„Und? Was denkst du, hast du heute einen anstrengenden Tag?“
Mathilda Ernst fragte das nur, um das Schweigen zu brechen, das sich in letzter Zeit immer häufiger zwischen sie und ihren Mann Helmut schob. Auch diesmal antwortete er nicht. Sie machte sich zunehmend Sorgen um ihn. Seine Gesichtsfarbe wirkte fahl, seinen Wangen eingefallen. Oft war er in sich gekehrt – ja beinahe abwesend. Manchmal fragte sich Mathilda sich, ob ihr Mann noch so fest mit beiden Beinen im Leben stand, wie es sich für einen erst 55-Jährigen gehörte – und für einen 55-jährigen Schrankenwärter erst recht.
„Ja“, antwortete er jetzt für seine Frau fast überraschend, „ich muss heute mit der Direktion sprechen, damit die Hebevorrichtung endlich entrostet wird. Und das Gestrüpp ist viel zu nahe an die Gleise gewachsen. Wenn die das noch länger hinauszögern, wird’s gefährlich. Dann kann ich keine Garantie mehr für die Sicherheit am Bahnübergang Schlenkerstraße übernehmen.“ Das war ja beinahe eine kleine Rede. Mathilda war erfreut. Waren ihre Sorgen vielleicht doch unbegründet? Helmut nahm seine Aktentasche, in der sich lediglich ein Butterbrot und eine Thermoskanne mit frischem Kaffen befanden, und verließ pünktlich um fünf Minuten vor sechs Uhr das Haus – wie seit 30 Jahren. ...
Liebe Leserin, lieber Leser,
diese Geschichte gehört zu den Siegergeschichten und erscheint in unserer Literaturzeitschrift Schreib-Lust Print. Wir bitten Sie um Verständnis, dass wir uns nicht selbst Konkurrenz machen möchten, indem wir die Geschichte ebenfalls hier komplett veröffentlichen.
Vielen Dank!
Andreas Schröter
Letzte Aktualisierung: 29.06.2006 - 20.50 Uhr Dieser Text enthält 1302 Zeichen.