Liebesgeschichten ohne Kitsch? Geht das? Ja - und wie. Lesen Sie unsere Geschichten- Sammlung "Honigfalter", das meistverkaufte Buch im Schreiblust-Verlag.
Peter Kollmann, Lektor, Herausgeber und Verleger, hatte sich mit den ´Horek-Romanen´ einen Namen gemacht. Er atmete tief durch und zählte bis zehn. Das hatte er sich angewöhnt, wenn er wütend war. Dann sah er sein Gegenüber direkt an.
„Sie haben das Manuskript bis zum 15. September fertig?“
Die Frage sollte höflich klingen. Udo Horek war seine Goldgrube.
„Natürlich. Habe ich Sie je enttäuscht?“
Im Gegenteil. Der Verlag schrieb durch diesen unscheinbar aussehenden Bestseller-Autor tiefschwarze Zahlen. Nur war Horek in den letzten Jahren immer mehr dem Alkohol verfallen und der Umgang mit ihm wurde schwieriger.
Das Manuskript lag termingerecht auf Kollmanns Schreibtisch. Mitte Oktober war die Frankfurter Buchmesse und bis dahin musste alles `in trockenen Tüchern` sein.
Dieser Horek sollte in 2,5 millionenfacher Auflage erscheinen. Gespannt schaute Kollmann nach Feierabend auf das vor ihm liegende Papier. Horek pflegte es mit einem Pestfaden zu binden, ganz locker. Von dieser Eigenart hatte Kollmann schon einmal gelesen...
Die erste und die zweite Seite waren leer. Kollmann schmunzelte; eine nette Idee! Aber auch auf den folgenden Seiten fand sich kein Wort und so blieb es.
Er war abermals wütend, zählte bis zehn und rief dann Horek an. Dieser wirkte eher gelangweilt.
„Der Text ist unsichtbar, Herr Kollmann.“
„Unsichtbar? Und wie soll ich ihn lesen, bitte schön?“
„Denksport-Aufgabe. Wie wird etwas Unsichtbares sichtbar?“
Kollmann schwieg zunächst.
„Also, vielleicht geht Ihnen ein Licht auf, wenn sie es ins Dunkel bringen“ lachte Horek und legte auf.
Nun dämmerte es Kollmann. `Sensationell experimentell` sollte in einer Pressemitteilung stehen. Am nächsten Tag kaufte er sich ein Schwarzlicht. Das Manuskript war genial. Er müsste den Inhalt wie folgt umschreiben: `Eine literarische Strömung innerhalb der Romantik, die deren irrationale, melancholische Züge betont und sich auch von der Gestaltung menschlichen Wahnsinns fasziniert zeigt`.
Das Buch würde dem Leser Vergnügen bereiten; Kollmann die Auflage erhöhen müssen. Dann stockte er in seiner Euphorie. Diese Art schwarzer Romantik hatte es früher schon einmal gegeben...
Genial war auch Horeks Vorschlag, zeitgleich mit dem Verkauf der Bücher ab 7. Oktober, in den Buchhandlungen UV-Taschenlampen und UV-Glühbirnen anzubieten und lediglich 200 Bücher vor der Lesung zu veräußern und zu signieren.
Kollmann tat alles, was Horek verlangte. Obwohl ihn manchmal das Gefühl überkam, dieses Genie habe eine gehörige Portion Wahnsinn in sich. Er behauptete vor ein paar Wochen, nachdem er übermäßig alkoholisiert war, eine Reinkarnation zu sein.
So unscheinbar Horek auch aussah mit seinem linken Scheitel und Schnauzbart, war dieser doch der Könner der klassischen Horror-Geschichten schlechthin. Der Meister des subtilen Humors; er beschrieb das Grotesk-Unheimliche.
Die erste Signierstunde nahte. Horek persönlich hatte das Lokal ausgesucht. Es war die einzigartige Buchhandlung der großen Nachbarstadt in den Kellerkatakomben einer ehemaligen Brauerei. Exzellent ausgewählt. Alle, die Leser und die Presse, waren begeistert von der Idee, ein mit fluoreszierender Farbe geschriebenes Buch zu lesen.
„Es geht wohl kaum ohne Sonnenbrille,“ meinte die erste Kundin. „Doch gerade dies ist eine Herausforderung.“
Sie hielt das soeben erworbene Buch in ihren Händen, als sie, verfolgt von den Digitalkameras der Presse, an den Schreibtisch trat, an dem Horek mit einem undefinierbaren Lächeln saß. `Welch` ein Abgang am Ende der steilsten Schriftsteller-Karriere aller Zeiten` dachte dieser.
Erst jetzt fiel Kollmann auf, dass Horek`s Haar lockig war. Er hatte etwas Pomade benutzt, trug ein weißes Hemd mit Rüschen und eine Krawatte, gebunden aus einem blauen Seidenband. Irgendwo hatte Kollmann exakt dieses Outfit schon einmal gesehen...
Horek nahm einen goldenen Stift zur Hand, dann das Buch.
„Für wen bitte darf ich das Buch signieren?“
`Diese Stimme`, dachte Kollmann. `War da ein amerikanischer Bostoner Akzent heraus zu hören`?
„Für Jonathan zum 21. Geburtstag. Er liebt ihre Horror-Krimis so sehr,“ sagte die Kundin.
Udo Horek signierte mit großem Elan.
„Danke, Herr Horek. Vielen Dank.“ In der hintersten Ecke der Buchhandlung konnte die Kundin eine UV-Taschenlampe kaufen. Neugierig strahlte sie die Widmung an. Kollmann sah, wie die Farbe aus ihrem Gesicht wich, sie zu Horek schaute. Er trat an ihre Seite und gemeinsam starrten sie auf die erste Seite des Buches.
`Für Jonathan zum 21. Geburtstag. Der Meister des Horrors lebt! Edgar Allan Poe`.
Kollmann schaute zum Schreibtisch. Horek lächelte kurz, bevor sein Kopf sanft auf den Tisch fiel. `Er hat wohl wieder zu sehr dem Alkohol zugesprochen`, dachte Kollmann.
Anmerkung:
Edgar Allan Poe ist am 7. Oktober 1849 verstorben. Sein persönlicher Hang zum Alkohol kostete ihm mit gerade mal 40 Jahren das Leben. Die Idee mit der Reinkarnation kam mir, als ich, wie dieser seinerzeit behauptete, die Wiedergeburt des berühmten Salvadore Dali kennen lernen durfte.
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