Mainhattan Moments
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Susanne Ruitenberg und Julia Breitenöder haben Geschichten geschrieben, die alle etwas mit Frankfurt zu tun haben.
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September 2005
Eine spanische Liebe
von Marion Pletzer

Pedro begrüßte seinen Freund mit einem sanften Nasenstüber. Doch an diesem Morgen rührte Antonio sich nicht. Seine Hand hing schlaff über den Rand des Bettes. Pedro winselte und leckte an den kalten Fingern. Kein leises Lachen folgte, kein Streicheln, keine freundlichen Worte – nur bedrückende Stille. Er ließ sich auf den bunten Bettvorleger fallen, legte den Kopf zwischen die Pfoten und wartete. Die Stunden vergingen und der Druck in seiner Blase wurde stärker. Unruhig lief er durch das Haus. Plötzlich hörte er Schritte und kurz darauf klopfte es an der Haustür.
„Antonio? Ich bin es, Flora. Ich bringe dir etwas Suppe.“
Pedro antwortete mit lautem Gebell.
„Antonio!“, rief Flora. Wie wild begann er zu jaulen und hinterließ mit den Krallen tiefe Schrammen in dem hölzernen Türblatt.
„Pedro, was ist denn? Da stimmt doch was nicht.“ Pedro lauschte ihrem sich wieder entfernenden, schlurfenden Gang. Verzweifelt bellte er ihr nach, seine Stimme klang heiser. Plötzlich verstummte er und spitzte die Ohren. Flora kam zurück und sie war nicht allein. Jemand machte sich am Schloss zu schaffen. Nervös trampelte er von einem Vorderbein auf das andere.
Die Tür öffnete sich. Eilig drängelte er sich an den Besuchern vorbei und rannte ins Freie. Wenige Minuten später kam er zurück und begrüßte Flora mit einem Schwanzwedeln. Mit ihrer fleischigen Hand kraulte sie das dichte Fell an seinem Hals.
„Wie schrecklich. Gestern Nachmittag ging es Antonio noch gut. Wie kann so was passieren?“, schluchzte sie. Ihr Nachbar Fernando legte den Arm um ihre Schulter.
Kurze Zeit später fuhr der Rettungswagen vor und Antonio wurde aus dem Haus getragen. Aufgeregt lief Pedro neben der Trage her. Ein Mann scheuchte ihn weg.
„Hau ab“, rief er und trat nach ihm. Erschreckt sprang Pedro zur Seite und sah zu, wie Antonio in einen Wagen geschoben wurde.
„Du Armer“, sagte Flora. „Was soll nun aus dir werden?“ Fragend sah er sie mit schief gelegtem Kopf an.
„Heute kannst du bei mir bleiben und dann sehen wir weiter.“ Sie ergriff Pedro am Halsband und nahm ihn mit.

Am nächsten Tag kam Antonios Sohn Luis zurück in seinen Heimatort und erledigte die Beerdigungsformalitäten. Sein silberner Mercedes wirkte deplaziert vor Antonios unscheinbarem Haus.
„Ich kann Pedro leider nicht behalten“, erklärte ihm Flora. „Aber wir können ihn nicht in ein Tierheim geben. Antonio würde uns des Nachts erscheinen.“ Luis lächelte sie herablassend an.
„Machen Sie sich keine Gedanken. Ich werde ihn mitnehmen, wenn ich in die Stadt zurück fahre. Kann er bis dahin bei Ihnen bleiben?“ Erleichtert atmete sie auf und nickte.

Nach der Beisetzung versammelten sich die Bewohner des kleinen Dorfes vor Antonios Haus zu einem Leichenschmaus, den Flora bereitgestellt hatte. Rastlos suchte Pedro die unmittelbare Umgebung ab. Doch nirgends konnte er seinen Freund finden.
Schließlich fasste Luis ihn am Halsband: „ Los, komm“, sagte er. Pedro bemerkte den drohenden Unterton in seiner Stimme, sah den stechenden Blick. Er zerrte rückwärts und versuchte den Kopf aus dem Halsband zu winden.
Doch dann packte Luis ihn so grob im Nacken, dass er laut aufheulte.
„Luis, lass das. Er war Antonios ein und alles. Willst du, dass dein Vater sich im Grabe umdreht?“, ermahnte ihn Flora.
„Ja, ja.“ Mit zusammengepressten Lippen hob Luis ihn hoch, schleppte ihn zum Wagen und sperrte ihn in den Kofferraum. Plötzlich war es dunkel. Die heiße, stickige Luft erschwerte Pedro das Atmen. Dann fuhr Luis mit ihm davon.
Nach einer Weile hielt der Wagen an und kurz darauf öffnete sich die Heckklappe.
„Raus“, befahl Luis. Freudig sprang Pedro aus dem düsteren Gefängnis. Er schüttelte sich so ausgiebig, dass seine Schlappohren wild um den Kopf flogen und sein Körper erbebte. Ausgelassen hüpfte er herum und begann den Boden nach interessanten Stellen abzuschnüffeln. Das Aufheulen des Motors weckte seine Aufmerksamkeit und er sah, wie der Wagen sich in einer aufwirbelnden Staubwolke entfernte.
Dann war alles still bis auf das unablässige Zirpen der Grillen. Unschlüssig stand Pedro herum. Irgendwann würde Antonio kommen und ihn holen. Er musste nur warten. Tagelang hielt er sich in der Nähe auf. Doch die dringende Suche nach Futter und Wasser trieb ihn immer weiter von dem Ort weg, an dem er zurückgelassen worden war. Sein Weg führte durch menschenleeres Gebiet. Buschwerk, trockenes Gras und kleine, knorrige Bäume prägten die karge Landschaft. Hunger und Durst quälten ihn. Aus Verzweiflung fraß er Insekten und zupfte Beeren von den Sträuchern. Am Morgen leckte er den spärlichen Tau von den Gräsern und ab und zu fand er eine schlammige Pfütze.
Nach einigen Wochen zeichneten sich seine Rippen deutlich unter dem stumpf gewordenen, braunen Fell ab. Die Beckenknochen ragten spitz hervor.
Eines Morgens bemerkte er das Geräusch eines sich nähernden Wagens. Kam Antonio endlich? So schnell sein ausgemergelter Körper es erlaubte, rannte er los.
Mit einem Satz sprang er aus dem Unterholz auf die Straße. Bremsen quietschten. Ein heftiger Schmerz durchzuckte seinen Körper, als er von dem Auto erfasst und weggeschleudert wurde. Er jaulte auf und blieb hechelnd am Boden liegen.
„Meine Güte. Wo kam der denn her?“ Eine helle Frauenstimme drang zu ihm durch und verschwommen nahm er das freundliche Gesicht wahr, das sich über ihn beugte und sanft seinen Kopf streichelte.
„Armer Kerl“, sagte sie leise. Nach langen Wochen spürte Pedro endlich wieder die Wärme einer Hand. Sacht wischte er mit der Rute über den staubigen Boden.
„Ist er schwer verletzt?“, rief ein Mann aus dem Wagen.
„Keine Ahnung. Das Bein sieht nicht gut aus. Wir müssen ihn zu einem Tierarzt bringen, Stefan. Erinnerst du dich noch an das Hinweisschild, an dem wir vorbei gefahren sind? Tierheim und Klinik oder so ähnlich“, antwortete sie.
„Ja, gar nicht so weit von hier. Warte, Monika, ich helfe dir.“
Gemeinsam hoben sie Pedro in den Wagen. Monika legte seinen Kopf in ihren Schoß, sprach während der Fahrt beruhigend auf ihn ein und strich dabei vorsichtig über sein Fell.
Erschöpft schloss Pedro die Augen und öffnete sie erst wieder, als der Wagen anhielt und Stefan ihn in einen kühlen Raum brachte.
Zitternd vor Schmerzen lag er während der Versorgung seiner Verletzungen auf dem Behandlungstisch.
„Er hat Glück gehabt. Ein Schock und eine schwere Prellung am Oberschenkel. Die kleineren Wunden heilen von selbst. Der ist bald wieder fit“, sagte die deutsche Tierärztin Karin Wagner, die das Heim leitete. „Wo haben Sie ihn denn gefunden?“
„Mitten im Nichts, etwa eine halbe Stunde von hier. Urplötzlich tauchte er aus dem Unterholz auf und lief direkt in unseren Wagen.“ Monika schüttelte den Kopf. „Wurde er ausgesetzt?“
„Ganz bestimmt. Von diesen Tieren gibt es leider Hunderte auf der Insel. Ein Fass ohne Boden. Der Bursche kann froh sein, dass er nicht erschlagen oder erhängt wurde – wie viele andere seiner Artgenossen.“
Monika seufzte.
„Gott, wie schrecklich. Dabei ist er ein so netter Hund. Wir waren ihm doch völlig fremd und sicher hatte er Angst. Trotzdem ließ er sich alles gefallen. Bei Ihnen ist er ja jetzt in guten Händen.“ Monika streichelte ein letztes Mal Pedros struppiges Fell und dann war sie verschwunden.

Einige Tage später humpelte Pedro durch den kahlen, winzigen Zwinger, der ihn von den anderen Hunden trennte. Er vermisste Antonio; den sonnigen Platz im Vorgarten des Hauses, von dem aus er die ganze Straße beobachten konnte und die Nachbarn, die immer ein nettes Wort oder ein Stück Wurst für ihn übrig hatten.
Den Großteil des Tages dämmerte er apathisch dahin.
Eines Morgens riss ihn eine bekannte Stimme aus seinen unruhigen Träumen.
„Sieh mal, da drüben ist er.“ Pedro öffnete die Augen und hob den Kopf. Karin Wagner öffnete die Zwingertür.
Monika schlüpfte hinein, hockte sich vor ihn und hielt ihm die Hand hin.
„Hallo, mein Freund“, sagte sie. Pedro stand auf, reckte den Hals und schnupperte an den Fingern. Sofort erinnerte er sich an ihren Geruch. Vor Freude begann seine Rute hin und her zu schwingen.
„Er erkennt mich, Stefan“, rief Monika und strahlte.
„Komm mit. Du hast ein schönes Zuhause verdient“, sagte sie und vertrauensvoll folgte Pedro ihr in ein neues Leben.

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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