Das alte Buch Mamsell
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Peggy Wehmeier zeigt in diesem Buch, dass Märchen für kleine und große Leute interessant sein können - und dass sich auch schwere Inhalte wie der Tod für Kinder verstehbar machen lassen.
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September 2005
Der Stau
von Gerhard Becker

„Wieder mal Stau, wie immer wenn wir in den Urlaub fahren“, schimpfte Markus Vater.
„Wirklich, so ein Mist“, pflichtete die Mutter den Vater bei. Markus kümmerte sich nicht um das Gemeckere der Eltern, das war er schon gewöhnt. Sie hatten immer etwas zu meckern. Warum schauen sie sich nicht einfach die vielen Glasscheiben der entgegenkommenden Autos an?, fragte sich Markus. Sie glitzern durch das Sonnenlicht wie Diamanten. Stundenlang konnte er sich das Funkeln der Scheiben ansehen.
Erwachsene sind komische Menschen, grübelte Markus weiter. Die Insassen eines Autos auf der benachbarten Fahrbahn stiegen für einige Augenblicke aus, streckten und reckten sich und lösten das Gewebe ihrer Hosen und Röcke von den Oberschenkeln, die nassgeschwitzt, durch das lange Sitzen an der Haut klebten. Dann stiegen sie wieder wortlos in ihre Minitreibhäuser ein. Solche Szenen hatte Markus schon oft in Staus beobachtet. Außer einigen wenigen Schimpfworten, sagte kaum jemand etwas.
Das ist ja wie in einem Gefängnis. Zehntausende Menschen sitzen in ihren kleinen Blechkäfigen wie in Einzelhaft und warten und warten... Wirklich: Erwachsene sind komische Menschen...
„Verdammt – wann geht es endlich weiter?“ hörte Markus den Vater wie aus weiter Ferne schimpfen. Seine Gedanken waren ganz woanders. Er betrachtete die vielen stehenden Autos auf der Gegenfahrbahn, denn auch dort hatte sich inzwischen ein Stau gebildet. Was die Autos doch alles für Farben hatten: Da gab es gelbe, rote, blaue, grüne und silberne. Der Junge kam gar nicht mehr aus dem Staunen raus. Von weitem sah es aus, als hätten die Fahrbahnen einen zweiten bunten Straßenbelag... Das wäre schön: Bunte Strassen!, schwärmte Markus.
Der Junge hörte wieder die Mutter schimpfen, obwohl sie ein ganzes Stück gefahren waren, bevor sie erneut in einem Stau gerieten. Sie klagte, dass es schon fast dunkel geworden sei. Warum ärgert sich Mama immerzu? Wir fahren doch in den Urlaub, da müsste sie sich doch freuen. Markus beobachtete die fahrenden Autos auf der Gegenfahrbahn. Sie hatten ihre Scheinwerfer eingeschaltet und wie eine riesige, gleißend helle Schlange wälzte sich die Blechlawine über den Asphalt. Und da – auf einmal gab es zwei Leuchtschlangen! Es hatte zu regnen begonnen und die nasse Fahrbahn spiegelte die Scheinwerfer der Autokolonne wieder.
„Wenigstens ist es kein Schnee“, bemerkte die Mutter sarkastisch. Wie kommt die Mama jetzt auf Schnee?, wunderte sich Markus. Schon wieder meckert sie. Er erinnerte sich an einem Stau im vergangenen Winter. Stundenlang saßen Tausende Autos auf den Strassen fest. Viele mussten schon mit den Benzin sparen und schalteten oft die Heizung ab. In Decken eingehüllt wie in Kokons zitterten die Menschen trotzdem vor Kälte und Erschöpfung. Damals war der Stau die größte Kühlschlange des Landes, die gleichzeitig Unmengen von Tee trank. Eine teetrinkende Schlange... Fast neben jedem Auto war der Schnee an einigen Stellen gelblich verfärbt. Markus lachte in Gedanken.
Der Vater schaltete das Radio ein. Die Nachrichten berichteten von einem gigantischen Stau in den USA. Die Menschen wollten vor dem Wirbelsturm RITA flüchten und saßen fest. Es gab nicht genug Benzin. Ein Bus mit alten Menschen explodierte und viele Menschen erlitten einen Hitzschlag...
Der Stau begann sich aufzulösen, langsam fuhren die Autos an.
„Endlich“, zischte der Vater.
Markus wunderte sich. Hatten Mutti und Vati nicht gehört, was der Mann im Radio sagte? Doch sie sagten nichts dazu, fuhren einfach weiter, als gäbe es nicht diesen anderen Stau, der viel schlimmer war.
„Mutti, kann es bei uns auch so einen Wirbelsturm geben? Wollen wir nicht lieber umkehren?“
„Sei still und rede nicht so einen Unsinn.“
Unsinn? Wirklich – Erwachsene sind komische Menschen...

Letzte Aktualisierung: 00.00.0000 - 00.00 Uhr
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