Mainhattan Moments
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Mai 2005
LichtSchatten
von Manfred H. Freude

Vor dem großen, hohen Gebäude mit seinem grünen Portal mit seinen Flächen aus Marmor, Glas und Stahl stehen wir beeindruckt vor der Macht der Architektur.

Wenden wir uns nach rechts und gehen eine Strecke zweimal links um die Ecke und erreichen nach einiger Zeit die ungefähre Mitte der Rückseite des Gebäudes.
Eine Betontreppe die in den Keller führt.
Hinter einer Eisentür befindet sich ein langer Flur der zu einem großen Arbeitsraum führt.
An den Wänden sind lauter Regale mit Ordnern.

In einer Reihe stehen Schreibtische, daneben verläuft auf einem zwei Meter hohen Podest ein Weg an den Aktenbergen vorbei. Vor den Akten hängen von der Decke an Kabeln Fassungen mit Glühbirnen.
Die dem Raum ein gespenstiges, höhlengleiches Licht geben.

An den Tischen sitzen Menschen. Männer und Frauen mittleren Alters. Blass, käsigweiße Gesichter, wie angewurzelt an ihren Schreibtischen. Nur beschäftigt mit dem Einheften, Ausheften, Sortieren.
Sie sprechen kaum miteinander und diese Arbeit scheint ihr Leben und dieses Leben scheint diese Arbeit.
An diesen Schreibtischen scheinen sie wie unsichtbar festgebunden. Jeder bildet eine Einheit mit seinem Schreibtisch und wiederum alle mit ihren Schreibtischen eine Kette.
So leben sie Tag um Tag, Monat um Monat, Jahr um Jahr.

Unter Ihnen ist auch einer den ich Philofive nenne.
Philofive ist gerade wieder beschäftigt, aus einem Stapel Blätter, je ein Blatt in alle Ordner, einer bestimmten Reihe, einzufügen. Er ist sehr gewissenhaft und routiniert. So eingeübt, das er fast einer Maschine gleicht.

Er trägt einen langen Bart, der ihm den Ausdruck eines Weisen Philosophen verleiht. Sein Körper ist untersetzt.
Die Beine und der Oberkörper wie die Arme wirken zu kurz. Wahrscheinlich eine Unterentwicklung aufgrund seiner lebenslangen Tätigkeit in diesem Raum. Ob er hier geboren wurde kann man nicht genau sagen. Zumindest ist festzustellen, das Philofive, wie alle anderen schon ein Leben hier verbringt.

Über ihren Köpfen auf dem Podest vor den Aktenbergen laufen ständig Menschen hin und her. Sie tragen, schleppen und schaffen auf diesen Podesten herum. Die Glühbirnen von der Decke werfen ihre Schatten auf die Aktenwände hinter den Schreibtischen. Groß sehen die an den Schreibtischen sitzenden nur diese Schatten und ab und an beobachtet jeder, aufsehend von seinem Umheften, diese Schatten.

Philofive wie auch seine Kollegen und Kolleginnen ist dieses Schattenspiel die einzige Realität die ihnen begegnet. Was also sollte ihnen im Leben wichtiger sein als diese Schatten?
Waren diese Schatten gleichzeitig ihr richtiges Leben?
Sie waren es. Wenn man es genau betrachtet waren sie der Ablauf des Tagen, das Leben selbst.

Herr Philofive hatte eine Maus. Eine kleine Maus die er einmal vor Jahren hier unten im Keller gefangen hatte.
Er hatte sie in einer Blechschachtel, die er mit Löchern versehen hatte.
Diese Maus hatte ein ähnliches Leben wie diese Menschen. Nur etwas Licht schien durch die kleinen Löcher bis auf die einigen Male wo Herr Philofive den Deckel öffnete und der kleinen Maus etwas Käse gab.
So ging es nun schon Jahre.

Keine Freude kam Herrn Philofive über das Gesicht wenn er den Deckel des Blechkastens öffnete und er die kleine Maus sah, denn für ihn war diese Maus wie diese Aktendeckel, wie diese Blätter die er ständig ein und aus heftete.

Für ihn waren nur die Schatten. Alles Leben um ihn waren nur die Schatten an den Wänden. Und er war einer von vielen, nur ein kleines Rad, nur ein kleines Glied einer Kette.
Die Arbeit musste getan werden, das wusste er und die Schatten bewegten sich und solange diese Schatten sich bewegten lebte er, das alles wusste er.
Er nahm sein Projekt in die Hand, auf dem Aktendeckel stand 13/7000. Er war also beim dreizehnten Ordner von siebentausend die er in diesem Projekt zu bearbeiten hatte.
Er nahm sich Zeit. Die Schatten gaben ihm das Zeittempo vor.

Es war nun der Tag an dem er den Deckel öffnet und seine kleine Maus füttern wollte.
Die Maus war tot.
Zum ersten mal im Leben zeigte Herr Philofive ein Gefühl.
Er erschrak. Nie war er einem anderen Phänomen begegnet als diesen Schatten und nun dem Tod.
Er beschloss das Tier in seinem Kasten hier rauszubringen.

Er löste sich von seinem Schreibtisch, seinen Blick starr auf diesen Kasten gerichtet, den er mit beiden Händen hielt.
Er sah keine Schatten mehr, nichts was um ihn rum passierte nur noch diesen Kasten.
Herr Philofive ging durch die Tür in den langen Flur.
Dann öffnete er die schwere Eisentür die nach Außen führte.

Er erschrak.
Das helle Licht der Sonne traf zum erstenmal seine Augen.
Die Augen brannten, sie schmerzten.
Niemals hatte er dergleichen gesehen. Im Kellerraum hatte er nie gewagt mit bloßen Augen in das helle der Glühbirnen zu blicken. Es war ihm auch kaum möglich gewesen.
Nun aber sah er die Sonne.
Sein Blick gewöhnte sich langsam an das Licht und er sah die Häuser, die Straßen, die Autos.

Er sah die richtige Welt.
Eine Welt die er nicht kannte, niemals kennengelernt hatte und nicht verstand. Eine Welt die von seiner bisherigen Welt, die nur aus bewegenden Schatten bestand, soweit entfernt war, das er Schmerz empfand und sein inneres Wesen sich dagegen sträubte.
In seiner Verwirrung stellte er den Kasten in eine Hausnische und ging zurück durch die schwere Eisentür.

Als er aber zurückkehrte an seinen alten Arbeitsplatz und seinen Kollegen berichtete.
Berichtete von dem Licht, von diesem grellen, gleißenden Licht der Sonne und von diesen Häusern und allem was er gesehen hatte.
Seine Kollegen hielten ihn für verwirrt und glaubten ihm nicht.
Sie lachten und hielten ihn für einen Narren.
Sein Aufstieg und Fortgehen wäre Schuld an seinem Zustand und es sei ohnehin ein Unerlaubtes Verhalten gewesen seinen gewohnten Platz zu verlassen.
Und so was käme eben von so was.

Er aber, unser Philofive, noch immer benommen von dem zuvor erlebten, gewöhnte sich wieder an diese Finsternis.

Er betrachtete weiter seine gewohnten Schattenbilder und hielt diese für seine und mithin aller Wirklichkeit.

Doch so ganz hatte ihn das erlebte nicht losgelassen.
Er versuchte nun seinerseits diese Schatten zu deuten.
Wo er diese doch vorher ein Lebenslang nur zur Kenntnis nahm, versuchte er nun, diesen Schatten Personen zuzuordnen, sie zu beleben.

Seine Kollegen aber hielten dies und seine Erklärungen für lächerlich und wussten, das dies nur dadurch sei, das Philofive diesen verwerflichen Versuch unternommen hatte, an die Oberfläche zu gelangen.
Der Mensch, so behaupteten sie sei eben so beschaffen, das er diesen Arbeitsraum niemals verlassen darf.

Philofive aber konnte nicht begreifen, das er mit seinen Kollegen sich in einer Situation befindet, bei der sie sich frei fühlten, aber mehr und mehr Gefangene ihrer selbst wurden.

So blieben Philofive und die anderen nur tatenlose Zuschauer dieses Schattenspiels.

Als er dies verstand und er sich seiner Tatenlosigkeit erfreute trat ein Lächeln auf sein Gesicht.

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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