Unsere Literaturzeitschrift Schreib-Lust Print bietet die neun besten Geschichten eines jeden Quartals aus unserem Mitmachprojekt. Dazu Kolumnen, Infos, Reportagen und ...
"Ehefrau abzugeben", las Karl am Morgen im Kleinanzeigenteil der Tageszeitung. Es stand in der Rubrik "Die Gute Tat", dort wo normalerweise alte Matratzen und Schwarzweiß-Fernseher an Selbstabholer verschenkt werden.
Wenn jemand seine Ehefrau verschenkt, so war das wohl kaum eine "Gute Tat", dachte Karl. Wer will denn eine "gebrauchte" Ehefrau, dazu noch eine die vom Ehemann bereitwillig abgegeben wird? Nun, das galt ja auch für alte Matratzen!
Karl legte die Zeitung beiseite, rieb sich den Rest Schlaf aus den Augen und schmierte Butter auf seinen halb verbrannten Toast. Nur Rita gelang es, einen handelsüblichen Toaster so zu bedienen, dass der Toast auf der einen Seite schwarz verbrannt, auf der anderen Seite weich und matschig war.
Er stand auf, zog den Mantel über und ging zur Haustür. Aus der Küche drang das geschäftige Klappern von Geschirr, gelegentlich ein Scheppern und "Oh, Mist", das wiederum vom Summen eines Gassenhauers abgelöst wurde.
"Tschüsschen, Schatz!" rief er in den Flur und schloss die Tür hinter sich, ohne eine Antwort abzuwarten. Auf dem Weg ins Büro stellte er fest, dass er – entgegen seiner Gewohnheit – die Tageszeitung mitgenommen hatte. Nun, Rita würde sie nicht vermissen, wenn sie Zeit hatte glotzte sie sowieso Talk, Soap und Gerichtsshow.
In der Mittagspause tauschten die Kollegen ihre Pläne fürs Wochenende aus. Mit Kind und Kegel in den Freizeitpark, mit der Freundin in die Disco, und wenn es daran noch mangelte: auf die Piste, Frauen aufreißen, und so weiter.
Karl saß stumm daneben und löffelte seine Suppe. Wann war Rita das letzte Mal mit ihm ausgegangen? fragte sich Karl. Wann war er das letzte Mal auf der Piste? Nach zehn Jahre Ehe bestand das Wochenende aus Sportschau, Lindenstrasse und einem Schläfchen auf dem Kanapee.
Karl stand auf und ging zurück an seinen Arbeitsplatz. Er seufzte, schaute sich verschämt um, doch noch war er allein. "Ehefrau abzugeben", vielleicht doch keine so schlechte Idee. Doch wer traute sich, so etwas in die Zeitung zu setzen? Durfte so etwas überhaupt in der Zeitung stehen? War das nicht Menschenhandel? Oder hatte er sich die Anzeige nur eingebildet, mit verschlafenen Augen etwas gelesen, das so gar nicht dastand? Er zog die Zeitung aus der Tasche, schlug den Anzeigenteil auf. "Ehefrau abzugeben", tatsächlich!
Er griff zum Telefon.
"Hallo?"
"Ja! Hallo, ich rufe an wegen der Anzeige, ich ..." Er verstummte.
"Sie suchen eine Ehefrau? Gebraucht, aber in gutem Zustand? Oder möchten sie selber eine abgeben? Wir bieten auch Tausch. Diskretion und faire Konditionen sind selbstverständlich."
"Äh ... ich ..." Karl errötete. Das war ein Eheinstitut oder eine Anlaufstelle für Partnertausch! Er war auf einen miesen Werbetrick reingefallen! Er wollte auflegen, da sagte die Stimme: "Sagen Sie ja! Wir werden dann alles weitere in die Wege leiten. Ihre geheimsten Wünsche sind uns Befehl."
"Ja, was ... wie ... ich meine ... Nein! ... Hallo? ... Hallo!" Doch es war nur noch das Freizeichen zu hören.
Karl hielt den Hörer noch einige Augenblicke in der Hand. Die Gänsehaut begann im Nacken und lief dann über seinen ganzen Körper.
Der Duft von Gebratenem erreichte ihn schon im Flur. Aus der Küche drang das angenehme Summen einer Frauenstimme. Karl warf den Mantel in die Ecke und rief: "Hallo Schatz, ist heute ein besonderer Tag oder ..."
Er erstarrte.
"Rita?"
Sie sah aus wie Rita, doch sie war es nicht. Es fehlten die matten, grauen Strähnen in ihrem Haar. Es fehlte die Fülle eintöniger Ehejahre um ihre Hüften. Sie sah zehn Jahre jünger aus, sie sah aus wie ...
"Juliane?"
Die Frau lächelte ihn an. Kleine Grübchen bildeten sich in ihren Mundwinkeln, die Augen leuchteten. Den Kopf leicht geneigt, die Schultern zurück, ein Wenig nach vorne gebeugt, lächelte diese Frau mit dem ganzen Körper. Ein Lächeln, das etwas versprach ... das Karl nicht bekommen hatte, damals, vor Jahren.
Juliane hatte zusammen mit Karl Abitur gemacht. Und er hatte sich in ihr Lächeln verliebt. Doch sie hatte für den biederen, blassen Karl nie mehr als ein paar nette Worte übrig gehabt. Und wie das Schicksal so spielt, gab es da noch die ältere Schwester: Karl hatte sich eigentlich nur um Rita bemüht, um Juli nahe zu sein, doch mit der Zeit ... Nun, es war die Sache mit dem Spatz und der Taube.
Jetzt stand Juliane wieder vor ihm.
"Juli, bist du’s wirklich?"
"Wenn du möchtest", sagte die Frau.
Zu den Kopfschmerzen kam am Sonntag Morgen noch ein unangenehmes Ziehen in den Hüften hinzu. Er fühlte sich leer und ausgepumpt. Das Frühstück wollte ihm nicht schmecken und er wäre am liebsten gleich wieder zurück ins Bett gekrochen. Doch kaum hatte er sich hingelegt, da kam auch schon Juli dazu, kuschelte sich an ihn und knabberte an seinem Ohr.
Als er am Abend eher lustlos in seinem Essen stocherte, fragte Juli traurig: "Schmeckt es nicht?"
"Doch, doch ... es ist nur ..."
"Was?"
"Ach nichts."
"Na gut. Komm, mach dich fertig! Ich habe Konzertkarten. Anschließend gehen wir in die City, es hat ein neuer Club aufgemacht. Und dann ..." Sie lächelte.
"Oh, Juli! Ich möchte ... ich mein ... können wir nicht einfach zu Hause bleiben. Ein gemütlicher Fernsehabend?"
Juli zog eine Schnute. "Aber Karl! Magst du mich denn nicht mehr? Bin ich nicht alles, was du dir wünschst?"
"Ja, schon ... aber ..."
"Aber was?"
"Nichts."
Am Montag morgen rief er bei seinem Chef an und sagte, er sei krank. Ihm war übel, er war schlaff und müde, spürte jeden einzelnen Knochen. Das Wochenende war aufregend gewesen, aufregender als je ein Wochenende in seinem Leben, schön und gut, aber jetzt wollte er seinen Alltag zurück!
Er dachte an Rita. Er erinnerte sich, wie sie damals zusammen gekommen waren. Ja! Es war die Sache mit dem Spatz und der Taube gewesen. Aber es war die Sache mit dem Topf und dem Deckel geworden, das war ihm jetzt klar.
Was hatte er getan? Er sehnte sich nach ihr. Wo war sie? Er dachte an Samstag. Wie sie ihn angelächelt hatte, mit einem fremden Mann an ihrer Seite.
Er erinnerte sich an die Kusshand und das schelmische Zwinkern.
Eine unheimliche Ahnung überkam ihn. Er quälte sich vom Sofa und ging in den Flur. Juliane sang in der Küche. Seine Tasche stand noch da, wo er sie am Freitag hingestellt hatte. Er nahm sie mit ins Wohnzimmer und öffnete sie.
Die Zeitung lag oben auf.
"Hallo?"
"Ja? Hallo! Ich rufe an ..."
"Das höre ich."
"Nein, ich mein, ich hab am Freitag schon angerufen, und damals ..."
"Es ist uns bekannt, dass sie an Freitag angerufen haben. Ich hoffe es ist alles zu ihrer Zufriedenheit."
"Ja ... ich meine: Nein, es ist ..."
"Aber ist denn nicht alles so, wie sie es sich immer gewünscht haben?"
"Schon! Aber ich wusste doch nicht, dass ..." dann platzte es aus ihm heraus: "Ich will meine Frau zurück!"
"Tut mir leid, aber Vertrag ist Vertrag. Ihre Frau heißt Juliane. Und – ich darf es ihnen eigentlich nicht sagen, denn Diskretion ist unser oberstes Gebot – es steht im Widerspruch zu einem anderen Vertrag, der kurz vor dem Ihren zu Stande gekommen ist."
"Aber wie ..."
"Wir bieten unsere Dienste auch im Fernsehen an. Ich möchte sie bitten, nicht mehr anzurufen und wünsche ihnen noch ein schönes Leben."
Karl sank auf der Couch zusammen.
Still liefen die Tränen über sein Gesicht.
Julianes Stimme drang aus dem Schlafzimmer: "Schatz, das Essen ist bald fertig. Und da du heute nicht zur Arbeit gehst, können wir ... ach, komm doch einfach her, ich werde es dir gleich zeigen!" Sie lachte ihr bezauberndes Lachen.
Karl seufzte und ging ins Schlafzimmer.
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