An einem sonnigen Nachmittag von Stefan Schweikert
âLieber Herr Jonas, bitte nehmen Sie endlich zur Kenntnis, dass ein eindeutiger kausaler Zusammenhang zwischen dem sogenannten âGlobalen Klimawandelâ und den AktivitĂ€ten unserer Unternehmensgruppe nicht gegeben ist. Gerade in wirtschaftlich angespannten Zeiten wie diesen, sollte es fĂŒr einen seriösen Journalisten selbstverstĂ€ndlich sein, das zarte PflĂ€nzchen wirtschaftlichen Aufschwungs in einem harten globalen Wettbewerb nicht der Auflage zuliebe zu zertreten. Unser Unternehmen ist auf die ErschlieĂung der asiatischen und sĂŒdamerikanischen MĂ€rkte angewiesen. Denken Sie an die ArbeitsplĂ€tze ...â
Ich drĂŒckte die Pausentaste am Videorecorder und ging ins Bad. Zwei Gesichter blickten mich aus dem Spiegel an: Klein und eingefroren im blĂ€ulichen Leuchten des Bildschirms der junge Pressesprecher eines deutschen âGlobal-Playersâ, davor die selben ZĂŒge, grau aber lebendig. Ich versuchte mich an meinem alten LĂ€cheln, es gelang mir fast.
Der Schmerz in meiner Schulter brachte mich in die Gegenwart zurĂŒck. Ein knappes Dutzend weiĂer Kapseln bedeckten den Boden des braunen FlĂ€schchens auf dem Waschtisch: Schon bald musste ich eine Entscheidung treffen.
Ich schĂŒttelte eine Kapsel in meine Hand und trat ins Freie. Die Sonne stand im Zenit und brannte von einem wolkenlosen Himmel. SchweiĂflecken bildeten sich auf meinem Hemd. Ich setzte mich unters Vordach, spĂŒlte die Kapsel mit einem Schluck Wasser hinunter, blinzelte in die Sonne und dachte an frĂŒher:
âDas war nicht nett von dir. Die Sache mit den ArbeitsplĂ€tzen ...â
â... war mies. Ich weiĂâ, vollendete ich seinen Satz. Jonas und ich saĂen noch in einer Bar zusammen, wie wir es seit dem Studium machten, wenn wir zur gleichen Zeit in einer Stadt waren. Es war das erste Mal, dass wir in der Ăffentlichkeit beruflich aufeinander getroffen waren und fĂŒr beide war es nicht leicht gewesen.
âRĂŒstungsexporte: Denkt an die ArbeitsplĂ€tze. Menschenrechte: Denkt an die ArbeitsplĂ€tze. Umweltschutz ... Es ist einfach primitiv ...â, fuhr Jonas fort.
âAber es funktioniert. Und auĂerdem: Wenn wir es nicht machen ...â
â... dann machen es die Anderen. Wieder so ein Spruch. Du glaubst doch nicht, was du da sagst?â
âEs ist die Wahrheit.â
âDu hast dich nicht nur kaufen lassen, du gehörst schon zu Ihnen!â
Das war unfair. âWer soll das sein? Diese ominösen âSieâ?â fragte ich wĂŒtend. âDie ewig bösen Bosse? Das Kapital? Jeder der Geiz geil findet? Oder die Illuminaten? Du bist doch auch nicht besser. Du verdienst gutes Geld mit deinen BĂŒchern und nĂ€hrst dich wie ein Vampir an den Ăngsten der Leute.â
Mit blitzenden Augen saĂen wir uns gegenĂŒber.
Die Blitze entluden sich in lautem Lachen. Wir bestellten noch zwei Bier.
âWeiĂt du, die Leute warten auf einen groĂen Knallâ, sagte Jonas. âLaut und bunt und zur besten Sendezeit, aber der wird nicht kommen, weil wir schon mitten drin sind. Wir bewegen uns mit der Explosion, deshalb hören und sehen wir sie nicht. Verstehst du, was ich meine?â
Ich nickte nur.
Eine schlanke Gestalt lenkte meine Aufmerksamkeit auf sich. Sie versuchte im knappen Schatten der HĂ€userfront zu bleiben, ihre Schritte lieĂen kleine Staubwolken aus dem Asphalt aufsteigen. Als sie mich sah, winkte sie und kam zu mir herĂŒber.
Ich erwiderte die Geste und rief: âHallo Rebekka! Was treibt dich bei der Affenhitze nach drauĂen?â
Das MĂ€dchen setzte sich neben mich und sagte: âWollt nur sehen, wieâs dir geht, Paps. Und fragen, ob du vielleicht ...â Sie wies mit einem Nicken auf den halb vollen Wasserkanister. âDer Tanklaster ist schon wieder nicht gekommen.â
âIch weiĂ. Nimm ruhig den ganzen Kanister mit, ich hab noch einen. Und morgen wird der LKW sicher kommen.â
Rebekka lĂ€chelte dankbar. âJa! Morgen â oder vielleicht ĂŒbermorgen.â
âUnd? Wie lĂ€uft es bei euch?â fragte ich.
âGanz gut. Wir versuchen die Ernte zu retten, so gut es geht. Aber wenn es nicht bald regnet sehe ich schwarz. Es wird kaum was zum Verkaufen ĂŒbrig bleiben.â
Ich sagte nichts. Sie fĂŒtterten auch mich durch, da war ein halber Kanister mit Trinkwasser eine schwache Gegenleistung.
Rebekka schien meine Gedanken erraten haben: âAber fĂŒr uns recht es noch. Warum ziehst du nicht endlich mit auf den Hof? Wir haben genug Platz. Die Kinder freuen sich immer, wenn du eine Geschichte erzĂ€hlst. Von frĂŒher, und so ...â
Wieder schwieg ich. Sie nannte mich Paps, obwohl wir nicht einmal verwandt miteinander waren. Aber ich war inzwischen der Ălteste in der Siedlung, und alle riefen mich so. Mir gefiel es. Sie hĂ€tten mir auch einen anderen Namen geben können, einen weniger Liebevollen.
Die Valiumkapsel begann zu wirken.
Wir hatten unser letztes Bier bezahlt und befanden uns â leicht schwankend - auf dem Weg zum Hotel.
âWeiĂt du, das mit dem âgroĂen Knallâ hat mir gefallen. Vielleicht kann ich es irgendwo einbauen.â
âHe! Das lĂ€sst du schön bleiben! Du hast genug Leute. Eure âExpertenâ diskutieren sogar die Schwerkraft weg, wenn es euch nutzt.â
âJetzt ĂŒbertreib nicht. Und wenn es wirklich schlimm wird, wird man schon was tun.â
âMan?â
âWas glaubst duâ, wechselte ich das Thema, âwie werden die Leute von uns reden, so in zwanzig oder dreiĂig Jahren?â
âWenn sich jemand an uns erinnert?â
âIch meine: Du, der Weltverbesserer, der Blockierer und Querulant.â
âUnd du, der Lakai des GroĂkapitals!â
Wir lachten wieder. Der Querulant und der Lakai gingen den Rest des Weges schweigend nebeneinander.
âPaps?â
Ich musste eingedöst sein.
âJa? Entschuldigung, ich ...â
Sie kĂŒsste mich auf die Wange, nahm den Kanister und erhob sich. âSchon gut. Ich muss jetzt gehen. Nochmals Danke fĂŒr das Wasser.â Sie lĂ€chelte wieder, dieses Mal lag ein trauriger Schatten in ihren Augen.
Ich sah ihr noch nach, wie sie die Strasse hinunter ging, nahm das halb volle Wasserglas und ging nach drinnen. Ich hatte Rebekka angelogen, es war mein letztes. Doch das spielte keine Rolle mehr.
Mein eingefrorenes Konterfei erwartete mich auf dem Bildschirm.
âKlimatische VerĂ€nderungen gab es immer in der Erdgeschichte. Wer sagt Ihnen, dass die jetzigen menschengemacht sind? SchĂ€rfere Umweltauflagen sind Gift fĂŒr die dringend benötigten Investitionen in den eh schon maroden Wirtschaftsstandort Deutschland. Wie wollen Sie das den Leuten auf der Strasse verstĂ€ndlich machen? Wo bleibt da ihre Verantwortung fĂŒr unsere Kinder? ...â
Ich spulte das Band zurĂŒck und drĂŒckte die Aufnahmetaste. Die anderen sollten mich so in Erinnerung behalten, wie sie mich gekannt hatten: als Paps.
Vor dem Spiegel zog ich mein Hemd aus. Der schwarzen Fleck auf meiner rechten Schulter war weiter gewachsen. Ich wĂŒrde das Melanom nicht operieren lassen, sondern schĂŒttete die restlichen Kapseln in das Glas und trank.
Wenn ich religiös wĂ€re, wĂŒrde ich vielleicht fĂŒrchten, schon bald in der Hölle zu schmoren. Wenn ich zum Himmel schaue, glaube ich, ich habe meine Zeit in der Hölle schon verbĂŒĂt. DrauĂen ist ein sonniger Nachmittag in Deutschland. Und ich warte.
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