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August 2005
Itzamná
von Ivonne Schönherr

Der Professor stöhnte, als er sich durch das Unterholz des Dschungels kämpfte, sein Hemd klebte unangenehm am Körper. Hinter ihm watschelte Gregor, ein ziemlicher Hohlkopf, aber der einzige Assistent, der bereit gewesen war, ihn nach Mittelamerika zu begleiten, um die alte Ruinenstadt zu suchen, auf die er in einer Aufzeichnung gestoßen war. Das alte Büchlein hatte zum Nachlass eines Offiziers aus der spanischen Eroberungszeit gehört, der am Dschungelfieber gestorben war.
Die Schrift darin war größtenteils unleserlich gewesen und das, was er hatte entziffern können, war bruchstückhaft.

Trotzdem war er, Hugh Roxton – Professor für frühe Hochkulturen, dem nachgegangen, denn allein die Vorstellung, dass er der Wiederentdecker einer solchen Stadt sein könnte, hatte ihn den Spott seiner Kollegen vergessen lassen.

Und nun war Roxton auf der Suche nach Ruinen die es vielleicht gar nicht gab, die nur den Fieberträumen eines kranken Mannes entsprungen waren. Er verzog das Gesicht und schlug nach dem summenden Quälgeist, der sich auf seiner Hand niedergelassen hatte, zweifellos, um den zahlreichen Quaddeln noch eine weitere hinzuzufügen. „Was erduldet man nicht alles als großer Entdecker?“, murmelte er und blickte angewidert auf ihren Führer. Der Einheimische hatte ihm versichert, sie zu ihrem Ziel bringen zu können, und dass er die Gegend kannte, die im Buch beschrieben war. Daran zweifelte Roxton mittlerweile.

In Gedanken versunken lief er vorwärts und wäre fast in den Rücken des vor ihm Gehenden geprallt. Verärgert über diese Störung sah er auf. Der Andere stand fuchtelnd da und murrte irgendetwas in dem Kauderwelsch, den er Sprache nannte. Roxton hoffte, dass es nicht wieder wegen eines Jaguars war. Ihr Führer wäre bei der vorherigen Begegnung fast geflohen. Der Professor hatte ihn nur mit Mühe überzeugen können, dass dieses Phantom des Waldes kein Zeichen der Götter war, um sie von der Suche nach der Stadt abzuhalten. Er ging an ihm vorbei, um nach dem Grund für die Aufregung zu sehen. Staunend erkannte er vor sich die überwucherten Mauern einer Stadt. ` Das muss sie sein.´ Er stürzte vorwärts, an seinen Begleitern vorbei, die hinter ihm hereilten.

Neugierig betrachtete er die Zeichnungen an den zum Teil zerfallenen Wänden und Mauern. Sie erinnerten ihn an Maya Darstellungen, sicher war er sich allerdings nicht, da sie ziemlich stark verwittert waren und erst behutsam freigelegt werden mussten, um ihre Geheimnisse preiszugeben. Aber dafür hatte er jetzt keine Zeit, sein Blick galt der Pyramide im Mittelpunkt der Siedlung. Nur ab und zu hielt er an, um einen Blick in ein paar der Häuser zu werfen. `Erstaunlich was von den Bewohnern alles zurückgelassen worden ist.´, sinnierte er über die Wohnhäuser nach, die den Eindruck machten als wären die Bewohner in großer Hast geflüchtet. `Warum haben sie so viele wertvolle Dinge zurückgelassen?´ Überhaupt machte die ganze Stadt einen unfertigen Eindruck auf ihn. Ein großer Spalt zwischen den Gebäuden ließ Roxton innehalten. Nachdenklich und ein wenig erschöpft, lehnte er sich an eine Mauer. Er tupfte seine Stirn mit einem Tuch trocken, die heiß glühte. Ermattet schloss er die Augen und versank in einem Tagtraum.

***

Das Volk war verunsichert, es errichtete eine Stadt, doch eine Katastrophe löste die andere ab, verhinderte den Fortgang der Arbeiten und egal, was die Priester taten, kein Opfer konnte den Zorn der Götter besänftigen. Die Mayapriesterin Ki-ta-kla wurde auf dem Altar angekettet, auf dem gerade noch Opfer gebracht worden waren, um die Geisterwelt gnädig zu stimmen. Sie sollte dort nach Antworten suchen. Ein Priester flößte ihr das heilige Mittel ein und ihr Geist löste sich vom Körper.

***

Ein Dschungel lag still vor ihr, beleuchtet nur vom Strahlen Ix-Chel`s, deren schönes, volles Gesicht unwirklich über ihr schwebte. Ki-ta-kla lächelte, denn die Mondgöttin war ihr gewogen. Ihre Augen schweiften suchend über die Gegend, nach einem der heiligen Zeichen Ausschau haltend. Vereinzelt hörte sie Laute des nächtlichen Waldes. Das Knurren eines Jaguars auf der Suche nach Beute. Der Schrei eines aufgeschreckten Affen. Auch ein paar Rufe von Vögeln drangen an ihr Ohr. Die großen Bäume schwankten im Wind. Sie konnte es knarren hören, wenn ihre Äste aneinander rieben.

Endlich fand sie, was sie suchte. Ein bunter Quetzal, der heiligste aller Vögel, erhob sich in die Luft. Seine langen Schwanzfedern schillerten grünlichblau im Mondlicht. Ki-ta-kla folgte seinem Flug durch die Baumwipfel. Dann setzte er zur Landung auf einer kleinen Lichtung an und landete auf der Hand einer dunklen Gestalt. Schweigend wartete Kulkulcán auf ihr Eintreffen und sie neigte respektvoll ihren Kopf vor ihm. Der Gott sah sie durchdringend an und wies mit der freien Hand in Richtung eines Weihers. Noch bevor sie die Fragen, die man ihr aufgetragen hatte, stellen konnte, löste er sich mitsamt seinem Vogel in einem wirbelnden Wind auf. Verwirrt sah ihm die Priesterin nach, wie er im Dickicht verschwand, ohne ihr Gelegenheit zu geben, ihm zu folgen. Sie drehte sich um und schaute zu dem kleinen Weiher, auf den die Gefiederte Schlange, der Herr der Winde gewiesen hatte. Zu sehen war nichts. Doch Ki-ta-kla folgte der Aufforderung, hoffend, dass er zurückkehren würde, um die Fragen seines Volkes zu beantworten.

Vorsichtig schritt sie vorwärts. Süßer Blumenduft hing schwer in der feuchtwarmen Luft. Genießerisch sog sie ihn ein. Sie fühlte sich leicht und beschwingt. Ihre nackten Füße glitten über den feuchten Boden. Dornen stachen sie. Aber sie achtete nicht darauf. Eine Schlange zischte verärgert, als sie in ihrer Ruhe gestört wurde. Freundlich blickte die alte Priesterin auf das erregte Tier. „Beruhige Dich, kleine Schwester“, hauchte sie ihr zu und strich sich eine Strähne ihres weißen Haares aus dem Gesicht, das sich aufreizend an ihre faltige Wange schmiegte. Sie wich einem großen Busch aus, der ihr den Weg versperrte. Das kleine Gewässer lag direkt vor ihr. Fauliger Geruch ging von ihm aus. Ein vermoderter Ast ragte aus seinen trüben Tiefen. Es fing zu regnen an und ein Blitz schlug, nur wenige Schritte von ihr entfernt, ein. Aufgeregt sah sie sich um, in Erwartung, Chac nach diesem Zeichen zu sehen. Doch der Regengott blieb verborgen. Enttäuscht lief Ki-ta-kla am Rand des Gewässers entlang, nicht sicher, was sie tun sollte. Sie durfte nicht ohne Antworten zu ihrem Volk zurückkehren.

Es raschelte im nahen Unterholz. Neugierig ging sie darauf zu und schob einen schweren Ast zur Seite. Bernsteingelbe Augen funkelten sie an. Das Phantom des Waldes stand ihr gegenüber. Der große Jäger, gefürchtet und verehrt zugleich. Sein geflecktes Fell war trotz des Mondscheins nur schwer zu erkennen. Er knurrte. Erschrocken taumelte sie rückwärts und der Ast schlug zurück. Das Knurren wurde lauter, bedrohlicher. Dann glitt das majestätische Tier langsam aus dem Gebüsch, eine Tatze vor die andere setzend. Versteinert vor Furcht und gleichzeitiger Faszination starrte sie es an. Der Schwanz peitschte ungeduldig hin und her, seine Augen fixierten sie. Sie fühlte, wie die Hoffnung in ihr schwand. Es kam weiter auf sie zu. Unbeirrbar. Zornig. Sie wusste, sie würde sterben. Überdeutlich machte sie jedes Detail aus. Seine Ohren waren angelegt, die Schnurrhaare vibrierten. Die Raubkatze riss ihr Maul auf, gab den Blick auf scharfe Zähne frei und heißer Atem schlug ihr entgegen. Sie konnte sehen, wie sich das Tier sprungbereit machte, sich die kräftigen Hinterbeine spannten. Als würde die Zeit um sie beide herum stillstehen, kam der Jaguar auf die Maya zugeflogen. Da waren nur sie und das Tier. Nichts sonst nahm sie mehr wahr. Sie spürte die Wucht des Aufpralls, der sie rücklings in den Weiher warf. Fühlte, wie der schwere Körper sie unter Wasser drückte. Ihre Sinne schwanden.

***

Blinzelnd öffnete die Priesterin die Augen. Sie lag auf dem Rücken. Wo sie war, wusste sie nicht. Kurz fragte sie sich, wo der Jaguar verblieben war. Doch so schnell, wie ihr der Gedanke durch den Kopf geschossen war, verschwand er auch wieder. Ein gewaltiger Druck lastete auf ihrem Geist, unterdrückte ihre Fragen und ihre Furcht. Es war hell und gleichzeitig nicht. Das Licht schien von überall her zu kommen. Nur allmählich gewöhnten sich ihre Augen an das unirdische Leuchten. Ein gewaltiger Schatten schälte sich aus den Nebelschwaden oder was immer es sein mochte, was sie umgab. Ein Ruf schien von dort zu kommen. Sie lauschte der Stimme, die zu ihr sprach, doch sie blieb unverständlich. Trotzdem verspürte sie den Drang, sich dem Schemen zu nähern. Vorsichtig erhob sie sich und schritt darauf zu. Ihre Füße fanden keinen Widerstand, als ob sie schwebte. Nach einer Weile wurde ihr ein seltsamer Umstand bewusst, der sie beunruhigte. Es war, als ob sie dem Schatten nun ferner als zuvor war und doch war sie sicher, sich in seine Richtung bewegt zu haben. Sie fing an zu rennen. Aber je schneller ihre Schritte wurden, umso mehr entfernte sie sich von ihm. Jeder Schritt trug sie noch weiter weg. Den Tränen nah, hielt sie an und schaute nach unten. Eine Art Schleier umgab ihre Füße. Darunter war nichts als Dunkelheit. Vielleicht war das ihre Welt. Die Priesterin wusste es nicht. Es war ihr egal.

Eine sanfte Stimme strich wispernd über ihren Rücken. „Warum bist Du gekommen, Tochter?“ Ki-ta-kla sah auf. Vor ihr stand ein uralter Mann, seine edle Nase bog sich hakenförmig nach unten. Hinter ihm war der riesige Schatten. Aber nun war er zum Greifen nah und endlich wusste die Priesterin, was er war. Wacah Chan, der Weltenbaum, der alle Ebenen miteinander verband. Sprachlos sah sie ihn an und dann wieder den Alten. Noch immer konnte sie nicht glauben, dass Itzamná selbst gekommen war. Eine große Ehre, die sie nicht verdiente. Ergeben senkte die Mayafrau den Kopf vor ihm. Nicht wagend ihn weiterhin anzusehen. „Du hast Fragen, Kind. Ich sehe sie in deinem Herzen.“ Sie nickte nur, nicht fähig auch nur einen Ton herauszubringen.
„Sieh mich an, Priesterin.“ Seine Stimme wurde befehlend, ein autoritärer Ton schwang darin mit, wie sie ihn nie zuvor gehört hatte. Gebannt hob Ki-ta-kla ihren Kopf. Erwiderte den Blick des Obersten aller Götter. Sie versank in den Tiefen seiner Augen.

Bilder stiegen hoch, rissen sie mit, ließen sie sehen, was die Zukunft bringen würde. Den Untergang ihrer Stadt. Die Erde von gewaltigen Stößen erschüttert, teilte sich, bildete Spalten zwischen den Gebäuden, die Mensch und Tier gleichermaßen verschluckten. Glühendes Gestein stieg hoch, verbrannte alles, was ihm den Weg versperrte. Trümmer fielen auf die in Panik Fliehenden. Kinder schrieen. Streckten ihre Arme nach ihren sterbenden Müttern aus. Frauen drückten ihre Säuglinge an sich, suchten panisch nach einem Ausweg. Männer zogen ihre Lieben mit sich fort. Priester standen vor dem Heiligtum, die Hände flehend zum Himmel erhoben. Am Ende lag die Stadt in Schutt und Asche. Überall lagen Tote und Sterbende. Ein paar Überlebende saßen weinend im Staub ihrer vernichteten Stadt. Dann endete die Bilderflut, so plötzlich, wie sie begonnen hatte.

`Warum?´, eine stumme Frage lag in ihrem Blick.
Er sah sie an. Zorn blitzte in seinen Augen auf und zum ersten Mal verspürte Ki-ta-kla Angst. „Ihr habt eure Stadt an diesem Ort errichtet, ohne uns Götter um Erlaubnis zu bitten. Ihr habt eine heilige Stätte entweiht. Das kann nicht ungesühnt bleiben.“
„Aber wir haben euch Opfer gebracht.“, wagte sie hervorzubringen. „Truthähne, Hunde, Jaguare, Kriegsgefangene. Sogar unsere Kinder. Alles.“ Ihre Stimme klang flehend.
„Du hörst mir nicht zu, Priesterin. Dieser Ort wird allein durch eure Anwesenheit entweiht. Nichts, was ihr tut, kann daran etwas ändern. Die Zeichen, die ich euch sandte, die Unwetter, die Beben und die schlechten Ernten, das alles habt Ihr ignoriert. Meine Geduld ist erschöpft. Ihr werdet die Stadt noch diese Nacht verlassen oder sterben.“ Seine Gestalt schimmerte und verschwand. Der scheinbare Boden löste sich unter ihr auf und sie stürzte kreischend in die Tiefe.

***

Schreiend wachte sie auf. Ihre Priesterrobe war mit Schweiß voll gesogen. Der Priester neben ihr schaute sie forschend an. Sie erwiderte seinen Blick, nickte ihm zu und er löste die Stricke, die sie hielten. Vorsichtig setzte sie sich auf. Benommen und schwindelig. Der Geschmack der Droge die sie genommen hatte, lag auf ihrer Zunge. Die Körper der letzten Opfer waren inzwischen entfernt worden. Lediglich das Blut deutete noch auf die Durchführung des Rituals hin. – `Die Zeremonie´, dachte Ki-ta-kla und ihre Erinnerungen kehrten zurück. Sie hatte die Antwort gefunden. Ernst sah sie die Wartenden an. „Itzamná hat zu mir gesprochen.“
Die erstaunten Ausrufe ignorierend, setzte sie fort: „Er hat mir gesagt, dass dieser Ort heilig ist und wir ihn entweiht haben. Wir müssen gehen, diese Nacht noch oder wir werden alle sterben.“
Besorgt sahen sich die Priester an, dann nickten sie ergeben. Den Göttern durfte nicht widersprochen werden. Harzesies, der Hohepriester des Sonnentempels sandte Boten aus.

***

Sie sah in Richtung Stadt, mit deren Errichtung erst vor drei Sonnenumläufen begonnen worden war. Vieles war unvollendet geblieben. Doch Ki-ta-kla wusste, dass es eine bedeutende Stadt geworden wäre. Die Schönste von allen. Müde aussehende Menschen eilten an der Priesterin vorbei, nur das notwendigste Hab und Gut bei sich tragend. Ein paar Tiere, etwas Saatgut. Für mehr war keine Zeit gewesen. Die Erdstöße waren immer heftiger geworden, eine ernst gemeinte Drohung der Götter. Ein Blitz zuckte über die Stadt hinweg, erhellte für einen Moment das Dunkel der Nacht und offenbarte ihr einen letzten Blick auf den gewaltigen Tempel. Eine Hand auf ihrer Schulter zog sie in die Wirklichkeit zurück. „Kommt.“ Harzesies klang müde als er an ihr vorbei schritt. Sie nickte und drehte der Stadt den Rücken zu. Er hatte Recht, es war Zeit zu gehen.

***

Roxton schreckte aus seinem Traum, als der Boden unter ihm erzitterte. Irritiert sah er sich um. Dann kam ein neues Beben, stärker diesmal. Verängstigt gingen seine Begleiter neben ihm in Deckung. Ein weiterer Erdstoß ließ das Haus neben ihnen bersten und die Trümmer begruben die Menschen unter sich, die es gewagt hatten, die Ruhe des heiligen Ortes zu stören.

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