Sexlibris
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April 2005
In gute Hände
von Marion Pletzer

Felicity saß mit Jule in einem Straßencafe und beobachtete die Menschen um sie herum. Manche hasteten mit Tüten beladen an ihnen vorbei, andere schlenderten gemütlich durch die Fußgängerzone.
"Was meinst du? Ob viele diese Probleme mit ihren Männern haben?", fragte sie und rührte geistesabwesend in ihrem Cappucchino.
Jule zuckte mit den Schultern: "Keine Ahnung."
"Ich kann nicht mehr zählen, wie oft ich Henry gesagt habe, dass er aufräumen soll. Aber stattdessen sitzt er im Keller und baut mir ein Regal, das ich nicht brauche." Resigniert seufzte Felicity auf und stützte das Kinn in die Hände.
"Ah je, einer von der Sorte, die mit Feuereifer ein Haus bauen würde", entgegnete Jule.
"Ja, genau. Diesen Wunsch müsste ich nur einmal äußern. Sofort würde er Pläne erstellen und alles in die Wege leiten, was notwendig wäre. Vermutlich würde er sogar jede einzelne Schraube von Hand eindrehen. Anschließend besäße ich das tollste Haus, das du dir vorstellen kannst." Felicity stöhnte. "Dabei will ich das gar nicht. Ich brauche einen Mann, der mir die lästigen Kleinigkeiten vom Hals schafft." Sie machte eine kurze Pause
"Manchmal frage ich mich, wie es früher gewesen sein muss, als wir noch nicht die Wahl hatten. Schreckliche Vorstellung mit einem Mann leben zu müssen, dessen Eigenschaften sich so nach und nach offenbaren." überlegte Felicity.
"Ach, ich weiß nicht. Meine Großmutter hat mir einmal erzählt, dass diese Zeit durchaus ihre lustigen und vor allem aufregenden Seiten hatte. Nicht so vorhersehbar und planbar wie heute. Merkwürdig, wie die Dinge sich entwickeln. Genauso könnte es andersherum sein. Dann säßen wir nicht hier." Jule starrte vor sich hin.
"Zeigt das nicht, dass Frauen das überlegene Geschlecht sind?", fragte Felicity.
"Möglich. Doch was nützt der Fortschritt, wenn wir trotzdem die gleichen Fehler machen wie vor hundert Jahren und uns von den Männern einlullen lassen", bemerkte Jule trocken.
"Ja, ja. Natürlich ist es meine eigene Schuld. Ein wenig mehr Überlegung hätte bei Henrys Anschaffung nicht geschadet. Aber ich kam nicht an ihm vorbei, als ich durch die Unterkünfte ging. Mit seinen dunklen Augen, seinem Charme und seiner Fröhlichkeit hat er mich überrollt. Nun habe ich den Salat", sagte Felicity
"Sag ich doch. Das überlegene Geschlecht lässt sich eben nach wie vor mehr von Gefühlen leiten als von Fakten. Und wenn du ihn wieder abgibst?", schlug Jule vorsichtig vor.
"Du wirst lachen. Dieser Gedanke beschäftigt mich schon seit Wochen. Aber ich kann mich einfach nicht dazu durchringen. Immerhin lebt Henry schon zwei Jahre bei mir. Es ist ja nicht so, dass ich ihn nicht mag. Ich hätte das Gefühl, ihn für meine Fehler büßen zu lassen?" entgegnete Felicity und rieb sich mit den Händen durch das Gesicht.
"Aber wenn du überhaupt nicht mit ihm klar kommst. Was bringt das denn? Er spürt deine Unzufriedenheit und sicher macht ihn das traurig. Außerdem sagt ja keiner, dass du ihn irgendwo aussetzen sollst. Bemüh dich um ein schönes, neues Zuhause. Auf einem Bauernhof, zum Beispiel. Oder noch besser - in einer Schreinerei. Dort könnte er nach Herzenslust schrauben, hämmern und sägen", entgegnete Jule.
"Bevor ich ihn weggebe, könnte ich noch eine Gruppe mit ihm besuchen. Es soll eine gute Trainerin in der Umgebung geben."
"Wenn du meinst. Aber ich behaupte, das nützt nichts. Henry ist was er ist. Du wirst ihn nicht ändern und wenn du noch so viele Gruppensitzungen mit ihm besucht. Glaube mir, rausgeschmissenes Geld." Jule schüttelte energisch den Kopf.
"Darüber muss ich gründlich nachdenken." Traurig lächelte Felicity sie an.

Auf dem Nachhauseweg gingen ihr Jules Worte durch den Kopf. Durfte sie es sich so leicht machen und sich aus der Verantwortung schleichen, die sie für Henry übernommen hatte?
Warum nicht? Andere machten es auch.
Andererseits wurde er bereits einmal in die Unterkünfte abgeschoben. Ein zweites Mal würde sicher Spuren hinterlassen. Derartig roh könnte sie ihn nicht behandeln. Das hatte er nicht verdient. Schließlich konnte er nichts für seine Veranlagungen.
Vielleicht war früher ja doch alles besser, als Männer und Frauen sich trafen und freiwillig beschlossen, zusammen zu bleiben. Klappte es mit dem Zusammenleben nicht, trennten sich ihre Wege wieder. Keiner war für den anderen verantwortlich.
Seit der Epidemie, bei der alle Männer starben und lediglich vorhandenes Erbgut ihr völliges Aussterben verhinderte, änderte sich die Gesellschaft. Plötzlich konnten Frauen selber entscheiden, mit welchen Eigenschaften ihre Männer bestückt sein sollten. Das erleichterte vieles, aber unproblematisch war es dennoch nicht.
"Was soll ich nur machen?" Felicity drehte das Radio lauter und sang mit. Sie wollte sich dieser Frage im Moment nicht stellen.

"Ich bin wieder da", rief sie und hängte ihre Tasche an die Garderobe. "Henry?"
Keine Antwort. Felicity ging in die Küche. Als erstes fiel ihr Blick auf das schmutzige Geschirr, das sich in der Spüle auftürmte. Sie sah sich um und entdeckte den Stapel Zeitungen, der genau wie am Morgen auf der Fensterbank lag und über den Rand des Mülleimers quoll der Abfall.
"Henry!" Sie lauschte, als sie ein Geräusch aus dem Keller hörte. Natürlich, wo sollte er sonst sein, als in seinem geliebten Bastelkeller. Mit energischen Schritten stieg sie die schmale Treppe hinab. Henry beugte sich konzentriert über ein Stück Holz und bearbeitete es mit einem Hobel. Immer wieder strich er fast zärtlich mit den Fingern über die geglätteten Stellen.
"Was machst du da?", herrschte Felicity ihn an. Überrascht sah er auf und lächelte.
"Warum bist du so böse? Hattest du einen schlechten Tag? Sieh mal, ein Bord für den Bildschirm. Dann hast du endlich mehr Platz auf dem Schreibtisch." Er strahlte, wie ein kleiner Junge, der den Teig aus einer Kuchenschüssel lecken durfte.
"Sehr schön", sagte Felicity missmutig. "Was ist mit der anderen Arbeit?"
"Welche Arbeit?"
"Henry! Das Geschirr, das Altpapier, der Müll. Die Einrichtung des Kellerraums war zur Freizeitbeschäftigung gedacht. Aber du machst einen Vollzeitjob daraus. Ich habe ja nichts dagegen, dass du bastelst. Aber erst nachdem du die anderen Dinge erledigt hast." Ärgerlich fuchtelte sie mit den Armen in der Luft herum.
"Ich wollte doch nur…", murmelte Henry.
"Ja, ja. Ich war viel zu geduldig. Mir reicht’s jetzt", schrie sie ihn an und riss ihm das halbfertige Bord aus den Händen. Mit Wucht warf sie es gegen die Wand. Es prallte ab und fiel mit einem lauten Knall zu Boden. Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich auf dem Absatz herum und rannte die Treppe hinauf.
Ein verständnisloses"Felicity" war alles, was sie von Henry hörte.

So konnte es nicht weitergehen. Felicity setzte sich an ihren Computer und verfasste in Windeseile eine Anzeige in einer webzeitung.
"Junger, kräftiger Mann, 30 Jahre, umgängliches, freundliches Wesen, handwerklich sehr begabt, umständehalber abzugeben. Bevorzugt in Handwerks – oder Landwirtschaftsbetrieb. email…"
Schnell drückte sie die Enter-Taste, damit sie es sich nicht noch einmal anders überlegte. Dann lehnte sie sich zurück und presste die Hand auf ihr klopfendes Herz. Ob sich jemand melden würde?

Innerhalb weniger Tage erhielt sie verschiedene Anfragen und unterhielt sich ausführlich mit den Interessentinnen. Schließlich entschied sie sich für Swantje Roller. Sie lebte mit ihren beiden Kindern auf einem Bauernhof und suchte dringend nach einem Mann, der Spaß an handwerklicher Arbeit hatte. Henry sollte so bald wie möglich zu ihr ziehen.

Die Tage vergingen schneller als Felicity lieb war. In den Nächten plagte sie ihr schlechtes Gewissen und immer wieder stellte sie sich die Frage, ob es keinen anderen Weg gab. Sie fand keinen. Erst am Abend vor Henrys Weggang schaffte sie es, ihn über seinen bevorstehenden Umzug zu informieren.
Traurig sah er sie aus seinen dunklen Augen an und am liebsten hätte sie alles rückgängig gemacht. Aber sie wusste, das war keine Lösung. Selbst wenn er sich bemühen würde, sich zu ändern, würden seine Eigenschaften nach kurzer Zeit die Oberhand gewinnen. Es war seine Bestimmung ein Handwerker zu sein und kein Hausmann. Für diese Tätigkeiten wurde er geboren.

"Guten Morgen", begrüßte Swantje sie, als sie Henry abholte. "Ist er fertig?"
"Ja". Felicitys Stimme klang kratzig und sie spürte einen Kloß im Hals. Sie räusperte sich und sagte klarer: "Ja, er ist fertig. Ach, falls es nicht klappt, schicken Sie ihn bitte nicht in die Unterkünfte. Dann nehme ich ihn zurück." Swantje winkte ab.
"Das wird schon, keine Sorge. Bei uns ist er gut aufgehoben."
Henry stand auf der Treppe, seine Reisetasche in der Hand. Seine sonst so fröhlichen Augen hatten ihren Glanz verloren. Felicity las die stumme Anklage in seinem Gesicht und fühlte sich schrecklich schuldig.
"Es tut mir Leid", flüsterte sie, als er an ihr vorbei ging.
"Es wird dir bei uns gefallen", sagte Swantje und lächelte. Henry folgte ihr zum Wagen. Felicity stand in der Tür und winkte Henry zum Abschied zu. Doch er reagierte nicht, sah mit starrem Blick durch sie hindurch. Eine Träne stahl sich aus ihrem Augenwinkel. Hastig wischte sie sie fort und sah dem Wagen nach, der um die Hausecke verschwand.
‚Er wird es guthaben. Ganz sicher’, versuchte sie sich zu beruhigen.‚Aber eins weiß ich genau. Meinen nächsten Klon-Mann suche ich mir sorgfältiger aus’, dachte sie, ging ins Haus und schloss leise die Tür hinter sich.

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