Futter für die Bestie
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Gruselig geht's in unserer Horror-Geschichten-
Anthologie zu. Auf Gewalt- und Blutorgien haben wir allerdings verzichtet. Manche Geschichten sind sogar witzig.
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April 2005
Kinder, Küche, Kirche
von Birgit Erwin

"Dein Mann weiß es doch hoffentlich noch nicht?", fragte die alte Ursula, während sie mit kräftigen Bewegungen den Brotteil knetete. Fernes Kindergeschrei drang durch das kleine Fenster der Kate. Sie wischte sich die Hände an der Schürze ab und drehte sich zu ihrer Enkelin um, die mit offenem Mund auf dem roh zusammengezimmerten Küchenstuhl saß.
"W-was soll er wissen?", fragte die junge Frau vorsichtig.
Ursula lachte meckernd.
"Dass du bald einen dicken Bauch haben wirst, Kindchen. Nun, weiß er es?"
Rose schüttelte den Kopf so heftig, dass sich ein paar Strähnen aus ihrer Haube lösten. Sie war rot geworden.
"Nein, ich … ich weiß es ja selber erst seit ein paar Tagen."
Die Alte kehrte mit einem zufriedenen Grinsen zu ihrer Arbeit zurück.
"Das ist gut. Das macht es leichter, ihn loszuwerden."
"Ihn loswerden?" Die junge Frau begann, nervös an ihrer Haube zu zupfen. "Aber Großmutter, ich …"
Doch sie hatte keine Gelegenheit auszureden, denn in diesem Augenblick wurde die Türe der Hütte aufgestoßen, und eine dritte Frau betrat den kleinen Raum. Ihr Gesicht war eine seltsame, anziehende Mischung der Falten der alten und der Schönheit der jungen Frau. Sie stellte den schweren Korb, den sie trug, mit einem erleichterten Ächzen auf den Boden und lächelte ihrer Tochter kurz zu.
"Hast du sie ins Bild gesetzt, Mutter?", wandte sie sich dann an die alte Frau am Herd.
"Noch nicht. Sie macht Schwierigkeiten. Ich hab dir damals gleich gesagt, verheirate sie mit irgendeinem Kerl mit strammen Muskeln, und wenn er ihr ein paar Ohrfeigen verpasst, dann macht das alles nur leichter."
"So wie du es mit mir gemacht hast, Mutter? Ich denke nicht daran, meiner Tochter …"
Die beiden Frauen brachen ab, als hinter ihnen ein Stuhl auf den Boden polterte. Rose war aufgesprungen. In ihren Augen standen wütende Tränen.
"Wovon sprecht ihr eigentlich? Ich habe euch schon tausend Mal gesagt, dass ich es hasse, wenn ihr über mich redet, als sei ich nicht da. Und noch mehr hasse ich es, wie ihr über Werner sprecht. Er ist ein guter Mann!"
Die beiden älteren Frauen tauschten einen viel sagenden Blick.
"Setz dich und halt den Mund", befahl Martha und nahm ihrer Tochter gegenüber am Küchentisch Platz. Mit kurzen, präzisen Bewegungen begann sie, die Erbsen für das Mittagsessen aus den Schoten zu lösen, während sie ihre Tochter mit einer Mischung aus Zärtlichkeit und Strenge musterte.
"Also gut, Rose, ich werde mit dir jetzt wie mit einer Erwachsenen reden. Mit der Zeugung deines Kindes sind in dir die Kräfte erwacht, die sich seit Generationen mit unserem Blut vererben. Kurz und gut, du bist eine Hexe."
Sie warf eine Handvoll Erben in den Korb.
Rose wollte lachen, aber das Entsetzen schnürte ihr die Kehle zu. Schweißtropfen rannen über ihre Schläfen.
"Das ist Wahnsinn, Mutter. Du weißt nicht, was du sagst!"
Martha zuckte die Achseln und lächelte nachsichtig, während sie mit dem Daumen auf die Feuerstelle zeigte.
"Sieh in die Asche. Stell dir ein Feuer vor und dann befiehl ihm zu brennen."
"Mutter …"
"Tu es!"
Rose zuckte zusammen und wandte sich der Feuerstelle zu. Ihre blonden Augenbrauen waren angestrengt gerunzelt, und ihre Lippen bewegten sich.
"Brenne …", flüsterte sie. "Brenne … bren-!"
Eine Stichflamme loderte auf. Rose stieß einen gellenden Schrei aus und bekreuzigte sich.
"Heilige Mutter Gottes!", wimmerte sie. "Jesus, erbarme dich, ich bin verdammt!"
"Unsinn!", fauchte die alte Ursula. "Du bist eine Hexe. Was hat das mit Verdammnis zu tun? Allerdings müssen wir dich schleunigst ausbilden, sonst zündest du dir noch das Dach über dem Kopf an oder macht sonst einen Unfug. Und dazu musst du diesen Kerl loswerden …"
Rose saß immer noch da wie betäubt. Martha nahm die schlaffe Hand ihrer Tochter und tätschelte sie.
"Es ist wahr, was sie sagt, Rosi. Ein Mann würde uns alle in Gefahr bringen. Männer verstehen das nicht. Du musst ihn loswerden."
"Nein!" Rose schüttelte den Kopf, aber es lag keine Kraft in der Bewegung. Ihre Augen waren immer noch auf das prasselnde Feuer geheftet. "Bitte, verlangt das nicht von mir."
Ursula murmelte etwas Unverständliches.
"Er ist nur ein Mann, Schätzchen! Vor dir liegt ein Leben der Freiheit und der Macht. Wir alle standen einmal vor dieser Entscheidung. Und wir alle haben sie getroffen."
"Aber du hast mir immer erzählt, Vater wäre am Fieber gestorben."
"Das ist er ja auch." Diesmal wich Martha dem Blick ihrer Tochter aus. Am Herd stieß Ursula ihr meckerndes Lachen aus. Rose erbleichte.
"Du … ihr habt ihn umgebracht?"
"Ich konnte ihn nie leiden."
"Aber ich liebe Werner!", schrie Rose schrill. Ihr Blick fiel auf die züngelnden Flammen im Herd. "Jedenfalls mag ich ihn. Er ist anständig und gottesfürchtig. Ich … ich könnte ihm das nicht antun. Niemals!"
"Dann werde ihn auf andere Weise los", sagte Martha und nahm ihre Arbeit wieder auf. "Sorg dafür, dass er sich in eine andere verliebt."
"Das würde ihn in tiefste Gewissensqualen stürzen. Die Ehe ist ein Sakrament, das sagt er immer wieder. Ich kann das nicht!"
"Herrgott, du dumme Gans!", fauchte die Alte, aber Martha brachte sie mit einer Geste zum Schweigen. "Irgendetwas musst du dir einfallen lassen. So lautet nun einmal die Regel. Eine Hexe darf nicht verheiratet sein."
"Aber ich kann meinen Mann doch nicht einfach an der Kirchenpforte abgeben wie ein ungewolltes Baby", jammerte Rose und legte die Hände auf ihren flachen Bauch. "Ich kann …" Sie brach ab. Martha lächelte.
"Nun?"
"Mutter … wenn er ins Kloster ginge … er ist doch so furchtbar religiös. Er könnte den Ruf Gottes hören. Dann wäre er glücklich. Aber nicht mit einer anderen." Ein schüchternes Lächeln huschte über Roses Gesicht. "Ginge das?"
"Das ist wunderbar, Kindchen!", sagte Martha. "Was sagst du, Mutter?"
"Dass es eine Dummheit ist! Die Kirche ist unser Feind! Du weißt, dass Priester die Macht haben, uns zu schaden."
"Werner nicht", murmelte Rose. "Er könnte nie jemandem schaden. Er ist so … so fromm eben."
"Was weißt du schon von Männern, du albernes Gör."
Martha stand auf. "Lass es gut sein, Mutter! Es ist entschieden. Rose ist eine der unseren."

Rose zerdrückte ein paar Tränen, als ihr Mann ihr eröffnete, er werde ins Kloster eintreten, aber als gute Christin fügte sie sich seinem Wunsch. Die Nachbarinnen waren voll Bewunderung für ihre Seelenstärke und boten ihr jede erdenkliche Hilfe an, aber die junge Frau zog es vor, zu ihrer verwitweten Mutter zu ziehen. Während der nächsten Monate ließ sie sich im Dorf kaum noch blicken.

Zuerst schob man ihr seltsames Benehmen auf ein gebrochenes Herz.

"Ins Kloster hat sie ihn geschickt!", zeterte die alte Ursula. "An den einzigen Ort, an dem ihm unsere Macht nichts anhaben kann. Ich habe euch gewarnt! Und nur weil das Fräulein zu weichherzig war …"
"Großmutter, es reicht! Alles, was du mit deinem Gekeife erreichst, ist, dass du das Baby aufweckst. Da, jetzt ist es passiert! Sh-h, es ist ja schon gut, Liebes. Mama ist ja da …" Verzweifelt wiegte Rose den brüllenden Säugling. "Wann kommt Mutter endlich? Wenigstens ist jetzt alles gepackt."
"Wir können froh sein, wenn sie überhaupt kommt, du dummes Ding! Wir hätten längst hier weg sein sollen, aber …"
Wortlos stand Rose auf und verließ die Hütte. Die Türe knallte hinter ihr ins Schloss.
Draußen blieb sie stehen und lehnte sich schwer gegen die Hauswand. Die blutrote Farbe des Sonnenuntergangs ließ sie schaudern. Dennoch blieb sie stehen, bis die heraufziehende Nachtkühle über ihr Gesicht strich. Sie versuchte, mit ihrem Geist den ihrer Mutter zu berühren, doch die Ausbildung in der Hexenküche reichte wohl noch nicht aus. Da war nichts als gähnende Leere. Rose kehrte in ihren Körper zurück, als eine dunkle Gestalt den Weg zur Hütte emporkam.
"Mutter!", rief sie erleichtert und begann zu laufen.
Die Gestalt hob den Kopf.
"Nicht deine Mutter, du verfluchte Hexe!"
Roses Arme sanken schlaff herab. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie in das vertraute Gesicht des Ankömmlings. Vertraut und doch verändert – härter, schmaler … attraktiver. Rose blinzelte. Dann warf sie einen Blick über die kräftige Schulter und sah, dass er nicht allein gekommen war. Menschen kamen den Weg herauf. Im Schein der Fackeln sah sie Brustpanzer und Helme blitzen.
"Werner!", sagte sie und sah ihrem einstigen Mann in die Augen. "Es ist also wahr, was sie sagen. Du bist jetzt ein Hexenjäger."
"Mein Name ist Bruder Anselm!", unterbrach der Mann sie kalt. Ehe sie begriff, was er vorhatte, hob er die Hand und schlug sie so hart ins Gesicht, dass ihr Kopf zurückflog. Sein Tonfall war eisig, als er sich an die Soldaten wandte.
"Legt die Hexe in Ketten und holt auch das alte Weib aus der Hütte. Das ist die letzte der Brut!"
"Was hast du mit meiner Mutter gemacht?"
Der Mönch lachte höhnisch.
"Die Hexe wird ihrer gerechten Strafe nicht entgehen, und auch du …"
"Was sollen wir mit dem Balg machen?", unterbrach ein junger Soldat. Er schwitzte.
Erst jetzt schien der Mönch das kleine Mädchen zu bemerken, dass Rose noch immer auf dem Arm hielt. Etwas wie Verunsicherung blitzte in seinen Augen auf, dann verhärtete sich sein Gesicht: "Gebt mir das Kind. Wenn es unschuldig ist, werde ich dafür sorgen, dass es im Schutz der Kirche aufwächst."
"Und sonst wirst du deine Tochter töten?", flüsterte Rose. "Du hast dich sehr verändert, Werner."
"Anselm. Du auch."
Ihre Blicke begegneten sich wieder, und die junge Frau errötete flüchtig.
Der Mönch brach den Blickkontakt zuerst.
"Legt sie in Ketten", sagte er heftig. "Macht schon."
Zwei Männer traten auf Rose zu, einer ergriff ihren Ellenbogen, der andere versuchte, ihr das Kind aus den Armen zu reißen. Die junge Frau sammelte ihre ganze Kraft für einen Blitzstrahl, als plötzlich ein ohrenbetäubender Donner die Stille zerriss. Alle, auch Rose, fuhren herum. In der Tür der Hütte stand Ursula. Die Haare der alten Frau standen wirr um ihren Kopf, ihre Augen waren weit aufgerissen, die Zähne gebleckt. Die Männer taumelten unter ihren Verwünschungen zurück. Einigen trat Schaum auf die Lippen, andere krallten verzweifelt nach ihrer Brust.
"Ergreift sie!", brüllte der Mönch. Er hatte die Faust um das Kreuz auf seiner Brust geschlossen, während er hilflos mit ansehen musste, wie die Macht der Alten die weltlichen Schergen wie Puppen zu Boden warf. Die Schreie der Sterbenden vermischten sich mit dem Sausen der Luft und den heiseren Beschwörungen. Wieder zuckte sein Blick zu Rose, die wie gelähmt dieser Demonstration ihrer Großmutter zusah. Er stieß einen wütenden Fluch aus.
"Stirb, du Ausgeburt der Hölle!"
Er riss einem fallenden Soldaten den Dolch aus der Hand und schleuderte ihn mit aller Kraft nach der Alten. Das Messer sirrte durch die Luft. Im nächsten Augenblick herrschte Grabesstille. Ursula starrte auf den Griff der Waffe, die aus ihrer Brust ragte, dann sackte sie mit einem hässlichen Röcheln zusammen.
"Du hast sie umgebracht", sagte Rose. Sie wunderte sich, dass sie weder Wut noch Schmerz fühlte.
"Gott verlässt die Seinen nicht", entgegnete er tonlos. Er richtete seine heißen Blicke auf die junge Frau. "Jetzt sind nur noch du und ich übrig. Ich hätte nicht gedacht, dass es so leicht ist, eine Hexe zu töten."
Rose lachte kurz auf. "Sie hat die Gefahr nicht kommen sehen. Außerdem wurde sie alt. Ich bin vorbereitet." Sie machte einen Schritt auf ihn zu, bis nur noch wenige Zentimeter sie trennten. "Nun? Wirst du versuchen, auch mich zu töten?"
"Könnte ich das denn?"
"Ich weiß es nicht", sagte Rose und wiegte das schlafende Baby. "Ich habe die Macht meines Blutes, du den Schutz deines Gelübdes. Zum ersten Mal sind wir einander ebenbürtig. Vielleicht hatte die Alte Recht, vielleicht hätte ich dich nicht gerade an die Kirche abgeben sollen."
Sie war neugierig, wie er auf ihre letzten Worte reagieren würde, aber er schien sie gar nicht gehört zu haben. Seine Blicke ließen sie nicht los.
"Wir sehen uns wieder", sagte er. "Es ist noch nicht vorbei."
"Nein", stimmte sie mit einem seltsamen Lächeln zu. "Es ist nicht vorbei."
Sie sah ihm nach, bis sich seine hoch gewachsene Gestalt in der Dunkelheit verloren hatte. Endlich kehrte sie zur Hütte zurück. Sie stieg über die Leiche ihrer Großmutter und schloss sachte die Tür.

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