Futter für die Bestie
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Gruselig geht's in unserer Horror-Geschichten-
Anthologie zu. Auf Gewalt- und Blutorgien haben wir allerdings verzichtet. Manche Geschichten sind sogar witzig.
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Juni 2005
Sklaven
von Stefan Schweikert

“Kaum zu glauben, dass es eine Zeit gab, in der wir keine Sklaven hatten”, sagte Carl und räkelte sich auf der Sonnenliege. Er legte das Buch beiseite, drehte sich zu seinem Freund um. “Lars?”
“Mmm”, erwiderte dieser ohne den Blick von dem halb fertigen Bild zu wenden.
Dezente Lautenmusik klang über den Pool, John Dowlands gesammelte Werke, die Finger des Musikers glitten anmutig über die Saiten.
“Ich sagte: Kaum zu glauben, dass ...”
“Ich hab schon verstanden.” Lars tupfte ein wenig Farbe auf die Leinwand und legte den Pinsel weg. Carl würde keine Ruhe geben, ehe er nicht die Gedanken in seinem Kopf losgeworden war. “Du liest zu viel Geschichtsbücher”, seufzte er.
“Das ist ein historischer Roman”, wurde er von Carl korrigiert. “Würde dir auch nicht schaden, gelegentlich deinen Horizont zu erweitern, statt den ganzen Tag am Pool zu sitzen und Farbe auf die Leinwand zu klecksen.”
“Die Leute zahlen gut für meine Bilder!”
“Aber du hast es nicht nötig.”
“Mir gefällts!”
“Siehst du, das ist der springende Punkt!” sagte Carl. Er holte tief Luft.
Lars ahnte, dass Carl zu einer längeren Rede ansetzte. Er schwenkte sein leeres Cocktailglas in der Luft und rief: “Lisa!”
Die Dienerin, die bisher reglos am Pool gestanden hatte, eilte in die weiß getünchte Villa.
“Sklaverei und Leibeigenschaft war früher überall auf der Welt verbreitet”, setzte Carl wieder an. “War praktisch, das System einfach: Man nehme eine Bevölkerungsgruppe, die Schwarzen, Linkshänder oder Rothaarige und sagt: ‚Ihr seit eine Minderheit, ihr macht die Arbeit, ihr habt keine Rechte. Wir haben die Waffen, das Geld, die Mehrheit. Aber wir kümmern uns um euch.‘”
“Warum kümmern?”
“Eigentum! Eigentum verpflichtet! Aber damit waren die Probleme schon vorprogrammiert. Irgendwann stellten die Leute fest, dass Sklaven teuer werden können. Schon als die ersten Maschinen erfunden wurden, Webstühle und so, gab es immer mehr Waren und immer weniger Arbeit. Warum einen Sklaven durchfüttern, der keinen Gewinn erwirtschaftet? Also wurden die Sklaven freigelassen und mussten sich um sich selber kümmern.”
“Aha!” Das war wohl eine historisch nicht ganz korrekte Kurzfassung, dache Lars. Doch wenn er jetzt nachhakte, dann würde sein Bild für heute unvollendet bleiben.
Die Dienerin kam zurück, stellte den Cocktail vor Lars ab und entfernte sich unauffällig. Schirmchen und Ananasscheibe waren akkurat ausgerichtet, die Mischung perfekt. Mit Lisa hatten sie einen guten Griff getan.
“Und warum haben wir heute wieder Sklaven?”
“Das Problem waren wieder die Maschinen: Rationalisierung, Produktivitätssteigerung und so. Es wurden immer mehr Waren von immer weniger Leuten produziert. Schon zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts arbeiteten in den sogenannten Industrieländer weit weniger als die Hälfte der Bevölkerung. Und davon hatten viele schon völlig überflüssige Jobs.”
“Wie Unterstaatssekretär, Einrichtungsberater oder Aufsichtsrat.”
“Genau ... oder Kunstmaler.”
“He!” Lars nahm den Pinsel wieder auf und betrachtete sein Werk. “Die Leute lebten also fast im Paradies?”
“Richtig. Aber eben nur fast. Es gab Autos auf Halde und das Essen wurde weggeschmissen, aber man konnte nicht allen Leuten überflüssige Jobs geben, nur damit sie die Sachen kaufen konnten, die es gab.”
“Also hätte man den Leuten doch einfach so das Geld geben können, damit sie die Sachen wegkaufen?”
“Das hab sie auch: Nichtstugeld nannte man es, glaub ich. Aber die Leute die noch arbeiteten, sagten: ‚He, das ist ungerecht. Die kriegen Geld fürs Nichtstun.‘ Also bekamen die, die nicht arbeiteten immer weniger und die, die arbeiteten, konnten immer weniger verkaufen und wurden auch Nichtstuer, die wieder weniger kaufen konnten ...”
“Und so weiter ...”
“Richtig.”
“Und warum haben wir heute wieder Sklaven?”
“Ganz einfach: Eines Tages sagte ein kluger Mensch: Also, wir brauchen inzwischen herzlich wenig Leute um die wirklich wichtige Sachen zu machen. Autos bauen, Spargel ernten, Strassen kehren ...”
“Drinks servieren”, ergänzte Lars und blinzelte Lisa zu, die reglos an dem ihr zugewiesenen Platz stand.
“Wir können die Arbeit nie gerecht verteilen. Also müssen wir bestimmen, wer es macht: Sklaven! Die anderen Leute können die Autos fahren, den Spargel essen ...”
“Kaugummis auf die Strasse spucken.”
“Wichtig war: Jeder musste Sklaven besitzen oder die Sklaven mussten allen gehören, sonst wäre der nächste Schlamassel schon vorprogrammiert. Aber wer sollten die Sklaven sein? Leute mit Sprachfehler, notorische Linksfahrer oder Brillenträger? Außerdem hatte man inzwischen die Menschenrechte erfunden. Dumme Sache also.”
“Dabei war es doch so naheliegend”, lachte Lars und zog mit der Zunge im Mundwinkel ein paar Striche auf der Leinwand. “Ja, schön haben wir’s. Alles perfekt.”
Dowlands ‚Galliard‘ schien in einer Endlosschleife gefangen.
“Fast perfekt”, seufzte Carl und stand auf. “Wir könnten mal wieder einen Musiker aus Fleisch und Blut einladen.” Er brachte den elektrischen Musikanten mit einem Tritt zum schweigen.
Lisa wartete auf neue Befehle, die Servomotoren summten leise, ihre Chromhaut glänzte in der Sonne.

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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