Mainhattan Moments
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Susanne Ruitenberg und Julia Breitenöder haben Geschichten geschrieben, die alle etwas mit Frankfurt zu tun haben.
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April 2005
Maskerade
von Anne Zeisig

Tom blickte zufrieden in den Spiegel. Heute würde er bestimmt die Aufmerksamkeit seiner Frau Margitta erregen. Sein Haar leuchtete azurblau mit dem grün und blau karierten Shirt um die Wette. Sein Bauch wölbte sich leicht über dem orangefarbenen String und an den Füßen trug er jeweils eine rote und eine weiße Socke – als er Margitta das Abendessen servierte.
Sie schlang ihre Spatzenportion ohne ein Wort des Lobes hinunter und fütterte Hund Herkules mit dem Rest der Köstlichkeiten: "Du musst unbedingt wieder mit Herkules zum Friseur, Tommi. Und ein Bad hat er nötig! Der stinkt!" Dann ging sie ins Schlafzimmer: "Bin müde! Muss morgen wieder früh raus wegen der Vorstandssitzung. Na-hacht!"
Verdammt! Was sollte er denn noch für alberne Maskeraden vorführen, damit sie ihn wahrnahm?
'Ab sofort nicht mehr duschen!', dachte er. Wenn sie bemerkte, dass der Hund stank, dann würde sie es auch riechen, wenn er penetrant ...

. . .

Margitta warf das Nadelstreifensakko über die Stuhllehne, ließ sich auf das Sofa fallen und schaltete den Nachrichtensender ein: "Mist!", rief sie, "ich hätte Aktien der 'Bit-Group' kaufen sollen!"
Tom eilte ins Wohnzimmer. Heute hatte er sein Haar pinkfarben eingesprüht, sein kleiner Bierbauch wurde vom hautfarbenen Korsett seiner Mutter zusammen gequetscht und die Nasenlöcher hatte Tom mit einer roten und blauen Wäscheklammer verschlossen. Er konnte sich selbst nicht riechen, so sehr stank er nach einer Woche des Nichtduschens.
Noch bevor er sich zu seiner Frau kuscheln konnte, war Herkules zu ihr auf das Sofa gesprungen. Margitta lachte glockenhell: "Hey! Du vierbeiniger Draufgänger! Freust dich immer, wenn Frauchen mit dir schmust, stimmt's?!" Und ohne den Blick vom Fernseher zu wenden, sagte sie: "Hier duftet es so gut. Hast du für Herkules ein neues Shampoo gekauft?"
"Nein!", antwortete Tom harsch und setzte sich in den Sessel, "ich habe eine Woche nicht geduscht. Das ist mein Naturaroma."
Margitta kraulte Herkules' Fell, vergrub ihre Nase darin und sog den Duft genüsslich ein.
Das war des Guten zuviel. Tom stand auf, lief ins Bad, riss sich dieses alberne Korsett herunter, stellte sich unter die Dusche und rasierte sich anschließend einen Kahlkopf. Er drehte und wendete seinen Kopf vor dem Spiegel und was er sah, gefiel ihm gut: Eine wohlgeformte, glänzende Glatze. Er goss sich Rasierwasser darüber, verrieb es, legte sich ins Bett und wählte die Nummer seines Freundes Nils.
"Das ist der Hammer! Du hast dir eine Glatze rasiert? Und? Was hat sie dazu gesagt?"
Tom erzählte, dass er die Maskeraden leid sei, weil Margitta ihn eh nicht beachten würde. Sogar der Tipp von Nils, sich ins Bett zu legen und über und über mit Ketchup einzusuhlen, als sei es Blut, hatte bei ihr keine Wirkung gezeigt. Sie sei zu sehr mit sich und ihrer Karriere beschäftigt: "Wenn hier ab morgen ein anderer Mann an meiner Stelle im Haus wäre, sie würde es nicht bemerken!", klagte Tom.
"Alter Junge!", rief Nils in den Hörer, "diese Idee hätte glatt von mir sein können! Dieser andere Mann werde ich sein!"
"Nils, du spinnst! Das sieht ja aus, als würde ich dir Margitta schenken, sie an dich abtreten. Absurd!"
"Willst du sie wach rütteln oder nicht?"
"Ja, doch, aber..."
Nils entkräftete Toms Bedenken: "... eher eine Leihgabe bis sie bemerkt, dass ich nicht du ... "

Nun saß Tom also auf dem Schlafsofa in der Junggesellenwohnung von Nils und drückte eine Zigarette im Ascher aus. Er sah auf seine Armbanduhr.
"Gleich kommt Margitta aus dem Büro." Tom sah zum Telefon und hoffte inständig, dass Margitta in ein paar Minuten anrufen würde, um ihm eine Standpauke zu halten, was das doch für eine Schnapsidee gewesen sei.
Da hörte er, wie ein Schlüssel im Wohnungstürschloss gedreht wurde. 'Na bitte!', dachte er und lief erfreut in den kleinen Flur, 'das wird Nils sein, weil Margitta ihn rausgeworfen hat.'
Aber das erste, was er sah, waren Unmengen roter Haare. Und erst, als eine Hand mit langen Fingernägeln diese beiseite schob, kam ein rundliches Gesicht mit Kirschmund und hellgrünen Augen zum Vorschein. "Heike." Sie streckte ihm besagte Hand entgegen: "Und du musst der Tom sein."
Ohne eine Antwort abzuwarten, entzog sie ihm ihre warme, weiche Hand und ging in den Wohnraum. Sie zupfte hier an der Tischdecke und dort an den Blättern der künstlichen Yucca-Palme. "Nils ist also auf unbestimmte Zeit verreist und du bist hier die Urlaubsvertretung, um die Palme zu gießen?" Sie setzte sich auf das Sofa und strich mit beiden Handflächen ihren Rock glatt.
"Urlaubsvertretung? Na ja. So kann man es auch ausdrücken." Tom wusste nicht wohin mit seinen Händen und steckte sie in die Taschen seiner Jeans.
"Nils meinte, dir täte Gesellschaft ganz gut." Heike öffnete die oberen beiden Knöpfe ihrer Bluse, stich sich mit der Zunge über die Unterlippe, schlug ein Bein über das andere und warf mit einem Ruck ihre Mähne zurück: "Setz dich zu mir."
"Hunger?" Tom eilte in die kleine Küche und zog seine schweißnassen Hände aus den Hosentaschen. Er hörte, wie ihre Stöckelabsätze auf dem Laminatboden klapperten und spürte, wie sie ihn von hinten umschlang. Ihre Hände nestelten an seinem Hosengürtel.
'Geil', dachte Tom und konnte sich nicht erinnern, wann Margitta das letzte Mal so ...
"Puh, ist es hier heiß", bemerkte Heike und öffnete den Reißverschluss seiner Jeans.

. . .

Derweil wartete Nils immer noch auf Margitta. Das Essen, welches der Party-Services angeliefert hatte, war längst kalt geworden. Außerdem begleitete Herkules jeden seiner Schritte im Haus mit dumpfen Knurren und ließ sich von ihm nicht anfassen. Deshalb war es unmöglich gewesen, dem Hund die Leine anzulegen, um mit ihm raus gehen zu können. Herkules hatte also inzwischen Urinpfützen im gesamten Haus hinterlassen. Nils wischte sie auf. Den Abend hatte er sich anders vorgestellt. Margitta hätte wenigstens anrufen können, um mitzuteilen, dass sie später kommen würde.
Er ging raus auf die erhöhte Terrasse. Von hier aus hatte Nils einen guten Blick über die Straße und würde sehen, wenn sie aus der Stadt hochgefahren käme. Inzwischen war es dunkel geworden.
Herkules hatte es sich auf dem Sofa gemütlich gemacht. Nils stöhnte. Kein Wunder, dass Margitta sich hier nicht wohlfühlte. Sie, eine weltoffene Karrierefrau. Und dann dieser Tom, der seinen Spießbürgermief im gesamten Haus verbreitet hatte. Hier ein Spitzendeckchen, dort ein paar Samtkissen mit Fransen und geblümte Flanellbezüge auf den Betten. Das passte zu den Küchentüchern mit der Aufschrift: "Hier kocht der Boss persönlich."
"Seit sie diesen Vorstandsjob hat, ist sie wie ausgewechselt. Keine Zeit für Urlaub, weil sie beruflich in die USA oder nach Fernost muss," hatte ihm Tom sein Leid geklagt. "Dabei war es so eine schöne Gewohnheit, jedes Jahr an den Gardasee zu reisen. Diese ersten Jahre, als sie in dem Konzern noch die kleine Tippse war, da speisten wir abends im Bett und zum Nachtisch ließ sie sich von mir verführen."
Nils stellte das Keramikschälchen mit den Erdnüssen beiseite, setzte sich in den Sessel und legte die Füße auf den Wohnzimmertisch. Herkules drehte kurz den Kopf und kommentierte dieses Tun mit einem lauten Knurren.
'War da nicht gerade ein Auto die Straße hochgefahren?' Nils sprang auf und ging zum Fenster.
. . .

Tom wachte auf, weil ihn fröstelte. "Tommi", flüsterte eine weibliche Stimme neben ihm und schlang ihren Arm um seine Brust, "ich werde aufstehen und meinem Helden der Nacht ein zünftiges Frühstück servieren."
Er wollte sich aufrichten, aber sie drückte ihn sanft zurück, "du bleibst liegen."
Tom hörte, wie sie in der Küche werkelte.
"Übrigens!", rief sie zu ihm hinüber, "die Glatze bringt dein Gesicht hervorragend zur Geltung!"
Er erinnerte sich: Ihre Zärtlichkeiten und diese Raffinesse. War das eine Nacht! Tom stand auf, ging in die Küche und blieb in der Tür stehen, weil ihr nackter Körper ihm den Atmen raubte. Der Schlitz im Vorhang ließ ein wenig Morgensonne hinein. Dieses Rubensmädel mit ihrer weißen, weichen Haut. Ein Vollblutweib. Sie drehte sich herum: "Frühstück ist fertig", gab ihm das Tablett und huschte ins Bad.

. . .


Tom stand an der S-Bahnhaltestelle und wählte abwechselnd die Telefonnummer des Festnetzes und die Handynummer von Nils oder Margitta. Erfolglos. Er musste heim. Hatte schließlich keine Ahnung, wie seine Frau den gestrigen Abend aufgenommen hatte.
Er schüttelte den Kopf über diesen Blödsinn, den er da mit Nils ausgeheckt hatte. Wie Pubertierende. Und überhaupt! Er! Seit Wochen diese Maskeraden! Tom stieg ein, setzte sich an einen Fensterplatz und legte gedanklich Worte für Margitta zurecht: "Gittilein, vielleicht lohnt es sich, wenn wir zu einer Eheberatung gehen. Es ist halt dieses verflixte siebente Jahr unserer Ehe."
Wütend schlug er mit der Faust vor die Scheibe und zischte: "Und nun auch noch dieser Seitensprung."
Die Fahrgäste sahen ihn teils verduzt, teils vorwurfsvoll und kopfschüttelnd an.

. . .

Tom wunderte sich, dass Margittas Auto noch in der Einfahrt stand, denn normalerweise hätte sie längst im Büro sein müssen. Eisiger Wind fegte über ihn hinweg und ließ ihn frösteln. Eilig schloss er die Haustür auf, zog seine Schuhe aus, ging in die Wohndiele und hörte, wie seine Frau und sein Freund laut redeten. Er schob die Tür einen Spalt auf und sah, wie Nils Margitta an sich riss: "Du musst dich von diesem Waschlappen trennen! Der macht sich für dich zum Affen. Wie sollst du da noch Respekt vor Tom haben?"
Sie wehrte ihn ab und zündete sich eine Zigarette an: "Und wer hat Tom zu den Maskeraden geraten? Du."
Nils schnalzte mit der Zunge: "Ich bin halt sehr kreativ!"
Sie warf ihre braune Mähne in den Nacken und kniff die Augen zusammen: "Und nun auch noch dieser Männertausch!" Margitta ging ans Fenster und sah hinaus. "Diese Memme ist bei mir geblieben, obwohl ich ihm deutlich gezeigt habe, dass er Luft für mich ist." Sie machte eine Pause und blies den Qualm über die Grünpflanzen. "Jeder halbwegs normale Mann hätte seine Koffer gepackt. Aber Tom nicht! Oh nein! Und warum nicht?"
Nils zündete sich auch eine Zigarette an: "Weil er lieber bei dir bleibt, anstatt sich die Mühe zu machen, eine andere kennen zu lernen."
"Der bleibt bei mir, weil er bei anderen Frauen nicht landen kann!" Sie drückte den Zigarettenstummel im Blumentopf aus, "und nur für sich alleine kochen, da hat Tom keine Lust dazu."
Wieder fasste Nils Margitta an den Schultern und drehte sie zu sich herum: "Warum verlässt du ihn nicht? Dann ist er halt alleine mit seinen Kochtöpfen. Ja und?. Zahl ihm guten Unterhalt und fertig. Dann kann er hier getrost seinen Kleinstadtmief weiterleben." Er küsste sie auf die Stirn. "Ich liebe dich! Wir zwei sind aus dem selben Holz geschnitzt."
Margitta nahm ihre Autoschlüssel vom Tisch: "Ich liebe Tom ja auch nicht mehr. Aber ihn verlassen? Das kann ich nicht. Er hat mir damals nicht nur finanziell den Rücken freigehalten, als ich 'ne kleine Tippse war und dann das Studium begonnen hatte. Ich bin ihm zu Dank verpflichtet. Könnte ihn nie hier so alleine zurück lassen."
Tom stolperte die Treppe zum Schlafraum hoch.
'So ist das also.' Und sein Herz hörte nicht auf zu schlagen. Und der Boden unter seinen Füßen begann nicht zu schwanken. Auch lösten sich keine Tränen. Tom packte einige Sachen in seine Reisetasche und holte den Zettel aus der Jeanstasche: "Heike Weberspan, Lindenallee ... Telefon ... "
. . .

Nun stand er in Heikes Wohnzimmer.
"Die Nacht mit dir gestern. Unvergesslich. Deine Zärtlichkeit und ... " Er stellte die Reisetasche auf den Teppichboden.
"Hör zu", sie strich sich ein paar Strähnen ihres roten Haares aus der Stirn, legte zwei Finger auf seine Lippen und umarmte ihn, "ich will keine feste Beziehung. Diese eine Nacht war okay. Mehr nicht." Sacht drückte sie ihm die Tasche in die Hand und schob ihn zur Türe hinaus.
"Aber warum hast du mir den Zettel mit deiner Adresse gegeben?", rief Tom, und das Schrille seiner Stimme hallte durchs Treppenhaus.
'Das war ein Fehler', dachte Heike. 'Ist halt passiert im Überschwang der Gefühlsduselei.'
Dann griff sie zum Telefon und rief Nils an: "Ja, die Nacht war ein Erfolg, mein Lieber, aber das war 's dann auch. 'ne dauerhafte Beziehung? Nein. Ich bin keine Sozialarbeiterin für emotional und finanziell gescheiterte Hausmänner." Sie klickte das Gespräch weg.
. . .

Nils steckte sein Handy in die Hosentasche: "Margitta, und wenn ich dir sagen würde, dass dich dein Mann heute Nacht betrogen hat? Würdest du ihn dann verlassen?"
Sie ging in die Diele, zog ihren Mantel an und lachte: "Der und mich betrügen? Nils! Mach dich nicht lächerlich. Für Tom gibt es nur eine Frau, und das bin ich."
"Tja", flüsterte Nils, "dann werde ich mich auf die Socken machen, 'Bit-Group' wartet." Und fischte seinen Autoschlüssel aus der Hosentasche.
Mist! Für das Geld, welches er Heike für diese Nacht mit Tom gezahlt hatte, da hätte sie auch ein paar schöne, verfängliche Fotos machen können als Beweis.
Margitta schob ihn zur Tür hinaus und meinte auf dem Weg zum Auto: "Kennst du nicht vielleicht eine Frau, die froh wäre, wenn sie meinen Tom geschenkt bekäme? Eine, die das Zeug dazu hätte, ihn so richtig zu verführen? Dann wäre ich ihn auf einfache Art und Weise los." Sie stieg ins Auto und schüttelte den Kopf: "Auf was für absurde Gedanken man doch kommen kann! Aber wenn er mich wegen einer Frau verlassen würde, das wäre die Lösung. Damit könnte ich gut leben." Der Motor heulte auf, als sie aus der Einfahrt zur Straße abbog.
Nils zückte sein Handy und tippte sich durch die Liste: 'Es muss doch eine geben, die für Tom geeignet ist. Die blonde Lehrerin Arisa? Oder vielleicht Helen? Ist Witwe.' "Anruf Tom! Anruf Tom!", flüsterte ihm die piepsende Handystimme zu.
"Tom! Gut, dass du dich meldest!", rief Nils übertrieben euphorisch in den Hörer.
"Ich schenke dir Margitta!"
"Was?"
"Du kriegst meine Frau von mir geschenkt und basta!"
Verdattert steckte Nils das Handy in seine Hosentasche. Der kalte Ostwind blies ihm das schüttere Haar in die Stirn.
Tom zog sich die warme Wollmütze bis über die Ohren und wählte Heikes Telefonnummer: 'Sie wird ihre Meinung ändern', dachte er und flötete charmante Komplimente in ihr Ohr.
Und heute Nachmittag würde er die Aktien der 'Bit-Group' mit einem Gewinn von dreihundert Prozent verkaufen.

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