Madrigal für einen Mörder
Madrigal für einen Mörder
Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
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April 2005
Nach Jahr und Tag
von Marlene Geselle

Durch die Fensterläden zog es; das war das Erste, was Monique bewusst wahrnahm. Erst nach und nach meldeten sich die anderen Sinne. Zuletzt gewöhnten sich ihre Augen allmählich ans Halbdunkel: Holzpritsche an der Wand mit Strohsack und Wolldecke, das Fenster vergittert, Abortkübel in der Ecke, Tisch, Schemel. Am Fußende der Pritsche entdeckte sie ein abgetragenes Kleid. Sonst nichts. Von irgendwo her drang leiser Chorgesang durch das Mauerwerk.
"Elender Mistkerl!", fluchte die Schöne, versuchte, sich aufzusetzen. "Jetzt hat er es doch getan. Mich in dieses Loch verfrachtet, damit er sich eine schöne Zeit machen kann mit seiner Schlampe. Sie heiraten, wenn er mich ein für alle Mal los ist."
Über ihre missliche Lage war sich Monique im Klaren. Die Gesetze des Landes erlaubten es dem Ehemann, nicht nur über das Vermögen seiner Frau frei zu verfügen, er durfte auch ihren Aufenthaltsort bestimmen – notfalls gegen ihren Willen, und sein Recht sogar mit Gewalt durchsetzen. Und davon hatte er nun Gebrauch gemacht, sie in ein Kloster verfrachtet.
Die Wirkung des Tranks - Monique war sich sicher, dass man sie betäubt hatte – ließ nach. Ihre Glieder konnte sie wieder bewegen, ohne das Gefühl von Taubheit zu spüren. Um nicht weiter zu frösteln, zog sie die bereitgelegten Sachen über. Alles passte, wie sie mit einiger Verwunderung feststellte.
"Hallo Schätzchen", eine Magd in Schuhen, wie sie auch vor Moniques Pritsche standen, hatte leise die Türe geöffnet, schlurfte nun in die Zelle. "Wurde auch Zeit, dass du wieder wach wirst. Hast ja volle zwei Tage verpennt. Hier dein Essen: Linsen mit Kraut und Speck."
"Wo bin ich hier? In welcher Stadt?"
"Na, wo schon, Schätzchen!", wurde sie von der Magd ausgelacht. "Bei den Büßenden Schwestern in Arles. Wo denn sonst? Oder meinst du, dein Herr Gemahl hätte dich im Louvre untergebracht!"
Sandrine, wie sich die Magd vorstellte, machte es sich auf der Pritsche bequem, plauderte munter drauf los.
"Dein Mann muss ja die Nase ganz schön voll gehabt haben, von dir und deinen Eskapaden. Gleich zwei Liebhaber auf einmal, erzählt man sich. Mit einem Sack über dem Kopf haben sie dich hergebracht, vor zwei Tagen. So richtig schön bei Nacht und Nebel. Hat das Kostgeld für dich gleich im Voraus bezahlt - lebenslang. Scheidung auf Französisch!"
"Wie komme ich hier wieder raus?", fragte Monique. "Die können mich doch nicht bis ans Ende meiner Tage hier in dem Loch einsperren!" Ans Aufgeben und sich ins Schicksal fügen dachte sie nicht. Nicht nach alledem! Nicht, wo sie noch immer in Arles war. Jean-Paul hatte einen entscheidenden Fehler gemacht. Er hätte sie besser ans Ende der Welt geschickt.
Die Magd schüttelte den Kopf. "Von uns kommt hier keine raus, Schätzchen. Es sei denn, du wirst brav und nimmst den Schleier. Du kennst ja die Gesetze. Dann bist du zwar deinen Kerl los – aber dafür eine Braut des Herrn. Auch nicht besser, wenn du mich fragst."
Monique war aufgestanden, begutachtete die hölzerne Schale mit dem Essen, musterte Sandrines Kleidung, blickte an sich selbst herunter. Das Lächeln auf ihren Lippen verhieß nichts Gutes.
"Und wenn ich das Ordensgelübde ablege?"
Die Magd besah sich den Neuzugang von oben bis unten. Kannte sich aus mit solchen Frauen. "Du hast doch was vor? Oder?"
"Natürlich!"
"Ich hoffe, du hast es nicht eilig, Schätzchen, was immer es auch sei", setzte sie den Neuzugang ins Bild. "Als Novizin lassen sie dich noch nicht vor die Türe. Nach einem Jahr und einem Tag erst darfst du dein Gelübde ablegen. Als Ordensschwester kannst du im Hospital arbeiten, oder im Waisenhaus, oder in der Armenküche. Für feine, fromme Damen gibt es hier in Arles genug zu tun. – Aber so siehst du mir nicht aus."
"In der Not frisst der Teufel auch ein paar Fliegen", lachte die Gefangene. "Dann wird es ja eine feine Überraschung für die braven Bürger von Arles geben, wenn sie mich im Habit zu sehen bekommen."
Die Magd konnte nicht länger bleiben, musste noch andere unfreiwillige Gäste des Klosters mit Essen versorgen. Sie versprach der Zurückbleibenden, direkt nach der Essensausgabe zur Novizenmeisterin zu gehen und ihr von Moniques Entschluss zu berichten.
Die Gefangene blieb zurück. Die junge Frau probierte die Pantinen an, die noch immer auf dem Fußboden standen, und setzte sich an den Tisch. Wer sie hätte beobachten können, dem wäre aufgefallen, mit welch großem Appetit sie aß. Monique dachte an die seltsamen Besucher, die ihr Gemahl empfangen hatte, an die versiegelten Briefe für den englischen Adeligen – und nicht zuletzt an die vier Beutel mit Goldstücken, die heimlich bei Nacht hinter dem Pferdestall vergraben wurden.
Wegen des Ordensgelübdes zuckte sie nur mit den Schultern. Ein Gelübde oder Eid, abgegeben unter Zwang, war nach geltendem Kirchenrecht nicht das gesprochene Wort wert. Ein Federstrich des Bischofs würde genügen.
"Mein herzallerliebster Jean-Paul", lachte Monique, "an dem Tag, an dem ich hier zum ersten Male rauskomme, werden der General und der Bürgermeister dieser ach so schönen Stadt Besuch bekommen. Wenn für mich das Kloster der richtige Platz ist, dann ist die Bastille gerade gut genug für dich."

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