit einem großen Paket in den Händen und strahlte sie fröhlich an.
„Für wen ist es, Tilly. Steht ein Absender darauf?“, wollte Elisabeth aufgeregt wissen.
Es war Sommer, beide Mädchen hatten ihre Geburtstage bereits hinter sich und außer einem Bekannten von Mathilde, der seit Jahren auf Teneriffa lebte und hin und wieder ein Päckchen sandte, konnte sich Lissi nicht erklären, von wem das Paket sein könnte.
„Also, ein Absender steht darauf.“ Sagte die zwanzigjährige Tilly zu ihrer jüngeren Schwester. „Und das Paket ist selbstverständlich für dich, sonst hätte ich es schon längst geöffnet und würde nicht damit im Flur herumstehen. Komm schon, du errätst nie, von wem es ist.“
„Gib es mir“, freute sich Elisabeth.
„Nein, erst musst du raten. Sonst macht es keinen Spaß“, flötete Mathilde erfreut.
Das Paket in den Händen drängte sie sich an ihrer Schwester vorbei in die Wohnstube und lachte, als Lissi vergeblich versuchte, einen Blick auf die Aufschrift zu werfen.
„Nun mach es doch nicht so spannend, Tilly. Woher kommt es?“ Doch bereits während sie das fragte, ahnte Lissi, dass sie ohne das Ratespiel nicht an die Sendung kommen würde. Beide erhielten viel zu wenig interessante Päckchen, als dass sie sie einfach aufgerissen und hineingeschaut hätten. Um den Überraschungseffekt so lange wie möglich hinauszuzögern, hatten sie sich schon vor Jahren diese besondere Art des Spieles auserkoren.
„Das Päckchen kommt von der Post. Die Dame meinte, es läge schon seit zwei Tagen auf dem Amt, aber sie durfte es erst heute zustellen, da ein fester Liefertermin vereinbart war.“ Mathilde trug das Paket in die hinterste Ecke der Stube und verstellte Lissi lachend den Weg.
„Oh Tilly, du weißt genau wie ich das gemeint habe. Selbstverständlich kommt es von der Post, ich bin ja nicht blöd. Was ich meinte war, ich habe keine fernen Bekannten, die mir etwas schicken könnten, bestellt habe ich auch nichts und an einem Gewinnspiel habe ich auch nicht teilgenommen. Also woher kommt das Paket?“ Die letzte Frage formulierte Elisabeth so deutlich, als wenn sie einem Kleinkind etwas erklären müsste, welches obendrein schwer von Begriff war. Langsam wurde die Achtzehnjährige wirklich ungeduldig.
„Ich liebe es, wenn du dir die Haare raufst.“ Als Mathilde dies bemerkte, fand sie, es wäre an der Zeit, eine kleine Hilfestellung zu geben. Schließlich wollte sie selbst gern wissen, was in dem Paket war. Es war zwar groß, doch sehr leicht. „Na schön. Es ist von einem Freund.“
„Einem Freund? Das kann ich mir kaum erklären. Alle Freunde wohnen doch in dieser Gegend. Die würden mir nie ein Päckchen schicken, sie könnten doch vorbeikommen.“
„Nun stell dich nicht so an, Elisabeth. Vielleicht ist es ein Freund, der dich überraschen will und deshalb nicht persönlich vorbeikommt. Hm?“
Die nun wieder neckende Stimme verriet Elisabeth zwar eine Richtung, in der sie denken wollte, doch das konnte nicht sein. Nein!
Vorsichtig hakte Lissi weiter. „Leider habe ich keine Freunde wie deinen Timothy, Mathilde.“
„Es ist nicht mein Timothy, sondern ein Freund, der uns beiden Präsente von den Kanaren schickt.“
„Trotzdem ist er mehr dein Bekannter als meiner.“
„Darum kann ich dir auch versichern, dieses Paket ist nicht von ihm. Es ist von einem anderen jungen Mann.“
Elisabeth verschlug es die Sprache. All die Andeutungen waren für sie schier unerträglich. „Also ist es von einem Mann?“
„Himmel noch mal, Lissi, nun stell dich nicht so an. du verdirbst einen ja die ganze Freude.“
„Allerdings. Denn der einzige junge Mann, der mir eventuell ein Paket schicken würde, wäre Tom.“
„Aha.“
„Was Aha?“
„Na du hast es erraten! Das Paket kommt von Tom!“ rief Tilly erfreut aus. Jetzt sprang sie zur Seite um ihre Schwester an die große Postsendung zu lassen.
Doch Lissi rührte sich nicht von der Stelle. Sie verharrte stillschweigend zwei Meter vor dem Karton und starrte auf die Pappschachtel. Sie bemerkte nicht, wie begierig Tilly darauf wartete, dass sie endlich das Päckchen öffnete. In ihrem Kopf drehte sich alles.
Tom, der einzige junge Mann, der ihr ein Paket schicken könnte, da er der einzige junge Mann war, den sie als Freund hatte. Tom, der Mann, den sie vor einer Woche das letzte Mal gesehen hatte, als er ihr – was sie bereits seit langem geahnt hatte – eröffnete, wie sehr er sie liebte. Tom, der einzige Mann, für den sie ebenfalls so tief empfand. Tom, der ihr – obwohl er fast um die Ecke wohnte – ein Paket geschickt hatte.
Für Lissi war das kein gutes Zeichen.
„Warum machst du es nicht endlich auf?“, wurde sie in ihren trüben Gedanken von ihrer Schwester unterbrochen. „Lissi, was ist mit dir?“ Besorgt blickte Mathilde ihr Schwesterherz an. „Oh weh, du weinst ja!“
„Ich weine überhaupt nicht“ wehrte Elisabeth ab. „Ich habe nur etwas im Auge.“
„Allerdings, und das sind Tränen.“
„Ach Tilly, ich bin so unglücklich“, schniefte Lissi, die erst jetzt merkte, dass sie tatsächlich am Weinen war.
„Aber was hast du denn? Eigentlich solltest du dich freuen. Immerhin hat dir dein Herzallerliebster eine Aufmerksamkeit zugedacht.“
„Mir ist aber nicht nach Freude zumute. Kannst du dir nicht denken, was das ist?“
„Nein, und du sicher auch nicht, wenn du das Paket nicht gleich öffnest.“
„Doch, allerdings kann ich das“, meinte Lissi aufgebracht. „Du weißt doch, dass ich schon oft bei Tom in der Wohnung war. Manchmal habe ich auch dort übernachtet.“
Mathilde stellte sich empört „Allerdings weiß ich davon. Es bleibt nicht aus, dein Fernbleiben zu übersehen, wenn man in einem Haushalt lebt.“
„Nun tu nicht so. Es ist schließlich nichts passiert. Tom ist ein Gentleman.“ Nach einer Weile fügte sie traurig hinzu. „Zumindest dachte ich das bis heute.“
„Und was ist geschehen, das deine Meinung über ihn so radikal geändert hat?“
„Das hier ist geschehen“ schrie Elisabeth und deutete mit ihrem tränennassen Finger auf das Paket. „Ich habe ein paar Sachen bei Tom liegen lassen. Eine Zahnbürste und ein Nachthemd, auch Wechselwäsche. Mit Sicherheit befinden sich in diesem Paket meine ganzen Habseligkeiten.“
„Aber wieso sollte er dir denn deine Sachen schicken. Sagtest du nicht, er hat dir erst vor kurzem aufrichtig seine Liebe gestanden? Wenn er dich wirklich nicht mehr wollte, weshalb bringt er dir dann die Sachen nicht persönlich vorbei? Glaubst du nicht, er brächte den Mut auf, dir das ins Gesicht zu sagen?“
Lissi weinte inzwischen bitterlich. „Ich weiß doch auch nicht. Aber was soll denn sonst in dem Paket sein?“
„Mach es endlich auf, herrje! Bei dir bin ich gleich am verzweifeln.“
Elisabeth tupfte sich die Augen trocken. „Also, dann bringen wir es hinter uns.“ Entschlossen ergriff Lissi die Schere und schlitzte das Klebeband auf. Schließlich klappte sie vorsichtig die vier Laschen nach oben, um einen Blick in den Karton zu werfen. Nachdem sie eine ganze Menge Zeitungspapier herausgezogen hatte, welches als Transportschutz beigefügt war, und sich wunderte, ob überhaupt noch etwas anderes im Paket wäre, erstarrte sie.
Ihr Blick fiel auf ein kleines, in rotes Geschenkpapier gewickeltes Päckchen. Vorsichtig hob Elisabeth Besagtes heraus.
Mathilde, die hinter Lissi stand, hielt gespannt den Atem an.
Währenddessen öffnete Lissi vorsichtig das rote Papier und hielt einen kleinen selbstgebastelten Karton in den Händen, auf dessen Deckel ein Foto von ihr und Tom prangte. Darauf hielten sich beide im Arm und das Glück, einander gefunden zu haben, stand beiden ins Gesicht geschrieben. Elisabeth hob langsam den Deckel und verharrte erneut. In dem kleinen Paket befanden sich eine klitzekleine Samtschatulle sowie ein Brief. Vorsichtig öffnete Lissi die Schatulle. Sie traute ihren Augen nicht, stach ihr doch ein wunderschöner goldener Ring, besetzt mit drei weißen Diamanten, ins Auge. Mathilde hinter ihr stieß einen kleinen Freudenschrei aus und Elisabeth faltete Toms Brief auseinander.

So ewig wie auf Erden die Sonne scheint,
Ist meine Seele ergeben Dein.
Unsere Gefühle wecken Sehnsüchte in mir,
All meine Gedanken hängen stets nur bei Dir.
Wie mein Herz ist für immer Dein,
So hoffe ich, bist auch Du bald mein.

Liebste Lissi,
Du erwähntest einmal, dass der Mann, der Dich heiraten möchte, sich einen ganz besonderen Antrag einfallen lassen müsste.
Befürchtend, dass Du ein einfaches Ich liebe Dich nicht für gut genug halten könntest, habe ich mich entschlossen, etwas Besonderes zu arrangieren. Da ich weiß, wie sehr ihr euch über Pakete freut, da sie doch allzu selten kommen und welch hübsches Spiel ihr dabei treibt, habe ich mich zu diesem Weg entschlossen. Umso erfolgreicher, hoffe ich, wird mein Antrag von Dir aufgenommen werden.
Ich erwarte Dich, meine Herzallerliebste, heute um zwanzig Uhr im „Royal Inn“, um dort gebührend unsere Verlobung zu feiern.
In aufrichtiger Liebe, Dein Tom


Elisabeth traten erneut Tränen in die Augen. Doch diesmal waren es Tränen der Freude.

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