Mainhattan Moments
Mainhattan Moments
Susanne Ruitenberg und Julia Breitenöder haben Geschichten geschrieben, die alle etwas mit Frankfurt zu tun haben.
mehr ... ] [ Verlagsprogramm ]
 SIE SIND HIER:   HOME » MITMACH-PROJEKT » SCHREIBAUFGABE » Markus Böhme IMPRESSUM
NEWSLETTER
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

Jetzt anmelden! ]

UNSERE TOP-SEITEN
1.) Literatur-News-Ticker
2.) Leselust
3.) Forum
4.) Mitmach-Projekt
5.) Schreib-Lust-News 6.) Ausschreibungen 7.) Wettbewerbs-Tipps
August 2005
Wehe, wenn das Licht ausgeht
von Markus Böhme

„Kannst du bitte das Licht anlassen?“ Danny hatte seine mit Blümchen verzierte Decke bis zum Kinn herauf gezogen. Sein Vater, der über ihm stand und ihm gerade eine Gutenachtgeschichte erzählt hatte, wunderte sich über die Bitte seines Sohnes. Danny hatte noch nie darauf bestanden, das Licht beim Schlafen brennen zu lassen. Normalerweise war der Junge nicht so ängstlich, eigentlich ja sogar eher mutig, wenn er genau darüber nachdachte.
Danny war zwar erst fünf, sein Geist aber schien schon weiter entwickelt zu sein. Er konnte Zahlen addieren, die über den zweistelligen Bereich hinausgingen, und er stellte oft Fragen, von denen man meinen konnte, dass es die Fragen eines Teenagers waren.
Doch gerade Gesten wie diese – das Verlangen nach Licht in der Nacht – zeigten wohl, so dachte sein Vater, dass Danny im Inneren doch nur das war, was jeder auf den ersten Blick gesehen hätte: ein Kind. Ein Kind mit all seinen Vorstellungen, Wünschen und Ängsten. Letzteres war es wohl, was Danny gerade zu schaffen machte.
„Wieso denn das, mein Schatz?“, fragte er den Jungen, dessen braunen Haare und ebenso braunen Augen über den Rand der Decke hinausspähten.
„Im Dachboden wohnt ein Bösewicht.“ Seine Stimme klang durch die dicke Daunendecke gedämpft und sein Vater konnte ihn nur schwer verstehen. „Und wenn das Licht ausgeht, kommt er herunter zu mir.“
„Aber Danny, was redest du denn da? Wer hat dir denn diese blöde Geschichte erzählt?“
Dannys Augen wurden größer. Offenbar war er empört darüber, dass sein Vater dachte, der Bösewicht vom Dachboden war nur eine alberne Geschichte, die er sich ausgedacht hatte. „Niemand hat mir das erzählt. Ich hab’ den Bösewicht gesehen, gestern Nacht. Er wollte gerade herunterkommen, da bin ich aufgewacht und hab’ schnell das Licht angemacht.“
„Und dann ist er sofort verschwunden, was?“
„Ja. Er hat die Luke sofort zugemacht. Ich glaube, er fürchtet sich vor Licht.“
Dannys Vater lächelte. „Du weißt doch, dass die Luke nur von hier unten zu öffnen ist. Wenn da oben also tatsächlich jemand wohnen würde, würde er nicht hier herunter gelangen. Unmöglich!“ Er zeigt auf das Luketürchen in der Decke des Kinderzimmers, das mit einem Griff versehen war, um es öffnen zu können. Man konnte dann mit einem Stab, der irgendwo im Haus verstaut war, eine Treppe herunterklappen lassen und über diese den Dachboden betreten. Da oben lag nicht mehr herum als Akten und alte Spielsachen.
„Daaad!“, sagte Danny. „Lass einfach das Licht brennen, okay?“
„Weißt du was? Wenn du wirklich solche Angst hast, lass’ ich es brennen. Aber du brauchst dich nicht vor irgendwelchen Bösewichten im Dachboden zu fürchten, wirklich nicht. So etwas gibt’s nur im Fernsehen.“
Danny drehte sich in seinem weichen Bett zur Seite und lächelte seinen Vater an. Es war kein Lächeln, das seinem Dad zeigte, dass er ihn überzeugt hatte; sondern vielmehr war es eines, das sagte „Na gut, Daddy, und jetzt geh. Hat doch keinen Sinn, dir das zu erklären. Du glaubst mir ja doch nicht.“
„Ja, Dad“, sagte er stattdessen.
„Okay kleiner Mann, dann gute Nacht! Und versuche schnell einzuschlafen – du weißt ja, morgen früh geht’s ab zum Fischen!“ Mit diesen Worten wich er von Dannys Bett und schritt zur Türe. Intuitiv griff er nach dem Lichtschalter, der im Türstock verankert war, und hielt kurz inne. Dann ließ er davon ab. Sollte der Kleine doch haben was er wollte. In ein paar Jahren würde er darüber lachen, ja wahrscheinlich würde es ihm sogar peinlich sein. „Und träum’ etwas Schönes!“
„Du auch!“, sagte Danny unter der Decke hervor. Dann war der Vater verschwunden, und an seine Stelle trat die Einsamkeit. Danny war davon überzeugt, dass er heute Nacht keineswegs etwas Schönes träumen würde.

Danny erwachte, und er erwachte im Dunkeln. Die Angst traf ihn wie ein Pfeil in sein kleines Herz, und er versuchte, in der Finsternis etwas erkennen zu können. Sein Daddy war wiedergekommen, als er eingeschlafen war, und hatte das Licht ausgemacht. Natürlich, so musste es gewesen sein.
Schatten und bunte Pünktchen der Benommenheit tanzten vor Dannys Augen, formten sich zu schrecklichen Ungeheuern und streckten ihre Mäuler nach ihm aus. Seine Nackenhaare stellten sich auf, und seine Haut bildete jene winzigen Hügelchen auf seinem Rücken, die seine Omi immer die Haut einer Gans nannte.
Er tastete im Dunkeln nach der Decke, bekam sie irgendwo unter sich zu fassen und zog sie so weit nach oben wie er nur konnte. Plötzlich spürte er Kälte um seine Füße und merkte, dass er sie abgedeckt hatte. Schnell zog er die Knie an, bevor eine kalte Hand nach seinen Zehen griff und ihn unter das Bett zerrte. Aber das Wesen unter seinem Bett machte Danny keine Angst. Der Bösewicht vom Dachboden, der stellte die wahre Bedrohung dar.
Allmählich hatten sich seine Augen an die Schwärze des Kinderzimmers gewöhnt, und er konnte die Umrisse seines Nachtkästchens und die seines Schreibtisches gegenüber vom Bett erkennen. Er begann zu schwitzen, und das, obwohl das Thermometer draußen am Balkon wahrscheinlich eine Temperatur anzeigte, die für den Spätherbst unüblich gering war.
Danny hob langsam seinen Kopf und spähte zur Decke hinauf, direkt zu dem Türchen über seinen Schreibtisch. Die Angst bohrte ihre scharfen Klingen erneut in seinen Körper, als er erkannte, dass die Luke einen Spalt geöffnet war.
„Nein!“, flüsterte Danny, aber der Laut verstummte unter der Bettdecke wie ein Schrei hinter einer vorgehaltenen Hand. Die Luke war nicht nur geöffnet, sie bewegte sich. Oh ja, sie wackelte auf und ab. Ganz langsam und nur ein klein wenig, aber sie wackelte. Danny konnte nicht hören, ob sie knarrte, aber ja, er glaubte dass sie das tat.
Wenn er nun aufspringen würde, zum Lichtschalter laufen und ihn so fest und schnell drücken würde wie er nur konnte – würde er schnell genug sein? Oder würde das Wesen blitzartig das Lukentürchen herunterklappen lassen, nach unten springen, Danny packen und ihn mit nach oben nehmen, wo es ihn langsam und genüsslich verzehren konnte?
Das durfte er nicht riskieren. Vielleicht verschwand der Bösewicht ja wieder, wollte heute nur mal nachsehen, was die Mahlzeit von morgen so trieb. Morgen würde er das Licht brennen lassen, die ganze Nacht, bestimmt, und er würde nicht einschlafen, und wenn sein Vater kommen würde, um es auszuschalten, würde er gleich aufspringen und es wieder anmachen.
Danny zog seine Knie noch weiter an seinen Oberkörper heran. Sollte er trotzdem versuchen, den Lichtschalter zu erreichen? Er drehte seinen kleinen Kopf in Richtung Türe und erkannte mit Entsetzen, dass er nicht zu dem Schalter sah, weil etwas zwischen dem Bett und der Türe stand. Etwas Schwarzes. Danny zuckte vor Angst zurück und schlug seinen Kopf gegen die Bettkante. Es stand direkt neben seinem Bett, war die ganze Zeit über dagestanden. Es war schon viel früher aus dem Dachboden gekommen und hatte neben dem Bett gelauert.
Das schwarze Ding bewegte sich träge, trat an den Bettrand und beugte sich tief über den vor Angst zitternden Danny. Der kleine Junge wollte schreien, doch schon griff eine kalte, nasse Hand nach ihm und drückte sich ihm auf den Mund. Jetzt würde er sterben, soviel war gewiss, und zu Sterben war wahrscheinlich eine Erlösung, verglichen zu der Todesangst, die er jetzt gerade durchstehen musste.
Er strampelte nicht, und er wehrte sich nicht. Stattdessen umklammerte er zitternd seine Beine und sagte all die Gebete auf, die sein Vater ihm gelernt hatte, während Tränen seine Wangen hinab liefen und irgendwo im weichen Saum der Daunendecke versiegten. Und als das schwarze, kalte Ding sein Maul öffnete und über den Jungen herfiel, wollte er nur noch tiefer unter seine Decke kriechen, sich unter ihr verstecken, vor dem Wesen in Deckung gehen, das vom Dachboden heruntergekommen war, um ihn zu holen, um ihn zu fressen.

Charles Coxdale stellte seine Kaffeetasse ab und setzte seine Brille auf. Vor ihm lagen eine Straßenkarte von Vermont und ein roter Filzstift. Er hatte schon einige kleine Seen markiert, die er heute mit Danny abklappern wollte, um einige ganz große Brocken zu angeln.
„Danny!“, rief er über seine Schulter. Er lebte jetzt schon lange genug in dem Haus, um zu wissen, dass Danny ihn hören würde. Das Haus war klein, und die Stimme konnte sich schnell über die Stiege nach oben und direkt in Dannys Zimmer schleichen, wo sie ihn wecken sollte. Er würde sie hören, würde erwachen, merken, dass heute Sonntag war, dass heute Fischtag war. Er würde die Decke zurückschlagen, aufspringen und zu seinem Dad nach unten laufen, um ihm dabei zu helfen, die Angelruten aus dem alten Schuppen zu holen, der hinten im Garten stand und Werkzeug und allerlei alten Schrott beherbergte.
Doch Danny kam nicht.
Nach einigen Schlucken Kaffee klappte Charles die Straßenkarte zusammen, stand auf und rief erneut nach dem Jungen.
„Danny!“, rief er, dann hielt er still. Er wollte hören, ob der Knabe nicht doch schon auf dem Weg war. Der Fußboden würde knarren, und er würde die kleinen Schritte hören, die sich aus seinem Zimmer nach unten fortpflanzten.
Charles sah auf die Uhr über dem Waschbecken, dann rief er ein letztes Mal, bevor er nach oben ging und nachsah, wo Danny blieb.

Er stieß die Tür ins Kinderzimmer auf und fand Danny in seinem Bett liegen. Er bewegte sich nicht, lag auf der Seite und hatte seinen Rücken zur Türe gedreht.
„Danny, aufwachen!“, sagte Charles, und als er ans Bett heran trat und nach ihm griff, merkte er, wie kalt das Fleisch des Jungen war.
„Danny!“, stammelte der Vater und drehte ihn auf den Rücken. Der Knabe hatte seine Knie mit beiden Händen umklammert, seine Augen hatte er zusammengepresst, sein Mund war geschlossen, zu einer ängstlichen Fratze verzerrt. So war er gestorben, und so würden ihn die Sanitäter vorfinden, bevor sie damit beginnen würden, ihn unter dem Krachen und Knacksen der steifen Gelenke aus der Totenstarre zu befreien.

Ein einsamer Mann betrachtete das Keramikschild an seiner Haustüre: Hier wohnen die Coxdales, stand darauf.
Wehmütig nahm er das Schild von der Türe und entfernte sich vom Haus. Er war am Boden zerstört und so verzweifelt, wie ein Mensch nur sein konnte, der nach dem Tod seiner Frau auch noch seinen kleinen Sohn verloren hatte. Herzstillstand, hatten die Ärzte gesagt, nachdem sie das Kind auf dem kalten Leichentisch untersucht hatten.
Oh wie hatte er nur so leichtsinnig mit den Ängsten seines Sohnes umgehen können? Warum hatte er ihm nicht Beistand leisten können, ihn in jener Nacht mit zu sich, in sein Bett nehmen können? Hatte er befürchtet, Danny würde eine Mimose werden? Um ihn zu lehren, seine Ängste unter Kontrolle zu bringen?
Charles wusste es nicht. Er drehte sich um, warf einen letzten Blick auf das Haus, das ihm soviel Unglück beschert hatte, und schritt dann gesenkten Hauptes die Einfahrt hinunter. Er sollte nie erfahren, welch Glück er gehabt hatte, noch am Leben zu sein. Welch Geschenk Gottes es war, dass er an jenem Morgen nicht beschlossen hatte, das Angelzeug schon mal ohne Danny aus dem alten Holzschuppen hinter dem Haus zu holen. Aus dem alten Schuppen, der Werkzeug und allerlei alten Schrott beherbergte...

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
Dieser Text enthält 11361 Zeichen.

Druckversion

 LINKTIPPS: Naturwaren Diese Website wird unterstützt von:

www.mswaltrop.de
Copyright © 2006 - 2024 by Schreiblust-Verlag - Alle Rechte vorbehalten.