Mainhattan Moments
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Susanne Ruitenberg und Julia Breitenöder haben Geschichten geschrieben, die alle etwas mit Frankfurt zu tun haben.
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Mai 2005
An einem sonnigen Nachmittag
von Stefan Schweikert

“Lieber Herr Jonas, bitte nehmen Sie endlich zur Kenntnis, dass ein eindeutiger kausaler Zusammenhang zwischen dem sogenannten “Globalen Klimawandel” und den Aktivitäten unserer Unternehmensgruppe nicht gegeben ist. Gerade in wirtschaftlich angespannten Zeiten wie diesen, sollte es für einen seriösen Journalisten selbstverständlich sein, das zarte Pflänzchen wirtschaftlichen Aufschwungs in einem harten globalen Wettbewerb nicht der Auflage zuliebe zu zertreten. Unser Unternehmen ist auf die Erschließung der asiatischen und südamerikanischen Märkte angewiesen. Denken Sie an die Arbeitsplätze ...”

Ich drückte die Pausentaste am Videorecorder und ging ins Bad. Zwei Gesichter blickten mich aus dem Spiegel an: Klein und eingefroren im bläulichen Leuchten des Bildschirms der junge Pressesprecher eines deutschen “Global-Players”, davor die selben Züge, grau aber lebendig. Ich versuchte mich an meinem alten Lächeln, es gelang mir fast.
Der Schmerz in meiner Schulter brachte mich in die Gegenwart zurück. Ein knappes Dutzend weißer Kapseln bedeckten den Boden des braunen Fläschchens auf dem Waschtisch: Schon bald musste ich eine Entscheidung treffen.
Ich schüttelte eine Kapsel in meine Hand und trat ins Freie. Die Sonne stand im Zenit und brannte von einem wolkenlosen Himmel. Schweißflecken bildeten sich auf meinem Hemd. Ich setzte mich unters Vordach, spülte die Kapsel mit einem Schluck Wasser hinunter, blinzelte in die Sonne und dachte an früher:

“Das war nicht nett von dir. Die Sache mit den Arbeitsplätzen ...”
“... war mies. Ich weiß”, vollendete ich seinen Satz. Jonas und ich saßen noch in einer Bar zusammen, wie wir es seit dem Studium machten, wenn wir zur gleichen Zeit in einer Stadt waren. Es war das erste Mal, dass wir in der Öffentlichkeit beruflich aufeinander getroffen waren und für beide war es nicht leicht gewesen.
“Rüstungsexporte: Denkt an die Arbeitsplätze. Menschenrechte: Denkt an die Arbeitsplätze. Umweltschutz ... Es ist einfach primitiv ...”, fuhr Jonas fort.
“Aber es funktioniert. Und außerdem: Wenn wir es nicht machen ...”
“... dann machen es die Anderen. Wieder so ein Spruch. Du glaubst doch nicht, was du da sagst?”
“Es ist die Wahrheit.”
“Du hast dich nicht nur kaufen lassen, du gehörst schon zu Ihnen!”
Das war unfair. “Wer soll das sein? Diese ominösen “Sie”?” fragte ich wütend. “Die ewig bösen Bosse? Das Kapital? Jeder der Geiz geil findet? Oder die Illuminaten? Du bist doch auch nicht besser. Du verdienst gutes Geld mit deinen Büchern und nährst dich wie ein Vampir an den Ängsten der Leute.”
Mit blitzenden Augen saßen wir uns gegenüber.
Die Blitze entluden sich in lautem Lachen. Wir bestellten noch zwei Bier.
“Weißt du, die Leute warten auf einen großen Knall”, sagte Jonas. “Laut und bunt und zur besten Sendezeit, aber der wird nicht kommen, weil wir schon mitten drin sind. Wir bewegen uns mit der Explosion, deshalb hören und sehen wir sie nicht. Verstehst du, was ich meine?”
Ich nickte nur.


Eine schlanke Gestalt lenkte meine Aufmerksamkeit auf sich. Sie versuchte im knappen Schatten der Häuserfront zu bleiben, ihre Schritte ließen kleine Staubwolken aus dem Asphalt aufsteigen. Als sie mich sah, winkte sie und kam zu mir herüber.
Ich erwiderte die Geste und rief: “Hallo Rebekka! Was treibt dich bei der Affenhitze nach draußen?”
Das Mädchen setzte sich neben mich und sagte: “Wollt nur sehen, wie’s dir geht, Paps. Und fragen, ob du vielleicht ...” Sie wies mit einem Nicken auf den halb vollen Wasserkanister. “Der Tanklaster ist schon wieder nicht gekommen.”
“Ich weiß. Nimm ruhig den ganzen Kanister mit, ich hab noch einen. Und morgen wird der LKW sicher kommen.”
Rebekka lächelte dankbar. “Ja! Morgen – oder vielleicht übermorgen.”
“Und? Wie läuft es bei euch?” fragte ich.
“Ganz gut. Wir versuchen die Ernte zu retten, so gut es geht. Aber wenn es nicht bald regnet sehe ich schwarz. Es wird kaum was zum Verkaufen übrig bleiben.”
Ich sagte nichts. Sie fütterten auch mich durch, da war ein halber Kanister mit Trinkwasser eine schwache Gegenleistung.
Rebekka schien meine Gedanken erraten haben: “Aber für uns recht es noch. Warum ziehst du nicht endlich mit auf den Hof? Wir haben genug Platz. Die Kinder freuen sich immer, wenn du eine Geschichte erzählst. Von früher, und so ...”
Wieder schwieg ich. Sie nannte mich Paps, obwohl wir nicht einmal verwandt miteinander waren. Aber ich war inzwischen der Älteste in der Siedlung, und alle riefen mich so. Mir gefiel es. Sie hätten mir auch einen anderen Namen geben können, einen weniger Liebevollen.
Die Valiumkapsel begann zu wirken.

Wir hatten unser letztes Bier bezahlt und befanden uns – leicht schwankend - auf dem Weg zum Hotel.
“Weißt du, das mit dem ‚großen Knall‘ hat mir gefallen. Vielleicht kann ich es irgendwo einbauen.”
“He! Das lässt du schön bleiben! Du hast genug Leute. Eure ‚Experten‘ diskutieren sogar die Schwerkraft weg, wenn es euch nutzt.”
“Jetzt übertreib nicht. Und wenn es wirklich schlimm wird, wird man schon was tun.”
“Man?”
“Was glaubst du”, wechselte ich das Thema, “wie werden die Leute von uns reden, so in zwanzig oder dreißig Jahren?”
“Wenn sich jemand an uns erinnert?”
“Ich meine: Du, der Weltverbesserer, der Blockierer und Querulant.”
“Und du, der Lakai des Großkapitals!”
Wir lachten wieder. Der Querulant und der Lakai gingen den Rest des Weges schweigend nebeneinander.


“Paps?”
Ich musste eingedöst sein.
“Ja? Entschuldigung, ich ...”
Sie küsste mich auf die Wange, nahm den Kanister und erhob sich. “Schon gut. Ich muss jetzt gehen. Nochmals Danke für das Wasser.” Sie lächelte wieder, dieses Mal lag ein trauriger Schatten in ihren Augen.
Ich sah ihr noch nach, wie sie die Strasse hinunter ging, nahm das halb volle Wasserglas und ging nach drinnen. Ich hatte Rebekka angelogen, es war mein letztes. Doch das spielte keine Rolle mehr.
Mein eingefrorenes Konterfei erwartete mich auf dem Bildschirm.

“Klimatische Veränderungen gab es immer in der Erdgeschichte. Wer sagt Ihnen, dass die jetzigen menschengemacht sind? Schärfere Umweltauflagen sind Gift für die dringend benötigten Investitionen in den eh schon maroden Wirtschaftsstandort Deutschland. Wie wollen Sie das den Leuten auf der Strasse verständlich machen? Wo bleibt da ihre Verantwortung für unsere Kinder? ...”

Ich spulte das Band zurück und drückte die Aufnahmetaste. Die anderen sollten mich so in Erinnerung behalten, wie sie mich gekannt hatten: als Paps.
Vor dem Spiegel zog ich mein Hemd aus. Der schwarzen Fleck auf meiner rechten Schulter war weiter gewachsen. Ich würde das Melanom nicht operieren lassen, sondern schüttete die restlichen Kapseln in das Glas und trank.

Wenn ich religiös wäre, würde ich vielleicht fürchten, schon bald in der Hölle zu schmoren. Wenn ich zum Himmel schaue, glaube ich, ich habe meine Zeit in der Hölle schon verbüßt. Draußen ist ein sonniger Nachmittag in Deutschland. Und ich warte.

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