Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten
Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten
In diesem Buch präsentiert sich die erfahrene Dortmunder Autorinnengruppe Undpunkt mit kleinen gemeinen und bitterbösen Geschichten.
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Juni 2005
Arbeitslos im Süden
von Sigrid Wohlgemuth

„Beeil dich, Doris!“, rief Vasilis.
Ich war dabei den Garten zu bewässern. Im Laufschritt eilte ich die kleine Anhöhe hoch und drehte den Wasserhahn zu.
„Spring unter die Dusche. Ich fahre dich.“ Vasilis hielt mir ein frisches Handtuch entgegen.
„Könntest du die Katzen füttern. Die Ziegen brauchen noch frisches Wasser.“ Ich zog mich aus, mein Gesicht hielt ich dem kühlen Strahl entgegen.
‚Immer diese Hetze. Um fünf Uhr aufstehen, den Garten bewässern, Unkraut zupfen, Gemüse ernten, Ziegen melken, füttern, Frühstück machen und die Katzenfamilie mit Hühnchenleber bewirten. Dann ab ins Büro, mittags nach Hause spurten, Essen kochen, putzen, Wäsche waschen. Am späten Nachmittag, den Hotelgästen Autos vermieten, Touren besprechen. Abends Gäste bewirten, kochen, spülen, Streicheleinheiten für die Katzen und erschöpft ins Bett, die Nacht war kurz. Und wo blieb Zeit für mich selbst? Da lebte ich im Süden und genoss nicht einen einzigen Tag die Sonne, das Meer und den weißen Sandstrand.’ Ich schüttelte unter dem Wasserstrahl den Kopf, als könnte ich so meine Gedanken vertreiben.

„Arbeitslos?“, schrie Elsie, meine in Deutschland lebende Freundin in den Telefonhörer.
„Du hast richtig verstanden“, gab ich zur Antwort.
„Warum, wie und wovon wollt ihr leben? Ihr seid auf das Geld angewiesen.“
„Das Hotel ist an einen französischen Anbieter vermietet worden, sie suchen Personal, das die Sprache beherrscht. Dann ...“
„... musst du die Sprache lernen“, fiel Elsie mir ins Wort.
„Ich bin kein Sprachenmensch, das weißt du doch, sonst könnte ich nach all den Jahren perfekt griechisch.“
„Wirst du im Stadtbüro eine Stelle bekommen?“
„Nein. Abgesehen davon, es würde sich nicht rechnen.“
„Bitte? Jeder Cent zählt!“
„Sie zahlen fünfhundertfünfzig Euro im Monat, davon gehen zweihundertfünfzig für Benzin drauf, es ist eine weite Strecke bis in die Stadt.“
„Dann bleiben dir immerhin dreihundert. Ist doch auch etwas.“
„Dreihundert für einen Monat arbeiten, mit acht bis vierzehn Stunden am Tag und zusätzlich zwei Stunden Fahrzeit.“
„Moment, du wirst doch auch mal einen Tag frei haben.“
„Träum schön. Hatte ich diesen in den letzten beiden Jahren?“ Es blieb still in der Leitung. „Bist du noch da, Elsie?“
„Ja. Ich weiß nicht, was ich dir raten soll. Bekommst du wenigstens Überbrückungsgeld?“
„Nein, mir fehlten wenige Tage. Du musst zwei volle Saisons gearbeitet haben, dann bekommst du dreihundert Euro.“
„So ein Mist! Wie soll es jetzt weitergehen?“
Ich zuckte mit den Schultern, da bemerkte ich, dass Elsie das durchs Telefon nicht sehen konnte. „Mir wird schon etwas einfallen.“
„Denkst du, du kommst damit klar?“
„Wir werden sehen.“ Ich legte den Hörer auf und ging in den Garten. Dort ließ ich mich im Schatten eines Olivenbaumes nieder. Mein Blick streifte über das Grundstück. Drei unserer Katzen spielten in der Ferne Verstecken unter einem Büschel Gras.
‚Arbeitslos, arbeitslos, wie soll ich bloß im nächsten Monat die Rechnungen bezahlen? Vom Fischfang allein können wir nicht leben. Zahle ich mit Kreditkarte, rechnen sie mir achtzehn Prozent Zinsen an.’ Ich schüttelte den Kopf. ‚Nein, so ging das nicht.’
Die Saison hatte angefangen, es war schwer im Dorf eine Stelle zu finden.
‚Und wenn wir in die Stadt ziehen? Und was mache ich mit den Ziegen und Katzen? Es muss eine andere Lösung geben.’ Ich legte meinen Kopf an den Baumstamm, schloss die Augen, schob die trüben Gedanken von mir und dachte daran, wenn Elsie in einem Monat zu Besuch kommt, hätte ich viel mehr Zeit für sie.

„Toll hast du das geregelt!“ Elsie saß mir gegenüber.
„Schau mal, ich habe in den letzten vier Wochen, nach Abzug aller Kosten vierhundertzwanzig Euro verdient!“ Ich wedelte mit den Scheinen.
„Macht es dir Spaß?“
„Habe ich sonst neben meiner Arbeit etwas anderes gemacht? Hatten wir eine gute Ernte, habe ich viel an die Nachbarn verschenkt. Nun verdiene ich mir damit den Unterhalt.“
„Wie verläuft dein Tag?“ Elsie setzte sich interessiert im Stuhl auf.
„Ich stehe immer noch um fünf Uhr auf. Gehe die Ziegen melken, bewässere und ernte das Gemüse. Je nach Jahreszeit sammle ich Kräuter in den Wäldern, trockne sie und lege Kapern in Essig ein. Wildgemüse und Pilze sind auch gefragt. Dienstags, mittwochs und samstags fahre ich auf den Markt in die jeweiligen Städte und biete Ziegenmilch, selbstgemachten Ziegenkäse, die Kräuter und Gemüse an. Nach der Olivenernte werde ich zusätzlich eingelegte Oliven und Öl verkaufen.“
„Ich war entsetzt, als du mir gesagt hast, dass du deinen Job verloren hast. Kurz danach habe ich im Spiegel einen Kommentar gelesen, dass Arbeitslosigkeit in Deutschland mit sozialem und menschlichen Abstieg verbunden ist. Ohne Kohle bist du nichts. In anderen Ländern wären die Menschen oft viel ärmer, doch sie hätten etwas Wesentliches: Phantasie und Überlebenswille. Nun daran hat es dir nicht gefehlt.“
„Danke für die Blumen.“
Elsie nickte. „Sag mal, bleibt dir auch mehr Zeit für dich selbst?“
„Nicht nur für mich, auch für die Familie, die Katzen und für dich. Lust auf ein kühles Bad im Meer?“ Ich sprang auf, zog Elsie vom Stuhl hoch und ging los. Kurz hielt ich inne: „Wieso ist mir das nicht früher eingefallen?“
„Besser jetzt, als nie“, sagte Elsie und lächelte mir zu.

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