Burgturm im Nebel
Burgturm im Nebel
"Was mögen sich im Laufe der Jahrhunderte hier schon für Geschichten abgespielt haben?" Nun, wir beantworten Ihnen diese Frage. In diesem Buch.
mehr ... ] [ Verlagsprogramm ]
 SIE SIND HIER:   HOME » MITMACH-PROJEKT » SCHREIBAUFGABE » Susy Clemens IMPRESSUM
NEWSLETTER
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

Jetzt anmelden! ]

UNSERE TOP-SEITEN
1.) Literatur-News-Ticker
2.) Leselust
3.) Forum
4.) Mitmach-Projekt
5.) Schreib-Lust-News 6.) Ausschreibungen 7.) Wettbewerbs-Tipps
Mai 2005
Die Nacht war wieder fürchterlich
von Susy Clemens

„Schreib bloß nicht wieder über mich“, bat ich nachdrücklich, meine Stimme eine Oktave höher als gewöhnlich. Arglos blickte meine Frau Corinna von ihrem Collegeblock auf. „Tu ich doch gar nicht – zum Thema fallen mir tausend andere Sachen ein“, meinte sie. –
„Das ist auch gut so, die Leute werden’s langsam leid, von dunkelhäutigen Typen mit komischen Haaren zu lesen“, erwiderte ich mit einem beiläufigen Blick in den Spiegel.
„Das müssen sie auch gar nicht – ich kann dir jedes andere Outfit verpassen, das weißt du doch. Ich könnte zum Beispiel einen kleinen Japaner aus dir machen oder einen bärtigen Fotoreporter mit Multifunktionsweste“, grinste sie.
„Muss nicht sein.. Wieso schreibst du nicht über die Erlebnisse deiner Eltern in der Nachkriegszeit? Vergangenheitsbewältigung ist doch gerade in hierzulande. Die dunkle Vergangenheit deines Vaters – was ist damit?“ –
„Wenn sie nicht im Dunkeln wäre, könnte ich vielleicht darüber schreiben“, sagte sie. „Ich weiß nur, dass mein Vater kahlgeschoren und abgemagert aus russischer Kriegsgefangenschaft nach Hause kam – so haben Mama und Omi es mir später erzählt. Er selber kam immer wieder mit der Geschichte, dass reihenweise Frauen am Straßenrand standen, die hinter vorgehaltener Hand raunten, ! Später habe ich dann mit ihm darüber zu diskutieren versucht, dass doch wohl nicht nur die Russen Frauen vergewaltigt haben – aber davon wollte er nichts hören. Deutsche wären doch gleich vors Kriegsgericht gekommen, wenn sie so was gemacht hätten, hat er mir erklärt.“ –
„Vielleicht ganz gut, dass ich den alten Herren nie kennen gelernt habe“, sagte ich.
„Tja“, lächelte Corinna, „wenn ich dich mit nach Hause gebracht hätte, als er noch gelebt hat, hätte er bestimmt erst mal deinen Pass sehen wollen, um sicher zu gehen, dass du kein Mädchenhändler bist, der seine Tochter nach Algier ins Bordell verschifft. Und als nächstes hätte er, als Extrompeter einer Jazzband, versucht mit dir über Jazz zu fachsimpeln, weil diese Musik doch eigentlich von den Negern kommt ...“
„Ich bin aber keiner“, entgegnete ich augenverdrehend.
„Nee, und besonders musikalisch bist du leider auch nicht – aber vielleicht hast du Lust, mal was zu schreiben, und ich überarbeite es dann“, schlug Corinna vor.
„Kann ich nicht“, behauptete ich.
„Aber du kannst reden“, sagte sie und wollte mir ein Diktaphon in die Hand drücken.
„Besten Dank, ich erzähl’ dir lieber nachher, was mir so eingefallen ist, ich brauch’ jetzt Bewegung!“
Ich suchte mir eine schöne gerade Strecke zum Inlinern aus und setzte mir Kopfhörer auf. Corinna hatte mir ihren alten Walkman geliehen.
. „Jai OM Namah Shivaya – You’re running and you’re running and you’re running away but from yourself you can’t hide” – dabei bekomme ich immer Gänsehaut. Oder war das die dunkle Wolke, die sich gerade vor die Abendsonne schob ? Ich legte einen Zahn zu, damit mir warm wurde. Der Raps blühte und verströmte schon einen intensiven Duft, Apache Indian von Corinnas Kassette sang sein beruhigendes „I an’ I“, es hätte ein richtig entspannender Abend sein können.
Ich überlegte, wie es sein mochte, mit einem Vater aufzuwachsen, der ständig von Dorfbewohnerinnen erzählte, die die Straßen säumten und raunten „die Nacht war wieder fürchterlich“. Wahrscheinlich hatten sie da gestanden, um die Kriegsheimkehrer abzufangen, weil sie auf ihre eigenen Männer, Söhne oder Freunde warteten. Aber warum hatte er nicht erzählt, wie der Krieg für ihn gewesen war, oder die Gefangenschaft? Waren diese Erlebnisse so traumatisierend, dass es unmöglich war, sie in Worte zu fassen?
Meine Ma allerdings, die hatte auch nicht viel erzählt. „Och nö, hört bloß uff, is’ doch alles schon so lange her“. Jetzt war sie schon seit zwei Jahren mit Alzheimer im Pflegeheim. Nacht ohne Ende. Ich bin der einzige, den sie noch erkennt, meistens jedenfalls. Sozusagen ein Lichtstrahl in ihrem umschatteten Dasein. Früher war sie eine fröhliche Frau, obwohl sie hart arbeiten musste, um uns durchzubringen, meine Schwester und mich. Der Alte hat sich erst aus dem Staub gemacht, als ich schon unterwegs war. Zuerst ist sie abends Bürohäuser putzen gegangen, die Große musste auf mich aufpassen, sobald ich krabbeln konnte. Später hat sie gekellnert. War ja flink und sah gut aus – „Restaurantfachfrau“ musste man damals noch nicht sein, um bedienen zu dürfen.
Und sie hatte ihre Verwandten und Freundinnen, mit denen sie am Wochenende mal ein „Viertele“ trank. Den Damenkegelverein, später Bridgerunden, und nach der Pensionierung ihre Katzen, die sie nie zu füttern vergaß, nicht einmal, als sie selbst keine regelmäßigen Mahlzeiten mehr zu sich nahm.
Verreist sind wir nie. Ich hatte meine Clique, später Mädels, und mit 19 war ich weg.
Die Schwester ist schon vor mir ausgewandert – so weit weg wie möglich, lässt sich höchstens einmal im Jahr für ne Woche blicken. Mehr Urlaub kriegen sie nicht in Amiland.


Die Schwestern im Heim wollen Ma jetzt anbinden, damit sie nicht mehr weglaufen kann. Meine Genehmigung haben sie noch nicht – sollen halt besser acht geben, das müsste doch möglich sein. Manchmal, wenn ich sie besuche, sieht sie sich um, und ein Schatten fliegt über ihr Gesicht. „Ja, wo ist denn unser Joseph?“, fragt sie dann. Ich kriege dann ein flaues Gefühl im Magen. „Mutter, ich sitz’ doch hier direkt neben dir“, will ich eigentlich sagen, lass’ es aber, weil ich sie damit vielleicht nur noch mehr verwirren würde. Sie wird mich ja wohl nicht mit meinem Alten verwechseln, hoffe ich.
Ich gehe viel mit ihr spazieren, aber in der letzten Zeit schafft sie kaum noch den kleinsten Hügel. Wo sie wohl sein wird, wenn ihre letzte Nacht zuende ist? Mist – Corinna hat diesen tiefreligiösen Typen aufgenommen, der jedes Konzert mit dem 23. Psalm beginnt.
… » et si je marche dans la vallée dans l’ombre de la mort, je ne crains aucun mal … « , schnell vorspulen. Ich glaube nicht an Gott.
„New Dawn“ – na ja, meinetwegen. Gegen eine schöne Morgendämmerung ist nichts einzuwenden. Vielleicht gibt’s ja so was wie Wiedergeburt, Seelenwanderung, das Rad des Lebens – Corinna glaubt an diese Dinge. Sie hat sich mit dem Buddhismus beschäftigt und findet die Vorstellung tröstlich, dass nach dem Tod nicht alles zuende ist. Die Sonne war untergegangen, aber es war noch nicht dunkel, und die Wolken hatten sich rosa gefärbt, als ich nach Hause kam. Abendlicht – die Stunde zwischen Hund und Fuchs, wie der Franzose sagt.

Ich erzählte Corinna, was mir beim Inlinern so alles durch den Kopf gegangen war, während ich mir ihre Kassette angehört und das Wechselspiel von Licht und Schatten in der einsetzenden Dämmerung beobachtet hatte.
„Vielleicht“, sagte ich zu ihr, nachdem ich meine verschwitzten Shorts und das T-Shirt in den Wäschekorb geworfen hatte, „vielleicht kommt ihr, wenn sie gestorben ist, alles, was vorher war,wie eine einzige lange Nacht vor. Stell dir vor, sie geht hin und trifft deinen Pa da drüben und sagt zu ihm: die Nacht war wieder fürchterlich!“ – „Ach komm her, du Nachtschattengewächs! Es war doch nicht alles nur fürchterlich - sie hatte doch immerhin dich, oder?“ Corinna entzündete zwei Kerzen und nahm mich ganz fest in die Arme.

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
Dieser Text enthlt 7457 Zeichen.

Druckversion

 LINKTIPPS: Naturwaren Diese Website wird unterstützt von:

www.mswaltrop.de
Copyright © 2006 - 2024 by Schreiblust-Verlag - Alle Rechte vorbehalten.