Bitte lächeln!
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August 2005
Liebesnacht
von Bertold Werkmann

Sie war eine schwere Person. Viel schwerer, als sie in ihren Briefen angegeben hatte. Ihre Absätze erschütterten den Steinfußboden des Cafés wie Dampframmen. Ich wandte mein Gesicht in ihre Richtung und lächelte ein Gebrauchtwagenverkäuferlächeln. Als sie an den Tisch trat, schlug mir eine Bugwelle billigen Parfüms entgegen. Ein Geruch, so kitschig wie Plastikblumen und Groschenromane. Darunter schwamm eine massive Note von Make Up, schwer und mehlig wie Spachtelmasse. Wahrscheinlich war sie auch viel älter, als sie mir geschrieben hatte. Das Alles gefiel mir sehr gut. Ich erhob mich, um sie zu begrüßen. „Hallo Franziska, schön dass du mich gleich erkannt hast. Gut siehst du aus, noch besser als auf deinen Bildern. Du hast abgenommen, oder?“ Sie legte ihre wulstigen Finger, wie toten Fisch, in meine ausgestreckte Hand. Meine Lippen deuteten einen Handkuss an. „Hallo Thorsten, wie hätte ich dich übersehen können, bei dem Erkennungszeichen.“ „Die Blumen sind natürlich für dich, meine Liebe.“ „Gelbe Tulpen, wie schön, die passen ja gut zu meiner neuen Haarfarbe.“ Was hielt sie wohl für eine passende Farbe zu Gelb? Bei ihrem schlechten Geschmack wahrscheinlich blond. Ich lenkte ab: „Nimm doch bitte Platz.“ „Du bist größer, als ich mir vorgestellt habe.“, bemerkte sie. Ich gab in meinen Kontaktanzeigen immer zuwenig Größe und zuviel Gewicht an. Das brachte mir bei den Treffen immer viel Vertrauen ein. Das Mädchen, das für unseren Tisch zuständig war, trat heran und servierte uns den Champagner. „Eine kleine Geste als Ausdruck meiner Freude Dich zu sehen“, sagte ich.
Der Abend verlief gut, Franziska schien beeindruckt und außerordentlich interessiert an mir. Dass ich meine Sonnenbrille nicht abnahm, störte sie nicht, möglicherweise fand sie das schick. Oder sie war zu sehr damit beschäftigt mich auszuhorchen. Unser Gespräch bestritt sie mit Fragen wie:
„So klug wie du bist, verdienst du doch bestimmt gut in deinem Beruf?“, oder, „So ein gut aussehender Mann wie du, der fährt doch bestimmt auch ein tolles Auto?“ Sie gab mir alle Trümpfe in die Hand, nichts schien ihr unwahrscheinlicher als die Idee, ich könnte sie belügen. Die Bedienung kam so häufig zum Nachschenken an unseren Tisch, dass ich versucht war, ihr einen Platz anzubieten. Die Ausdrucksweise von Franzi, so nannte ich sie inzwischen, wurde zunehmend fahrig und derb, ihr Lachen immer lauter und schriller. Es war an der Zeit mit meinem Plan fortzufahren. Ich unterbrach sie bei dem Versuch, einen weiteren schmutzigen Witz zu erzählen:
„Ich glaube, ich muss jetzt gehen.“ „Och Torsti, du Spielverderber, es ist doch gerade so schön hier“, rief sie. „Ich muss mal an die frische Luft. Komm, meine Schöne, ich benötige Geleit. Die Bezahlung habe ich schon geregelt.“ Leicht schwankend stand ich auf. Um gleich darauf, als sie sich ebenfalls erhob, gekonnt beinahe umzufallen. Ich stützte mich an der Tischkante ab und griff mit der anderen Hand, Halt suchend, nach meiner Begleiterin. Sie stand so unverrückbar fest wie eine Säule. Was mich erstaunte, angesichts der drei Flaschen Schaumwein, die wir geleert hatten – ich hatte mich mit meinem Anteil sehr zurückgehalten. Bereitwillig legte sie mir ihren kräftigen Arm um die Hüfte und stützte mich. So wankten wir, ich fest an ihren üppigen Leib gepresst, zum nahen Taxistand. „Meine Putzfrau hat Urlaub“, lallte ich, ihrer Frage zuvorkommend. Wir stiegen gemeinsam in einen Wagen und sie nannte dem Fahrer ohne Umschweife das Fahrtziel, ihre Adresse.
Entspannt saß ich im Taxi, meinen Kopf an ihre Schulter gelehnt. Alles verlief planmäßig.
Auch für den Taxifahrer, den man sicherlich finden und befragen würde, war ich gerüstet. Als ich links von uns das langsame Stakkato von schweren Eisenrädern auf den Schienen hörte, wusste ich, dass wir in Bahnhofsnähe waren. Also richtete ich meinen Kopf nach rechts. „Ist ja eine ziemlich große Baustelle hier“, bemerkte ich in das Schweigen hinein. „Wird sich neue Büro von Continentale Versicherungen. Eine hohe Haus, Wolkenkratzer“, erwiderte unser Fahrer.
Auf dem Weg zu Franzis Bleibe, im zweiten Stock, hielt sie mich so fest umschlungen, als hätte sie Sorge ich könnte ihr entkommen. Ihr alkoholisierter Atem und die uns umgebende Parfümwolke bereiteten mir Übelkeit, vielleicht war es aber auch die zunehmende Aufregung, die mich erfasste. Ich war unsicher, zum ersten Mal an diesem Abend. Wir betraten die Wohnung und ich wurde auf einem Sofa abgeladen. „Was magst du trinken Süßer?“ Ich fragte nach einem Whisky. Sie ging nach nebenan und ich hörte das Klirren von Flaschen, Gläsern und die Kühlschranktür. Das Wohnzimmer roch sauber, fast klinisch. Ich vermisste den persönlichen Charakter, der jedem bewohnten Raum zu eigen ist. „Ich hab nur noch Gin da.“ Franziska platzierte die Gläser auf dem Tisch. Dann ließ sie sich, am anderen Ende der Couch, nieder. Mir war unwohl. Diese Frau hätte betrunkener sein sollen, als sie klang. Außerdem hatte sie, beim Hereinkommen, das Licht angeschaltet und nichts daran verändert. Keine Kerzen, keine romantische Stehlampe. In diesem Zimmer musste es taghell sein. Ich hörte ihre Atmung, schnell und gepresst, sie war aufgeregt, aber nicht so, wie sie sollte. Was ging in ihr vor? Ich fühlte mich auf dem Sofa gefangen. Sie wirkte plötzlich so unterkühlt, dass ich nicht wagte mich zu nähern. Nach den Gingläsern konnte ich auch nur tasten, wenn sie abgelenkt war. Meine Ungeduld wuchs spürbar, sollte ich einen Frontalangriff wagen? Sie war eine ziemlich kräftige Person, und wahrscheinlich würde jemand im Haus ihr Schreien hören. Nein, das war keine gute Idee. Ein Schweißtropfen rann über meine Stirn. „Es ist ganz schön hell hier. Du weißt doch, ich bin ein Romantiker.“ sagte ich. „Oh, wo...“, sie stockte, „Ja, du hast recht, ich hole Kerzen.“ Eilig erhob sie sich und verließ den Raum. Offenbar war sie nervös. Warum? Der Abend war doch wunderbar verlaufen und sie hatte auf mich keinen schüchternen Eindruck gemacht, im Gegenteil. Ich nestelte die winzige Flasche aus meiner Hosentasche und goß die Flüssigkeit in eines der Gläser. Dann nahm ich das andere und lehnte mich lässig zurück. Sie kam, offenbar mit den Kerzen, zurück und betätigte den Lichtschalter. Ihre Schritte auf dem Laminat hallten, als wäre die Wohnung fast leer. Das passte irgendwie nicht, ich hielt sie für den Frauentyp der seine Umgebung in Nippes und Krimskrams erstickte. „Chinchin“, sagte ich. Sie nahm ihren Drink vom Tisch. Als ich hörte, wie ihre Zähne das Glas berührten fühlte ich mich wohler. Ein spiritusartiger Geruch stieg mir in die Nase. Wollte sie mich vergiften? Mit Mühe brachte ich einen Schluck von dem Fusel hinunter. „Wohnst Du schon lange hier?“, fragte ich. Sie zögerte, dann gab sie zurück:„Wieso, gefällt es dir nicht?“ „Doch, doch, es ist sehr gemütlich, gefällt mir.“ Irgendwo im Haus hörte man ein Baby schreien. „Wolltest du jemals Kinder?“, begann ich erneut. Es kam keine Antwort. Stattdessen schlug ihr Glas hart auf den Fußboden und zersprang. Eine Welle des Triumphes durchfuhr mich. Um sicher zu gehen, fragte ich: „Franziska, alles in Ordnung?“ Sie blieb stumm. Hecktisch zog ich mein Hemd aus der Hose und befreite mich von dem dünnen Strick, den ich um den Bauch geschlungen trug. Damit rutschte ich zu ihr hinüber und fesselte ihre Arme und Beine. Was mir fehlte, war ein Knebel und ein Messer. Beides würde ich in der Küche finden. Eilig richtete ich mich auf, denn die betäubende Wirkung des Giftes hielt nie lange an. Da schlug mir etwas brennend heiß ins Gesicht. Panisch riss ich meine Arme hoch. Es war eine nackte Glühbirne, und sie war eingeschaltet – immer noch. In mir wuchs der Drang zur Flucht, doch ich zwang mich zur Ruhe. Mein Opfer lag wehrlos bereit, kein Grund sich jetzt Sorgen zu machen. Ich ging in die Küche. Im Kühlschrank fand ich eine Zitrone, an der Heizung wärmte sich ein Handtuch, neben der Spüle standen die Messer in einem Block. Ich nahm mir das Fleischmesser, es war scharf, lang und lag gut in der Hand. So gerüstet, sammelte ich mich einen Moment, dann schritt ich zur Tat. Gierig sog ich die Melange aus Kerzenrauch und Franziskas Duft ein, die in der Luft hing. Messer und Handtuch in der linken, die Zitrone in der rechten Hand trat ich an das Sitzmöbel heran. Erinnerungen wurden wach. An die Erregung, wenn ich das Entsetzen von den harten Konturen der Gesichter ablas, ihren Angstschweiß inhalieren, dem stoßenden, ringenden Atem lauschen durfte. An die Euphorie die mich durchströmte, wenn ihrer erbärmlichen Hilflosigkeit meine Schwäche in absolute Macht transformierte. An die Ekstase die ich erfuhr, wenn ich sie penetrierte, ganz langsam, durch die Hymen ihrer Lider, den Stahl hinabsenkte. Einmal, zweimal, viele Male, bis sich der warme Gallert der Augäpfel, über die entrückten Züge ihrer Fratzen ergoss. Ich erschauerte. Spinnengleich näherte ich mich langsam meiner Beute. Unbeschreiblich war mein Entsetzen, der Schock, als ich feststellte: mein Netz war leer, die Polster verwaist. Hektisch fuhren meine Hände, sinnlos kreisend, über den noch körperwarmen Stoff. Endlich hielt ich inne und spürte, mehr als ich sie hörte oder roch, die körperliche Anwesenheit meines Scheiterns im Raum. Lange vor dem Ende der Zeit, die es dauerte bis sich einer von uns regte, gab mir die einfallslose Leere der Situation eine Antwort. Meine Blindheit war kein Vorhang, den ich durch einen klugen Plan beiseite schieben konnte, sie war eine gottverdammte Nacht, die in mir und um mich war, für immer. Mein Mund war wüstentrocken, tatsächlich dachte ich sehnsüchtig an mein einsames Glas mit Gin, das irgendwo in diesem Raum stand.
„Herr Woschat, Polizei! Lassen sie das Messer fallen. Es ist eine Waffe auf sie gerichtet!“, ertönte Franziska hinter meinem Rücken. Jemand, es war nicht Franziska, legte mir Handschellen an.

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