Mainhattan Moments
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Susanne Ruitenberg und Julia Breitenöder haben Geschichten geschrieben, die alle etwas mit Frankfurt zu tun haben.
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Juni 2005
Steppende Nieren
von Michael Jordan

Ich verließ die Firma, um früher Feierabend zu machen.
Die Straßen waren voll mit Demonstranten; auf der Kreuzung regelte ein „Ein-Euro-Jobber“ den Verkehr. Gut, dass die jetzt diese Arbeitsamts-Armbinden tragen mussten und nicht diese alberne Fußfessel, die auch im Gespräch war.
Ich beschloss zum U-Bahnhof zu gehen und mein Auto stehen zu lassen.
Bei diesem Gedanken flankierten mich plötzlich zwei Männer in Schwarz.
Schwarze Anzüge, schwarze Brillen, schwarze Hüte. Schwarzer Humor?
„Gleitende Arbeitszeit?“ fragte einer der beiden mit rauer Stimme und Blick auf seine Armbanduhr.
Beide hielten mich mit festem Griff an den Armen.
Der andere dieser Typen nuschelte irgendwas von Geheimdienst, Sonderabteilung. Flüchtig wurde mir ein ausweisähnliches Dokument hingehalten.
Die beiden kamen mir zwielichtig vor, doch ich hatte keine Einwände. Wohl aus schlechtem Gewissen.
Zu sicher hatte ich mich mit meinen kleinen Transaktionen gefühlt, ließ mich ohne Gegenwehr zu einem Wagen führen, in den man mich hineindrückte.
Im Augenblick beschäftigte mich mehr die Frage, wie sie mit ihrem Wagen durch die Menschenmassen kommen wollten, als was jetzt mit mir geschehen würde.
Ein Autokorso überfuhr gerade wild hupend die Kreuzung. Ich sah darunter sehr schöne Limousinen, aus denen Transparente lugten, auf denen der soziale Abstieg prophezeit und ein achtzehntes Monatsgehalt gefordert wurde.
Der Ein-Euro-Jobber winkte mit ausladenden Bewegungen die Wagenkolonne weiter, während er einen weiteren Zug zum Pausieren delegierte. Dazwischen überall Leute, die auf den Hemden für ihre Ich-AGs warben. Einige warfen sich vor die Autos, um sie zum Anhalten zu bewegen. Voll der Hoffnung, die Fahrer zu einer individuellen Dienstleistung überreden zu können. Andere winkten mit ihren Scheibenwischutensilien dezent vom Straßenrand, um ein Putzerlebnis bettelnd.
Ein Geräusch ließ mich nach links schauen. Eine Frau presste ihre Brüste gegen unsere Seitenscheibe. Auf ihrem T-Shirt stand: „Die 2-AG“. Darunter eine 0190 Nummer. Mein Wagenlenker öffnete mit einem Ruck seine Tür und entledigte sich der Dame.
Wir fuhren in Richtung Kreuzung. Mein Bewacher neben mir holte sein Handy heraus, wählte und nuschelte irgendwas in die Sprechmuschel. Unmittelbar darauf richtete der Verkehrsregulator wilde Gesten an die Autofahrer, die sofort eine Gasse bildeten. Dort fuhren wir hindurch.
Nach ca. zehn Minuten Fahrt hielten wir wieder vor meinem Dienstgebäude.
Ich tat so, als würde ich nichts merken.
Der Fahrer drehte sich zu mir um, sah mir erst stumm in die Augen und sagte dann grinsend: „Wir wollen das Haus doch alle wieder auf normalem Weg verlassen, nicht!“
Sie zerrten mich aus dem Wagen.

Wir gingen in das Dienstgebäude und fuhren mit dem Aufzug bis in die dreizehnte, mir unbekannte Etage hinauf.
Es ging einen langen Gang entlang, vorbei an zwei rüstigen alten Herren, die sich verbeugten und uns ein: „Zu Diensten!“ zuraunten. Kurz hinter ihnen wurde ich in ein Zimmer mit schummrigem Licht gebracht, auf einen Stuhl gesetzt und von meinen Bewachern allein gelassen.
„Schön brav Sitz machen!“ meinte der Fahrer beim Hinausgehen.
Langsam realisierte ich, dass hier irgendetwas nicht so ganz koscher sein konnte. Sehr offiziell sah es hier nicht aus…
Nach einer ganzen Weile, in der ich mich nicht getraut hatte aufzustehen, flammte das Licht auf und einige Leute betraten den Raum.
Ich war geblendet, so dass ich nicht viel erkennen konnte.
Schemenhafte Umrisse setzten sich mir gegenüber.
Jemand sprach eine kurze Begrüßung. Eine andere Stimme fuhr fort, dass nun meine Vergehen aufgezählt werden würden und ich mich anschließend dazu äußern könne.
Und wenn ich mich eben noch gefragt hatte, wobei sie mich ertappt hatten, so musste ich nun feststellen, dass sie kaum etwas ausließen.
Kleinere Gaunereien, Scheckbetrügereien, Trickdiebstähle, Schwarzarbeit. Die Liste schien kein Ende nehmen zu wollen. An Verschiedenes erinnerte ich mich erst wieder, als es erwähnt wurde.
Als sie fertig waren wurde ich aufgefordert, mich zu den Vorwürfen zu äußern.
Ich sagte gar nichts. Wenn überhaupt nur in Anwesenheit meines Anwalts.
Man nahm es zur Kenntnis und entließ mich aus dem Raum. Ich setzte mich auf eine Bank, zwischen meine beiden Bewacher.
Die Zeit schlich dahin. Mein rechter Nachbar winkte einen der Rentner zu uns heran und zeigte mit einer lässigen Bewegung auf den Boden vor unseren Füßen.
„Sehr wohl!“, meinte dieser wissend und begann vor uns zu steppen. Meine Bewacher wippten mit ihren Körpern rhythmisch im Takt mit und schienen sich sichtlich zu freuen. Als der lustige Alte, sicher ein „400-Euro-Mann“, fertig war mit seinem Stepptanz, verneigte er sich höflich vor uns. Mein linker Nachbar griff in die Innentasche seiner Jacke, holte einen Butterbrotsbeutel heraus und reichte diesen gönnerhaft unserem Tänzer. Einen Augenblick dachte ich aus dem Blick des Rentners Verachtung entnehmen zu können. Dieser jedoch bedankte und verneigte sich, lief dann ruhigen Schrittes zurück zu seinem Kumpel.
Eine ganze Zeit später öffnete sich die Tür wieder und man bat mich hinein. Das grelle Licht war normaler Raumbeleuchtung gewichen. Die schemenhaften Gestalten hatten nun Gesicht, saßen auf ihren Stühlen.

„Bitte setzen Sie sich!“, meinte einer und zeigte auf einen Stuhl.
Ich setzte mich.
Eine andere Tür öffnete sich und ein Mann trat herein.
Er setzte sich auf einen freien Stuhl mir gegenüber und begann zu reden.
„Sie haben sich zu den von uns gegen Sie erhobenen Anschuldigungen nicht geäußert.“
Ich nickte.
„Sicherlich haben Sie sich über die jetzige Situation schon Ihre Gedanken gemacht, jedoch darf ich versichern, dass Sie mit höchster Wahrscheinlichkeit zu einem falschen Schluss gekommen sein dürften.“
Mein dummer Gesichtsausdruck reichte ihm als Antwort.
„Ich möchte Ihnen ein paar Dinge unterbreiten!“, fuhr er fort.
„Bei unserer, nennen wir es: Organisation, handelt es sich nicht um eine Instanz zur Verbrechensbekämpfung. Nichts von dem, was wir gegen Sie ermittelt haben, wird von dieser Stelle aus weitergeleitet werden. Aber ich weise Sie darauf hin, dass alles, was Sie erfahren werden, der höchsten Geheimhaltung unterliegt. Sollten Sie sich trotzdem dazu hinreißen lassen, irgendeine Information weiterzugeben, werden wir Schritte gegen Sie einleiten, die nichts mit herkömmlichen Polizeimaßnahmen zu tun haben. Haben wir uns soweit verstanden?“
Kann man dümmer als dumm schauen? Wenn ja, dann tat ich das jetzt.
„Wir möchten Sie anwerben!“, dröhnte seine Stimme.
Meine Kinnlade klappte herunter.
„Wir billigen keineswegs Ihre kriminellen Machenschaften, jedoch sind Sie uns durch ihren kreativen Einfallsreichtum auffällig geworden.“
Ich brachte keinen Ton heraus.
Ein Kleinwüchsiger mit Arbeitsamts-Armbinde betrat den Raum, servierte Getränke und reichte uns kleine Häppchen.
Nachdem er den Raum wieder verlassen hatte, fuhr mein Gegenüber fort.
„Es ist sehr schwierig unsere Firmenphilosophie mit ein paar Sätzen zu erläutern. Viele von unseren Mitarbeitern haben bis zum heutigen Tag nicht begriffen, was Ihre eigene Arbeit umfasst!“
Gelächter ertönte.
„Unsere Organisation besteht seit langer Zeit. Früher, als an Computer noch nicht zu denken war, konnten wir uns erlauben, mit einfachsten Mitteln zu agieren. Kleine zwischengeschobene Bildsequenzen in Kinofilmen und für heimische Fernsehgerät…“
Seine Augen bekamen plötzlich ein Leuchten und er verstummte für einen Moment. Er fasste sich schnell wieder und fuhr fort.
„Wissen Sie, es war so einfach, den Menschen gewisse Bedürfnisse zu suggerieren. Ein paar Meter Film, z. B. eingebettet in Doktor Schiwago, genügten, dem Unterbewusstsein das Verlangen nach Reisen, Autos oder Familie zu vermitteln. Und sehen Sie: wir hatten Erfolg! Die Wirtschaft florierte!
Mit Aufkommen der Pausenfunktion war damit natürlich Schluss.
Wenn Sie wissen, was ich meine.“
Ich nickte.
„Wir waren es, die den Gewerkschaften letztlich echte Macht gaben! Macht, die wir Ihnen heute durch überzogene Forderungen für Arbeitnehmer wieder entziehen müssen.“
Er schien mir mit den letzten Sätzen etwas an Fassung verloren zu haben. Sein Job lag ihm scheinbar sehr am Herzen.
Der „Ein-Euro-Jobber“ betrat erneut den Raum, ging zu meinem schluchzenden Gegenüber und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Er überlegte einen Augenblick, nickte dann kaum merklich. Der kleine Kerl ging daraufhin wieder hinaus und eine Handvoll Leute betrat den Raum.
Mein Gott, es war mein Kanzler! Meine Kanzler? Fünf Kanzler Klone?
„Einen Moment!“ meinte mein Erklärer zu ihnen gewandt.
„Entschuldigen Sie!“, fuhr er fort, „meine Zeit ist knapp bemessen. Sehen Sie, das wäre Ihre erste Aufgabe: der Vertrieb dieses unseres neuen Produktes.“
Man reichte mir ein weißes T-Shirt und einen Pullover. Auf der Kleidung waren an den entsprechenden Stellen Organe aufgemalt und mit Preisen versehen.
„Die Zahlen geben den derzeitigen Marktwert wieder!“ meinte er.
„Wir müssen den Menschen Möglichkeiten und Ideen bieten, neue Einkommensquellen zu erschließen!“ sprach er weiter. „Allein Ihr ehemaliger Arbeitsplatz bietet nun drei Ein-Euro-Jobbern Gelegenheit, sich mit eigener Kraft aus ihrer Misere zu befreien! Sind Sie bereit für Ihre erste Aufgabe?“
Ich überlegte kurz, dann nickten wir uns gegenseitig an.
Abschließend sagte er, dass ich noch weitere Informationen bekäme. Dann wandte er sich dem Kanzler zu.
Nach weiteren Informationen und Instruktionen, die ich erhielt, begleitete man mich bis zum Ausgang.

Ich blickte auf einen Schlafenden, etwa 15 Meter entfernt, dachte an meine
T-Shirts und daran, dass das Geld auf der Strasse liegt…
Alle würden wir profitieren! Er würde mir die Kleidung abkaufen und hätte somit sein komplettes Arbeitsmaterial. Wer braucht schon zwei Nieren, wenn er durch den Verkauf einer Niere lange Zeit gut leben kann…
Allein durch mich waren wieder vier Menschen in Arbeit gekommen: mein potentieller Käufer und die drei, die nun meinen alten Arbeitsplatz einnahmen.
Lief erst einmal dieses Geschäft, durfte ich eigene Ideen vorbringen. In meinem Kopf begann es fieberhaft zu arbeiten...

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