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Juni 2005
Mama muss arbeiten
von Silvia Both

„Fünf Euro“, hatte die Lehrerin gesagt. Woher sollte sie fünf Euro nehmen? Taschengeld gab es schon lange nicht mehr. Als Jasmin die Wohnungstür aufschloss, schlug ihr der übliche Mief aus Zigarettenrauch, Bierdunst und alter Wäsche entgegen. Sie rümpfte die Nase und zog die Tür schnell hinter sich zu. Ihren Schulranzen ließ sie im Flur stehen. Sie öffnete die Fenster im Kinderzimmer und in der Küche. Im Schlafzimmer lag die Mutter im Bett. „Steh auf, Mama, ich bin da.“ Sie rüttelte sie an der Schulter, vergeblich. Die Mutter drehte sich murmelnd auf die andere Seite. Jasmin zählte die Bierflaschen auf dem Boden. Es waren sieben und eine war umgefallen und lag in einer Bierlache. Das Mädchen trug die Flaschen in die Küche und steckte sie in eine der vielen Bierkisten, die dort gestapelt waren. Nachdem sie das Wasser für ihre Nudeln aufgesetzt hatte, wischte sie den Esstisch sauber. Mit spitzen Fingern entleerte sie den Aschenbecher in den Mülleimer. Die Mülltüte war schon wieder voll. Als die Nudeln fertig waren, schüttete Jasmin das Wasser ab und löffelte ihr Essen auf einen Teller. Dazu reichlich Ketchup und als Nachtisch einen Apfel. Aus der Schule wusste sie, dass man Vitamine essen musste. Im Apfel waren Vitamine. Zeit für die Hausaufgaben. Aber vorher stellte sie noch eine Plastikschüssel neben Mamas Bett, falls ihr schlecht würde. In ihrem Zimmer begrüßte sie ihre drei Puppen, indem sie ihnen über das Haar strich. „Hallo, meine drei Kleinen, Mama muss jetzt arbeiten. Also seid schön leise.“ Die Puppen nickten. Jasmin fiel das Rechnen schwer. Es waren so viele Aufgaben. Die Geteilt-Aufgaben hasste sie. Hoffentlich stimmten ihre Lösungen. Danach las sie ein Stück im Lesebuch und schrieb es ab. Sie versuchte besonders schön zu schreiben.
Plötzlich hörte sie ein Geräusch auf dem Flur. Ihre Mutter war aufgestanden und ging zur Toilette. Gut, dann machte sie nicht ins Bett. Sie fing ihre Mutter auf dem Flur ab. „Mama, wie geht es dir?“ fragte sie vorsichtig. „Lass mich“, kam es undeutlich zurück, „ich hab´ Kopfschmerzen. Muss was trinken. Bring´ mir´n Bier.“ „Mama, hast du Geld? Ich muss zu essen einkaufen!“ Von den fünf Euro für die Schule sagte sie lieber nichts. Ihre Mutter stützte sich mit einer Hand an der Wand, mit der anderen wehrte sie sie ab. „Lass mich ´n Ruhe.“ „Mama, ohne Geld kann ich dir kein Bier kaufen“, beharrte Jasmin. Die Mutter starrte sie einen Augenblick aus rotunterlaufenen müden Augen an. Sie strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn und ging ins Schlafzimmer. In der Nachttischschublade lag ein Zehn-Euro-Schein. „Hier“, murrte sie, „ist der letzte diesen Monat. Seit Hartz IV zahlen sie noch weniger. Und bring´ Bier mit, sonst setzt es was.“ „Jaja.“ Scheiß-Bier. Machte Mama nur müde. Jasmin schaute auf das Foto, das im Flur neben dem Spiegel hing. Mama und sie auf dem Spielplatz im Stadtwald. Mama lachte und sie hatte eine Eiswaffel in der Hand. Hmmmm, Eis ... Gab´s früher oft, als Mama noch an der Kasse im Supermarkt saß. Jasmin holte eine Einkaufstasche und die Mülltüte. Der Aufzug kam nicht. Wie immer. Auf den Mülltonnen saßen die Jugendlichen. Jasmin lehnte ihre Tüte schnell an eine Tonne und beeilte sich wegzukommen. Zu spät. Anton stellte sich ihr in den Weg und schubste sie zur Wand. „Na, schläft die Alte mal wieder ihren Rausch aus?“ Er grinste und fingerte an Jasmins T-Shirt herum. „Ich schreie!“ drohte sie, konnte aber nicht verhindern, dass ihre Stimme zitterte. Die anderen auf den Tonnen lachten. Anton schob sich noch näher an sie heran. „Was gibst du mir, damit ich dich ziehen lasse?“ „Eins auf die Rübe.“ Jetzt hatte sie die Lacher auf ihrer Seite. Aber Anton wurde wütend. Er schielte in die Einkaufstasche. „Was hast du da?“ „Nix.“ Sie krallte die Tasche an sich. „Ey, helft mir mal mit der Tussi. Die rückt die Kohle nicht raus.“ „Lass sie doch“, maulte einer, „gibt nur Ärger. Hab` keinen Bock auf die Bullen.“ Anton zerrte an der Tasche. Jasmin versuchte sich loszureißen, trat und kratzte. Plötzlich steckte sie im Schwitzkasten. Anton drückte und drückte immer fester zu. Sie bekam keine Luft mehr. Ihr wurde schwarz vor Augen.
Als sie aufwachte lag sie auf dem Boden vor den stinkenden Mülltonnen. Ihr Hals tat weh, die Jugendlichen waren weg und die Tasche auch. Jasmin weinte. Kein Geld. Weder für das Essen, noch für Bier, noch für die Schule. Aus. Ihre Mutter würde sie schlagen. Die Lehrerin würde sagen ...
„Hast du dir wehgetan?“ Ein großer dünner Mann kniete vor ihr. „Was ist passiert?“ „Anton hat mich gewürgt. Und mein Geld ist weg. Ich wollte gerade einkaufen.“ Der Fremde schaute sie besorgt an, half ihr auf. „Wieviel hat er dir gestohlen?“ „Zehn Euro“, heulte Jasmin, „alles, was meine Mama noch hatte.“ „Kennst du den, der das getan hat?“ „Klar, Anton war das, der wohnt im dritten Stock.“ Der Mann hielt ein Handy in der Hand. „Hier ist Robert von der Arche. Vor der Nummer Fünf hat ein Jugendlicher ein kleines Mädchen bestohlen. Sie kennt ihn.“ Er nickte ihr beruhigend zu. „Die Polizei kommt gleich. Du bekommst dein Geld wieder.“ Jasmin staunte. So schnell ging das. Ihr war plötzlich so leicht zumute. „Wer bist du denn?“ Er nahm sie an die Hand und führte sie ein paar Schritte von den Mülltonnen weg, zeigte auf das größte Hochhaus in der Siedlung. „Ich heiße Robert und wohne da drüben in der Nummer Elf mit meiner Familie. Seit zwei Wochen. Ich bin ein Pfarrer. Weißt du, was das ist?“ Jasmin nickte. „Ich dachte, Pfarrer wohnen in der Kirche.“ Robert lachte. Meine Kirche ist die Arche. Das ist meine Wohnung. Du kannst gerne jeden Tag nach der Schule zu uns kommen. Du bekommst etwas zu essen und meine Frau und ich helfen dir bei den Hausaufgaben. Heute waren vierzehn Kinder aus der Siedlung bei uns. Unsere Arche wird bald zu klein. Im Moment überlegen wir, die alte Schule zu mieten. Dann können wir Kicker aufstellen und Tischtennisplatten.“ Jasmin blickte zu ihm hoch. „Ich soll Bier kaufen, hat meine Mama gesagt.“ „Soll ich mal mit deiner Mama reden?“ fragte Robert ernst. Jasmin nickte. Das grün-weiße Polizeiauto, das hier häufig zu sehen war, näherte sich. „Gibt es in der Arche auch Eis für die Kinder?“ fragte sie. „Ja, oft.“ Jasmin freute sich. „Dann komme ich morgen.“

Nachtrag:
Das Berliner Kinder- und Jugendzentrum „Die Arche“ existiert tatsächlich. Es wurde 1995 gegründet. Mittlerweile betreut es über 200 Kinder und Jugendliche täglich (www.kinderprojekt-arche.de).

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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