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August 2005
Nachtgeschichte
von Ruth Genegel

Hilflose und wurstartige Geschwüre hatte ich in meinem Leben zu Hauf und viel zu viel schon gesehen, war gelangweilt davon und lebte inzwischen in den Tag hinein. Ein ewiges Warten war das, ein waches Ausruhen in purer Bedürfnislosigkeit, und am Ende gab es nur noch die Nacht, die mich wirklich interessierte unter all den realen Möglichkeiten für die Freizeitgestaltung, und die nur den Sinn hatte, alles zu vergessen , indem man sich ablenkte. Das Krankenhaus war eher eine Anstalt und mehr dies als was Seriöses daran, zugleich ein neutraler groß – grau – klotziger Ort und die Ruhestätte, da wo man verschied, und positiv gewendet hatte ich Menschen kommen und gehen gesehen; am Eingang und dahin, wo hin und wieder große Unruhe aufkommen konnte und wo ich Tage und Wochen und lange Stunden verbracht haben würde, wenn es eines tages zu ende ginge, der Saal, oder der viereckige ganz winzige Raum, ein Pendant dazu, in dem ich am Ende erschöpft
auf weiche Kissen sank.
Auf der Pritsche lag locker ein weiß - staubiger Bettüberzug, oder aber eigentlich nur eine schwedische Wolldecke, die mit ihrer glatten bedeckten Oberfläche allerdings nur ganz sanft meine Haut umspielte, wenn ich erstmal lag, und meistens lange wach und dabei noch halb angezogen, und in dieser meiner ständigen Bereitschaft ich das eigentliche Opfer der Nacht, die ab und zu nur durch meine Halogenlampe beschimmert wurde, die man am Fußende an einer Holzleiste angebracht hatte, aber so dass sie sich in das Untermaterial reinfraß und jederzeit auch woanders installiert werden konnte, wenn man sie davon mit einer Hand entfernte ging das auch, und das war ganz leicht – im grunde bevorzugte ich also das Dunkel , weil ich darin besser denken konnte und in der totalen Umschließung meines Augenlichtes, das mir dadurch genommen wurde, war es auch, als tauchte ich endlich mal in etwas anderes ein als immer nur in menschliche Körper, wo Innereien nach Ausgleich verlangen, und es roch und stank dann auch, und ich unter der Lampe und halb gebückt nach vorne stehend sah meinen Plastikhandschuh, der zum Schutz angelegt worden war, befand mich im grellen Schein des künstlichen Lichts, das alles Weiß machte, sah das gleiche manchmal auch bei geschlossenen Augen und viel später noch mal, aber es belastete ja niemanden, wenn und da ich damit später für immer alleine blieb.
„Hinterher ist man immer schlauer“ – so hörte ich einen der Kollegen reden, wenn es Tag war. Aber nachts hatte ich nur verschwommene Fragmente davon in der Birne, und der Kopf war mir zu schwer, denn so wie mit Steinen gefüllt lag die Last des Gewebes, lagen Gefäße und Knochen auf dem weichen Kissen, in der Nacht – und ich persönlich hörte nichts mehr und verstopfte mir die Ohren zuweilen auch mit den weichen Schaumstoffstöpseln, die in der kleinen Schachtel neben dem Bett bereit-lagen – um die Geräuschlosigkeit zum Anlass zu nehmen und in der Nacht weder Stecknadeln fallen zu hören noch fantasielos zu werden, etwa weil mich das Schwarz drum herum zum Tiefschlaf bewogen hätte. Der fast nie gelang, wenn ich im Bereit-schaftsdienst war.
Aber noch schlimmer, dass ich fror in der Nacht.
Es war kälter geworden.
Und im Labor die kranken Kinderüberreste, die man gerade erst entsorgt hatte, und daneben der Glaskasten – Bilder passierten die Nacht so gesehen, die Belastung so stark, wie im Krieg empfundener Forschungsirrsinn, der nach Ablenkung verlangen würde, wenn ich die Chance wahrnehme, aber das wäre erst viel später am Tag möglich, ab nachmittags, dann würde ich zu mir gehen können und dort den Tag zur Nacht machen. Aber inzwischen wartete ich.
Und alleine und einsam und so wie der Schreiende, der neben sich die ersten Leichen liegen spürt, die vom Meereswasser weggetragen und darin transportiert, solange bis sie das Leben aushauchen, verschwinden, und aber er ist das einzig Standhafte darin – stand ich also aufrecht in der Nacht, in der ich nicht schlief, zuweilen trank ich ein Glas des berauschenden Weines im geräuschlosen Zustand, verharrte dabei eine Weile auf der Pritschenkante sitzend und liess mich künstlich davon berauschen, weiter davon tragen und ohne das Licht noch mal anzuknipsen – aber was sind schon drei Stunden Schlaf, wenn man im Wissen darum und mit der anderen Vorahnung, die sich noch hinzuaddiert, so langsam weg sinkt und nur einfach, weil man nicht mehr durchhält, und irgendwann ist einfach Schluss.
So dachte ich manchmal, aber im Wachzustand immer noch, und das änderte sich nie und so schnell nicht, und schon gar nicht nachts über war irgendwas anders als vorher – und manchmal war die Nacht nur zwei Stunden lang gewesen, und sie war mein Alibi, der Vorwand, der mir Passivität in anderer Angelegenheit versprach, war Friede und Krieg zugleich, Ruhe vor dem Sturm, einem Donnerwetter mit „ Tatüuuu Tataaa ... “, dieser gewisse Ton, der ein Unglück ankündigte, kam nicht selten vor, aber das alles würde nur geschehen können und niemals war es sicherer als vage, und so gesehen blieb die Nacht für mich von reinen Prognosen bestimmt.
Mehr war das alles nicht.
Kinder, Kinder ... , in einer wirtschaftlichen Zeit wie dieser, in der ich nichts sah als hoffnungsloses Suchen um mich herum, beschrieb ich das mit dem angespitzten Bleistift und zuweilen und nachdem es schon längst dunkel geworden war und sich der Mantel der Ruhephase langsam über die Realitäten niedersenken konnte, griff ich immer wieder zu meinem Hilfsmittel und ging aus lauter purer Langeweile zur Gestaltung meiner Zukunft über, von der ich ja abhing, malte dabei und in Gedanken, die allesamt nur den Moment erfassten, und nur einige der darin erinnerten Fratzen aufs Papier und saß doch nur am Schreibtisch rum, an dem ich mich unschuldiger als andere glauben konnte, und von dort aus kritzelte ich zuweilen auch mehr als unüberlegt auf dem Holztisch herum, der mit der Unterlage darunter schliesslich irgendwas bewirkte - und in der Nacht war es meistens das Licht, das sich verändert hatte, aber nie war es mehr als die kurze und momentane und erleuchtende Kraft, die mich ansah, und ich sah sie an, in der Nacht war das wie eine Konfrontation mit Dämonen und lauter erfundenen Zeug, das mich im Geist besetzte und so wie in benommener Besessenheit konnten Tätigkeiten auch darin aufgehen, nur bei ein wenig geöffneter Tür gab es wenigstens einen Lichtschein, wenn das Licht ausgeknipst war, der den Spalt breit ins Innere reinfallen ließ. Ich hatte begonnen, nachts zu schreiben und darin sehr viel Vergnügen zu sehen, dass ich meine Eindrucke zu verarbeiten lernte, und komischerweise war das Procedere so ähnlich wie ich mit Patienten gelegentlich verfuhr, die mir ihre wirren Gedanken, welche sich auf weißen Blättern verewigt hatten, auch hin und wieder anvertraut hatten: Zeichnungen zum Bespiel, die aufgekritzelt wirkten und nur Striche beschrieben, wirkten darin irgendwie willkürlicher als normal. Die Wiederholung der nächtlichen Position, die ich mir nicht ausgesucht hatte, das Wissen um die Zeit, in der ich alles wiederholen können würde ... und Tag für Tag, die nicht vergehen wollenden Tage eben und zuletzt auch der Glaube daran, eines tages werde sich das alles und die ganze Mühe endlich auszahlen können: in dieser Kombination erst war alles einigermaßen besser zu ertragen und konnte der Wahnsinn verhindert werden, den ich mir selbst prognostiziert hatte, denn jeder weiß, wie wichtig es war, nachts tief und fest und ausreichend lange zu schlafen, und jeden Tag neu auszu-ruhen – aber das hier, diese verlorenen Nächte, waren so gesehen nur als Ausnahmeerscheinung interpretierbar, nur ich verlor einzig und alleine meine Kraft darin, merkte wie mir Energien davonschwammen und glaubte mich am Ende fast verrückt deshalb und spätestens wenn drei der Nächte vergangen waren, in denen ich nichts gemacht hatte, aber unter der Decke hatte ich ein wenig gelegen, war eingeschlummert, nur in einen Halbschlaf, Minutenschlaf möglich, hatte danach zu oft wieder zu mir gefunden und darin verharrt das Radio laufen lassen, liegend, und zuweilen aber selten im Sitzen mal gelesen, oder die Kaffeetasse in der Hand und gebeutelt von schweren Gedanken hatte ich mich von da aus aufgepäppelt, ich richtete mich immer wieder auf, im Dunkeln leichter, denn die Maschine stand nahe am Kopfende auf einem niedrigen und sehr praktikablen Tisch und war durch bloßen Knopfdruck schon in Gang zu setzen.
Im Sehnen nach Beendigung meiner unendlichen und aussichtslosen Einsamkeit, die vier Wände um mich herum ausstrahlten und verstärkten, eine Situation, in der ich aushielt und selbst nicht viel ändern konnte, waren Menschen in der Nacht selten vorgekommen und obwohl die Tür ja offen stand. Schwestern gab es eine ganze Menge, die meisten davon allerdings einem Orden zugehörig und für jede Art der Vergnügung im eigentlichen Sinne nicht vorgesehen; zugänglich und sehr freundlich überreichte man mir die neue Flasche Wein in der Küche nebenan, kontrollierte mein Wohlergehen in respektabler Distanz zum eigentlichen Geschehen und ging den Pflichten nach, die der Beruf mit sich brachte – und ohne sich noch mal umzublicken.
Worüber ich keine Beschwerde formulierte, aber sie trauten sich in der Nacht bei Bereitschaft und im Dienst nicht mal durch die Tür, die manchmal leicht offen stand.
Meine Fantasien, in denen auch sexuelle Eskapaden vorkamen und Detail getreue Imaginationen über Stellung und Aussehen einer derjenigen, die Wünsche auch zu erfüllen wussten, und manchmal entnahm ich sie sogar dem Kontext meines Arbeitsplatzes, waren was dominantes, was ja nahe lag, das ich darin vor Ort verblieb, an dem ich schließlich meine Tage verbrachte, und ich hatte keine Wahl, musste es und konnte nicht anders tun als so. Ob es die wirklich existenten Gestalten waren, deren neben den Ordensschwestern zuweilen fantasievollere Gestalten die Gänge des Hospitals passierten und in ihren Kittelchen und den nackten Beinen darunter – in meiner nächtlichen Vorstellung und nach ein paar Gläsern war das Geschehen davon bestimmt, dass ich einen Wunsch andachte und an zu denken wagte, irgendetwas mit Konkretheits - Charakter, so wie eine Droge, die sich zum Alkohol hinzugeselle und mir das Leben leichter mache – vergessen in der Nacht war fast schwieriger als tagsüber, und nicht nur Gutes tauchte darin auf, wenn es endlich still geworden war, und Böses darin nur in Form der Versuchung, die mein Leiden noch verstärkte, und dazwischen nicht ein reales Geschehen als Kompensationsereignis, irgendetwas das sich zu den real existierenden Dingen geselle, eine Geschichte und ihre Kreation davon: das war nachts irgendwie nicht möglich und jedenfalls nicht dort, da wo ich mich gerade befand . Nicht auszudenken, in welche Konsequenz die Ausmalung meiner abstrahierten nächtlichen Vorstellung gemündet wären, hätte ich den Schritt gewagt und der Kollegin wenigstens ein einziges Mal unter den Kittel gegriffen, dachte ich, und wenigstens ein einziges Mal hätte ich sie antatschen gekonnt, hätte es wie einen Test begriffen, um damit dann die Nacht zu verbringen, und das Geschehen hätte auch wie eine Beflügelung für mich sein können, ein Ereignis, das mir Flügel verlieh, eine Versuchung und ganz frei von Schwierigkeiten, was Schönes und so fernab aller Gedärmlichkeiten und ekligen , ja schmierigen Erfahrungen aller Körperlichkeit, dem Weggesterbe in der Nacht, nachdem die Sonne schon längst untergegangen war, und verschwunden hinterm Horizont und manches Mal ganz rot gewesen und wie ein Feuerball so angeschwollen – besetzte zuweilen eben dies das Vorderhirn, mein eigenes, unter der Deckenplatte im vorderen Schädel, das meine, die Vorstellung davon, das all dies in der Nacht geschehen war und auch in Zukunft konnte, mein Leben, das Bangen um was Positives ausnahmsweise dazwischen - und das was sich nicht hinter Glaskästen abspiele und die Erfahrung, die mich schmecken und tasten ließe, der Wunsch danach, mit Materie zu tun zu haben und Gewebe nicht wie im Kino über die vergrößerte Leinwandprojektion lediglich zu schauen, war es in Wirklichkeit.
Und ich dachte auch tagsüber dran, wenn ich durch die Scheibe etwas ganz anderes erblickte – dachte nie, das es Wahrheit würde, verwarf ganz langsam den Gedanken an Gerechtigkeit, und das war in der Nacht – um ehrlich zu sein, stereotypische Nachtgedanken, eine Geschichte, die ich über mich selbst geschrieben hatte, und am Ende war es das: nachts war ich freier, um zu denken, beklemmter wegen der Scharm und sicherer wegen der Farbe des Drumherums, wegen einer respektloses Nacktheit, ihrer , die die Nacht mir zeigte und nicht nur das: es war insgesamt so, dass mein Pegel mit jeder Nacht anstieg, den ich dem Alkohol zu verdanken hatte, dass ich wie benommen weitermachte und in dem Glauben, es würde besser werden können, wenn ich mich von der Unterjochung befreit hätte und zuerst innerlich frei würde, fuhr ich fort. Und glaubte nie wieder an den Tag.

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