Wellensang
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Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
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Oktober 2005
Eine fast unlösbare Aufgabe
von Eva Markert

„Ab sofort bist du für Horst zuständig.“ So lautete Philos neue Order. Gleichzeitig erfuhr er, dass der Kollege, der bisher mit dieser Aufgabe betraut gewesen war, seine Versetzung beantragt hatte. Philo wunderte sich über die vielen mitleidigen Blicke, mit denen er plötzlich bedacht wurde, doch schon bald merkte er, dass er an seinem neuen Schützling eigentlich nur scheitern konnte.
„Manchmal würde ich am liebsten ins andere Lager wechseln“, vertraute er seinem Freund Soph an. „Es wäre wesentlich einfacher, Horst in seinen schlechten Angewohnheiten zu bestärken als ihn davon abzuhalten.“

Jeden Morgen pünktlich um sechs trat Philo seinen Dienst an. Es war seine erste Aufgabe, Horst rechtzeitig aus dem Bett zu treiben. Dies erwies sich jedoch als äußerst schwierig, denn erstens war Philo unsichtbar und zweitens glich Horst einem Murmeltier in Menschengestalt. Da half nicht mal der Traum vom Eimer mit kaltem Wasser, den Schutzengel in solchen Fällen gern und durchaus auch erfolgreich einsetzen.
Und wie sollte er Horst davon abbringen, eine Zigarette nach der anderen zu qualmen? Schon vor dem Frühstück fing er damit an. Es nützte gar nichts, dass Philo Feuerzeuge und Zigarettenschachteln verschwinden ließ, denn sein Schützling verfügte über reichlich Nachschub.
Met und Nektar schwitzte Philo, wenn er mit ihm ins Auto stieg, vor allem morgens. Weil sein Sorgenkind immer zu spät aufbrach, musste Philo häufig Notsignale zum Himmel senden, damit die Ampeln einen Augenblick länger gelb blieben oder damit der Fahrer des entgegenkommenden Wagens rechtzeitig bremste, wenn Horst mit quietschenden Reifen links abbog, natürlich ohne vorher den Blinker gesetzt zu haben. Aber auch der Himmel konnte nicht verhindern, dass der Wagen im Laufe der Zeit zahlreiche Beulen und Kratzer abbekam.
Statt richtig zu essen schlang Horst meistens irgendetwas in einem Fast-Food-Restaurant hinunter. Dabei konnte er sich das gewichtsmäßig gar nicht leisten. Philo hatte bereits auf verschiedene Weise versucht, ihm die gesunde Küche nahe zu bringen. Wenn Horst hin und wieder mal auf die Waage stieg, drückte er heimlich darauf, sodass sie ein paar Kilo mehr anzeigte. Doch das schien seinen Schützling nicht sonderlich zu belasten. Oder er zurrte Horsts Hosenbund hinten so eng zusammen, dass er ordentlich kniff. Ebenfalls ohne Erfolg, denn Horst öffnete einfach den Hosenknopf.
Wenn sein Sorgenkind abends vor dem Fernseher saß, ergab sich ein weiteres Problem in Form von reichlich Bier. Immer wieder spukte Philo in Horsts Gedanken herum und suggerierte ihm, wie schädlich zu viel Alkohol für Leber und Gehirn wäre. Doch je dringlicher seine Einflüsterungen waren, desto besser schien Horst sein Pils zu schmecken. Nicht nur einmal stieß Philo dann aus lauter Wut eine Bierflasche um.

„Kommst du von Horst?“, fragte Soph, als er Philo eines Nachts aus dem Skytrain am Flughafen Himmel-Ost aussteigen sah. Sein Freund nickte kläglich. Beide Flügel hingen ihm schlapp herunter und er stank erbärmlich nach Bier und Rauch. Soph begleitete ihn ein Stück auf dem Weg zu seinem Appartement im Engelsviertel.
„Lange geht das nicht mehr gut“, seufzte Philo. „Bei Horst ist Hopfen und Malz verloren – das kannst du übrigens auch wörtlich nehmen.“
„Ich bin da nicht ganz so pessimistisch.“ Soph grinste. Und dann verriet er Philo einen Trick.

Am nächsten Morgen versuchte Horst seinen Wagen zu starten – vergeblich, denn Philo hatte sich daran zu schaffen gemacht.
Am Monatsanfang wäre er wahrscheinlich mit dem Taxi zur Arbeit gefahren. Aber am Einundzwanzigsten blieb ihm nichts anderes übrig als auf öffentliche Verkehrsmittel zurückzugreifen. Entsprechend mürrisch wirkte sein Gesichtsausdruck.
Erst nachdem er im vollbesetzten Bus das hübsche Mädchen entdeckt hatte, neben dem wie durch ein Wunder noch ein Platz frei war, hellte sich seine Miene auf. Philo brauchte nicht einmal seine Mundwinkel nach oben zu ziehen.
So fing alles an, und im Laufe der nächsten Wochen konnte der Schutzengel feststellen, dass Sophs Tipp tatsächlich Gold wert gewesen war.
Sylvia hasste Zigarettengestank genauso wie Bierdunst, und sofort gab Horst das Rauchen mehr oder weniger ganz auf und schränkte seinen Bierkonsum drastisch ein. Sie kochte regelmäßig, gern und gut. Deshalb wurde Horst nur noch selten in Fast-Food-Restaurants angetroffen. Abends hatte er meistens gute Gründe, frühzeitig ins Bett zu gehen, sodass er am nächsten Tag pünktlich und frisch und vor allem von selbst aufwachte.
Je länger Horst mit Sylvia zusammen war, desto leichter wurde Philos Job.

„Du siehst viel entspannter aus als neulich!“, sagte Soph eines Nachts zu ihm. Sie saßen zusammen im Goldenen Stern und tranken ein Bier. „Und du stinkst auch nicht mehr so unmenschlich.“ Er kicherte. „Es hat also geholfen.“
Ärgerlich verzog Philo das Gesicht. „Tag für Tag, bis zur Erschöpfung, habe ich mich abgerackert. Und dann kommt so ein junges Ding daher, und schon läuft alles wie von selbst.“
Soph klopfte ihm auf die Schulter. „Das ist eben die Schwierigkeit, mit der wir Schutzengel zu kämpfen haben“, sagte er. „Sterbliche, vor allem wenn sie ein ansprechendes Äußeres haben, sind da klar im Vorteil.“
„Wenn ich es recht bedenke“, brummte Philo, „sind wir völlig überflüssig. Wie sollen wir etwas bewirken, wenn die Leute uns weder sehen noch hören können?“
„Für eine Sinnkrise ist jetzt keine Zeit“, unterbrach ihn Soph. „Du musst sofort wieder los. Horst hat gerade beschlossen, mit Sylvia eine Mondscheinfahrt zu unternehmen.“
„Ambrosia noch einmal!“, fluchte Philo. „Ich fliege!“

Er hatte allen Grund zur Sorge, denn eins konnte Horst nicht lassen: Er fuhr viel zu rasant, besonders wenn Sylvia neben ihm saß.
Philo quetschte sich zwischen die beiden. Ihm wurde angst und bange, als er sah, wie der Wagen die enge, abschüssige Gebirgsstraße hinunterraste.
„Bitte, fahr doch nicht so schnell!“
Sein Schützling gab noch mehr Gas. „Keine Angst! Ich hab den Wagen voll im Griff.“
In einer Haarnadelkurve scherte das Heck nach rechts aus.
Das Mädchen schrie auf und krallte sich an seinem Sitz fest.
Horst lachte, während Philo nervös mit den Flügeln flatterte.
In der nächsten Kurve reagierte Horst den Bruchteil eines Augenblicks zu spät. Das Auto schoss auf den Abgrund zu.
Sylvia schrie.
Gleich würden die Vorderräder ins Leere ...
Buchstäblich im allerletzten Augenblick griff Philo ins Lenkrad und brachte den Wagen wieder in die Spur.
Horst bremste scharf und hielt am Straßenrand an. Er atmete genauso heftig wie Sylvia.
Philo war weiß wie sein Gewand und hatte Götterspeise in den Knien.
„Ein Glück“, dachte er, „dass ich unsichtbar bin. Wenn sie mich jetzt so sähen! Ein bibbernder Schutzengel – das wäre wirklich zu peinlich! Nie wieder könnte ich mich bei ihnen blicken lassen.“
Das hätte Philo sehr Leid getan, denn aus unerfindlichen Gründen war ihm sein Sorgenkind inzwischen ziemlich ans Herz gewachsen.

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