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August 2005
Gefangenes Herz
von Ina May

Er starrte sie lange Zeit nur stumm an. Er hatte einen Fehler begangen, einen schwerwiegenden Fehler. Doch noch durfte er sie ungestört ansehen, durfte ihren Anblick detailgetreu in seinem Denken abspeichern; sie bemerkte nichts von alldem, weder seinen Blick, noch seine Mimik, und auch nicht die Unentschlossenheit auf seinem Gesicht. – Sie schlief tief nach einer Nacht voller Hingabe.
In seinem Innern fand ein Kampf statt, hart und brutal und er würde höchstwahrscheinlich blutig enden.
Seine Vision von einem namenlosen Leben, einem Dasein ohne Druck und Konvention verdrängte wieder einmal ein großes Gefühl. Er hatte bereits mit dem Einordnen begonnen und es dann, als er bemerkte wie gefährlich das war, auf der Stelle abgebrochen. Er musste gehen und zwar schleunigst. Doch nie zuvor in seinem ereignisreichen Leben zerrte etwas so an ihm, zerrte und wollte nicht loslassen.
Sie drehte ganz leicht den Kopf und ihre Lippen öffneten sich; es brach ihm beinahe das Herz und er wandte sich schnell ab. Der Zeitpunkt war gekommen – nein, er war bereits weit überschritten – und seine Chancen weiterhin gefühllos und über allem stehend durch die Welt zu marschieren standen ausgesprochen schlecht.
Er befand sich in einer Pattsituation; er war nie ein großer Schachspieler gewesen, aber das Offensichtliche nicht sehen zu wollen, verwehrte ihm sein Charakter.
Längst war er angezogen, so dass er jetzt eigentlich nur noch seinen Mantel nehmen und gehen musste. Wenn er doch nur...
Es würde nicht klappen, sagte er sich. Es war seine Art der Rechtfertigung, eine andere blieb ihm nicht. Er nahm den Mantel und schloss leise die Tür hinter sich. Es gab keinen Brief auf dem Nachttisch und auch sonst keinen Hinweis darauf, dass er überhaupt in der Wohnung gewesen war; außer seinen Fingerspuren und die Abdrücke seiner Küsse auf ihrer erhitzten Haut.
Im Treppenhaus herrschte noch Dämmerlicht, genau das Richtige, denn so sah es auch in seinem Herzen aus; ob es je wieder hell werden würde?
Es wurde hell, wenn auch nicht innerlich.
Der Main wälzte sich, wie der große Eroberer der er war in seinem breiten Bett elegant unter ihm dahin.
Schnell ging er zu seiner Unterkunft, die einem schwarzen Loch glich, in dem man versinken konnte, ohne dass einen jemals einer vermissen würde.
Für die Extravaganz einmal gute Kleidung zu tragen und sogar einen Mantel zu besitzen, hatte er einen Menschen niedergeschlagen, dessen Brieftasche genommen, - darin waren etwas über dreitausend Euro gewesen, der Mann musste die Summe gerade erst abgehoben haben - und ihn einfach liegengelassen, ohne sich darum zu kümmern und ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. – Doch was er vorher ignoriert hatte, kam nun ganz vehement zum Vorschein.
Es war schön gewesen, sich in ein Café setzen zu können, ohne als Penner erkannt zu werden. Es war wunderbar gewesen, sich sauber zu fühlen und gut zu riechen, mit einem passenden Haarschnitt und einer Rasur, manikürten Fingernägeln und glänzenden Schuhen an den Füßen, einfach herrlich!
Doch ohne Geld war das alles unmöglich und er hatte den Verkäufer in dem noblen Laden sogar bestechen müssen, dass der ihn überhaupt einen Fuß über die Schwelle setzen ließ.
Das war der Tag, den er schon lange vorgehabt hatte, sich zum Geschenk zu machen; einen Tag voller Überraschungen und als anderer Mensch. Dafür hatte er sich einen klangvollen Namen ausgedacht – Raphael di Oleandro, Kunsthändler. Und er hatte auch noch die Nacht beansprucht; in beispiellosem Leichtsinn, weil das Gefühl viel zu gut war, um es so schnell schon wieder zu verlieren.
Und jetzt starb Raphael di Oleandro; starb einen grausamen, lähmend lange andauernden Tod. Weggeworfenes Glück im Tausch gegen ein sich ganz allmählich ausbreitendes Gift, dem er hilflos ausgeliefert war, weil kein Gegengift existierte.
Er hatte sie gesehen und von dem Moment an nicht mehr ans Wegschauen gedacht. Und er sah mehr als nur gut aus. Natürlich war da der Anzug, doch sein Gesicht war das eigentlich anziehende. Sollten die Modehersteller je auf den Gedanken verfallen für ihre Plakatwerbung Penner zu fotografieren, dann hätte er sicher die besten Karten.
Er konnte den Anzug nicht länger tragen, keine Minute länger. In rasendem Tempo riss er sich alles neu gekaufte vom Leib und warf es achtlos in eine Ecke, wo es zu einem Haufen anwuchs. Für den Krempel hatte er jemanden ernsthaft verletzt, und vielleicht nicht nur diesen einen Mann...
Sein Bett, eine Matratze mit einer Auflage, stellte heute die wohl größte Überwindung dar. Es war gerade erst später Vormittag, aber er war so müde wie schon seit langem nicht mehr. Mit geschlossenen Augen ließ er sich langsam auf sein vom vielen Gebrauch ausgewaschenes Bettzeug fallen und legte seinen Kopf auf das Synthetikkissen. Irgendwann schlief er ein... und träumte von ihr.
Als er aufwachte, fühlte er sich keinen Deut besser. Sie geisterte unentwegt durch seine Gedanken und forderte sogar Raum in seinen Träumen.
Er zog sich etwas an; der Tagtraum, das Geschenk, beides war Geschichte. Nie wieder würde er sich erdreisten etwas anderes sein zu wollen. Er trug keine Armani-Anzüge und auch keine Schuhe, in denen man sich spiegeln konnte. Er war nur ein glückloser Mensch, der sich vor langer Zeit dazu entschlossen hatte, allein sein zu wollen.
Als er bei dieser Gelegenheit hinaus auf die Straße trat, tat er es in abgetragenen Jeans mit ausgefransten Rändern, Stiefeln, einem unauffälligen Pullover und einer Jacke, aus der an einigen Stellen schon das Futter durch die Risse quoll. Von unsichtbaren Fäden gezogen, fand er sich irgendwann vor dem Haus wieder, in dem er die Nacht verbracht hatte.
Er hielt den Kopf gesenkt; es geschah ganz automatisch, er wollte nicht, dass ihn jemand erkannte. „Hey, das ist doch der Armanityp...“ das hätte ihm gerade noch gefehlt. Doch niemand nahm Notiz von ihm, selbstverständlich nicht, nicht in dem Aufzug. Das und noch vieles mehr hasste er an der Gesellschaft – man war nur interessant, wenn man teure Sachen trug, ein Handy in der Brusttasche hatte und einen schicken Wagen fuhr.
Gut aussehen... das war einmal. Heute reichte das nicht mehr.
Er stand noch immer vor dem Haus und langsam musste er sich entschließen, ob er weitergehen sollte, oder... das „oder“ kam nicht in Frage... er hatte trotzdem zu lange gezögert, denn im gleichen Augenblick, als er sich zum Weitergehen entschlossen hatte, öffnete sich die Tür und sie kam heraus. Er schlug den Kragen seiner Jacke hoch und fuhr sich mit der Hand über die Stirn, aber sie würdigte ihn ohnehin keines Blickes.
Sie war nicht allein, die andere Frau, allem Anschein nach eine Freundin, legte ihr gerade eine Hand auf die Schulter und meinte lachend: „Du mit deinem Armani-Tick; stehst du eigentlich auch auf Männer ohne?“
Sie warf kokett die dunklen Haare zurück und lachte gleichfalls: „Nie im Leben... gerade letzte Nacht hatte ich wieder einen ganz exzellenten Fang...!“
Die beiden Frauen gingen angeregt schwatzend weiter; keine von ihnen beachtete den gutaussehenden Mann in Schmuddelkleidung, der für ein paar Sekunden direkt neben ihnen gestanden hatte.

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