Mainhattan Moments
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Susanne Ruitenberg und Julia Breitenöder haben Geschichten geschrieben, die alle etwas mit Frankfurt zu tun haben.
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August 2005
Sternschnuppe
von Anna Graben

Jennifer lag auf dem Rücken und starrte in die Dunkelheit. Hotelbetten fand sie schon immer unbequem und seit Jahren fiel es ihr jede Nacht schwer einzuschlafen und wenn sie doch irgendwann eingeschlafen war wachte sie nach zwei Stunden schon wieder auf. Da half ihr auch kein anderes Bett in einer fremden Umgebung weiter. Joseph überredete sie zu diesem Urlaub. Australien! So weit weg von zu Hause und der lange Flug war auch kein Vergnügen. Aber er hatte schon immer davon geträumt, nach Australien zu fliegen. Also konnte sie ja schlecht nein sagen!
Obwohl es ihr in ihrem Ferienhaus auf Sylt jetzt viel besser gefallen würde. Dort war es nicht so heiß und schwül und das Beste an allem war, dass sie sich dort auskannte. Sie wusste, wo der Bäcker um die Ecke war und wo es das beste Restaurant gab. Sie wusste, an welchem Strand man abends ungestört sein konnte, um sich die Sterne anzusehen. Sie ging auf die Terrasse, die zu dem luxuriösen Hotelzimmer gehörte, aus dem man jetzt Joseph schnarchen hörte, und setzte sich auf einen Stuhl. Sie lehnte den Kopf zurück und schaute in den Himmel. Nein, es war einfach nicht das gleiche wie auf Sylt. Dort lag sie nämlich immer im Sand, der vom Tage noch aufgewärmt war und hörte dem Wellenrauschen zu. Jetzt saß sie auf dem Stuhl, nur mit einem weißen knielangen T-Shirt bekleidet. Sie schaute herunter auf ihre nackten Füße und lächelte über den neuen Nagellack, den sie sich heute gekauft hatte, er war orange mit kleinen Glitzerherzchen. Immerhin gab es in Australien ganz andere Kosmetikprodukte, die sie ausprobieren konnte und die sie in Deutschland noch nie gesehen hatte.

Als sie aufstand, um zurück ins Zimmer zu gehen, trat sie auf etwas das sie daraufhin in den Fuß biss. War das eine Spinne? Reflexartig schüttelte sie es von ihrem Fuß ab und ging ins Bett. Dabei bemerkte sie, wie sich ein stechender Schmerz im ganzen Fuß ausbreitete. Sie knipste das Licht an und weckte Joseph auf. War das eine Giftspinne? Die Schmerzen wurden immer schlimmer und als Joseph den Ernst der Lage überblickte, rief er einen Krankenwagen.

Als wenig später die Sanitäter das Zimmer betraten, hatte Jennifer bereits im ganzen Bein Schmerzen, die immer stärker wurden. Man hob sie auf eine Trage, wobei sie das Gefühl hatte, ihr Bein müsste ihr gleich abfallen. Sie schloss die Augen und hörte nur noch, wie ein Mann, von der Terrasse aus, etwas von einer schwarzen Witwe rief.

Im Krankenhaus angekommen, merkte Jennifer wie ihr Gesicht angeschwollen war, sie konnte kaum ihre Augen öffnen. Und der Schmerz breitete sich jetzt im ganzen Körper aus. In welchem Fuß wurde sie gebissen? Sie hatte es vergessen.

„Jennifer, auf einer Skala von 1 bis 10, wie stark sind Ihre Schmerzen?“
Mühsam versuchte sie ihre geschwollenen Augen zu öffnen. Es war so grell hier und es standen so viele Menschen mit weißen Kittel um sie herum. So viele Ärzte? Wer hatte sie das gefragt?
„Jennifer, auf einer Skala von 1 bis 10, wie stark sind Ihre Schmerzen?“ Jetzt beugte sich ein Arzt vor ihr Gesicht, damit sie ihn sehen konnte. „Acht“, krächzte Jennifer und merkte dabei, wie sie anfing zu zittern. Der Schweiß tropfte ihr vom Gesicht. Musste sie sterben? Wegen eines Spinnenbisses? In Australien? Nein, so hatte sie sich ihren Tod nicht vorgestellt. Es war doch noch viel zu früh! Wäre sie doch nie hierher gekommen! Wie einen Film sah sie plötzlich ihr ganzes Leben an sich vorbeiziehen: Ihre Kindheit mit ihren strengen Pflegeeltern. Ihr Jurastudium, durch das sie sich durchquälen musste, weil es sie eigentlich gar nicht interessierte. Zu liebe ihrer Pflegeeltern aber studierte sie es, obwohl sie mit Ach und Krach ihr Abitur bestanden hatte. Nach dem Studium arbeitete sie als Anwältin in einer kleinen Kanzlei und übernahm die Fälle, die ihre Kollegen nicht interessierten. Jetzt musste sie Mörder und Kinderschänder vertreten. Was hatte sie sich nur dabei gedacht?
Viel lieber würde sie als Kosmetikerin arbeiten. Schon immer interessierte sie sich für Make-Ups, für Gesichtsmasken und Frisuren, für Maniküre, Petiküre und Massagen. Nichts würde ihr mehr Spaß machen, als Frauen zu verschönern und ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen. Den ganzen Tag über könnte sie mit ihren Kundinnen über dies und jenes plaudern und müsste nicht bei jedem Satz überlegen, wie sie sich am besten ausdrücken sollte, damit niemand das von ihr Gesagte gegen sie verwenden konnte. Sie hätte keine schlaflosen Nächte aufgrund von Verbrechern, die ihr nachts einfach nicht aus dem Kopf gehen, immer wieder spielten sich die Taten dieser Menschen vor ihr ab. Sie müsste nicht in einem Büro arbeiten und Akten wälzen. Auch für Computer hat sie sich noch nie interessiert und hatte immer Angst etwas falsch zu machen, in den Nachrichten kam schon wieder etwas über einen Computervirus. Was, wenn der sich auf ihrem Rechner ausbreitet? Und dieser ganze Papierkram, das war doch wirklich nur lästig! Aber warum wurde sie nur Anwältin? Wegen ihrer Pflegeeltern? Wahrscheinlich wollte sie ihnen nicht wehtun, weil sie doch schon immer von einer Anwaltstochter geträumt hatten, und schließlich hatten sie sie großgezogen, obwohl sie nicht ihre richtige Tochter war, das hatten sie ihr schließlich immer und immer wieder gesagt. Irgendwie musste man sich doch bedanken für diese Ehrenamtlichkeit! Und wie könnte es besser gehen, wenn man ihnen nicht ihren Vorstellungen zu entsprechen versucht von einer Supertochter? Jennifers richtige Eltern waren tot, aber sie hatte noch fünf Geschwister. Das Jugendamt wusste auch deren Adressen, aber sie hat nie danach gefragt, das konnte sie ihren Pflegeeltern nicht antun, schließlich fehlte es ihr doch an nichts! Dann sah sie ihre Verlobung. Joseph! Was für ein Mann! Er war einer der angesagtesten Anwälte in der Stadt und ihre Pflegeeltern waren begeistert von ihm! Er fuhr Porsche und sie wohnten gemeinsam in einem großen Penthouse. Alle Möbel wurden bei den teuersten Designern bestellt. Zugegeben, etwas futuristisch sahen sie schon aus und besonders bequem war die lilafarbene Couch ohne Rückenlehne auch nicht, auch das rote Stahlbett in Herzform sah irgendwie lächerlich aus. Die Bilder an den Wänden hatten Motive, bei denen man jahrelang überlegen konnte, was sie darstellen sollten. Das teuerste Gemälde hing im Wohnzimmer, über der Couch ohne Rückenlehne. Der Bilderrahmen wurde mit Baumästen dekoriert. Zwei mal drei Meter groß war das Bild und wenn man ganz genau hinsah, sah man unten links einen kleinen rosa Klecks, zwei Zentimeter groß wird der schon gewesen sein! Der Rest vom Bild blieb weiß, sonst hätte es niemals diese tiefgründige Aussage, die dadurch entstanden ist. Das Bild hatte nämlich den ungewöhnlichen Namen: „Klecks“!
Jetzt wurden die Gedanken immer langsamer und die Stimmen um sie herum hörten sich nur noch ganz leise an, die Schmerzmittel hatten gewirkt und völlig erschöpft schlief sie ein.

Als sie nach ein paar Stunden wieder aufwachte, war das Zimmer, in dem sie lag, dunkel und ihr Bett stand nun direkt neben dem Fenster. Wie lächerlich jetzt alles schien. Ihr gesamtes Leben kam ihr albern vor. Schon immer hatte sie sich herumkommandieren lassen. ALLEN hat sie versucht zu gefallen, aber wofür? Respekt bekam sie dafür nicht, im Gegenteil! Sie schaute aus dem Fenster und sah sich die Sterne an. Falls sie hier lebend herauskommen sollte, wird sie ihr Leben ändern!
Genau in diesem Moment sah sie eine Sternschnuppe am Himmel. Dies war ihr Zeichen! Nun war es beschlossen, diese Nacht sollte ihr Leben verändern!

Nach drei Tagen konnte sie vom Krankenhaus entlassen werden, ihr Fuß war zwar noch geschwollen, aber es ging ihr ansonsten wieder gut. Zurück in Deutschland löste sie die Verlobung auf und zog aus dem gemeinsamen Penthouse aus. Sie nahm sich eine kleine gemütliche Wohnung und kaufte sich gemütliche Möbel, die vollkommen normal aussahen und ihre Couch hatte jetzt sogar eine Rückenlehne! Die Bilder, die sie sich in die Wohnung hängte, hatten Motive, womit jedes kleine Kind etwas anfangen konnte. Blumen, Landschaften, verträumte Häuser...

An ihrem ersten Tag im Büro ging sie direkt zu ihrem Chef, um ihm die Kündigung zu überreichen. Erst später fiel ihr auf, dass niemand sie fragte, wie ihr Urlaub in Australien war. Aber hier hatte man sich sowieso noch nie für sie interessiert.

Heute arbeitet sie als Kosmetikerin in einem Wellness Hotel und trifft sich regelmäßig mit ihren wiedervereinten Geschwistern. Nachts kann sie jetzt auch wieder schlafen - wie ein Baby!

Letzte Aktualisierung: 07.04.2011 - 09.06 Uhr
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