Honigfalter
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Juni 2005
Fantasia ist arbeitslos
von Elsa Rieger

Gelangweilt spielte Fantasia mit den Zweigen der Trauerweide. Immer wieder schlug sie gedankenverloren dagegen. Die elastischen Zweige schwangen hin und her wie ein Vorhang aus grünen Samtschnüren.
„Was ist nur mit dir los, Fantasia?“, murrte die Trauerweide.
„Mir ist sterbenslangweilig ...“ Fantasia stöhnte.
„Dann unternimm doch etwas! Warum gehst du nicht hinaus in die Welt, wie früher und verzauberst die Menschen, wie es deine Aufgabe ist?“
Die Trauerweide war sehr alt. Ihre Stimme ähnelte einem Ächzen und Knarren, das Fantasia noch ungeduldiger machte.
„Was soll ich mit der Welt? Das ist es doch gerade! Das, was da draußen ist, ruiniert mich!“, schrie sie. Die Langeweile machte dem Ärger Platz.
Fantasia wuchs. Sie überragte die mächtige Weide, so sehr plusterte der Zorn sie auf.
Je nach Gemütszustand konnte sie klein oder groß sein. Jetzt blähte sie sich auf, um die eigene Angst vor dem Widersacher Zeitgeist zu vertreiben. Sie verwandelte sich in einen Riesen mit Bartstoppeln am Kinn, mit Händen und Füßen, groß wie Mühlräder.
Wütend stampfte sie im Kreis um die Weide herum und fletschte ihre Zähne. Fantasias Schritte ließen die Erde erbeben.
„Hör sofort auf damit! Meine Wurzeln lösen sich aus dem Boden!“ Die Trauerweide rang flehend die Äste. Das Stampfen hörte auf. Fantasia schrumpfte sogleich auf Baumhöhe zurück.
„Und tu dein hässliches Riesengesicht auch weg! Ich sagte doch bloß, dass du in die Welt gehen sollst. Was erfüllt dich nur mit solchem Zorn?“, fragte die Weide.
„Ach, Welt!“, heulte Fantasia auf. Sie seufzte so jämmerlich, dass es der Trauerweide das Herz zusammenschnürte. War Fantasia guter Dinge, leuchtete sie in allen Farben des Regenbogens. Nun war sie verblasst zu grauen Schlieren.
„Ich bin unendlich traurig, Weide. Wie eine Elfe ohne Flügel oder ein Einhorn ohne Horn.“ Sie sank am Stamm der Trauerweide zu Boden. Wie ein dünnes, verwaschenes Nachthemd lag Fantasia da. Mit leiser, mutloser Stimme sagte sie: „Die Welt hat keine Zeit mehr für mich. Früher haben die Menschen nach mir Ausschau gehalten, meine Vielfarbigkeit, mein Glitzern und Funkeln ersehnt. Sie haben mir zugesehen, wie ich mit den Kindern spielte, ausgelassen, voller Freude und sie haben sich davon anstecken lassen, haben wundervolle Bilder gemalt, spannende Geschichten geschrieben oder zu Herzen gehende Symphonien komponiert. Und nun?“
„Du musst die Menschen eben wieder aufwecken!“, schlug die Weide vor.
„Und wie??? Die Kinder starren in die Playstation Spiele oder Gameboys. Tippe ich ihnen auf die Schulter, schütteln sie mich ab wie ein lästiges Insekt. Früher saßen die Menschen abends nach der Arbeit zusammen. Sie erzählten einander Märchen und Abenteuer. Sie lauschten den Nachtigallen, betrachteten den Mond, träumten ... Heute schaufeln sie nach dem mikrowellengewärmten Essen Popcorn und Chips vor dem Fernseher in den Mund, bis ihnen die Augen zufallen. Musik machen oder hören? Lesen? Handarbeiten? Kreativ kochen? Keiner hat mehr Zeit für mich. Ich bin arbeitslos geworden.” Fantasia weinte.
Die Trauerweide knarrte mitfühlend.
Zwei Feldhasen hoppelten heran, schnupperten an dem verwaschenen Nachthemd, das vor Verzweiflung und Mutlosigkeit bebte.
Einer von ihnen mümmelte: „Liebe Fantasia, uns fehlen schon so lange Elfen, Feen und Zwerge, weil du dich nur noch mit deinem Elend beschäftigst und im Selbstmitleid erstickst. Ich frage dich nun, wenn es diese Zauberwesen nicht mehr gibt, wie sollten die Menschen, die gern in die Natur gehen, denn ihre Fantasie wieder entdecken? Du gibst ihnen ja überhaupt keine Chance!“
„Ach ihr!“, seufzte sie.
Die Weide sprach: „Du bist unsere Königin, hast du das ganz vergessen? Nur du hast die Fähigkeit, Zauber zum Leben zu erwecken. Das schönste Wesen zwischen Himmel und Erde warst du einmal! Wandlungsfähig. Manche sahen dich als Lied, für andere warst du Poesie. Sieh, was aus dir geworden ist – ein Nachthemd!“
Fantasia lief rot an. Aus Scham. Schwach, wie sie war, kam aber nur rosa dabei zustande.
Die Worte rüttelten sie auf. Ihr kam eine Blumenelfe in den Sinn, die schon beim nächsten Augenaufschlag auf einer Margeritenblüte landete.
Das Elflein winkte froh. Es hauchte: „Danke, Fantasia, ich fürchtete schon, du würdest uns für immer im Kerker deiner düsteren Gedanken vermodern lassen. Kannst du denn die anderen nicht auch befreien? Nur weil du arbeitslos geworden bist, heißt das doch noch lange nicht, uns auch zur Untätigkeit zu verdammen?“
Fantasia streckte sich ein wenig und veränderte ihre Form, wurde zu einem zierlichen Tropfengebilde, ein Hellgrün der Hoffnung kam zum Rosa dazu.

Fantasia fragte in die Runde: „Ihr meint, es würde für den Anfang reichen, wenn ich die Wesen der Fantasie für uns selbst wieder rufe? Dass es gar keine Rolle spielt, wie viele Menschen mich ablehnen?“
Weide, Hasen und die Blumenelfe nickten eifrig.
Fantasia sprach weiter, während immer mehr Farben um sie herum flirrten: „Das würde bedeuten, es ist ganz egal, wie viele Wesen meine Kräfte nutzen wollen, Hauptsache, wir haben Spaß dabei!“
Die Blumenelfe erhob sich von der Margerite und flog zu Fantasia. Sie landete auf der kleinen Goldkrone, die mittlerweile die Tropfenspitze krönte. „Also hopp, hopp, mach es für dich und für uns, hm?“, sagte sie und kitzelte mit den durchsichtigen Flügeln Fantasias Nasenspitze. Diese musste heftig niesen. Die Explosion setzte alle eingesperrten Zauberwesen frei. Sie atmeten erleichtert auf, klopften sich gegenseitig auf die Schulter, schwirrten und hüpften vor Freude über die ganze Wiese.
Schon bald begannen die Zwerge Ordnung zu schaffen. Sie schleppten verfaultes Laub und dürre Äste zur Verarbeitung weg.
„Endlich wieder etwas zu tun“, sagten sie zueinander. „Bin ja schon fast verblödet beim Nasebohren.“
Die Blumenelfen trugen den Blütenstaub und die Tautropfen von einer Wiesenblume zur anderen. Die Feen schwangen ihre Zauberstäbe und heilten kranke Tiere und Pflanzen.
Das Fantasievolk wieselte und wuselte herum. Es tat, was es immer schon getan hatte. Der Kerker der düsteren Gedanken Fantasias war bald vergessen.
Als dann eine Familie ihren Sonntagsspaziergang auf dieser Wiese machte, schillerte Fantasia bunt wie eh und je.

„Ach, wie schön es doch hier ist!“, rief die Mutter.
„Psst! Vielleicht sehen wir ja eine Elfe. Aber du musst still sein.“, sagte das kleine Mädchen. Da steckte ihr Bruder den Gameboy weg und betrachtete aufmerksam die Umgebung. Ein Schmetterling flatterte an seiner Nase vorbei. Oder war es eine Elfe?

Viele Jahre später sagte die Weide an einem heißen Sommertag, als Fantasia träge in ihrem Schatten lag: „Es lohnt sich immer, seine Ideen zu verwirklichen.“
„Genau.“, sagte die Fantasie.
Sie sahen den beiden Kindern von damals zu, die immer wieder hierher zurückkehrten und nun ihren Sprösslingen die Liebe zur Natur in die Herzen pflanzten.

Leise kicherte es im Gras.

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